Urteil des SozG Ulm vom 17.04.2009

SozG Ulm (ungebührliches verhalten, gvg, rechtliches gehör, vernehmung, verhalten, sgg, aug, sitzung, zeugenaussage, akte)

SG Ulm Beschluß vom 17.4.2009, S 10 R 1149/09; S 10 R 1149/09 A
Verhängung eines Ordnungsgeldes - schriftliche Zeugenaussage ungebührlichen Inhalts
Leitsätze
1. Eine schriftliche Zeugenaussage ungebührlichen Inhalts kann gem. §§ 180, 178 GVG i.V.m. § 202 SGG mit
sitzungspolizeilichen Maßnahmen geahndet werden.
2. Die Bezeichnung einer Kammer eines Sozialgerichts als "Kämmerlein" und der Richter eines Sozialgerichts als
"Statthalter der Gerechtigkeit" stellt ein ungebührliches Verhalten dar.
Tenor
Gegen den sachverständigen Zeugen Dr. J. H. wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,- EUR, im Falle der
Nichtbeitreibbarkeit ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft, verhängt.
Gründe
I.
1
Der Betroffene war im Verfahren S 10 R 3006/08 mit Schreiben vom 11.11.2008 schriftlich als
sachverständiger Zeuge vernommen worden. Mit Fax vom 25.01.2009, adressiert an „So.ge.U 10. Kämmerlein“
forderte der Betroffen u.a. eine persönliche Garantie des Vorsitzenden hinsichtlich der kompletten Rückgabe
der Akte innerhalb von 5 Arbeitstagen bevor eine Aktenübersendung stattfindet. Die von der Kammer gestellten
Fragen wurden nicht beantwortet. Nach Erhalt dieses Faxes wurde zunächst von einer erneuten Anfrage
abgesehen.
2
Am 27.02.2009 faxte der Betroffene das Anschreiben der Kammer vom 11.11.2008, das mit einem
Eingangsstempel des VdK Ulm versehen war, der den Kläger des Verfahrens S 10 R 3006/08 vertritt, an das
Gericht. Auf diesem Schreiben vermerkte der Betroffene handschriftlich: „Für an die Statthalter der
Gerechtigkeit!!!“. Des Weiteren faxte der Betroffene die Fragen der Kammer zurück. Zur Frage „Welche
Befunde haben Sie bei den Untersuchungen erhoben und welche Diagnosen haben Sie gestellt“ schrieb er
handschriftlich: „ca. 8kg schwere Akte“. Auf die Frage nach den auf dem Fachgebiet des Betroffenen
vorliegenden Gesundheitsstörungen antwortete er: „s. meine Akte“. Das Fax ist auf der rechten Seite mit der
Unterschrift des Betroffenen versehen.
II.
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Die Kammer hält vorliegend die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Betroffenen gem. §§ 180, 178
GVG i.V.m. § 202 SGG für angebracht.
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1. Gem. § 180 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) stehen die sitzungspolizeilichen Befugnisse der §§ 176 bis
179 GVG dem Richter auch bei der Vornahme von Amtshandlungen außerhalb der Sitzung zu. Gem. § 178
Abs. 1 GVG kann gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht
beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der
strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche
festgesetzt und sofort vollstreckt werden.
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Die schriftliche Vernehmung eines Zeugen stellt eine Amtshandlung im Sinne des § 180 GVG dar. Nicht jede
Handlung eines Richters außerhalb der Sitzung fällt unter § 180 GVG. Es muss eine Amtshandlung spezifisch
richterlicher Natur sein, d.h. eine Handlung, die der Richter in Ausübung seiner kraft Gesetzes zugewiesenen
rechtsprechenden Aufgaben nach verfahrensrechtlichen Vorgaben vornimmt (Zimmermann, in: MüKo GVG, §
180 Rn. 1). Die schriftliche Vernehmung ersetzt die ansonsten übliche Vernehmung in einer mündlichen
Verhandlung (§ 377 Abs. 3 ZPO) und wird in der Sozialgerichtsbarkeit insbesondere bei der Vernehmung von
behandelnden Ärzten durchgeführt, um diesen zeitraubende Gerichtstermine zu ersparen. Im Hinblick auf die
Regelung des §§ 106, 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellt die schriftliche Vernehmung eines Zeugen,
ebenso wie die Vernehmung eines Zeugen in der mündlichen Verhandlung, eine originäre richterliche
Amtshandlung dar, die verfahrensrechtlichen Vorgaben unterliegt.
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Die in der Literatur vertretene Auffassung, dass § 180 GVG nicht auf Schriftsätze ungebührlichen Inhalts
anzuwenden ist (Zimmermann, in: MüKo GVG, § 180 Rn. 2), steht der Anwendbarkeit der Norm im
vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn im Gegensatz zu schriftsätzlichen Äußerungen am Verfahren
beteiligter, unterliegt die schriftliche Zeugenaussage dem speziellen verfahrensrechtlichen Regime der §§ 373
ff. ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 SGG. So könnte gegen einen Zeugen, der sich weigert eine (schriftliche)
Zeugenaussage abzugeben gem. § 390 ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 SGG ein Ordnungsgeld oder gar
Ordnungshaft verhängt werden. Unbestrittenermaßen ist dies bei einem Prozessbeteiligten der eine
schriftsätzliche Äußerung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt nicht möglich. Vielmehr sind für solche
Beweislastregelungen oder Präklusionsvorschriften vorgesehen.
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Der Richter hat die Möglichkeit gem. § 178 GVG ein ungebührliches Verhalten eines Zeugen mittels
Verhängung eines Ordnungsgeldes zu sanktionieren. Die Vorschrift des § 178 GVG verfolgt nach heutiger
Auffassung überwiegend praktische Zwecke. Sie soll den gesetzesmäßigen Ablauf des Gerichtsverfahrens
sichern. Die schriftlichen Äußerungen des Dr. H. als sachverständiger Zeuge stellen ein ungebührliches
Verhalten dar. Durch die Bezeichnung der Kammer als „10. Kämmerlein“ und die Überschrift „Für an die
Statthalter der Gerechtigkeit“ greift der Betroffene die Ehre und Würde des Gerichts sowie dessen Autorität an.
Die Kammer war verpflichtet die Schreiben des Betroffenen an die Beteiligten des Verfahrens weiterzuleiten,
sodass diese Bezeichnungen öffentlich wurden. Der Betroffene verdeutlicht mit der von ihm gewählten
Begrifflichkeit, dass er zumindest von der Sozialgerichtsbarkeit wenig hält. Unter Ungebühr wird regelmäßig ein
erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden
und auch auf Ehre und Würde des Gerichts, dessen Autorität vor Einbußen zu bewahren ist verstanden (OLG
Köln, Beschluss v. 07.05.2008, Az. 2 Ws 223/08 mwN.). Objektiv erfordert die Ungebühr somit ein Verhalten,
das geeignet ist, den sachlichen und unpolemischen Sitzungsverlauf zu beeinträchtigen oder das Gericht als
Institution bzw. die Ausübung seiner Tätigkeit verächtlich zu machen. Der Tatbestand kann schon durch
herabsetzende Äußerungen (Zimmermann, in: MüKo GVG, § 180 Rn. 7 mwN.) oder eine unangemessene
Bekleidung eines Zeugen verwirklicht werden (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 01.08.2007, Az. 1 Ws 90/07).
Dieses Verhalten des Betroffenen stellt eine grobe Missachtung und somit eine Ungebühr im Sinne der
Vorschrift dar.
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Auf der subjektiven Tatbestandsseite erfordert die Ungebühr Verschulden. Nach Auffassung der Kammer hat
der Betroffene vorsätzlich gehandelt. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den Gesamtumständen seiner
Äußerungen.
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Dem Gericht ist ein Ermessen hinsichtlich des Ob und des Wie eine sitzungspolizeilichen Maßnahme
eingeräumt. Die Kammer hält es für zwingend erforderlich, gegenüber dem Betroffenen eine
sitzungspolizeiliche Maßnahme zu ergreifen. Durch seine Äußerung hat er mehrfach seine Missachtung des
erkennenden Gerichts zum Ausdruck gebracht. Auch war das Gericht verpflichtet die Aussagen des
Betroffenen den Verfahrensbeteiligten zugänglich zu machen, sodass Dritte von diesem Verhalten Kenntnis
erlangten und somit zur Wahrung der Würde des Gerichts ein Einschreiten durch Ergreifung
sitzungspolizeilicher Maßnahmen unumgänglich war. Weniger einschneidende Maßnahmen waren vorliegend
weder erkennbar noch geboten. Die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes hält die Kammer im Hinblick auf das
durchschnittliche Einkommen eines niedergelassenen Facharztes für angemessen.
10 Dem Betroffenen wurde rechtliches Gehör gewährt. Eine Äußerung erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht.