Urteil des SozG Trier vom 25.03.2011

SozG Trier: medizinische rehabilitation, stationäre behandlung, erwerbsfähigkeit, psychotherapie, ärztliche anordnung, form, ambulante behandlung, psychotherapeutische behandlung, klinik, diplom

Sozialrecht
SG
Trier
25.03.2011
S 4 R 198/10
Voraussetzungen der Gewährung einer Leistung zur Teilhabe in Form einer wiederholten stationären
medizinischen Rehabilitation bei Suchterkrankung
1. Eine positive Erfolgsprognose setzt eine Gesamtwürdigung aller Umstände durch die Behörde im
Zeitpunkt der Sachentscheidung voraus.
2. Bei komplexen Suchterkrankungen genügt eine vorläufige Erfolgsprognose mit begründeter Erwartung,
der Erfolg werde eintreten.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 28.10.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 6.5.2010 werden
aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Leistung zur Teilhabe in Form einer stationären
medizinischen Rehabilitation zur Behandlung der Suchterkrankung dem Grunde nach zu gewähren.
2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Der Kläger - er ist am 28.3.1970 geboren - begehrt die Gewährung von Teilhabeleistungen in Form einer
stationären medizinischen Rehabilitation. Der Kläger hat nach dem Hauptschulabschluss im Jahr 1986
eine Ausbildung zum Friseur mit Erfolg absolviert. Er war danach bis 2006 dauernd als Friseur
erwerbstätig. Danach war er auch aufgrund der Folgen einer Unterschaftfraktur vom 15.7.2005
arbeitsunfähig erkrankt. Bis zum 31.12.2008 wurden für den Kläger Pflichtbeiträge entrichtet.
Der Kläger beantragte erstmals am 12.12.2001 die Gewährung von Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation wegen einer Alkoholsucht und vorrangig Spielsucht sowie psychischer und physischer
Erschöpfung. Er legte damals bereits die Bescheinigung des Dr. Nitzsche vor, der ausführte, es müsse
eine stationäre Therapie bei neuroserelevanter Persönlichkeitsorganisation erfolgen. Durch den Bescheid
vom 15.3.2002 bewilligte die Beklagte die Maßnahme in der psychosomatischen Fachklinik in M .
Diese wurde vom 9.8.2002 bis 2.1.2003 über fünf Monate dort durchgeführt. Am 17.1.2003 bescheinigte
die Chefärztin der Klinik M , Frau Dr. Vogelsang, der Kläger habe im Rahmen der fünfmonatigen
Entwöhnungsbehandlung die Krankheitseinsicht bezüglich der Spielsucht und Cannabisabhängigkeit
vertieft. Auch eine depressive Symptomatik sei gebessert worden. Der Kläger bedürfe aber weiterhin einer
therapeutischen Betreuung in einer Suchtberatungsstelle.
Der Kläger war danach zwei Jahre lang abstinent.
Der Kläger wurde anschließend auch vom 5.7.2006 bis 17.7.2006 im Reha-Zentrum der Klinik B in
der Abteilung für Orthopädie stationär behandelt, da es nach der o.g. Unterschaftfraktur zu einer
Pseudoarthrosenbildung am rechten Ulnarschaft und einer Knochenheilungsstörung gekommen war.
Darüber hinaus hatte der Kläger im Mai 2006 auch eine Fraktur des Mittelfußknochens 3 erlitten. Auch in
dem Entlassungsbericht vom 19.7.2006 wird durch den Leitenden Arzt der Klinik Dr. Quarz ausgeführt, bei
dem Kläger sei eine stationäre Behandlung in einer Suchtklinik bei Spielsucht dringend erforderlich. Der
Kläger unterzog sich danach einer langjährigen Krankenbehandlung aufgrund dieser Befunde. Erst am
7.5.2009 konnte die volare Platte mit Extensor pollicis longus-Plastik entfernt werden. Der Kläger litt noch
unter eine Ruptur der Extensor pollicis longus-Sehne.
Der Kläger beantragte am 22.5.2006 erneut die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe in Form einer
stationären medizinischen Rehabilitation.
Am 26.6.2006 wurde der Beklagten dazu der Sozialbericht der Diplom-Sozialarbeiterin Frau Helga Ritz
von der Psychosozialen Beratungsstelle beim Caritasverband in W vorgelegt. Darin wird dargelegt,
der Kläger habe in den letzten 3 Jahren nahezu täglich fünf bis sechs Liter Bier konsumiert. Er konsumiere
auch täglich Cannabis seit dem 16. Lebensjahr und habe auch Amphetamine ab einem Alter von 28
Jahren eingenommen. Daneben spiele er seit dem 12. Lebensjahr täglich an Automaten. Er lebe jetzt
wieder im Haus bei der Mutter, da er wegen Mietschulden seine Wohnung am 31.5.2006 verloren habe.
Er habe eine neunjährige Tochter. Die Abstinenzentscheidung sei glaubhaft. Er habe eine gute
Behandlungsmotivation.
Behandlungsmotivation.
Die Beklagte gewährte dem Kläger erneut eine stationäre medizinische Rehabilitation, die wiederum vom
10.11.2006 bis 26.4.2007 in der Psychosomatischen Fachklinik in M durchgeführt wurde. In dem
Entlassungsbericht der Ärzte Dr. Monika Vogelsang, Dr. Baumeister und der Frau R. Müller vom 3.5.2007
wird dargelegt, es bestünden folgende Gesundheitsstörungen:
Pathologisches Glücksspielen
Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden
Abhängigkeitssyndrom von Alkohol
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
Zustand nach Ulnarschaftfraktur mit Pseudoarthrosenresektion und Spongioplastik am 8.2.2006.
Abhängigkeit von Tabak.
Der Vater des Klägers sei Alkoholiker gewesen. Er sei verstorben, als der Kläger 15 Jahre alt gewesen
sei. Auch er habe gespielt. Der Kläger schilderte dort auch, er habe seit ca. 10 Jahren die Kontrolle über
den Alkoholkonsum verloren und trinke täglich maximal 9 Liter Bier. Er rauche auch etwa 10
selbstgedrehte Zigaretten am Tag und konsumiere ungefähr 10 Tüten Cannabis pro Tag. Er habe immer
wieder versucht, mit dem Spielen aufzuhören. Dies sei aber nicht gelungen. Die Ärzte hielten fest, der
Kläger leide unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Er habe sich selbst große Vorwürfe
für den Spielrückfall nach der ersten Reha-Maßnahme gemacht. Durch die Maßnahme sei eine
Stabilisierung eingetreten. Die Abstinenzmotivation sei vorhanden. Der Kläger könne aber die
Rückfallrisiken immer noch schlecht einschätzen, da er nur geringe Abstinenzerfahrungen habe. Es seien
auch Affektregulationsmechanismen aufgebaut werden. Der Kläger könne jetzt die Tätigkeit als Friseur
wieder aufnehmen, soweit die Unterarmproblematik dem nicht entgegenstehe.
Am 3.5.2007 teilte die Klinik durch die Chefärztin Frau Dr. Vogelsang ergänzend mit, der Anschluss an
eine Selbsthilfegruppe sei zur Nachsorge bei dem Kläger nicht ausreichend. Er bedürfe dringend der
Teilnahme an Einzel- und Gruppengesprächen und der ambulanten Nachsorge in einer anerkannten
Beratungs- und Behandlungsstelle. Nur wenn der Kläger das Angebot zur Nachbehandlung beim
Caritasverband in W wahrnehme, sei damit zu rechnen, dass die Rehabilitationsziele stabilisiert
werden könnten bei gleichzeitiger Festigung der Abstinenz.
Am 9.10.2009 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer stationären Leistung zur medizinischen
Rehabilitation.
Mit dem neuen Antrag legte der Kläger auch den Bericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Stefan
Aust vom 5.10.2009 vor. Darin führte der Arzt aus, der Kläger sei mit den Leiden wiederholt rückfällig. Alle
Behandlungsoptionen vor Ort seien ausgeschöpft. Der Kläger bedürfe dringend der Leistung.
Am 7.10.2009 legte die Psychosoziale Beratungsstelle in W erneut einen Bericht der Diplom
Sozialarbeiterin Helga Ritz vor. Diese hielt fest, der Kläger habe angegeben, er sei nach der letzten
Maßnahme für über 2 Jahre abstinent gewesen, sei es aber jetzt nicht mehr. Er lebe nach wie vor bei
seiner Mutter. Dort lebe auch der alkoholabhängige Bruder. Der Kläger halte sich auch häufig bei
Freunden in der Nähe von Stuttgart auf. Es habe seit dem Beginn der Vorbetreuung am 25.8.2009 vier
Einzelgespräche gegeben. Der Kläger schildere glaubhaft die Abstinenzentscheidung. Auslöser des
jetzigen Rückfalls sei die Einnahme von THC gewesen. Der Kläger habe auch wieder angefangen zu
spielen, nachdem er sich an einem Geldautomaten eine Cola gezogen habe und dabei das Geräusch
fallender Münzen gehört habe. Er begehre erneut eine stationäre Behandlung. Sein Ziel sei der Umgang
mit Suchtdruck. Die Behandlungsmotivation sei gut. Eine ambulante Behandlung sei nicht ausreichend,
da es dem Kläger an der nötigen Stabilität fehle. Er bedürfe der Unterbringung in einer geschützten
therapeutischen Einrichtung.
Durch den Bescheid vom 28.10.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung der Leistung ab. Es fehle an
einer positiven Prognose. Denn § 10 SGB VI verlange, dass eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit durch
die Rehabilitationsmaßnahme abgewendet werden könne oder jedenfalls eine geminderte
Erwerbsfähigkeit durch die Maßnahme gebessert werden könne. Es sei bei dem Kläger aber trotz der
durchgeführten Entwöhnungsmaßnahmen nicht zu erwarten, dass es zu einem dauerhaften Erfolg
kommen werde.
Der Kläger erhob gegen den Bescheid am 12.11.2009 Widerspruch. Er gehe davon aus, dass ihm
diesmal ein Erfolg gelingen werde. Zwanzig Jahre Suchterfahrung ließen sich auch nicht einfach
wegstecken. Er habe nach der ersten Therapie erstmals gelernt seine Gedanken loszulassen. Auch nach
der zweiten Therapie habe er einen festen Lebenspartner gefunden und sei wieder abstinent gewesen.
Zu dem Rückfall sei es nur gekommen, wegen der unzähligen Operationen aufgrund der
Knochenheilungsstörung. Diese habe vier Jahre zur Heilung benötigt. Er sei zuversichtlich, dass er
diesmal erfolgreich sein werde.
Am 10.11.2009 teilte der Caritasverband M-E-H e. V. mit, er unterstützte die
Rehabilitationsmaßnahme. Der Kläger habe alle Folgetermine seit dem Sozialbericht wahrgenommen
und erscheine zuverlässig wöchentlich zu Einzelgesprächen. Er sei seit über vier Jahren an einer
Unterarmfraktur und einer Heilungsstörung arbeitsunfähig erkrankt. Er leide sehr unter der
Arbeitslosigkeit, ihm fehle auch die Tagesstruktur.
Durch den Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die
Voraussetzungen des § 10 SGB VI lägen nicht vor. Die zusammenfassende Auswertung der
medizinischen Unterlagen, insbesondere des Sozialberichts der Diplom-Sozialarbeiterin Helga Ritz vom
8.10.2009, des Dr. Aust vom 5.10.2009 und der HV-Entlassungsbericht aus dem Jahr 2007 ergäben
zusammenfassend, dass der Kläger nicht für eine Entwöhnungsbehandlung geeignet sei. Voraussetzung
der Gewährung der Leistung sei es, dass der Kläger eine Maßnahme der Motivierung vorher absolviert
habe und bereit sei, auch Nachsorgebehandlungen in Anspruch zu nehmen. Die Behandlung von
Abhängigkeitserkrankungen könne nur in den folgenden drei Phasen erfolgen: Einer Kontakt- und
Beratungsphase schließe sich eine Behandlungs- und Nachsorgephase an. Zur Motivation gehöre die
Entwicklung von Krankheitseinsicht, Behandlungsbereitschaft, und Bereitschaft zur Verhaltensänderung.
Der Kläger habe bereits 2007 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in M absolviert. Er habe aber
die Nachsorgeempfehlungen nicht eingehalten. Den Antrag vom 12.10.2009 habe er nach nur vier
Einzelgesprächen in der Suchtberatungsstelle des Caritas-Verbandes M-E-H e. V. gestellt. Er habe auch
keinen Anschluss an eine Selbsthilfegruppe aufgenommen und eine ambulante Psychotherapie sei auch
nicht durchgeführt worden. Ein Erfolg der Behandlung könne nur angenommen werden, wenn der Kläger
solche Maßnahmen in Angriff nehme.
Am 7.6.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, er habe die Nachsorge in der
Fachklinik in M nur deshalb nicht angetreten, weil er sich als stabil erlebt habe und geglaubt habe, er
käme ohne therapeutische Hilfe zu Recht. Seine Rückfälligkeit sei auch so stark ausgeprägt, dass
ambulante Angebote nicht mehr ausreichend seien. Die Unterstützung durch die Suchtberatung empfinde
er nicht mehr als ausreichend. Er sei jetzt für eine stationäre Behandlung mit ambulanter Nachsorge
bereit. Er sei durch die Spielsucht auch hoch verschuldet. Das Gutachten für das Jobcenter in W
vom 16.3.2010 zeige auch, dass durch eine Therapie sein Leistungsvermögen wieder hergestellt werden
könne.
Der Kläger legte das Gutachten des Dr. Beyer vom Gesundheitsamt der Kreisverwaltung Bernkastel-
W vom 16.3.2010 vor. Darin führt der Arzt aus, der Kläger sei derzeit bis zu 6 Monaten nur 3 bis
unter 6 Stunden erwerbsfähig. Er habe eine Suchttherapie beantragt. Durch diese könne eine
Reaktivierung der Leistungsfähigkeit erreicht werden.
Am 29.7.2010 nahm die Beklagte zu der Klage Stellung. Sie führte aus, sie biete den folgenden Vergleich
an:
Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger dem Grunde nach eine medizinische Leistung zur Teilhabe in
Form einer stationären medizinischen Rehabilitation zu gewähren.
Der Kläger verpflichtet sich, vor Antritt der Entwöhnungsbehandlung eine mindestens 6 monatige
Vorbereitungszeit gemäß der "Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen von 2001" nachzuweisen und
den Beginn einer ambulanten Psychotherapie nachzuweisen.
Die Beklagte erstattet dem Kläger die außgerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu ½.
Die Beklagte legte auch die Stellungnahme der psychologischen Beraterin FrauDr. Hofmann vom
16.7.2010 vor. Diese führte aus, der Kläger habe bereits dreimal eine Reha-Behandlung ohne
durchgreifenden Erfolg absolviert und danach weder eine ambulante Psychotherapie begonnen noch sich
einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Dies sei aber zu einer effektiven Behandlung der
Persönlichkeitsstörung unbedingt erforderlich. Bei diesem Sachverhalt sei es nicht ausreichend, wenn der
Kläger jetzt erkläre, an der Nachsorge teilnehmen zu wollen. Wenn der Kläger nicht bereit sei, die
Auflagen zu erfüllen, sei die Rehabilitationseignung in Frage gestellt.
Der Kläger erwiderte hierauf, er könne das Angebot nicht annehmen, da er für eine ambulante Therapie
zu instabil sei. Die niedergelassenen Therapeuten hätten zudem lange Wartezeiten. Er fühle sich nicht in
der Lage zu einer ambulanten Therapie.
Am 26.8.2010 legte die Diplom-Sozialarbeiterin Helga Ritz eine weitere Stellungnahme vor. Sie
bescheinigte, der Kläger befinde sich seit dem 25.8.2009 in einer Vorbereitungszeit für eine stationäre
Rehabilitation.
Am 30.9.2010 nahm die Beklagte durch die Fachärztin für Allgemein- und Sozialmedizin Frau Dr.
Rühmann nochmals zu dem Sachverhalt Stellung. Der Caritas-Verband M-E-H habe mit Schreiben
vom 26.8.2010 bestätigt, dass der Kläger ab dem 25.8.2009 eine Vorbereitungszeit für eine stationäre
Rehabilitation absolviert habe. Es fehle aber nach wie vor an einer ambulanten Psychotherapie und
Angaben dazu, ob der Kläger die Suchtberatungsstelle aufgesucht habe.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, er habe sich um einen ambulanten
Therapieplatz bemüht, aber keinen gefunden. Er gehe aber regelmäßig wöchentlich zu der
Suchtberatungsstelle der Caritas. Er wisse, dass es für ihn um die "letzte Chance" gehe. Er werde sich vor
Antritt der Maßnahme weiter um einen ambulanten Therapieplatz bemühen und danach eine ambulante
Psychotherapie durchführen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 28.10.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, ihm eine Leistung zur Teilhabe in Form einer stationären medizinischen
Rehabilitation zur Behandlung seiner Suchterkrankung dem Grunde nach zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Maßnahme könne nicht gewährt werden, wenn der Kläger nicht zuvor einen Platz zur Teilnahme an
einer ambulanten Psychotherapie erhalten habe. Denn er müsse nach der Rehabilitationsmaßnahme
lückenlos betreut werden. Der Erfolg der Maßnahme sei sonst gänzlich ungewiss. Um ein entsprechendes
Angebot müsse sich der Kläger selbst bemühen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage, mit der der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer Leistung zur
Teilhabe in Form einer stationären medizinischen Rehabilitation begehrt, ist begründet.
Die persönlichen Voraussetzungen zur Erbringung der Leistung liegen vor. Gemäß § 10 Absatz 1 haben
für Leistungen zur Teilhabe Versicherte die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, 1. deren
Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich
gefährdet oder gemindert ist und2. bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der
Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese
durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich
gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet
werden kann,c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der
Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.
Bei dem Kläger besteht aufgrund der in dem Entlassungsbericht der Psychosomatischen Fachklinik in
M am 3.5.2007 dargelegten Gesundheitsstörungen jedenfalls eine erhebliche Gefährdung der
Erwerbsfähigkeit. Dort ist das Krankheitsbild des Klägers in der vollen Ausprägung, die auch der früheren
Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2002 zu Grunde lag, festgehalten. Der Kläger leidet unter:
Pathologisches Glücksspielen
Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden
Abhängigkeitssyndrom von Alkohol
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
Zustand nach Ulnarschaftfraktur mit Pseudoarthrosenresektion und Spongioplastik am 8.2.2006.
Abhängigkeit von Tabak.
Die Erkrankung ist, nachdem der Kläger wiederholt rückfällig geworden ist, auch so ausgeprägt, dass
hierdurch die Erwerbsfähigkeit jedenfalls konkret gefährdet ist. Bereits in dem Entlassungsbericht vom
3.5.2007 sind die erheblichen Auswirkungen der Gesundheitsstörungen festgehalten. Der Kläger hat auch
jetzt angegeben, er konsumiere wieder große Mengen Alkohol (jedenfalls 4-5 Liter Bier am Tag,
manchmal bis zu 9 Liter), nehme Betäubungsmittel zu sich (Cannabis) und gehe wieder dem Glücksspiel
nach. Es ist bei dieser Sachlage jedenfalls erkennbar und auch von den Beratungsärzten der Beklagten
nicht in Zweifel gezogen worden, dass die Erwerbsfähigkeit des Kläger aufgrund dessen erheblich
beeinträchtigt ist, wenn nicht sogar aufgehoben. Dies ergibt sich auch aus Teil B des Gutachtens des Dr.
Beyer vom Gesundheitsamt der Kreisverwaltung Bernkastel-W vom 16.3.2010. Der Arzt, der den
Kläger persönlich untersucht hat, hat ausgeführt, dass derzeit aufgrund der oben genannten
Gesundheitsstörungen bereits eingeschränkte Leistungsfähigkeit von 3 bis unter 6 Stunden täglich für bis
zu sechs Monate besteht. Er gab auch an, die Prognose beruhe darauf, dass durch eine Suchttherapie
eine Reaktivierung der Leistungsfähigkeit erreicht und eine Rückkehr in den erlernten Friseurberuf
ermöglicht werden könne.
Die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen scheitert auch nicht daran, dass der Kläger aufgrund von
in seiner Person liegenden Umständen nicht rehabilitationsfähig ist. Voraussetzung der Gewährung der
Leistung ist, dass die Maßnahme eine wesentliche Besserung der geminderten Erwerbsfähigkeit erwarten
lässt bzw. bei gefährdeter Erwerbsfähigkeit eine Abwendung der Gefahr. Dies ist der Fall, wenn eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend zumindest teilweise behoben werden kann.
Erforderlich ist eine Erfolgsprognose unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles.
Entscheidend ist, ob die Leistungsziele des § 10 Nr. 2 Buchstab a) und b) mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit durch die Leistung der medizinischen Rehabilitation erreicht werden können (vgl.
BSGE 53,105; Kreikebohm/Kreikebohm - SGB VI, Sozialgesetzbuch Gesetzliche Rentenversicherung, §
11 Rn. 8 f.).
Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bestand bei dem
Kläger aber die berechtigte Erwartung, dessen Erwerbsfähigkeit werde durch die Maßnahme wesentlich
gebessert werden bzw. erhalten werden können. Dies ist auch jetzt noch der Fall.
Ob die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sowie Absatz 2 genannten Ziele voraussichtlich erreicht werden
können, unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Das Merkmal „voraussichtlich“ stellt
einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Unbestimmte Rechtsbegriffe unterliegen aber bezüglich der
Anwendung im konkreten Einzelfall der vollen gerichtlichen Kontrolle (so auch BSG, 5. Senat, Urteil vom
23.2.2000, B 5 RJ 8/99 R). Selbst wenn man mit der gegenteiligen Auffassung in der Literatur einen
Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite für die Prognoseentscheidung bejaht (dazu juris-PK, SGB
VI, Luthe, 1. Auflage 2008, 1.1.2008, § 10 SGB VI Rn. 70), führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. Die
Grenzen des Beurteilungsspielraums sind jedenfalls dann überschritten, wenn wie hier (1) eine stationäre
Rehabilitation aufgrund eines komplexen Krankheitsbildes (Suchterkrankung) begehrt wird und (2) eine
jedenfalls vorläufige Erfolgsprognose im Grundsatz möglich ist und (3) der Eintritt des dauerhaften
Erfolges nur dann ausgeschlossen ist, wenn Umstände in der Person des Klägers hinzutreten, deren
Eintritt im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen ist.
Aus der
allgemeinen Unsicherheit der Erfolgsprognose
Suchterkrankten eine Rehabilitation stets versagt werden müsste, wenn im Zeitpunkt der
Sachentscheidung die Nachsorge nicht sichergestellt ist. Bei Vorliegen von Suchterkrankungen sind an
die Erfolgsaussichten keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Dies gilt vor allem, wenn wie hier, ein
komplexes Krankheitsbild mit einer Vielzahl von Leiden vorliegt. In diesen Fällen ist, der Verlauf
typischerweise mit Unsicherheiten behaftet, dies hat nachvollziehbar insbesondere Frau Dr. Vogelsang in
dem Entlassungsbericht vom 3.5.2007 geschildert. Diese dürfen aber nicht für sich genommen zu einer
Negativprognose führen, da ansonsten Suchterkrankte völlig von Leistungen der Rehabilitation
ausgeschlossen würden und keine Chance erhielten, sich durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft einen
Erwerb zu verschaffen.
Darüber hinaus steht es auch fest, dass der Kläger nach den beiden absolvierten
Rehabilitationsmaßnahmen in Suchtkliniken in den Beruf als Friseur wieder eingegliedert werden konnte.
Die Erfolgseignung einer weiteren Rehabilitationsmaßnahme scheitert auch nicht daran, dass der Kläger
nach den Maßnahmen letztlich
jeweils wieder rückfällig wurde und kein dauerhafter Erfolg eintrat
Der Kläger hat bereits zweimal - nicht wie von der Beklagten vorgetragen dreimal - eine stationäre
medizinische Rehabilitation in Suchtkliniken absolviert, nämlich vom 9.8.2002 bis 2.1.2003 in der
Fachklinik in M und vom 10.11.2006 bis 26.4.2007 in der Fachklinik in M . Diese
Rehabilitationsmaßnahmen waren auch jeweils erfolgreich. Danach ist es 2003 zu einer
Wiedereingliederung des Klägers in den erlernten Beruf des Friseurs gekommen. Die
Wiedereingliederung nach der Maßnahme bis zum 26.4.2007 erfolgte nur deshalb nicht, weil der Kläger
bereits am 15.7.2005 eine Unterschaftfraktur erlitten hatte und es im Zuge der Behandlung zu
Arbeitsunfähigkeitszeiten mit erheblicher Behandlungsbedürftigkeit bis zum 7.5.2009 kam. Der Kläger hat
auch selbst glaubhaft geschildert, er habe nach beiden Rehabilitationsmaßnahmen seine Sucht
überwunden und sei für einen Zeitraum von ca. 2 Jahren frei hiervon gewesen.
Aus der früheren Rückfälligkeit des Klägers kann auch jetzt keine negative Prognose abgeleitet werden.
Dies ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen. Bereits 2007 wurde durch den
Leitenden Arzt der Abteilung für Orthopädie im Reha-Zentrum der Klinik B dargelegt, dass der Kläger
einer stationären Behandlung in einer Suchtklinik bedürfe, um die Spielsucht zu überwinden. Der Arzt hat
damit zugleich klargestellt, dass eine solche Maßnahme im Grundsatz geeignet ist, den Erfolg - Erhalt und
Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit - zu gewährleisten, obgleich der Kläger zu diesem Zeitpunkt
bereits einmal rückfällig geworden war. Auch der Bericht der Fachklinik in M vom 3.5.2007 stellt mit
dem Arztbrief der Chefärztin Frau Dr. Vogelsang klar, dass durch die stationäre medizinische
Rehabilitation bei dem Kläger ein guter Erfolg mit Stabilisierung erreicht wurde. Auch der Arzt Dr. Beyer
hat dies im Hinblick auf den jetzigen Antrag erneut so gesehen (Gutachten vom 16.3.2010). Demnach ist
die stationäre Rehabilitationsmaßnahme für sich genommen geeignet, eine gefährdete Erwerbsfähigkeit
des Klägers zu erhalten und eine geminderte Erwerbsfähigkeit zu bessern. Die ärztlichen Stellungnahmen
sind vor dem Hintergrund der durch die Maßnahmen erreichten Erfolge und der genannten Gründe für die
Rückfälligkeiten auch schlüssig und nachvollziehbar.
Die Erfolgsprognose ist hier auch deshalb positiv, weil der Kläger glaubhaft geschildert hat, diesmal die
Rehabilitationsmaßnahme zugleich mit einer ambulanten Psychotherapie abstimmen zu wollen. Diese
glaubhafte Absicht genügt in Verbindung mit dem tatsächlichen Verhalten des Klägers und den
vorliegenden Stellungnahmen der Ärzte seit der Antragsstellung, um die Erfolgsprognose zu bejahen.
Denn der Kläger hat seine Therapiemotivation dadurch belegt.
Die Beklagte hat zutreffend mit den ärztlichen Stellungnahmen der Frau Dr. Hoffmann und der Frau Dr.
Rühmann vom 16.7.2010 und 30.9.2010 dargelegt, dass es nicht ihre Aufgabe ist,
Abhängigkeitserkrankten stationäre Rehabilitationsmaßnahmen zu gewähren, wenn die
Erfolgsaussichten nicht vorliegen. Die Ärzte haben richtigerweise ausgeführt, dass im Falle des Klägers
hier Bedenken bestehen. Der Kläger hat nämlich bereits nach der ersten stationären Rehabilitation in der
Klinik in M in den Jahren 2002-2003 und auch nach der zweiten stationären Rehabilitation im Jahr
2007 keine ambulante Psychotherapie durchgeführt, obgleich dies von den behandelnden Ärzten in ihren
Berichten jeweils für erforderlich gehalten wurde.
Das Gericht hat hinsichtlich der jetzt von dem Kläger begehrten Rehabilitationsmaßnahme aufgrund des
früheren Verhaltens des Klägers aber insoweit keine Bedenken. Zwar ist das frühere Verhalten durchaus
ein Indiz für die fehlende Bereitschaft des Klägers, nach der Rehabilitationsmaßnahme die erforderliche
Nachsorge vorzunehmen. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, der Kläger werde dieses Verhalten
auch nach der jetzt in Streit stehenden Maßnahme wiederholen.
Das Gericht stützt sich zunächst auf die glaubhaften Angaben des Klägers. Dieser hat auch unter Hinweis
auf sein Verhalten nach den vorherigen Maßnahmen in der mündlichen Verhandlung glaubhaft
geschildert, er wolle sich nun anders verhalten. Er hat dargelegt, er habe sich nach dem
Vergleichsangebot der Beklagten bereits um einen ambulanten Therapieplatz bemüht. Er habe sich auch
schon eine zweiseitige Liste mit Ärzten geben lassen und die Nummern abtelefoniert. Er sei aber dort stets
abgelehnt worden bzw. auch eine Wartefrist von sechs Monaten verwiesen worden. Das Gericht glaubt
dem Kläger diese Angaben, zumal er seit dem 25.8.2009 regelmäßig und wöchentlich eine
Vorbereitungszeit für die stationäre Rehabilitation in W absolviert hat. Dies ergibt sich aus dem
vorliegenden Bericht der Frau Helga Ritz vom 26.8.2010 und dem im Widerspruchsverfahren vorgelegten
Bericht der Sozialarbeiterin. Der Kläger hat damit nachdrücklich gezeigt, dass er über eine gute
Therapiemotivation verfügt und es mit seinem Wunsch nach einer Besserung der Suchterkrankung ernst
meint.
Höhere Anforderungen - nämlich das Vorhandensein eines Platzes zur ambulanten Therapie - sind an
den Kläger nicht zu stellen. Insofern obliegt es aufgrund des gesetzlichen Vorschriften auch dem
Rentenversicherungsträger, für die zum Erhalt oder der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit
notwendige medizinische Nachbetreuung zu sorgen - § 15 Absatz 1 SGB VI verweist auch für den
Rentenversicherungsträger auf die Maßnahmen des § 26 SGB IX. Ist dies, wie von der Beklagten
ausgeführt, notwendig, um die dauerhafte Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu ermöglichen, so hat
die Beklagte entsprechende Maßnahmen auch in Abstimmung mit anderen Sozialleistungsträgern und
dem Kläger einzuleiten um den dauerhaften Erfolg zu gewährleisten.
Auch aus der Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Krankenkassen und
Rentenversicherungsträger bei der Akutbehandlung (Entzugsbehandlung) und medizinischen
Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung) Abhängigkeitskranker vom 4.5.2011 folgt nichts anderes. § 3
Absatz 2 der Vereinbarung normiert, dass einer Entwöhnungsbehandlung eine Entzugsbehandlung
vorherzugehen hat, wenn nur dadurch die Rehabilitationsfähigkeit erreicht werden kann. Im Übrigen
erfolgt die Bewilligung einer Entwöhnungsbehandlung auch nach § 3 dieser Vereinbarung, "wenn die
persönlichen/medizinischen (Rehabilitationsbedürftigkeit , -fähigkeit und -prognose) und
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und kein gesetzlicher Ausschlusstatbestand
gegeben ist, Maßnahmen der Beratung und Motivierung vorangegangen sind und der
Abhängigkeitskranke motiviert und zudem bereit ist, eine ggf. erforderliche Nachsorge in Anspruch zu
nehmen." Das von der Beklagten angegebenen Erfordernis, es bedürfe zur Bejahung der Erfolgsaussicht
stets der Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie, findet schon hierin und in den Anlagen zur
Vereinbarung keine Stütze. Im Gesetz selbst ist es ebenfalls nicht angelegt.
Der Kläger erfüllt auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Absatz 2, 2a SGB VI.
Danach haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, wenn sie in den letzten
zwei Jahren vor der Antragstellung sechs Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 1), innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung einer Ausbildung
eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufgenommen und bis zum Antrag ausgeübt
haben oder nach einer solchen Beschäftigung oder Tätigkeit bis zum Antrag arbeitsunfähig oder
arbeitslos gewesen sind (Nr. 2) odervermindert erwerbsfähig sind oder bei denen dies in absehbarer Zeit
zu erwarten ist, wenn sie die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr.3). Darüber hinaus werden Leistungen
zur Teilhabe an Versicherte auch erbracht, wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre (§ 11 Absatz 2a Nr. 1). Der Kläger hat in den letzten zwei Jahren vor
seiner Antragsstellung sechs Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung, da bis zum
31.12.2008 für ihn noch Pflichtbeiträge entrichtet worden. Er war auch nach einer versicherten
Beschäftigung bis zum Antrag arbeitsunfähig und arbeitslos.
Auch die weiteren Voraussetzungen der § 15 Absatz 1 SGB VI sowie des § 26 Absatz 2 Nr. 2 SGB VI sind
erfüllt. Der Beklagten verbleibt auch ausgehend von der Grundnorm des § 9 Absatz 1 SGB VI kein
Ermessen, ob sie die Leistung überhaupt erbringt und hinsichtlich der Frage, ob sie die Leistung als
ambulantes oder stationäres Angebot ausgestaltet. Dieses Ermessen ist auf Null reduziert.
Gemäß § 15 Absatz 1 SGB VI erbringen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen von Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation Leistungen nach den §§ 26 bis 31 des Neunten Buches, ausgenommen
Leistungen nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 und
§ 30
des Neunten Buches. Gemäß § 26 Absatz 2 Nr. 2 SGB IX
umfassen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere die Behandlung durch Ärzte,
Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf
ärztliche Anordnung ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln
(Nr. 2) sowie Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (Nr. 5).
Dem Träger der Rentenversicherung ist ausgehend von der Regelung des § 9 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2
SGB VI hierbei ein Ermessen eingeräumt, ob die Leistung überhaupt erbracht wird und wie sie konkret
ausgestaltet wird. Letzteres ergibt sich aus § 13 Absatz 1 SGB VI. Danach bestimmt der Träger der
Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung
nach pflichtgemäßem Ermessen. Hinsichtlich der Ermessensbetätigung können die Gerichte nach § 54
Abs. 2 Satz 2 SGG nur kontrollieren, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung
nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit oder
Ermessensmissbrauch).
Zwar ist es in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob hinsichtlich des "ob" der Leistungserbringung
bei Erfüllung der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Ermessen besteht (vgl.
dazu juris-PK-SGB VI-Luthe, 1. Auflage 2008, 28.10.2008, § 15 SGB VI Rn. 88). Das Gericht braucht
diesen Streit hier aber nicht zu entscheiden, da der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf
Gewährung der Leistung überhaupt und in Form einer stationären medizinischen Rehabilitation schon
aufgrund einer Ermessenreduzierung auf Null besteht. Es steht fest, dass dem Kläger die Maßnahme zur
medizinischen Rehabilitation zu erbringen ist, da die persönlichen und versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen erfüllt sind und Anhaltspunkte, die eine gegenteilige Entscheidung rechtfertigen
könnten, nicht ersichtlich sind.
Darüber hinaus kann die Erbringung der Maßnahme, wie von dem Kläger gewünscht, auch nur in einem
stationären Rahmen erfolgen, da es an der Erfolgseignung einer rein ambulanten Maßnahme fehlt. Auch
das gemäß § 13 Absatz 1 SGB VI der Beklagten eingeräumte Ermessen ist insofern auf Null reduziert.
Dies ergibt sich für die Vergangenheit bereits aus der Stellungnahme des Dr. Quarz in dem
Entlassungsbericht nach der orthopädischen Rehabilitation vom 5.7.2006 bis 17.7.2007. Darin hat der
Arzt dargelegt, dass es bei Rückfälligkeit des Klägers zur Behebung einer stationären Maßnahme bedarf.
Warum jetzt bei erneuten Rückfall etwas anderes gelten sollte, ist nicht erkennbar. Darüber hinaus hat
auch die Ärztin Dr. Vogelsang nach der Entlassung aus der Rehabilitation am 3.5.2007 geschildert, der
Kläger bedürfe selbst nach der stationären Maßnahme bei Abstinenz noch der intensiven Nachbetreuung,
also einer engmaschigen Kontrolle. Dies spricht ebenfalls dafür, dass bei einem Rückfall eine erneute
stationäre Behandlung unabdingbar ist. Auch die Diplom-Sozialarbeiterin Helga Ritz und der Arzt Dr.
Beyer haben geschildert, dass durch die stationäre Therapie eine Reaktivierung des Leistungsvermögens
zu erwarten ist. Dr. Beyer hat damit zugleich zu erkennen geben, dass er in dem bisherigen ambulanten
Angebot keine ausreichende Lösung sieht, da er eine teilweise Erwerbsminderung bis zur erwarteten
stationären Rehabilitation angenommen hat. Auch die Beratungsärzte der Beklagten haben im Grundsatz
dargelegt, dass nur die stationäre medizinische Rehabilitation geeignet ist, die Erwerbsfähigkeit dauerhaft
zu erhalten oder zu bessern. Sie führen lediglich aus, dass diese Maßnahme von ambulanten
Maßnahmen flankiert werden muss, um einen dauerhaften Erfolg zu sichern und lassen damit erkennen,
dass Ausgangsort der Behandlung ein stationärer Aufenthalt sein muss.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, war dem Kläger somit die begehrte Leistung dem
Grunde nach zuzusprechen. Die genaue Ausführung - Auswahl der Klinik und insbesondere notwendige
Dauer des Aufenthaltes - obliegen der Beklagten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften. Das
Gericht hatte insoweit keine Entscheidung zu treffen, da der Antrag des Klägers sich hierauf nicht bezog.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da die Beklagte mit der Klage unterlegen ist, ist es billig,
dass sie die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt.