Urteil des SozG Stuttgart vom 26.01.2015

rücknahme der klage, vergleich, klagerücknahme, erlass

SG Stuttgart Beschluß vom 26.1.2015, S 4 SF 5570/14 E
Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Keine fiktive
Terminsgebühr bei Teilanerkenntnis bzw Teilerledigungserklärung und
Teilrücknahme - Erledigungsgebühr gemäß Nr 1002, 1003 RVG-VV
Leitsätze
Wird eine KIage teilweise für erledigt erklärt und im Übrigen zurückgenommen,
entsteht keine fiktive Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs 1 RVG-VV. Dies gilt auch bei
Annahme eines Teilanerkenntnisses und Rücknahme der Klage im Übrigen.
Bei Teilanerkenntnis bzw. Teilerledigungserklärung und Teilrücknahme ist
grundsätzlich die Festsetzung einer Erledigungsgebühr gemäß Nr 1002, 1003 RVG-
VV möglich
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.9.2014 wird abgeändert. Die durch die
Beklagte zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 1.845,25 EUR
festgesetzt.
Gründe
1 Bzgl. der Beteiligten war ein Rechtsstreit bezüglich der Honorarabrechnungen für
die Quartale 3/2009 und 4/2009 anhängig. Mit Klage vom 2.3.2011 wandte sich
der Klägerbevollmächtigte im Namen des Klägers gegen die in diesen
Honorarbescheiden vorgenommenen Konvergenzabzüge sowie gegen eine
Quotierung aufgrund der Überschreitung des RLV.
2 Mit Beschluss vom 27.12.2011 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens an,
welches vom Klägerbevollmächtigten am 20.8.2013 wieder aufgerufen wurde. Mit
Bescheid vom 9.12.2013 erstattete die Beklagte dem Kläger die im Rahmen der
Konvergenz einbehaltenen Honorarabzüge in voller Höhe zurück. Die Beklagte
erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Der Klägerbevollmächtigte wertete den
Bescheid vom 9.12.2013 als prozessuales Teil-Anerkenntnis und nahm dieses an.
Im Übrigen nahm er die Klage zurück. Die Beklagte wehrte sich gegen die
Annahme eines Anerkenntnisses. Mit Schreiben vom 20.6.2014 erklärte der
Klägerbevollmächtigte, dass der Rechtsstreit erledigt ist.
3 Mit rechtskräftigem Beschluss vom 9.7.2014 traf das Gericht eine
Kostengrundentscheidung, nach der die Beklagte 84 %, der Kläger 16 % der
Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Der Streitwert wurde auf 22.453,16 EUR
festgesetzt.
4 Am 14.7.2014 beantragte der Klägerbevollmächtigte die Kostenfestsetzung mit
Übersendung einer Kostennote. Darin machte er für das gerichtliche Verfahren
neben einer 1,3fachen Verfahrensgebühr auch eine 1,2fache Terminsgebühr gem.
Nr. 3104 VV RVG aus einem Streitwert i.H.v. 18.771,47 EUR (Höhe des
Konvergenzabzuges) geltend.
5 Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.9.2014 setzte die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden
außergerichtlichen Kosten gem. § 197 Abs. 1 SGG auf 2.572,16 EUR fest (84%
von insgesamt 3.062,10 EUR Gebühren und Auslagen inkl. Umsatzsteuer). Dabei
übernahm sie den Gebührenansatz des Klägerbevollmächtigten ohne Änderung.
Sie führte aus, dass zwar kein Termin stattgefunden habe, jedoch eine fiktive
Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV RVG festgesetzt werden könne. Zwar sei der
Rechtsstreit in der Gesamtschau nicht durch ein volles Anerkenntnis, aber durch
einen schriftlichen Vergleich beendet worden. Beide Beteiligte hätten im Ergebnis
nachgegeben. Auf die Einhaltung von prozessualen Formvorschriften komme es
nicht an. Vielmehr sei auf den zwischen den Beteiligten getroffenen
Regelungsinhalt abzustellen. Dies entspreche auch der Intention des
Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der fiktiven Terminsgebühr, die
streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts zu fördern und
damit gerichtsentlastend zu wirken.
6 Gegen die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr i.H.v. 727,20 EUR legte die
Beklagte mit Schreiben vom 10.10.2014 Erinnerung gem. § 197 Abs. 2 SGG ein.
Sie ist der Ansicht, dass weder ein prozessuales Anerkenntnis abgegeben worden
sei, noch ein schriftlicher Vergleich vorliege.
II.
7 Die Erinnerung ist zulässig und begründet. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist
rechtswidrig, soweit eine fiktive Terminsgebühr festgesetzt worden ist.
8 Die Voraussetzungen von Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG liegen nicht vor. Danach
entsteht die Terminsgebühr auch, wenn
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1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im
Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a
ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren
ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird,
10 2. nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch
Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt
werden kann oder
11 3. das Verfahren vor dem Sozialgericht, für das mündliche Verhandlung
vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche
Verhandlung endet.
12 Ziffer 2 von Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG ist unstreitig nicht einschlägig.
13 Wie die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bereits zutreffend im Beschluss
ausgeführt hat, endete das Klageverfahren nicht nach angenommenem
Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung, da hierfür gem. § 101 Abs. 2 SGG die
Annahme eines vollen Anerkenntnisses notwendig gewesen wäre. Dabei kann
dahinstehen, ob im vorliegenden Fall überhaupt ein Teilanerkenntnis bezüglich der
Konvergenzabzüge vorliegt (bejahend Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 21.4.2014, L 11 SF 256/13 E). Auch wenn viel dafür spricht, dass
ein Anerkenntnis im Sinne der Vergütungsregelung anders als bei der reinen
Prozesshandlung nicht zwingend eine explizite diesbezügliche Erklärung erfordert,
so setzt Ziffer 3 die Beendigung des Verfahrens nach angenommenem
Anerkenntnis voraus. Dabei kann es sich nach Sinn und Zweck nur um das
gesamte Verfahren handeln. Denn nur dann tritt der vom Gesetzgeber gewollte
Entlastungseffekt für die Gerichte ein (siehe auch Landessozialgericht Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 12.12.2013, L 19 AS 1972/13 B). Im vorliegenden Fall
endete das Verfahren aber erst durch die Rücknahme der Klage im Übrigen bzw.
durch die Kombination von Annahme des Teilanerkenntnisses und Teilrücknahme.
Folglich liegen die Voraussetzungen von Ziffer 3 ebenfalls nicht vor.
14 Nach Ansicht des Gerichts liegt aber auch kein Fall der Ziffer 1 von Nr. 3104 Abs. 1
VV RVG vor. Denn es wurde weder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne
mündliche Verhandlung entschieden noch wurde ein schriftlicher Vergleich
geschlossen. Unstreitig liegen weder ein gerichtlicher noch ein außergerichtlicher
Vergleich vor. Entgegen der Ansicht der Urkundsbeamtin ist jedoch auch das
prozessuale Verhalten der Beteiligten nicht als formloser Vergleich auszulegen.
Von einem Vergleich geht auch der Klägerbevollmächtigte in seinen Schriftsätzen
nicht aus. Zwar liegt im Ergebnis tatsächlich ein beidseitiges Nachgeben bezüglich
des Streitgegenstandes vor. Jedoch muss die prozessuale und die materielle
Betrachtungsweise voneinander getrennt werden. Ein schriftlicher Vergleich setzt
den Willen der Vertragspartner zum Abschluss eines solchen Vergleichs
zumindest nach dem objektiven Empfängerhorizont voraus. Auch bedarf es der
schriftliche Fixierung des Ergebnisses eines gemeinsamen
Willensbildungsprozesses der Beteiligten. An beiden Voraussetzungen fehlt es
hier. Es ist aus keinem Schreiben ersichtlich, dass auch nur einer der Beteiligten
überhaupt einen Vergleich im vorliegenden Verfahren schließen wollte. Zudem
fehlt es am gemeinsamen Willensbildungsprozess. Die vom
Klägerbevollmächtigten erklärte teilweise Klagerücknahme ist als unbedingte
einseitige Willenserklärung abgegeben worden. Es handelt sich um eine reine
Prozesserklärung. Auch der Erlass des Bescheides vom 9.12.2013 erging nicht
unter der Bedingung der Klagerücknahme im Übrigen.
15 Der Gebührenansatz war deshalb um die festgesetzte fiktive Terminsgebühr
(727,20 EUR) zzgl. die darauf entfallende Umsatzsteuer (138,17 EUR) zu kürzen
(insgesamt 865,37 EUR). Nachdem die Beklagte 84% der Kosten zu tragen hat,
reduziert sich der Kostenerstattungsbetrag um 726,91 EUR von 2.572,16 EUR auf
1.845,25 EUR
16 In der vorliegenden Konstellation (Teilanerkenntnis bzw. Teilerledigungserklärung
und Teilrücknahme) ist grundsätzlich die Festsetzung einer Erledigungsgebühr
gemäß Nr. 1002, 1003 VV RVG möglich. Der Klägerbevollmächtigte hat diese
Gebühr jedoch bislang nicht geltend gemacht. Sie kann deshalb vom Gericht auch
nicht im Erinnerungsverfahren berücksichtigt werden.
17 Dieser Beschluss ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG unanfechtbar.