Urteil des SozG Stuttgart vom 02.09.2010

SozG Stuttgart (berufliche tätigkeit, treu und glauben, tätigkeit, medizinische rehabilitation, abschluss, anmeldung, rehabilitation, sgg, krankengeld, buch)

SG Stuttgart Urteil vom 2.9.2010, S 24 R 9514/07
Leistung zur medizinischen Rehabilitation - stufenweise Wiedereingliederung - fortbestehender
Rehabilitationsbedarf - zuständiger Leistungsträger - Erstattungsanspruch der Leistungsträger
untereinander - vorsorgliche Anmeldung eines Erstattungsanspruchs
Leitsätze
1. Zu den Voraussetzungen einer fortbestehenden Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für eine
stufenweise Wiedereingliederung im "unmittelbaren" Anschluss an eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme.
2. Die erforderliche "Unmittelbarkeit" ist jedenfalls bei einem zeitlichen Abstand von einem Monat regelmäßig noch
gegeben, ohne dass es insoweit besonderer Feststellungen bedarf (ständige Kammerrechtsprechung).
3. Die "vorsorgliche" Anmeldung eines Erstattungsanspruchs genügt, wenn der Rechtssicherungswille anderweitig
zum Ausdruck kommt.
4. Sog. Zwischenübergangsgeld ist auch für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 51 Abs. 5 SGB IX mit Wirkung zum
01.05.2004 zu leisten.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Erstattung des von ihr an die Versicherte S. in der Zeit vom
09.05.2003 bis 15.09.2003 gezahlten Krankengelds einen Betrag von 5.970,71 Euro zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
2. Der Streitwert wird auf 5.970,71 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Krankengeld in Höhe von 5.970,71 Euro, welches die Klägerin
in der Zeit vom 09.05.2003 bis 15.09.2003 an die Versicherte S. (im Folgenden nur noch Versicherte) gezahlt
hat, streitig.
2
Die am ...1952 geborene Versicherte war während des streitigen Zeitraums bei der Klägerin kranken- und bei
der Rechtsvorgängerin der Beklagten (zukünftig nur noch Beklagte) rentenversichert. Sie arbeitete zuletzt
vollschichtig als kaufmännische Angestellte in der Kundenbetreuung. In der Zeit vom 10.04.2003 bis
08.05.2003 führte die Versicherte auf Kosten der Beklagten eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der
Klinik S. in I. durch und erhielt während dieser Zeit von ihr Übergangsgeld. Ausweislich des Entlassberichts
des Internisten und Kardiologen Prof. Dr. H. vom 14.05.2003 waren die Entlassungsdiagnosen eine bösartige
Neubildung der Brustdrüse (C50 nach ICD-10) sowie eine reine Hypercholesterinämie (E78.0 nach ICD-10). Die
Versicherte wurde arbeitsunfähig aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme entlassen. In absehbarer Zeit
sei jedoch mit einer Eingliederung in die bisherige berufliche Tätigkeit zu rechnen. Die Versicherte könne
leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung – auch in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf –
vollschichtig verrichten. Das Heben, Tragen und Bewegen schwerer Arbeiten, Überkopftätigkeiten oder eine
Überlastung der Arme müssten jedoch vermieden werden. Eine stufenweise Wiedereingliederung werde
empfohlen. Das Belastungs-Elektrokardiogramm (EKG) zeige bei Entlassung noch überwiegend zu hohe
diastolische Werte. Die „Pelzigkeit“ am rechten Oberarm bestehe, wenn auch nachgelassen, fort.
3
Am 12.05.2003 erstellte der die Versicherte – die weiterhin arbeitsunfähig war – behandelnde
Allgemeinmediziner Dr. D. den Wiedereingliederungsplan, wobei die stufenweise Wiedereingliederung am
02.06.2003 beginnen und bis zum 31.07.2003 mit zunächst vier und dann sechs Stunden täglich andauern
sollte. Die Versicherte und ihre Arbeitgeberin stimmten dem Plan unter dem 15.05.2003 zu. Die stufenweise
Wiedereingliederung wurde in der Folgezeit schlussendlich bis zum 15.09.2003 verlängert
(Wiedereingliederungspläne des Dr. D. vom 30.06.2003, 28.07.2003 und 02.09.2003). Die Klägerin gewährte der
Versicherten für die Zeit nach Beendigung der stationären Rehabilitationsmaßnahme bis zum Abschluss der
stufenweisen Wiedereingliederung (09.05.2003 bis 15.09.2003) Krankengeld in Höhe von insgesamt 5.970,71
Euro.
4
Mit Schreiben vom 02.01.2004 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die stufenweise
Wiedereingliederung der Versicherten ab dem 19.05.2003 und ihrer – wegen der weiterhin strittigen
Zuständigkeitsabgrenzung – vorläufigen Krankengeldzahlung ihren Erstattungsanspruch „vorsorglich“ geltend.
Das Schreiben ist im Betreff mit „Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach § 102 SGB X“ bezeichnet und
enthält am Ende die Bitte um Eingangsbestätigung. Mit Schreiben vom 26.01.2004 teilte die Beklagte der
Klägerin mit, dass sie den geltend gemachten Erstattungsanspruch zurückweise, weil die stufenweise
Wiedereingliederung keine eigenständige medizinische Rehabilitationsleistung der gesetzlichen
Rentenversicherung sei.
5
Unter dem 21.12.2007 hat die Klägerin beim erkennenden Gericht Klage erhoben.
6
Sie hält die Beklagte unter näherer Darlegung ihrer Rechtsansicht für verpflichtet, ihr das von ihr an die
Versicherte im Anschluss an die Rehabilitationsmaßnahme bis zur Beendigung der stufenweisen
Wiedereingliederung geleistete Krankengeld zu erstatten.
7
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
8
wie erkannt.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11 Sie lehnt eine Erstattung ab und meint, die Klägerin sei mit ihrem geltend gemachten Anspruch nach § 111
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ausgeschlossen, weil sie ihren Erstattungsanspruch nicht rechtzeitig
konkret und nur „vorsorglich“ angemeldet habe.
12 Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die
beigezogene Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14 Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
15 Die formgerecht erhobene, als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthafte und auch im Übrigen
zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des von ihr
an die Versicherte S. in der Zeit vom 09.05.2003 bis 15.09.2003 gezahlten Krankengelds in Höhe von
insgesamt 5.970,71 Euro.
I.
16 Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist § 102 Abs. 1 SGB X.
17 1. Die Anwendung dieser Vorschrift ist vorliegend nicht von vornherein wegen § 14 Abs. 4 Neuntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IX) ausgeschlossen. Denn jedenfalls dann, wenn – wie hier – der erstangegangene
Rehabilitationsträger (Klägerin) den Leistungsantrag des Versicherten wegen eines Kompetenzkonflikts mit
dem anderen Rehabilitationsträger (Beklagte) nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an
diesen weiterleitet, führt § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Verhältnis der Rehabilitationsträger zueinander nur zu
einer „zunächst“ bestehenden Leistungsverpflichtung. In diesen Fällen ist es gerechtfertigt, dem
erstangegangenen Träger mit § 102 SGB X – ebenso wie dem zweitangegangenen Träger mit § 14 Abs. 4 Satz
1 SGB IX – einen privilegierten Erstattungsanspruch zuzubilligen,
18
BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, m. w. N.; LSG Ba.-Wü., Urt. v.
24.11.2009 – L 11 R 2858/09 abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de/ sgb/esgb.
19 2. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X, wonach der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger
gegenüber dem Leistungsträger erstattungspflichtig ist, der auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig
Sozialleistungen erbracht hat, sind vorliegend gegeben:
20 a) Die Klägerin hat im Hinblick auf den Zuständigkeitsstreit mit der Beklagten gewollt und nach außen
erkennbar lediglich vorläufig im Sinne des § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Krankengeld an die
Versicherte geleistet. Dies entnimmt die Kammer dem klägerischen Schreiben an die Beklagte vom
02.01.2004, in dem explizit auf die Vorläufigkeit hingewiesen wird. Im gegebenen Zusammenhang genügt dies
den gesetzlichen Anforderungen,
21
siehe nur BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, m. w. N.
22 b) Die Beklagte war vorliegend auch der zur Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung (eigentlich)
verpflichtete Leistungsträger im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X.
23 Nach § 7 Satz 1 SGB IX gelten die Vorschriften des SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe, soweit sich aus
den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichendes ergibt.
Leistungen zur Teilhabe sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB IX insbesondere die notwendigen
Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Behinderung abzuwenden und
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden bzw. zu überwinden. Nach der für die Beklagte
maßgeblichen Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erbringt die
Rentenversicherung unter anderem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen einer
Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der
Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit
der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst
dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Nach § 9 Abs. 2 SGB VI können die Leistungen erbracht
werden, wenn die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 SGB VI)
erfüllt sind.
24 Dass bei der Versicherten im Streitzeitraum die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 SGB VI)
vorlagen, ist für die Kammer unzweifelhaft und wurde von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.
25 Die Kammer ist auch überzeugt davon, dass durchgängig die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI
gegeben waren. Nach § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllen Versicherte die persönlichen Voraussetzungen, deren
Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet
oder gemindert ist. Der Begriff der in § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht definierten Erwerbsfähigkeit ist als
Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben
zu können. Nicht hingegen sind die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen
einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind. Zu prüfen ist, ob der Versicherte unabhängig von den
Besonderheiten des gerade innegehaltenen Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten
Berufs noch nachkommen kann,
26
BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, m. w. N.
27 Abzustellen ist nach alledem auf die von der Versicherten zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kaufmännische
Angestellte in der Kundenbetreuung. Entsprechend der genannten Voraussetzungen hat die Beklagte der
Versicherten die stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 10.04.2003 bis 08.05.2003 gewährt. Nach der
sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung im Entlassbericht des Internisten und Kardiologen Prof. Dr. H. vom
14.05.2003 wurde die Versicherte als arbeitsunfähig für ihre bisherige Tätigkeit als Kaufmännische Angestellte
in der Kundenbetreuung entlassen. Eine stufenweise Wiedereingliederung wurde empfohlen. Ihre Arbeit als
Kaufmännische Angestellte in der Kundenbetreuung und Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt waren der
Versicherten zum Zeitpunkt der Entlassung nur mit qualitativen Leistungseinschränkungen möglich. In
„absehbarer Zeit“ war mit einer Eingliederung in die bisherige berufliche Tätigkeit zu rechnen. Das
Rehabilitationsziel war somit bei der Entlassung am 08.05.2003 noch nicht vollständig erreicht. Die „Pelzigkeit“
im rechten Oberarm der Versicherten dauerte, trotz Besserung, noch an, das Belastungs-EGK zeigte noch
überwiegend zu hohe diastolische Werte. Überlastungen der Arme, Tätigkeiten in einseitiger Körperhaltung,
Überkopfarbeiten und das Heben, Tragen und Bewegen schwerer Lasten waren ihr noch nicht möglich. Dies
stützt die Kammer auf den Entlassbericht des Prof. Dr. H. vom 14.05.2003. Damit steht zur Überzeugung der
Kammer fest, dass die Versicherte den berufstypischen Belastungen einer Kaufmännischen Angestellten in der
Kundenbetreuung – und nicht nur den spezifischen Anforderungen ihres konkreten Arbeitsplatzes – zum
Entlassungszeitpunkt noch nicht voll gewachsen war. Dem ist die Beklagte im Übrigen auch nicht
entgegengetreten.
28 Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versicherte im Hinblick auf ihre körperliche sowie geistige
Leistungsfähigkeit, ihre Motivation und ihr Alter grundsätzlich nicht (weiterhin) rehabilitationsfähig gewesen
wäre,
29
vgl. dazu BSG, Urt. v. 17.10.2006 – B 5 RJ 15/05 R, SozR 4-2600 § 10 Nr. 2.
30 Der weitere Verlauf des Verfahrens hat auch keine entsprechenden Zweifel zu Tage gefördert, so dass es
insoweit keiner weiteren Feststellungen bedarf,
31
siehe nur BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9.
32 Unter Zugrundelegung dessen war die Beklagte sowohl für die Zeit nach Abschluss der stationären
Rehabilitationsmaßnahme bis zum Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung,
33
vgl. dazu nur LSG Ba.-Wü., Beschl. v. 04.11.2009 – L 10 R 3289/09 NZB, juris, m. w. N. zur Rspr. des
BSG; von der Heide , in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 3. Aufl. 2009, § 51 Rz. 23; Redwitz ,
in: Bihr/Fuchs/Krauskopf, SGB IX, 2006, § 51 Rz. 39,
34 als auch für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung der Versicherten (Gesamtzeitraum: 09.05.2003 bis
15.09.2003) gemäß § 15 Abs. 1 SGB VI in Verbindung mit § 28 SGB IX der zuständige Leistungsträger und
damit gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX in Verbindung mit § 20 Nr. 1 SGB VI zur Zahlung von (Zwischen-)
Übergangsgeld originär verpflichtet, denn,
35
siehe zum Folgenden nur BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9; Urt. v.
05.02.2009 – B 13 R 27/08 R, SozR 4-3250 § 28 Nr. 3; Urt. v. 29.01.2008 – B 5a/5 R 26/07 R, SozR 4-
3250 § 51 Nr. 1,
36 die stufenweise Wiedereingliederung stellte sich vorliegend als Bestandteil einer in der Zusammenschau
einheitlichen (Gesamt-) Maßnahme im unmittelbaren Anschluss an die vorangegangene medizinische
Rehabilitation dar. Auf eine daneben gleichzeitig gewährte „Hauptleistung“ kommt es nicht an,
37
statt vieler nur BSG, Urt. v. 05.02.2009 – B 13 R 27/08 R, SozR 4-3250 § 28 Nr. 3; Urt. v. 29.01.2008
– B 5a/5 R 26/07 R, SozR 4-3250 § 51 Nr. 1.
38 Die Versicherte wurde am 08.05.2003 aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig entlassen.
Zum Zeitpunkt der Entlassung war ihr Leistungsvermögen im Hinblick auf die Restbeschwerden noch
eingeschränkt. Bereits während der Maßnahme wurde ausweislich des Entlassberichtes des Prof. Dr. H. vom
14.05.2003 die Notwendigkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung empfohlen, weil die Versicherte
ersichtlich das „rentenversicherungsrechtliche“ Rehabilitationsziel noch nicht vollständig erreicht hatte, denn
sie war – insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen – noch nicht in der Lage, ihre bisherige Tätigkeit
ohne Einschränkungen wieder aufzunehmen, weil sie den berufstypischen Anforderungen ihrer Tätigkeit als
Kaufmännische Angestellte in der Kundenbetreuung gesundheitlich noch nicht gewachsen war. Dies hat auch
der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. D. mit der Verordnung der stufenweisen Wiedereingliederung bestätigt.
39 Darüber hinaus lagen auch die Voraussetzungen des § 28 SGB IX (Arbeitsunfähigkeit; nach ärztlicher
Feststellung bestehende Fähigkeit, die bisherige Tätigkeit teilweise verrichten zu können; voraussichtliche
Wiedereingliederungschance durch stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit; entsprechende Zustimmung
des Versicherten und seines Arbeitgebers) bis zum Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung durchgehend
vor, was die Kammer den Wiedereingliederungsplänen des Dr. D. vom 12.05.2003, 30.06.2003, 28.07.2003 und
02.09.2003 entnimmt.
40 Die stufenweise Wiedereingliederung fand nach Überzeugung des Gerichts auch unmittelbar im Anschluss an
die stationäre Rehabilitationsmaßnahme statt, so dass beide Maßnahmen als einheitliche Gesamtmaßnahme
anzusehen sind. „Unmittelbarkeit“ in diesem Sinne ist nicht nur dann zu bejahen, wenn sich die stufenweise
Wiedereingliederung völlig nahtlos an die vorangegangene Rehabilitationsleistung anschließt. Insoweit ist den
praktischen Umsetzungsproblemen Rechnung zu tragen, dass vor der stufenweisen Wiedereingliederung nicht
nur das Einverständnis des Versicherten, sondern auch des Arbeitgebers (vgl. § 74 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch [SGB V]) sowie die Bewilligung durch den zuständigen Träger eingeholt werden müssen.
Von daher muss den Beteiligten ein gewisser zeitlicher Rahmen eingeräumt werden, um das Vorliegen der
Voraussetzungen für die stufenweise Wiedereingliederung zu klären. Dies ist umso mehr erforderlich, als
regelmäßig ohnehin erst gegen Ende der vorangegangenen medizinischen Rehabilitation die erforderlichen
Schritte in die Wege geleitet werden können, weil erst dann eine abschließende Leistungsbeurteilung mit der
Empfehlung einer stufenweisen Wiedereingliederung zur Erreichung bzw. zur Sicherung des
Rehabilitationsziels abgegeben werden kann,
41
BSG, Urt. v. 29.01.2008 – B 5a/5 R 26/07 R, SozR 4-3250 § 51 Nr. 1; vgl. auch BSG, Urt. v.
20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, juris.
42 Dafür, dass in Anlehnung an die in § 14 Abs. 1 SGB IX genannte Frist oder in Anlehnung an § 32 Abs. 1 Satz
2 SGB VI eine feststehende Grenze für den unmittelbaren Anschluss – von zwei Wochen oder ähnlich –
anzunehmen sein könnte, gibt das Gesetz nichts her. Abzustellen ist alleine darauf, innerhalb welcher Zeit der
durch die vorangehende Rehabilitationsmaßnahme eingeleitete Wiedereingliederungsversuch durch die
nachgehende stufenweise Wiedereingliederung erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann,
43
BSG, Urt. v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R, juris; Urt. v. 05.02.2009 – B 13 R 27/08 R, SozR 4-3250 §
28 Nr. 3; Urt. v. 29.01.2008 – B 5a/5 R 26/07 R, SozR 4-3250 § 51 Nr. 1; LSG Ba.-Wü., Urt. v.
24.11.2009 – L 11 R 2858/09, abrufbar unter www.sozialgerichts-barkeit.de/sgb/esgb; Kammerurteile v.
27.04.2010 – S 24 R 3851/07, S 24 R 9094/07, S 24 R 9504/07, S 24 R 1422/08, S 24 R 8309/08, S 24
R 8663/08, nicht veröffentlicht.
44 Hierzu sind allein die Umstände des Einzelfalls maßgebend. Solange die Leistungsvoraussetzungen des § 28
SGB IX vorliegen und die Einheitlichkeit des begonnenen Rehabilitationsverfahrens im Übrigen gewahrt ist, ist
die Voraussetzung des unmittelbaren Anschlusses gegeben.
45 Im vorliegenden Fall begann die stufenweise Wiedereingliederung am 02.06.2003 und damit nur 15 Werktage
nach Abschluss der stationären Rehabilitation am 08.05.2003. Dieser zeitliche Abstand, der den üblichen
organisatorischen Gründen (Vereinbarung eines Arzttermins zwecks Erstellung des Wiedereingliederungsplans,
organisatorische Maßnahmen des Arbeitgebers gegebenenfalls mit Beteiligung des Betriebsarztes) zu
schulden ist, genügt nach Überzeugung der Kammer in jedem Fall noch dem Erfordernis eines „unmittelbaren“
Anschlusses im dargelegten Sinne,
46
vgl. bereits Kammerurteile v. 27.04.2010 – S 24 R 3851/07, S 24 R 9504/07, S 24 R 1422/08, S 24 R
8309/08, S 24 R 8663/08, nicht veröffentlicht; siehe auch Haines/Liebig , in: Dau/Düwell/Haines, SGB
IX, 2. Aufl. 2009, § 51 Rz. 19 a. E.: Zeitraum von einem Monat unschädlich.
47 Ob dies bei einem mehr als einmonatigen Abstand ohne Hinzutreten weiterer Umstände – zum Beispiel eine
Zeit notwendiger Rekonvaleszenz – ebenso gilt, bedarf hier keiner Entscheidung.
48 3. Der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 102 SGB X ist schließlich auch nicht gemäß § 111 Satz 1
SGB X materiell ausgeschlossen.
49 Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn
nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend
macht. Diese Frist hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 02.01.2004, mit dem sie einen
Erstattungsanspruch geltend gemacht hat, eingehalten. Das Schreiben erfüllt auch die Voraussetzungen für
eine ordnungsgemäße Geltendmachung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X. Der Begriff des „Geltendmachens“
meint im gegebenen Zusammenhang keine gerichtliche Geltendmachung und keine Darlegung in allen
Einzelheiten, sondern das Behaupten oder Vorbringen,
50
BSG, Urt. v. 30.06.2009 – B 1 KR 21/08 R, juris, m. w. N., st. Rspr.; LSG Ba.-Wü., Urt. v. 24.11.2009
– L 11 R 2858/09, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb.
51 Allerdings muss der Wille erkennbar werden, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Eine bloß
„vorsorgliche“ Anmeldung reicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände dagegen grundsätzlich nicht aus. Unter
Berücksichtigung des Zwecks der Ausschlussfrist, möglichst rasch klare Verhältnisse darüber zu schaffen, ob
eine Erstattungspflicht besteht, muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der
Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, wegen welcher
Leistungen er in Anspruch genommen wird, woraus sich der Erstattungsanspruch ergeben soll und ob die
erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen aber nicht überspannt
werden, wenn die Vorschrift ihren Zweck, eine möglichst frühzeitige Klärung der bestehenden
Erstattungspflichten herbeizuführen, nicht verfehlen soll. Es reicht aus, wenn der erstattungspflichtige Träger
sich ein Bild über Art und Umfang der in Rede stehenden Leistungen machen kann und in die Lage versetzt
wird, seine eigene Leistungszuständigkeit zu prüfen. Einer ins Einzelne gehenden Präzisierung und
Aufschlüsselung der Forderung bedarf es nicht,
52
BSG, Urt. v. 30.06.2009 – B 1 KR 21/08 R, juris, m. w. N.; Urt. v. 24.02.2004 – B 2 U 29/03 R, juris;
siehe speziell zum Nichterfordernis einer Bezifferung auch BSG, Urt. v. 25.04.1989 – 4/11a RK 4/87,
SozR 4-3250 § 51 Nr. 1; Hamb. OVG, Beschl. v. 21.11.2007 – 4 Bf 154/06, NordÖR 2008, S. 138 f. m.
w. N.
53 Da der Erstattungsanspruch im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X zudem bereits geltend gemacht werden kann,
bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat, können allgemeine Angaben genügen, die sich auf die im
Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen
beschränken,
54
BSG, Urt. v. 30.06.2009 – B 1 KR 21/08 R, juris, m. w. N., st. Rspr.; LSG Ba.-Wü., Urt. v. 24.11.2009
– L 11 R 2858/09, abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb.
55 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erfüllt das Schreiben der Klägerin vom 02.01.2004 entgegen der
Ansicht der Beklagten die Voraussetzungen einer Geltendmachung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X. Die
Klägerin hat damit Art (Krankengeld), Beginn (Abschluss der stationären Rehabilitationsmaßnahme am
08.05.2003 mit anschließender stufenweiser Wiedereingliederung) und Rechtsgrundlage (vorläufige
Krankengeldzahlung nach Abschluss der stationären Rehabilitation und während der stufenweisen
Wiedereingliederung) angegeben und ausdrücklich auf § 102 SGB X hingewiesen. Obwohl der
Erstattungsanspruch unter Hinweis auf die streitige Rechtslage lediglich „vorsorglich“ angemeldet wurde, kam
der Rechtssicherungswille der Klägerin gleichwohl in ihrer Betreffzeile („Anmeldung eines
Erstattungsanspruchs“) und mit ihrer Bitte um Eingangsbestätigung noch hinreichend zum Ausdruck,
56
vgl. dazu bereits Kammerurteile v. 27.04.2010 – S 24 R 3851/07, S 24 R 8877/07, S 24 R 9094/07, S
24 R 9504/07, S 24 R 1422/08, S 24 R 8309/08, S 24 R 8663/08, nicht veröffentlicht, jeweils m. w. N.
57 Darüber hinaus sind bei der Beurteilung, ob ein Erstattungsanspruch geltend gemacht wird, alle Umstände des
Einzelfalls zu berücksichtigen. In Zweifelsfällen ist auch das Verhalten des Erstattungspflichtigen in die
Prüfung mit einzubeziehen, das dieser als Reaktion auf Mitteilungen des Erstattungsberechtigten zeigt, welche
jener als Geltendmachung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X gedeutet haben möchte,
58
BSG, Urt. v. 22.08.2000 – B 2 U 24/99 R, SozR 3-1300 § 111 Nr. 9.
59 Demgemäß könnte es die Beklagte der Klägerin nicht zum Vorwurf machen, dass sie nur „vorsorglich“ ihren
Erstattungsanspruch geltend gemacht hat. Denn der Beklagten waren die Rechtsunsicherheiten bekannt.
Außerdem hat sie das klägerische Schreiben auch als unbedingte Anmeldung im Rechtssinne verstanden, was
ihr Ablehnungsschreiben vom 26.01.2004 zeigt. Der Einwand, die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X sei
nicht gewahrt, würde vor diesem Hintergrund jedenfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242
Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] analog) verstoßen,
60
vgl. bereits Kammerurteile v. 27.04.2010 – S 24 R 3851/07, S 24 R 9504/07, S 24 R 1422/08; SG
Stuttgart, Urt. v. 26.01.2010 – S 15 R 9256/07, alle nicht veröffentlicht.
61 Darauf kommt es aber hier – wie dargelegt – nicht streiterheblich an.
62 4. Nach alledem war die Beklagte für die stufenweise Wiedereingliederung der Versicherten zuständig und hatte
dementsprechend nach §§ 20, 21 SGB VI Übergangsgeld an die Versicherte zu zahlen mit der Folge, dass der
Krankengeldanspruch gegen die Klägerin ruhte und diese insoweit als unzuständige Trägerin vorgeleistet hat,
63
vgl. zur Rechtsfolge nur LSG Ba.-Wü., Urt. v. 24.11.2009 – L 11 R 2858/09, abrufbar unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb.
64 Entsprechendes gilt für die Zeit zwischen Abschluss der stationären Rehabilitationsmaßnahme und Beginn der
stufenweisen Wiedereingliederung. Dies ergibt sich für die Zeit ab dem 01.05.2004 unmittelbar aus dem Gesetz
(§ 51 Abs. 5 SGB IX). Für den hier streitigen Zeitraum vor dem Inkrafttreten des § 51 Abs. 5 SGB IX zum
01.05.2004 gilt indes nichts anderes,
65
siehe nur LSG Ba.-Wü., Beschl. v. 04.11.2009 – L 10 R 3289/09 NZB, juris, m. w. N.
II.
66 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.
III.
67 Die Berufung wird nicht zugelassen.
68 Die Zulassungsbedürftigkeit folgt aus den §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Der in Rede stehende
Erstattungsanspruch übersteigt den Wert des Beschwerdegegenstands von 10.000 Euro nicht.
Zulassungsgründe (vgl. § 144 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
IV.
69 Die Streitwertfestsetzung – Ziffer 2 des Tenors – beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG in
Verbindung mit §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht
dem von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsbetrag in Höhe von 5.970,71 Euro.