Urteil des SozG Stuttgart vom 13.12.2006

SozG Stuttgart: Krankenversicherung, Heilmittelerbringer, keine Verpflichtung zur Vollständigkeitsprüfung vertragsärztlicher Verordnungen, leistungserbringer, vertragsarzt, abgabe, abrechnung

SG Stuttgart Urteil vom 13.12.2006, S 10 KR 6018/05
Krankenversicherung - Heilmittelerbringer - keine Verpflichtung zur Vollständigkeitsprüfung vertragsärztlicher Verordnungen - kein Anspruch
auf Herausgabe abgeleisteter Heilmittelverordnungen
Leitsätze
Für Erbringer von physiotherapeutischen Heilmitteln besteht keine Verpflichtung, entsprechende vertragsärztliche Verordnungen einer vorherigen
Vollständigkeitsprüfung oder einer Prüfung auf formale Richtigkeit hin zu unterziehen.
Eine solche Prüfpflicht der Physiotherapeuten ergibt sich weder aus dem Rahmenvertrag nach § 125 Abs. 2 SGB V, den Gemeinsamen
Rahmenempfehlungen nach § 125 Abs. 1 SGB V, den Heilmittel-Richtlinien noch direkt aus dem SGB V.
Tenor
1. Der Beklagten wird untersagt,
a) die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer Heilmittel von einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung durch den
Leistungserbringer abhängig zu machen,
b) gegenüber Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern zu behaupten, dass ärztliche Verordnungen für physiotherapeutische
Leistungen einer Vollständigkeitsüberprüfung durch den Leistungserbringer bedürfen.
2. Der Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter 1. ausgesprochene Untersagung auf Antrag eines
Klägers ein Ordnungsgeld bis zu 50.000,00 Euro, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten,
zu vollstrecken an einem Mitglied des Vorstands der Beklagten, festgesetzt werden kann.
3. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
4. Die Beklagte hat zwei Drittel, die Kläger gesamtschuldnerisch ein Drittel der Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Vorliegend begehren die Kläger, der Beklagten zu untersagen, zum einen die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter
physiotherapeutischer Heilmittel von einer vorherigen Prüfung dieser Verordnung durch den Leistungserbringer abhängig zu machen, zum
anderen zu behaupten, dass vertragsärztliche Verordnungen physiotherapeutischer Heilmittel einer Überprüfung durch den Leistungserbringer
bedürfen.
2
Ferner begehren die Kläger, die Beklagte zu verpflichten, abgeleistete Heilmittelverordnungen bei vollständiger Zahlungsverweigerung im
Original und bei teilweiser Zahlungsverweigerung in Ablichtung mit Absetzungsvermerk versehen an den Leistungserbringer zurückzureichen.
3
Der Kläger Ziffer 1 ist nach eigenen Angaben der in Baden-Württemberg aufgrund seiner Mitgliederstärke führende Berufsverband für
Physiotherapeuten. Auf der Grundlage des § 125 Abs. 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) hat er zusammen mit weiteren
Berufsverbänden mit den baden-württembergischen Landesverbänden der Krankenkassen, somit auch mit der Beklagten, den am 01.12.2002 in
Kraft getretenen Rahmenvertrag (RV) abgeschlossen, der die Einzelheiten der Versorgung der Versicherten der Landesverbände mit
physiotherapeutischen Leistungen, die Vergütung der Leistungen und deren Abrechnung, die Rechte und Pflichten der Vertragspartner sowie
die Folgen von Vertragsverstößen regelt (§ 2 Abs. 1 RV).
4
Die Klägerin Ziffer 2 ist aufgrund einer Zulassung nach § 124 SGB V berechtigt, als Physiotherapeutin Leistungen der Physikalischen Therapie
an gesetzlich Krankenversicherte der Beklagten abzugeben. Sie ist Mitglied des Klägers Ziffer 1.
5
Die Beklagte hat nach eigenen Angaben zu Beginn des Jahres 2005 eine Prüfliste für Leistungserbringer erstellt, um die - ihrer Ansicht nach -
Vielzahl unvollständiger und fehlerhafter Verordnungen im Sinne einer Qualitätsverbesserung bei der Versorgung der Versicherten zu
verbessern. Diese insgesamt 26 Punkte umfassende Liste „Rechnungsprüfung unvollständiger und inhaltlich fehlerhafter Heilmittelverordnungen
sowie falscher Abrechnung“ war Gegenstand eines umfangreichen Schriftwechsels und zahlreicher Gespräche zwischen der Beklagten und
unter anderem dem Kläger Ziffer 1. Auf die von den Klägern vorgelegte Prüfliste sowie den von der Beklagten im Verfahren S 10 KR 5996/05 ER
vorgelegten umfangreichen Schriftwechsel wird Bezug genommen. Die Beklagte brachte hierbei zum Ausdruck, dass ihrer Auffassung nach
physiotherapeutische Leistungserbringer verpflichtet sind, die ihnen vorgelegten vertragsärztlichen Verordnungen auf die in der Prüfliste
aufgeführten „Fehler“ zu überprüfen und diese „Fehler“, gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem verordnenden Vertragsarzt, zu beheben.
6
Zu einer diesbezüglichen Einigung zwischen der Beklagten und dem Kläger Ziffer 1 kam es ebenso wenig wie zu einer Einigung der Beklagten
mit den übrigen an den Verhandlungen beteiligten Berufsverbänden. Auf die hierzu von der Beklagten im Verfahren S 10 KR 5996/05 ER
vorgelegten Schreiben dieser Berufsverbände wird verwiesen.
7
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 04.05.2005 ihre Prüfliste an Abrechnungszentren übersandt hatte, wurden mit Schreiben vom
22.07.2005 von den durch die Klägerin Ziffer 2 zur Bezahlung eingereichten Rechnungen von der Beklagten in insgesamt 14 Fällen
Absetzungen mit einem Gesamtbetrag von 1.189,92 EUR vorgenommen. Die Absetzungen wurden damit begründet, dass die Verordnung einen
offensichtlichen Verstoß gegen die Heilmittel-Richtlinien enthalte und/oder auf der Verordnung eine Frequenzempfehlung fehle.
8
Gegen diese Vorgehensweise der Beklagten wenden sich die Kläger mit ihrer am 20.09.2005 schriftlich beim Sozialgericht (SG) Stuttgart
erhobenen Klage.
9
Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Beklagte unternehme mit ihrem Verhalten den Versuch, die Leistungserbringer quasi als
„Vorprüfstelle und Zensor“ des ärztlichen Therapieverhaltens zu missbrauchen. Sie verlange nicht mehr und nicht weniger, als dass die
Leistungserbringer in die Therapiehoheit der Vertragsärzte eingriffen. Dies sei unzulässig. In § 4 Abs. 3 RV sei ausdrücklich normiert, dass
hinsichtlich der Verordnungen keine Prüfpflicht beim Leistungserbringer liege. Diese Regelung entspreche dem historisch gewachsenen Über-
/Unterordnungsverhältnis zwischen Arzt und nachgeordneten Berufsgruppen. Auf die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassenen
Heilmittel-Richtlinien könne sich die Beklagte bei ihrer Forderung an physiotherapeutische Leistungserbringer nicht berufen, da diese Heilmittel-
Richtlinien für die Heilmittelerbringer keine Gültigkeit hätten.
10 Hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auf Herausgabe der Heilmittelverordnungen gelte zunächst, dass die Originalverordnung eine
Urkunde sei. Die Frage, wer Eigentümer des Verordnungsblattes sei, sei ihres Wissens nach in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt. Wer
nach Ausstellung der vertragsärztlichen Verordnung Eigentümer dieser Verordnung werde, sei nicht unmittelbar gesetzlich geregelt. Jedenfalls
sei § 952 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden, und zwar unmittelbar oder analog. Der vom Patienten auf der Verordnung
quittierte Leistungsempfang sei Grundlage für die Forderung der Praxis. Daher müsse das Verordnungsblatt als ein die Forderung
legitimierendes sonstiges Papier nach § 952 Abs. 1 BGB behandelt werden, über das die Kasse nicht beliebig verfügen könne, solange der
Vergütungsanspruch des Leistungserbringers nicht abschließend geregelt sei. Diesen rechtlichen Anforderungen genüge das Verhalten der
Beklagten nicht. Sie weigere sich, gar nicht vergütete Verordnungsblätter zurückzugeben und teilweise vergütete Verordnungsblätter mit einem
bezifferten und begründeten Absetzungsvermerk an den Leistungserbringer zurückzureichen.
11 Die Kläger beantragen,
12 1. der Beklagten zu untersagen,
13 a) die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer Heilmittel, von einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung
durch den Leistungserbringer abhängig zu machen,
14
hilfsweise
15 die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer Heilmittel, von einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung durch
den Leistungserbringer dahingehend abhängig zu machen, ob der Vertragsarzt
16
aa) eine Frequenzempfehlung ausgesprochen hat;
17
bb) nur Heilmittel verordnet hat, die nach den Heilmittel-Richtlinien bei der gegebenen Indikation und der entsprechenden Leitsymptomatik als
im Regelfall verordnungsfähig benannt sind.
18 b) gegenüber Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern zu behaupten, dass ärztliche Verordnungen für physiotherapeutische
Heilmittel einer Vollständigkeitsüberprüfung durch den Leistungserbringer bedürfen,
19
hilfsweise
20 gegenüber Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern zu behaupten, dass ärztliche Verordnungen für physiotherapeutische
Heilmittel einer Vollständigkeitsüberprüfung durch den Leistungserbringer auf Frequenzempfehlung und Verordnungsfähigkeit im Regelfall
bedürfen.
21 2. die Beklagte zu verurteilen, abgeleistete Heilmittelverordnungen, die ihr zur Bezahlung vorgelegt werden, im Original an den
Leistungserbringer zurückzureichen, wenn die Bezahlung vollständig verweigert wird,
22 3. die Beklagte zu verurteilen, abgeleistete Heilmittelverordnungen, die ihr zur Bezahlung vorgelegt werden, in Ablichtung und mit einem
bezifferten und begründeten Absetzungsvermerk versehen an den Leistungserbringer zurückzureichen, wenn die Bezahlung teilweise
verweigert wird,
23 4. der Beklagten anzudrohen, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die unter 1. ausgesprochene Untersagung bzw. im Fall der
Nichterfüllung der unter 2. und 3. ausgesprochenen Verpflichtungen auf Antrag eines Klägers ein Ordnungsgeld bis zu EUR 50.000 und für den
Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an einem Mitglied des Vorstands der
Beklagten, festgesetzt werden kann.
24 Die Beklagte beantragt,
25 die Klagen abzuweisen.
26 Die Kläger hätten weder einen Anspruch auf die beantragten Unterlassungen noch auf die begehrten Verpflichtungen. Sie stimme den Klägern
insoweit zu, als die Leistungserbringer selbstverständlich keine Fachaufsicht über den Vertragsarzt zu führen hätten. Eine solche fachliche
Prüfungspflicht der Leistungserbringer fordere sie auch nicht. Was sie von den Leistungserbringern einfordere sei eine formale Überprüfung der
Verordnung auf Vollständigkeit und Plausibilität. Dass damit ein Vergütungsverlust verbunden sein könne, sei ihrer Auffassung nach rechtmäßig.
Hier sei darauf hingewiesen, dass es in den meisten Fällen zu keinem Vergütungsverlust komme, wenn der Leistungserbringer vom Vertragsarzt
bestätigt erhalte, dass dieser an seiner ausgestellten Verordnung festhalte und der Leistungserbringer diese Mitteilung handschriftlich auf der
Verordnung vermerke. Es sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes - BSG - (Urteil vom 17.03.2005 - B 3 KR 2/05 R) anerkannt,
dass es für Leistungserbringer eine Überprüfungsverpflichtung von vertragsärztlichen Verordnungen gebe, auch wenn sie grundsätzlich formal
ordnungsgemäß ausgestellt worden seien. Auch das SG Darmstadt komme in seinem Urteil vom 11.03.2005 ebenso wie das Hessische
Landessozialgericht in seinem Urteil vom 19.10.2006 zu dem Ergebnis, dass eine Leistung nur dann erbracht werden dürfe, wenn die
Verordnung den jeweils gültigen Heilmittel-Richtlinien entspreche. Die Leistungserbringer seien nicht berechtigt, die Leistung aufgrund einer
ungültigen Verordnung zu erbringen. Sie seien ausdrücklich verpflichtet, die Verordnung auf die Vereinbarkeit mit den Heilmittel-Richtlinien zu
überprüfen. Die Heilmittel-Richtlinien würden auch für den gemäß dem Sachleistungsprinzip zwischengeschalteten weiteren Leistungserbringer
gelten und insoweit diesem gegenüber verbindliche Wirkung entfalten. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen wolle, ergebe sich eine
Verpflichtung zur Beachtung der Heilmittel-Richtlinien nach dem abgeschlossenen RV. In § 3 Abs. 1 dieses Vertrages sei vorgesehen, dass der
Leistungserbringer nur im Rahmen der Leistungsbeschreibung (Anlage 3) zur Abgabe der vom Vertragsarzt verordneten physiotherapeutischen
Leistungen berechtigt und verpflichtet sei. Anlage 3 RV nehme aber Bezug auf die Heilmittel-Richtlinien. Diese rahmenvertragliche Regelung
korrespondiere mit § 30 Abs. 8 des Bundesmantelvertrages-Ärzte, in dem geregelt sei, dass die Abgabe von Heilmitteln keiner Genehmigung
durch die Krankenkasse bedürfe. Dass insoweit zwangsläufig eine gesteigerte Kommunikation zwischen Leistungserbringer und Vertragsarzt
erforderlich sei, ergebe sich im RV an mehreren Stellen. Für die Praxis gehe sie davon aus, dass die Physiotherapeuten die Heilmittel-Richtlinien
eher besser kennen würden, wie die verordnenden Vertragsärzte selbst. Deshalb stelle die Anforderung, die Therapeuten sollten Verordnungen
im Hinblick auf die Heilmittel-Richtlinien-Konformität überprüfen, rein tatsächlich nur einen geringen Aufwand dar. § 4 Abs. 3 Satz 3 RV sei daher
nur so zu verstehen, dass der Leistungserbringer nicht verpflichtet sei, medizinische Inhalte der Verordnung zu überprüfen. Eine generelle
Freistellung von jeglicher Prüfpflicht, die auch eine formale Überprüfung auf die Konformität mit den Heilmittel-Richtlinien beinhalte, könne dieser
Vorschrift nicht entnommen werden. Darüber hinaus regle § 18 der Gemeinsamen Rahmenempfehlungen, dass die vertragsärztliche Verordnung
nur dann ausgeführt werden könne, wenn die dort im Einzelnen aufgeführten, für die Behandlung erforderlichen Informationen enthalten seien.
Zur Abgabe sei der Leistungserbringer deshalb nur dann berechtigt und verpflichtet, wenn er diese Essentialia einer ordnungsgemäßen
vertragsärztlichen Verordnung vor Behandlungsbeginn überprüft habe.
27 Die Bindung der Physiotherapeuten an die Heilmittel-Richtlinien und damit auch eine entsprechende Prüfpflicht ergebe sich überdies unmittelbar
aus dem SGB V. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V könnten Versicherte Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, nicht
beanspruchen, dürften die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Über diese Vorschrift entfalteten die
Heilmittel-Richtlinien, die unzweifelhaft für Versicherte und Krankenkassen gelten, auch für die Kläger als Leistungserbringer unmittelbare
bindende Wirkung.
28 Darüber hinaus bestehe für sie keine Herausgabeverpflichtung bezüglich der Heilmittelverordnung. Der Heilmittelverordnung, deren Kosten sie
trage, sei Urkundsqualität beizumessen. Diese sei für sie Grundlage der Prüfung ihrer Kosteneinstandsverpflichtung. Nach Durchführung dieser
Überprüfung erfolge entweder eine Kostenübernahme oder eine (gegebenenfalls auch teilweise) Ablehnung. Sie dürfe Mittel nur für gesetzlich
vorgeschriebene oder zugelassene Aufgaben verwenden. Diese Mittelverwendung sei Gegenstand aufsichtsrechtlicher Überprüfungen. Insoweit
müssten ärztliche Verordnungen zum Nachweis rechtmäßigen Verhaltens auch aufbewahrt werden, wobei die Aufbewahrungsfrist bei
Heilmittelverordnungen auf mindestens zwei Jahre festgelegt worden sei.
29 Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des SG Stuttgart S 10
KR 5996/05 ER und der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
30 Die beim sachlich und örtlich zuständigen SG Stuttgart erhobene Klage ist zulässig.
31 Als Partner des unter anderem mit der Beklagten nach § 125 Abs. 2 SGB V geschlossenen RV reklamiert der Kläger Ziffer 1 hier ein
vertragswidriges Verhalten der Beklagten und macht mit seinem Begehren daher eine Verletzung des mit ihm geschlossenen Vertrages geltend.
Er ist daher berechtigt, diese Vertragsverletzung in eigenem Namen geltend zu machen und im Wege des Untersagungsbegehrens auf
Einhaltung der mit ihm vereinbarten vertraglichen Regelungen und Pflichten durch die Beklagte zu dringen. Auch sein Herausgabeverlangen ist
Ausfluss der zwischen ihm und der Beklagten bestehenden vertraglichen Rechtsbeziehungen, so dass auch insoweit eine Klagebefugnis
gegeben ist.
32 Zudem ist der Kläger als Vertreter der Interessen der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten im Landesverband Baden-Württemberg des
Deutschen Verbandes der Physiotherapie, verbandsextern und -intern (www.zvk-Lvbw.de) berechtigt, neben seinen eigenen Rechten auch die
Rechte seiner Mitglieder, also der als Heilmittelerbringer zugelassenen Personen, im Gerichtswege geltend zu machen (vgl. hierzu BSG, Urteil
vom 24.11.2004 - B 3 KR 16/03 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage
2005, § 54 Rz. 13).
33 Der Zulässigkeit der Klageerhebung steht die in § 20 RV vorgesehene Möglichkeit, Meinungsverschiedenheiten durch einen Vertragsausschuss
klären zu lassen, nicht entgegen, da nach § 20 Abs. 2 RV dieser Vertragsausschuss lediglich auf Antrag eines Vertragspartners einzuberufen ist.
Eine Verpflichtung zur Einberufung des Vertragsausschusses ist dieser Vorschrift ebenso wenig zu entnehmen, wie ein Verbot, ohne Anrufung
des Vertragsausschusses gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
34 Während das Untersagungsbegehren in vollem Umfang auch begründet ist, besteht kein Anspruch der Kläger gegenüber der Beklagten auf
Herausgabe abgeleisteter Heilmittelversorgungen, weder im Original noch in Ablichtung.
35 1. Untersagungsbegehren
36 Entgegen der Ansicht der Beklagten besteht für Erbringer von physiotherapeutischen Heilmitteln keine Verpflichtung, entsprechende
vertragsärztliche Verordnungen einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung oder einer Prüfung auf formale Richtigkeit hin zu unterziehen. Mangels
einer entsprechenden Prüfpflicht darf daher die Beklagte die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer
Heilmittel nicht von einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung durch den Leistungserbringer abhängig machen und Entsprechendes gegenüber
Versicherten, Vertragsärzten und Leistungserbringern behaupten. Ein solches Verhalten ist daher der Beklagten zu untersagen.
37 Die von der Beklagten behauptete Prüfpflicht der Physiotherapeuten ergibt sich weder aus dem RV noch aus den Gemeinsamen
Rahmenempfehlungen gemäß § 125 Abs. 1 SGB V über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln zwischen den Spitzenverbänden der
Krankenkassen und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer auf Bundesebene (Gemeinsame Rahmenempfehlungen)
in der Fassung vom 17.01.2005. Auch aus den Heilmittel-Richtlinien vom 01.12.2003/16.03.2004 (Bundesanzeiger 2004 Nr. 106a S. 1), geändert
durch Bekanntmachung vom 21.12.2004 (Bundesanzeiger 2005 Nr. 61 S. 4995), in Kraft ab 02.04.2005 lässt sich ebensowenig wie unmittelbar
aus dem SGB V eine entsprechende Prüfpflicht der Erbringer von physiotherapeutischen Leistungen begründen.
38 Wie sich aus dem auf der Grundlage des § 125 Abs. 2 SGB V geschlossenen RV, der für die Klägerin Ziffer 2 aufgrund ihrer Eigenschaft als
Mitglied des Klägers Ziffer 1 nach § 1 Abs. 1 Buchstabe f RV verbindlich ist, ergibt, ist der nach § 124 SGB V zugelassene Physiotherapeut an die
Verordnung physiotherapeutischer Leistungen durch den Vertragsarzt gebunden. So bestimmt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RV Art und Umfang der
Leistungen der Vertragsarzt. Zur Abgabe dieser Leistungen ist der Leistungserbringer berechtigt und verpflichtet (§ 3 Abs. 1 Satz 2 RV).
Diagnose, Art und Anzahl der Leistungen ergeben sich aus der vom Vertragsarzt ausgestellten Verordnung (§ 4 Abs. 3 Satz 1 RV). Diese
Regelungen können nur dahingehend verstanden werden, dass der Physiotherapeut an die Verordnungen des Vertragsarztes gebunden ist.
Eine vergleichbare Regelung enthalten die Heilmittel-Richtlinien in Ziffer 9 Sätze 1 und 2. Danach setzt die Abgabe von Heilmitteln zu Lasten der
gesetzlichen Krankenkassen eine Verordnung durch einen Vertragsarzt voraus. Der Therapeut ist grundsätzlich an die Verordnung gebunden,
es sei denn, im Rahmen dieser Richtlinien ist etwas anderes bestimmt. Aus diesen Regelungen wird deutlich, dass hinsichtlich der Erbringung
physiotherapeutischer Leistungen ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Vertragsarzt und Heilmittelerbringer besteht. Ein Abweichen des
Heilmittelerbringers von der vertragsärztlichen Verordnung wäre ein Eingriff in die ärztliche Therapiefreiheit, die dem Physiotherapeuten nach
den dargestellten Regelungen untersagt ist. Dementsprechend besteht Einigkeit zwischen den Beteiligten, dass der Physiotherapeut nicht
verpflichtet - und auch nicht berechtigt - ist, eine vertragsärztliche Verordnung „medizinisch“, beispielsweise auf ihre Notwendigkeit hin, zu
überprüfen.
39 Auch für die von der Beklagten geforderte Verpflichtung von Physiotherapeuten zur formalen Überprüfung vertragsärztlicher Verordnungen findet
sich in dem hier maßgebenden RV keine Rechtsgrundlage.
40 Dies zeigt bereits die Regelung in § 4 Ziffer 3 RV. Wie bereits dargestellt ergeben sich Diagnose, Art und Anzahl der Leistungen aus der vom
Vertragsarzt ausgestellten Verordnung. Die vertragsärztliche Verordnung kann nur ausgeführt werden, wenn diese für die Behandlung
erforderlichen Informationen enthalten sind. Dem Leistungserbringer obliegt insoweit jedoch keine Prüfpflicht (§ 4 Abs. 3 Satz 3 RV). Während
Diagnose und Art der zu erbringenden physiotherapeutischen Leistungen nach Überzeugung der Kammer unstreitig dem medizinischen Bereich
zuzuordnen sind und daher eine Prüfpflicht bzw. -berechtigung des Physiotherapeuten von vorne herein ausscheidet, ist die Anzahl der
Leistungen durchaus einer Überprüfung durch den Physiotherapeuten zugänglich. Dies ergibt sich aus der Regelung in Ziffer 11.2.3 der
Heilmittel-Richtlinien sowie aus dem Heilmittel-Katalog. Nach den dort enthaltenen Regelungen beträgt die maximale Verordnungsmenge bei
Erst- und Folgeverordnungen bis zum Erreichen der Gesamtverordnungsmenge jedes Regelfalls in der physikalischen Therapie bis zu sechs
Einheiten. Ausnahmen von der maximalen Verordnungsmenge finden sich dann im Heilmittel-Katalog. Aufgrund der Angaben in den Heilmittel-
Richtlinien und im Heilmittel-Katalog ist der Physiotherapeut - ungeachtet einer etwaigen Bindung an die Heilmittel-Richtlinien - durchaus in der
Lage, eine vertragsärztliche Verordnung dahin zu überprüfen, ob die maximale Verordnungsmenge vom Vertragsarzt bei seiner Verordnung
eingehalten wurde. Die Verordnung der Anzahl physiotherapeutischer Leistungen ist daher einer formalen Überprüfung durchaus zugänglich,
ohne dass hierbei in die ärztliche Therapiefreiheit - wie dies bei einer Überprüfung von Diagnose und Art der verordneten Leistung der Fall wäre
- eingegriffen wird. Trotz dieser formalen Überprüfungsmöglichkeit bestimmt jedoch § 4 Abs. 3 Satz 3 RV, dass auch insoweit, also hinsichtlich
der Anzahl der verordneten physiotherapeutischen Leistungen, keine Prüfpflicht des Leistungserbringers besteht. Dies zeigt, dass entgegen der
Ansicht der Beklagten eine Verpflichtung physiotherapeutischer Leistungserbringer zur formalen Überprüfung vertragsärztlicher Verordnungen
nicht besteht.
41 Weiter ist der Physiotherapeut nach § 3 Abs. 1 Satz 2 RV zur Abgabe der (vom Vertragsarzt verordneten) Leistungen (nur) im Rahmen der
Leistungsbeschreibung (Anlage 3) berechtigt und verpflichtet. Bei der Erbringung der von einem Vertragsarzt verordneten physiotherapeutischen
Leistungen hat sich somit der Physiotherapeut im Rahmen der Leistungsbeschreibung nach Anlage 3 zum RV zu halten. Erbringt er außerhalb
dieses Rahmens Leistungen, so besteht insoweit kein Vergütungsanspruch. Nicht zuletzt aus eigenem Interesse ist daher der Physiotherapeut
gehalten, vertragsärztliche Verordnungen daraufhin zu überprüfen, ob die dort verordneten Leistungen sich im Rahmen der
Leistungsbeschreibung nach Anlage 3 zum RV halten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Physiotherapeut - wie dies die Beklagte meint -
verpflichtet ist, die vertragsärztliche Verordnung physiotherapeutischer Leistungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Heilmittel-Richtlinien zu
überprüfen. Nach Anlage 3 zum RV „1. Grundsätze“ berücksichtigt die Leistungsbeschreibung die Heilmittel-Richtlinien. Aus der Formulierung
„berücksichtigt“ ist zu ersehen, dass die Leistungsbeschreibung sich zwar an den Heilmittel-Richtlinien orientiert. Keinesfalls werden jedoch in
der Leistungsbeschreibung die Heilmittel-Richtlinien in vollem Umfang übernommen oder auf die Heilmittel-Richtlinien im Sinne einer
vollständigen Übernahme verwiesen. Wäre dies von den Vertragspartnern des RV beabsichtigt gewesen, so hätte dies in einer anderen
Formulierung zum Ausdruck kommen müssen.
42 Der Verweis der Beklagten auf das Urteil des SG Darmstadt und auf das dieses Urteil bestätigende Urteil des Hessischen Landessozialgerichtes,
gegen das nach Mitteilung der klägerischen Prozessbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG eingelegt wurde, geht ins Leere.
Sowohl das SG Darmstadt als auch das Hessische Landessozialgericht haben ihre Entscheidung, die Leistungserbringer seien verpflichtet, die
vertragsärztliche Verordnung auf die Vereinbarkeit mit den Heilmittel-Richtlinien zu überprüfen, maßgebend auf § 2 Ziffer 1 der in Hessen
geltenden Vereinbarung über die Vergütungssätze für physiotherapeutische Leistungen gestützt. Nach dieser Vorschrift dürfen Leistungen nach
diesem Vertrag nur aufgrund einer vertragsärztlichen Verordnung erbracht werden; die Verordnung ist nur gültig gemäß den jeweils geltenden
Heilmittel-Richtlinien und deren Anlagen. Diese in Hessen geltende Vereinbarung verweist hinsichtlich der Gültigkeit einer Verordnung damit
hinsichtlich der Befugnis des Leistungserbringers, entsprechende physiotherapeutische Leistungen erbringen und abrechnen zu dürfen, auf die
Heilmittel-Richtlinien in der jeweils geltenden Fassung sowie deren Anlagen. Eine solche eindeutige Bezugnahme auf die Heilmittel-Richtlinien
fehlt jedoch gerade in dem hier maßgebenden RV. Die Rechtsprechung des SG Darmstadt kann daher ebenso wenig wie die Rechtsprechung
des Hessischen Landessozialgerichtes auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen werden.
43 Auch das von der Beklagten zur Begründung ihres Verlangens herangezogene Urteil des BSG vom 17.03.2005 (B 3 KR 2/05 R) vermag ihr
Begehren nicht zu stützen. Soweit das BSG in diesem Urteil darauf hinweist, dass gesetzliche und vertragliche Regelungen im Rahmen des SGB
V abschließend sind, stützt dies gerade die Ansicht der Kläger, da nach § 4 Abs. 3 Satz 3 RV gerade keine Prüfpflicht der Leistungserbringer
besteht.
44 Maßgebend für den Physiotherapeuten ist damit allein die Leistungsbeschreibung, die durchaus von den Heilmittel-Richtlinien abweichen kann.
Dies zeigt bereits die Tatsache, dass sich in Abweichung zu den Heilmittel-Richtlinien in der Leistungsbeschreibung keine Angaben zur Anzahl
der bei Erst- und Folgeverordnungen maximal zulässigen Verordnungsmengen finden.
45 Insbesondere besteht für den Physiotherapeuten keine Prüfpflicht hinsichtlich der Frequenzempfehlung und der nach den Heilmittel-Richtlinien
gegebenen Indikation. In der Leistungsbeschreibung, die insoweit allein für den Physiotherapeuten maßgebend ist, finden sich keine Angaben
zur Frequenz, so dass insoweit keine Prüfpflicht des Physiotherapeuten besteht. Ausweislich der Anlage 3 zum RV „1. Grundsätze“ werden in der
Leistungsbeschreibung die wesentlichen Indikationen und Therapieziele für die einzelnen Maßnahmen beispielhaft benannt. Die
Leistungsbeschreibung ist somit hinsichtlich der Indikationen nicht vollständig und nicht abschließend. Erfolgt daher die Verordnung
physiotherapeutischer Leistungen durch einen Vertragsarzt aufgrund einer in der Leistungsbeschreibung nicht enthaltenen Indikation ist dies für
den Physiotherapeuten kein Anlass zur Prüfung und Nachfrage beim verordnenden Vertragsarzt.
46 Auch den Gemeinsamen Rahmenempfehlungen lässt sich die von der Beklagten geforderte Prüfpflicht nicht entnehmen. Zwar bestimmt § 18
Abs. 1 der Gemeinsamen Rahmenempfehlungen, dass Diagnose, Leitsymptomatik, Art, Anzahl, soweit erforderlich die Therapiezeit und
Frequenz der Leistungen sich aus der vom Vertragsarzt ausgestellten Verordnung ergeben. Die vertragsärztliche Verordnung kann ausgeführt
werden, wenn diese für die Behandlung erforderlichen Informationen enthalten sind. Zur Abgabe dieser Leistungen ist der zugelassene
Heilmittelerbringer dann entsprechend der Leistungsbeschreibung berechtigt und verpflichtet. Auch wenn diese Regelung auf eine Prüfpflicht der
Physiotherapeuten zumindest hinsichtlich der Frequenzangabe hindeutet, bleibt festzuhalten, dass ausweislich der Präambel zu den
Gemeinsamen Rahmenempfehlungen sich diese lediglich an die Partner dieser Rahmenempfehlungen richtet. Ausweislich der Präambel
verpflichten sich die Partner dieser Rahmenempfehlungen, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für eine gewissenhafte Umsetzung
der Rahmenempfehlungen Sorge zu tragen. Sie wirken darauf hin, dass diese Empfehlungen in den Verträgen nach § 125 Abs. 2 SGB V - also
dem RV - umgehend berücksichtigt werden. Zudem handelt es sich, wie bereits aus dem Wortlaut zu ersehen ist, lediglich um Empfehlungen, die
zumindest für die erkennende Kammer rechtlich unverbindlich sind (vgl. BSG, Terminsbericht 62/06 zur Sitzung am 29.11.2006 im Verfahren B 6
KA 7/06 R; Knittel in Krauskopf, Kommentar zur Krankenversicherung, Loseblattsammlung, § 125 SGB V Rz. 2f.). Eine Bindung der Beteiligten an
diese Gemeinsamen Rahmenempfehlungen würde erst dann entstehen, wenn entsprechend der Präambel die dort enthaltenen Empfehlungen
in den RV übernommen worden wären, was jedoch ausweislich des Wortlautes des RV, insbesondere ausweislich des Wortlautes des § 4 RV,
nicht erfolgt ist.
47 Die von der Beklagten geforderte Prüfpflicht der Erbringer physiotherapeutischer Leistungen kann auch nicht unmittelbar auf die Heilmittel-
Richtlinien gestützt werden, die der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassen hat. Diese Richtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses sind nach § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge und geltend damit unmittelbar nur für
Vertragsärzte. Über § 91 Abs. 9 SGB V sind die Heilmittel-Richtlinien darüber hinaus für die Versicherten, die Krankenkasse und für die an der
ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich. Nach Ziffer 1 3. Absatz
der Heilmittel-Richtlinien sind diese Richtlinien für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte, Kassenärztliche
Vereinigungen, Krankenkassen und deren Verbände verbindlich.
48 Aus den dargestellten Regelungen, insbesondere aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Regelungen wird gefolgert, dass die Heilmittel-
Richtlinien für die Erbringer physiotherapeutischer Leistungen keine unmittelbare Wirkung entfalten und daher für diese nicht verbindlich sind.
Die Richtlinien, so auch die Heilmittel-Richtlinien, würden Handlungsanweisungen an ihre Adressaten, insbesondere an die Ärzte enthalten. Auf
Leistungserbringer - wie die Physiotherapeuten - hätten sie nur eine mittelbare tatsächliche Wirkung. Für diese hätten die Heilmittel-Richtlinien
allenfalls wirtschaftliche Auswirkungen, ohne Rechtspositionen zu begründen oder zu beseitigen. Dementsprechend wird die Auffassung
vertreten, dass zu den „an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnahmeberechtigten Leistungserbringern“ die Erbringer
physiotherapeutischer Leistungen gerade nicht gehören (BSG, Urteile vom 01.10.1990 - 6 RKa 22/88 = BSGE 67, 251 ff. - und 6 RKa 3/90; LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.06.2004 - L 11 KR 116/03 -; BSG, Urteil vom 31.05.2006 - B 6 KA 69/04 R; Hess im Kasseler Kommentar zum
Sozialversicherungsrecht, Loseblattsammlung, § 91 SGB V Rz. 30; Henke in Peters, „Handbuch der Krankenversicherung“, Loseblattsammlung,
Stand März 2005, § 91 SGB V Rz. 21-23).
49 Ungeachtet des nach Auffassung der Kammer insoweit eindeutigen Wortlautes wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass aufgrund des
Charakters von Richtlinien, also auch der Heilmittel-Richtlinien, als untergesetzlicher Rechtsnorm diese auch für nicht ärztliche
Leistungserbringer maßgebend und verbindlich sind (so BSG in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.07.2003 - L 5
KR 212/02).
50 Aufgrund des eindeutigen Wortlautes der oben dargestellten Regelungen, insbesondere aufgrund der Regelung in den Heilmittel-Richtlinien
selbst, dass diese (nur) für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Vertragsärzte, Kassenärztliche Vereinigungen,
Krankenkassen und deren Verbände verbindlich sind und daher gerade für die nichtärztlichen Leistungserbringer keine unmittelbare
verbindliche Wirkung entfalten, ist die Kammer der Überzeugung, dass die Heilmittel-Richtlinien für Physiotherapeuten allenfalls mittelbare
Wirkung entfalten können. Eine rechtsverbindliche Wirkung kommt den Heilmittel-Richtlinien für diese jedoch insoweit nicht zu, so dass sich aus
den Heilmittel-Richtlinien die von der Beklagten geforderte Prüfpflicht nicht ergeben kann.
51 Selbst wenn man jedoch - der Auffassung der Beklagten folgend - den Heilmittel-Richtlinien eine verbindliche Wirkung für die Physiotherapeuten
beimisst, ergibt sich hieraus keine Pflicht der Physiotherapeuten zur Prüfung vertragsärztlicher Verordnungen auf deren inhaltliche Richtigkeit.
52 Wie oben bereits dargestellt ist nach Ziffer 9 Satz 2 der Heilmittel-Richtlinien der Therapeut grundsätzlich an die vertragsärztliche Verordnung
gebunden, es sei denn, im Rahmen dieser Richtlinien ist etwas anderes bestimmt.
53 Der Heilmittelverordnung nach den Richtlinien liegt nach Ziffer 11 der Heilmittel-Richtlinien in den jeweiligen Abschnitten des Heilmittel-
Kataloges ein definierter Regelfall zugrunde. Dieser Regelfall geht von der Vorstellung aus, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel
im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls das angestrebte Therapieziel erreicht werden kann. Die Gesamtverordnungsmenge
und die Anzahl der Behandlungen (Einheiten) je Verordnung im Regelfall ergeben sich aus dem Heilmittel-Katalog. Die Verordnungsmenge
richtet sich nach dem medizinischen Erfordernis des Einzelfalls; nicht jede Schädigung/Funktionsstörung bedarf der Behandlung mit der
Höchstverordnungsmenge je Verordnung bzw. der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls.
54 Nach Ziffer 16 der Heilmittel-Richtlinien hängt die Auswahl und die Anwendung (insbesondere Einheiten pro Verordnung,
Gesamtverordnungsmenge, Empfehlung zur Behandlungsfrequenz) des Heilmittels von der Ausprägung und Schweregrad der Erkrankung
(Schädigung/Funktionsstörung/Fähigkeitsstörung) sowie von dem mit dieser Verordnung angestrebten Ziel (Therapieziel) ab.
55 Diese Regelungen zeigen, dass die Heilmittel-Richtlinien insbesondere in der Festlegung des Heilmittel-Kataloges stets vom Regelfall
ausgehen, von dem jedoch dann im Einzelfall durchaus abgewichen werden kann.
56 Nach Ziffer 22 der Heilmittel-Richtlinien sind in der Heilmittelverordnung nach Maßgabe der vereinbarten Vordrucke die Heilmittel eindeutig zu
bezeichnen. Ferner sind alle für die individuelle Therapie erforderlichen Einzelangaben zu machen. Anzugeben sind insbesondere unter
anderem die Frequenzempfehlung, der vollständige Indikationsschlüssel sowie die Diagnose mit Therapieziel(en) nach Maßgabe des jeweiligen
Heilmittel-Kataloges.
57 Die Regelung in Ziffer 22 der Heilmittel-Richtlinien scheint die Ansicht der Beklagten zu bestätigen, es bestehe zumindest hinsichtlich der
Frequenzempfehlung sowie hinsichtlich der Indikation eine Prüfpflicht des Physiotherapeuten.
58 Allerdings wird diese Auffassung durch Ziffer 29.1 der Heilmittel-Richtlinien widerlegt. Diese Regelung hat folgenden Wortlaut: „Sind auf dem
Verordnungsvordruck Angaben zur Frequenz der Heilmittelbehandlung gemacht, ist eine Abweichung davon nur zulässig, wenn zuvor zwischen
Vertragsarzt und Therapeut ein abweichendes Vorgehen verabredet wurde. Die einvernehmliche Änderung ist vom Therapeuten auf dem
Verordnungsvordruck zu dokumentieren“. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 4 Abs. 8 Buchst. b 2. Absatz RV.
59 Der Wortlaut dieser beiden Regelungen zeigt, dass Angaben zur Frequenzempfehlung auf der vertragsärztlichen Verordnung durchaus fehlen
können, da anderenfalls der Wortlaut in Ziffer 29.1 der Heilmittel-Richtlinien und in § 4 Abs. 8 Buchst. b 2. Absatz RV nicht verständlich ist. Wäre
die Angabe einer Frequenzempfehlung auf der vertragsärztlichen Verordnung unbedingt erforderlich mit der Folge einer entsprechenden
Prüfpflicht für den Physiotherapeuten, so hätte der Wortlaut dieser Regelungen anders lauten müssen, beispielsweise dahingehend „von den
Angaben zur Frequenz der Heilmittelbehandlung auf dem Verordnungsvordruck kann nur dann abgewichen werden ...“. Zur Überzeugung der
Kammer steht aufgrund des Wortlauts der dargestellten Regelungen somit fest, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bei Schaffung der
Heilmittel-Richtlinien selbst davon ausgehen, dass Angaben zur Frequenzempfehlung auf der vertragsärztlichen Verordnung entbehrlich sind.
60 Hinsichtlich der Angabe von Diagnosen und Indikationen gehen die Heilmittel-Richtlinien wie oben bereits dargestellt stets vom Regelfall aus, so
dass Abweichungen beispielsweise vom Heilmittel-Katalog angesichts der vertragsärztlichen Therapiefreiheit ohne weiteres möglich sind.
61 Auch den Heilmittel-Richtlinien kann daher eine Prüfpflicht der Physiotherapeuten - sollte man von einer Verbindlichkeit für sie ausgehen - nicht
entnommen werden.
62 Ebensowenig ergibt sich eine Prüfpflicht aus den Regelungen des SGB V. Soweit die Beklagte insoweit auf die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2
SGB V verweist, wonach nicht notwendige oder unwirtschaftliche Leistungen die Leistungsbringer nicht bewirken dürfen, verkennt die Beklagte
den Regelungsgehalt dieser Vorschrift. Mit der Begrenzung der dem Versicherten zu gewährenden Leistungen auf das ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Maß gewährleistet § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V einerseits den notwendigen Leistungsstandard, verhindert
andererseits aber auch Leistungen im Übermaß. Die sich hieraus ergebenden konkreten Folgerungen aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12
Abs. 1 Satz 1 SGB II finden sich in § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Versicherte, Krankenkassen und Leistungserbringer. Die sich aus § 12 SGB V
ergebenden Vorgaben zur Bestimmung der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährenden und zur erbringenden
Leistungen wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Heilmittel-Richtlinien, insbesondere in dem dort als Anlage beigefügten
Heilmittel-Katalog umgesetzt. Wie bereits dargestellt ergibt sich jedoch - selbst bei verbindlicher Geltung der Heilmittel-Richtlinien für
Physiotherapeuten - hieraus keine Prüfpflicht in dem von der Beklagten begehrten Umfang.
63 Mangels hierfür vorhandener Grundlage darf daher die Beklagte die Abgabe und Abrechnung vertragsärztlich verordneter physiotherapeutischer
Heilmittel nicht von einer vorherigen Vollständigkeitsprüfung durch den Leistungserbringer abhängig machen. Insoweit ist auch die Behauptung,
ärztliche Verordnungen für physiotherapeutische Heilmittel bedürften einer Vollständigkeitsüberprüfung durch den Leistungserbringer, nicht
zulässig. Ein solches Verhalten ist daher der Beklagten zu untersagen, der Klaganspruch Ziffer 1 ist somit begründet.
64 Die unter Ziffer 2 des Urteilstenors ausgesprochene Androhung der Festsetzung von Ordnungsgeld bzw. Ordnunghaft im Falle der
Nichtbeitreibbarkeit des Ordnungsgeldes ergibt sich aus § 198 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 890 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung (BSG, Urteil vom 20.04.1988 - 3/8 RK 4/87 = SozR 2200 § 517 Nr. 11).
65 2. Herausgabeverlangen
66 Ein Anspruch der Kläger gegen die Beklagte auf Herausgabe abgeleisteter Heilmittelverordnungen im Original bzw. in Ablichtung besteht nicht.
67 Nach § 69 Satz 1 SGB V regeln dieses Kapitel (§§ 69 - 140 h SGB V) sowie die §§ 63 und 64 abschließend die Rechtsbeziehungen unter
anderem der Krankenkassen und ihrer Verbände zu sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden, einschließlich der Beschlüsse des
Gemeinsamen Bundesausschusses. Für diese Rechtsbeziehungen gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs
entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und der übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind.
Durch diese zum 01.01.2000 erfolgte Neuregelung ist klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und nichtärztlichen
Leistungserbringern dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Ob vor diesem Hintergrund § 952 Abs. 1 BGB entweder unmittelbar oder analog
Anwendung finden kann, wie dies die Kläger meinen, erscheint äußerst zweifelhaft.
68 Selbst wenn man sich der Auffassung der Kläger insoweit anschließen sollte, also eine Anwendbarkeit des § 952 Abs. 1 BGB bejahen würde,
würde gleichwohl kein Herausgabeanspruch der Kläger gegeben sein. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die Kosten für die
Vordrucke, auf denen die vertragsärztliche Verordnung von Heilmitteln erfolgt (Muster 13), nach § 34 Abs. 2 Satz 1 des Bundesmantelvertrages -
Ärzte von den Krankenkassen getragen werden. Nach § 16 Abs. 2 RV erfolgt die Abrechnung unter Vorlage der Originalverordnung, wobei nach
§ 16 Abs. 11 RV eventuell die Abrechnung sachlich-rechnerisch zu prüfen ist. Die Beklagte als gesetzliche Krankenkasse hat nach § 30 Abs. 1
des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) die ihr zugewiesenen Mittel nur für „gesetzliche“ Aufgaben zu verwenden und unterliegt
insoweit nach den §§ 87 ff. SGB IV der staatlichen Aufsicht mit der Folge einer mindestens alle 5 Jahre stattfindenden Prüfung ihrer Geschäfts-,
Rechnungs- und Betriebsführung. Um diese Prüfung zu ermöglichen, hat die Beklagte nach § 88 Abs. 2 SGB IV der Aufsichtsbehörde oder ihren
Beauftragten auf Verlangen alle Unterlagen vorzulegen und alle Auskünfte zu erteilen, die zur Ausübung des Aufsichtsrechts aufgrund
pflichtgemäßer Prüfung der Aufsichtsbehörde gefordert werden (vgl. hierzu Graeff in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB IV, Loseblattsammlung, §
88 Rz. 4). Hierbei sind entgegen der Ansicht der Kläger nicht nur die Originalverordnungen aufzubewahren, bei denen eine Vergütung erfolgt ist,
sondern auch die Originalverordnungen, bei denen gerade keine Vergütung vorgenommen wurde, da nur bei Vorlage auch dieser
Verordnungen die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beklagten von der Aufsichtsbehörde umfassend geprüft werden kann.
69 Um ihre sich aus § 88 Abs. 2 SGB IV ergebende Pflicht zur Vorlage aller prüfrelevanten Unterlagen erfüllen zu können, ist die Beklagte darauf
angewiesen, die Originalverordnungen bei sich aufzubewahren. Eine Herausgabe an einzelne Leitungserbringer scheidet damit aus.
70 Zudem besteht auch kein Bedürfnis der Leistungserbringer auf Herausgabe der ganz oder teilweise nicht vergüteten Originalverordnungen.
Sollte es zu einer (teilweisen oder völligen) Nichtvergütung erbrachter Leistungen kommen, besteht jederzeit die Möglichkeit, die streitigen
Originalverordnungen im Wege der Akteneinsicht bei der Beklagten anzufordern. Mit der Verneinung des Herausgabeverlangens entsteht daher
den Klägern kein Rechtsnachteil.
71 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in der ab 02.01.2002 geltenden Fassung des sechsten Gesetzes zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes vom 17.08.2001 (Bundesgesetzblatt I S. 2144). Hierbei hat die Kammer den Anteil des Obsiegens und Unterliegens der
Kläger in dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Umfang berücksichtigt.