Urteil des SozG Stade vom 30.01.2007

SozG Stade: schutz der wohnung, verwertung, vermietung, grundstück, familie, wohnfläche, wohnhaus, verkehrswert, darlehen, mietzins

Sozialgericht Stade
Urteil vom 30.01.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 17 AS 230/06
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2005 und des Bescheids vom 22. Dezember
2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2006 verpflichtet, dem Kläger Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum Oktober 2005 bis März 2006 als verlorenen Zuschuss und
nicht als Darlehen zu gewähren. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob das in seinem Eigentum stehende Wohnhaus des Klägers bei der
Leistungsberechnung nach dem SGB II als Vermögen zu berücksichtigen ist oder nicht.
Der Kläger bewohnt mit seiner Lebensgefährtin und zwei minderjährigen Kindern ein Haus mit Einliegerwohnung,
Baujahr 1995. Die Familie bewohnt dabei das Erdgeschoss, das eine Größe von rund 125 qm aufweist. Die
Dachgeschosswohnung mit einer Größe von rund 102 qm ist fremdvermietet. Als Mietzins wurde zunächst ein
monatlicher Betrag in Höhe von 540,00 EUR inklusive der Nebenkosten und Heizkosten erzielt. Die Kaltmiete betrug
370,00 EUR. Seit Mai 2006 ist die Dachgeschosswohnung für eine Kaltmiete von 390,00 EUR neu vermietet. Die
Dachgeschosswohnung ist baulich vom Erdgeschoss getrennt und besitzt eine eigene Außeneingangstür.
Die Fläche des Grundstücks beträgt insgesamt 1783 qm. Aus einer Bescheinigung der Samtgemeinde H., in deren
Bereich das Grundstück liegt, vom 18. Juli 2006 geht hervor, dass nur eine Teilfläche als Bauland nutzbar ist. Die
übrige Fläche ist planungsrechtlich nicht für eine bauliche Nutzung vorgesehen. Nach einer Schätzung des Klägers
hat der bebaubare Teil des Grundstücks eine Größe von etwa 800 qm. Der verbleibende Teil ist Grünland ohne
eigenen Zuweg.
Der Verkehrswert des Hauses mit Grundstück beträgt nach Feststellungen des Beklagten rund 276.000,00 EUR.
Im September 2005 beantragte der Kläger für sich und seine Bedarfsgemeinschaft Lei-stungen zur Grundsicherung
nach dem SGB II. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Dezember 2005 zunächst ab und verwies
darauf, dass die Bedarfsgemeinschaft aufgrund des vorhandenen Vermögens nicht hilfebedürftig sei. Der Beklagte
hatte vom angenommenen Verkehrswert die zu der Zeit noch bestehenden Belastungen in Höhe von rund 190.000,00
EUR abgezogen. Unter Berücksichtigung eines Vermögensfreibetrags der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von
insgesamt 29.200,00 EUR verblieb nach Auffassung des Beklagten ein anrechenbares verwertbares Vermögen in
Höhe von rund 60.800,00 EUR.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2005 gewährte der Beklagte dann darlehensweise Leistungen für die Monate Oktober
2005 bis einschließlich März 2006. Den Berechnungen des Beklagten liegt dabei die Annahme tatsächlicher
Hauskosten einschließlich der Zinsen in Höhe von 1.043,92 EUR monatlich zugrunde. Auf Einkommensseite wurden
die Mieteinnahmen und ein bereinigtes Erwerbseinkommen der Lebensgefährtin sowie Kindergeld, zusammen in Höhe
von 701,25 EUR, berücksichtigt. Der gegen die darlehensweise Zahlung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde
mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Am 12. April 2006 hat der Kläger
daraufhin Klage erhoben.
Zwischen den Beteiligten war ursprünglich auch die konkrete Höhe der Leistungen und der zugrundeliegenden
Berechnungspositionen streitig. Im Laufe des Verfahrens haben sich die Beteiligten jedoch insoweit einigen können.
Das Klageverfahren betrifft daher nur noch die grundsätzliche Frage, ob das Wohnhaus des Klägers als Vermögen zu
berücksichtigen ist oder nicht.
Der Kläger trägt dazu vor, sein Haus und Grundstück unterfielen den Vorschriften über das Schonvermögen in § 12
Abs 3 Nr 4 SGB II und seien als solches nicht zu berücksichtigen. Durch die Vermietung des Dachgeschosses
erfolge eine Verwertung des die Angemessenheit übersteigenden Teiles.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2005 und des Bescheids vom
22. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2006 zu verpflichten, ihm
Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum Oktober 2005 bis März 2006 als
verlorenen Zuschuss und nicht als Darlehen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, Haus und Grundstück seien insgesamt unangemessen und daher nicht als Schonvermögen
geschützt.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und
die vorliegende Verwaltungsakte des Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 30. Januar
2007 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Die ursprüngliche Ablehnung und spätere nur darlehensweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB II durch den
Beklagten war rechtswidrig und beschwerte insoweit den Kläger, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat Anspruch
auf zuschussweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ohne Berücksichtigung seines
Hausgrundstücks als Vermögen.
Eine Verwertung des Hausgrundstücks durch Verkauf kann nicht verlangt werden.
Gemäß § 12 Abs 3 Nr 4 SGB II ist ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe nicht als
Vermögen zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit selbstbewohnten Hauseigentums muss
grundsätzlich die gesamte Fläche eines Hauses und nicht nur die vom Arbeitslosen bewohnte Fläche berücksichtigt
werden, allerdings auch nur, soweit die tatsächliche Nutzung durch den Hilfebedürftigen möglich ist (vgl Mecke in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12, Rn 72). Für Grundstücke im außerstädtischen Bereich wird eine Größe von bis zu 800
qm noch als angemessen angesehen, in Bezug auf die Wohnfläche gelten im Anschluss an § 39 Abs 1 des Zweiten
Wohnungsbaugesetzes eine Fläche von bis zu 130 qm als angemessen (vgl Brühl: LPK-SGB II, § 12, Rn 44/45,
Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12, Rn 71). Nach diesen Maßgaben stellt sich das Grundeigentum des Klägers
zunächst sowohl hinsichtlich der Grundstücksgröße als auch hinsichtlich der Gesamtwohnfläche des Hauses als
unangemessen dar. Dennoch kann eine vollständige Verwertung des Hausgrundstücks durch Verkauf nicht verlangt
werden, da die Größe des Grundstücks hier ausnahmsweise hinzunehmen ist und bezüglich der Wohnfläche eine
Verwertung durch die Vermietung der Dachgeschosswohnung bereits in ausreichender Weise erfolgt.
Eine Verwertung des Hausgrundstückes allein schon wegen der Unangemessenheit der Grundstücksfläche scheidet
nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls im Ergebnis aus. Denn es ist
nachgewiesen, dass eine Teilfläche des Grundstücks allenfalls als Grünland zu nutzen ist, jedoch keine eigene
Zuwegung besitzt. Eine sinnvolle Verwertung der Teilfläche ist damit mit Blick auf den zu erzielenden Erlös sowie die
Problematik der Zuwegung nicht zu erwarten. Damit bliebe nur ein Verkauf des gesamten Grundstücks. Mit Blick auf
den Zweck der gesetzlichen Regelungen zum Schonvermögen wird allerdings die Größe des aufstehenden
Wohnhauses dabei nicht völlig außer Betracht bleiben können, denn geschützt ist die Wohnung im Sinne der Erfüllung
eines Grundbedürfnisses des Hilfebedürftigen und seiner Familie (vgl z.B. Hänlein in: Gagel, SGB III-SGB II, § 12,
Rn. 49). Sollte das Haus für sich genommen seiner Wohnfläche nach noch innerhalb der Grenzen der
Angemessenheit liegen, erscheint denkbar, dass eine Überschreitung der geltenden Angemessenheitsgrenzen allein
durch die Grundstücksfläche unter Berücksichtigung besonderer Umstände im Einzelfall ausnahmsweise
hingenommen werden kann. Einen solchen besonderen Umstand stellt hier die Tatsache dar, dass aufgrund des
geltenden Bebauungsplanes eine Teilfläche des Grundstücks nur als Grünland genutzt werden kann und das
Grundstück daher nicht einheitlich zu bewerten ist. Die Teilfläche stellt sich insoweit als ein unselbständiges
Anhängsel des eigentlichen bebauten Hausgrundstückes dar, wobei in erster Linie letzteres den wertgebenden Faktor
darstellt. Ein Verkauf des gesamten Grundstücks nur aufgrund der nicht sinnvoll möglichen Abtrennung und
Verwertung der Teilfläche kann wegen dieser Besonderheit des Einzelfalls mit Blick auf den Schutzzweck des § 12
Abs 3 Nr 4 SGB II nur verlangt werden, wenn zugleich auch das Wohnhaus nach den geltenden Maßstäben nicht zu
halten ist.
Ein vollständiger Verkauf des Wohnhauses des Klägers kann nicht verlangt werden, da es in Bezug auf die
selbstbewohnte Erdgeschosswohnung als Schonvermögen geschützt ist und die Dachgeschosswohnung bereits
sinnvoll verwertet wird. Abzustellen ist auf den tatsächlich vom Kläger nutzbaren und genutzten Teil des Hauses (vgl.
Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12, Rn. 69; Hänlein a.a.O, Rn. 50). Die Nutzungsmöglichkeit für den Kläger
und seine Familie ist aufgrund des wirksamen Mietvertrags und der baulichen Gegebenheiten tatsächlich auf das
Erdgeschoss mit einer Größe von rund 125 qm beschränkt. Dieser tatsächlich selbst bewohnte Teil überschreitet
nicht den angemessenen Rahmen von 130 qm.
Der überschießende Teil des Hauses, d.h. hier die Dachgeschosswohnung, ist hingegen prinzipiell als Vermögen zu
berücksichtigen und zu verwerten. Eine solche Verwertung kann durch Verkauf oder durch Beleihung, aber auch durch
eine Vermietung erfolgen (vgl. Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12, Rn. 72). Eine Vermietung der
Dachgeschosswohnung zu einem als angemessen anzusehenden Mietzins findet hier statt. Nach Auffassung des
erkennenden Gerichts führt diese teilweise Verwertung des Wohnhauses mit der Folge, dass der für den Kläger und
seine Familie nutzbare Teil innerhalb der als angemessen anzusehenden Grenzen liegt, letztlich dazu, dass eine
weitergehende Verwertung des Hauses nicht mehr erforderlich ist. Alles andere würde bedeuten, dass letztlich ein
Verkauf des gesamten Anwesens verlangt werden müsste. Der bezweckte Schutz der Wohnung, die hier als solche
als angemessen anzusehen ist, würde dadurch unterlaufen.
Die Vermietung als Verwertungsform ist in diesem Falle als gleichwertig mit einer eigentumsrechtlichen Trennung
anzusehen. Das Gericht geht zwar davon aus, dass eine Bildung von Wohnungseigentum im Hause des Klägers
technisch möglich ist und nach der Umwandlung ein Verkauf nur der Dachgeschosswohnung in Frage käme. Aufgrund
der tatsächlich bereits stattfindenden Vermietung erscheint es jedoch nicht sachgerecht, die Dachgeschosswohnung
als eigenen Vermögensgegenstand bei der Leistungsberechnung zu berücksichtigen und darauf eine darlehensweise
Gewährung von Leistungen zu stützen, obwohl die Bildung getrennten Wohnungseigentums noch nicht durchgeführt
wurde. Hierbei ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Erlös aus der Vermietung vom Beklagten auch als
Einkommen angerechnet wird und damit schon zugunsten des Beklagten wirkt. Durch die Vermietung eines Teiles
des Hauses erzielt der Kläger Einkommen, das zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und dem seiner Familie
verwendet werden kann.
Für die Beurteilung der Vermögensberücksichtigung nach § 12 SGB II ist es dabei unerheblich, ob die tatsächlichen
Kosten für die Unterkunft angemessen iS des § 22 SGB II sind oder nicht. Es kann keine Rolle spielen, ob der durch
die Vermietung erzielte Erlös letztlich ausreicht, um die im Verhältnis auf den vermieteten Teil entfallenden Kosten
des Klägers zu decken. Denn die Frage der Vermögensberücksichtigung nach § 12 ist von der Frage der
angemessenen Unterkunftskosten zu trennen. Auch die Kosten eines als Schonvermögen vermögensmäßig nicht zu
berücksichtigenden Hauses können unangemessen iS des § 22 SGB II sein und im Rahmen der monatlichen
Leistungsgewährung nicht in voller Höhe übernommen werden. Die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft
und Heizung im Sinne des § 22 SGB II war nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens, nachdem die Beteiligten sich
hierüber außergerichtlich verständigt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.