Urteil des SozG Stade vom 03.08.2009

SozG Stade: gebühr, widerspruchsverfahren, verwaltungsverfahren, ermessen, qualifikation, zitat, auflage, bayern, vorverfahren, erlass

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 03.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 34 SF 21/09 E
Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 11. Mai 2009 wird geändert. Die dem
beigeordneten Rechtsanwalt A. im Rahmen der Prozesskostenhilfe aus der Landeskasse zu gewährenden Ge-bühren
und Auslagen werden auf 357,60 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
Streitig ist die Höhe der aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren.
Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet.
Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für das erstinstanzliche Eilverfah-ren die Verfahrensgebühr
nach Nr 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 3 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anstelle der
beantragten Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VV in Ansatz gebracht.
Durch den geringeren Gebührenrahmen nach Nr 3103 VV RVG gegenüber Nr 3102 VV RVG wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätig-keit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit
der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Gerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig
ist als für einen Rechtsanwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der
Begründung des Gesetzentwurfes zu Nr 3103 (BT-Drucks 15/1971, Seite 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr
3103 VV RVG ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsan-walts
in sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im
Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ein anderer Maßstab als im Hauptsacheverfahren. So genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b
Abs 2 Satz 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes
glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwalts zur Be-gründung des Anordnungsanspruchs ist aber inhaltlich
regelmäßig deckungsgleich mit der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das
Vorlie-gen des materiell-rechtlichen Anspruchs vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaub-haftmachung des
Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Widerspruchsverfahren ein
weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Aus den genannten Gründen ist es gerechtfertigt, sowohl im Klagverfahren
als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von einem einheitlich reduzierten Gebührenrahmen auszugehen
(ebenso ua SG Hannover, Beschluss vom 1. Dezember 2008 - S 34 SF 177/08; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 25. August 2006, L 8 B 31/05 SO; LSG Bayern, Beschluss vom 18. Januar 2007 - L 15 B 224/06 AS
KO; SG Aurich, Be-schluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS). Dies gilt auch in dem Fall, dass Wider-spruch
gegen einen Verwaltungsakt und der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfah-ren zeitgleich erhoben werden, da
durch die gleichzeitige Durchführung zweier Verfahren ebenfalls arbeitserleichternde Synergieeffekte entstehen
(ebenso SG Hannover, Be-schluss vom 2. Juli 2007 - S 34 SF 94/07; SG Aurich, Beschluss vom 18. April 2007 - S
21 SF 14/05 AS).
Das Gericht vermag sich dagegen der Auffassung, dass sich der Gebührentatbestand der Nr 3103 VV RVG nur auf
solche Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren beziehe, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind, nicht aber
auf das Verfahren des vor-läufigen Rechtsschutzes anwendbar sei, nicht anzuschließen (so aber SG Hildesheim,
Beschluss vom 26. Mai 2009, S 12 SF 18/09 E). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige Anordnung
nach § 86b Abs 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Wi-derspruchs gegen den ablehnenden Bescheid voraus, da
es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Letztlich "profitiert" der Rechtsanwalt regelmäßig
sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seiner Tä-tigkeit im
Verwaltungsverfahren (vgl SG Aurich, Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS), so dass die Zugrundelegung
der verringerten Gebühr für beide Verfahrensar-ten gerechtfertigt ist.
Zutreffend ist die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon ausgegangen, dass die Ver-fahrensgebühr nach Nrn
3103, 1008 VV RVG in Höhe der 3/4-Mittelgebühr festzusetzen ist. Die festzusetzende Verfahrensgebühr beträgt
insoweit allerdings unter Berücksichti-gung des erhöhten Gebührenrahmens von 44,- EUR bis 704,- EUR und der
daraus fol-genden Mittelgebühr von 374,- EUR insgesamt 280,50 EUR.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der an-waltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Das
Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist,
so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie
unbillig ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen
Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen
Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit
ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Be-rechnungspraxis
gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG
fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines
Bemessungsmerkmals das überwie-gende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-
Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
Vorliegend ist die Urkundsbeamtin der Gebührenbemessung des Rechtsanwalts richtiger Weise nicht gefolgt, da nach
den Kriterien des § 14 RVG eine Qualifikation der Angele-genheit als durchschnittlich nicht zu rechtfertigen ist. Die
vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung der Gebühr ist unbillig iS von § 14 RVG.
Die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für die Antragsteller wird von der Kammer als leicht
überdurchschnittlich eingestuft, da es für den Antragsteller um die Gewährung von Leistungen nach § 2 AyslbLG und
damit um die Gewährung existenzsi-chernder Leistungen ging. Allerdings muss auch berücksichtig werden, dass der
Umfang der anwaltlichen Tätigkeit deutlich unterdurchschnittlich war. Der Erinnerungsführer hat lediglich die gut
zweiseitige Antragsschrift vom 3. April 2009 gefertigt. Diese bestand zu-dem fast zur Hälfte aus einem wörtlichen
Zitat einer BSG-Entscheidung. Zudem ent-spricht die Antragsbegründung nahezu vollständig der
Widerspruchsbegründung von demselben Tag. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann als durchschnittlich
angesehen werden. Die Verfahrensdauer war deutlich unterdurchschnittlich, die Vermö-gens- und
Einkommensverhältnisse der Antragssteller ebenfalls.
Bei einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien des § 14 RVG ist demzufolge die Entschei-dung der Urkundsbeamtin,
dass lediglich der Ansatz der 3/4-Mittelgebühr als Verfahrens-gebühr gerechtfertigt ist, nicht zu beanstanden. Da die
Gebührensbestimmung des Rechtsanwalts mehr als 20 % von der vom Gericht für angemessen gehaltenen Gebühr
abweicht, ist von einer unbilligen und damit einer nicht verbindlichen Gebührenbestim-mung auszugehen
(Gerorld/Schmidt-Mayer, aaO Rn 12).
Die aus der Landeskasse als Prozesskostenhilfe zu erstattenden Rechtsanwaltsgebüh-ren bemessen sich daher wie
folgt:
Verfahrensgebühr Nrn 3103, 1008 VV RVG 280,50 EUR Auslagenpauschale Nr 7002 VV RVG 20,- EUR Umsatzsteuer
Nr 7008 VV RVG (19 %) 57,10 EUR Summe 357,60 EUR.
Die Entscheidung ist endgültig, § 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz.