Urteil des SozG Stade vom 25.08.2009

SozG Stade: arbeitsentgelt, entstehung, krankengeld, bemessungszeitraum, vergleich, einweisung, rechtsgrundlage, gleichbehandlung, beendigung, ausnahme

Sozialgericht Stade
Urteil vom 25.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 6 AL 25/07
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes (Alg).
Der 1943 geborene Kläger war von 1984 bis 31. August 2006 als Prüfingenieur bzw tech-nischer Sachverständiger
beschäftigt. Vom 1. September bis 4. Dezember 2006 bezog er Krankengeld. Am 5. Dezember 2006 meldete er sich
arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für
zunächst 540 Tage beginnend ab 5. Dezember 2006 in Höhe eines Zahlbetrages von täglich 59,72 EUR. Zugrunde
legte sie ein tägliches Bemessungsentgelt von 160,28 EUR. Den Be-messungsrahmen legte die Beklagte fest auf den
Zeitraum 5. Dezember 2005 bis 4. De-zember 2006, so dass die Entgeltabrechnungszeiträume vom 1. Dezember
2005 bis 31. August 2006 und damit ein Arbeitsentgelt von insgesamt 34.140,54 EUR zugrunde gelegt wurden. Unter
Berücksichtigung von 213 Tagen, an denen der Kläger Arbeitsentgelt er-zielte, ermittelte die Beklagte das tägliche
Bemessungsentgelt von 160,28 EUR. Den ge-gen diesen Bewilligungsbescheid eingelegten Widerspruch wies die
Beklagte mit Wider-spruchsbescheid vom 31. Januar 2007 unter Hinweis auf die der Berechnung zugrunde liegenden
Vorschriften zurück.
Der Kläger hat am 28. Februar 2007 Klage erhoben und trägt vor, der Bemessungsrah-men müsse nach § 130 Abs 3
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auf zwei Jahre erweitert werden, da ansonsten eine unbillige Härte im Sinne
dieser Vorschrift auftrete. Die Zugrundelegung des zweijährigen Bemessungsrahmens führe gegenüber der Be-
rechnung durch die Beklagte für ihn zu einer deutlichen Besserstellung. Allein die Be-rücksichtigung zusätzlich des
Monats November 2005 führe bereits zu einer deutlich günstigeren Höhe des Alg. Die nunmehr von der Beklagten
festgestellte Höhe des Alg sei in jeder Hinsicht für ihn die ungünstigste und von verschiedenen Zufälligkeiten
abhängig gewesen. Er habe verschiedene Rechenspiele durchgeführt und alle Berechnungen hät-ten zum Ergebnis
geführt, dass die Höhe des Alg günstiger wäre als bei Berücksichtigung lediglich des von der Beklagten zugrunde
gelegten Zeitraums. Schließlich müsse zumin-dest berücksichtigt werden, dass im Monat November 2005 eine
Sonderzahlung erbracht worden sei, die anteilig auf die Folgemonate umzulegen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2006 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 31. Januar
2007 abzuändern und die Beklagte zu verur-teilen, dem Kläger Alg für den Zeitraum 5. Dezember 2006 bis 31.
Oktober 2008 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von täglich 170,50 EUR, hilfsweise in gesetzlicher Höhe,
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und weist darauf hin, dass nach ihrer Auffassung erst eine
Abweichung des Bemessungsentgelts von 10 % zu einer unbil-ligen Härte iSv § 130 Abs 3 SGB III führe. Diese
Grenze sei vorliegend nicht erreicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Ge-genstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen An-spruch auf Gewährung höheren Alg.
Die Beklagte hat in ihrer Entscheidung zutreffend den Bemessungsrahmen auf den Zeit-raum 5. Dezember 2005 bis 4.
Dezember 2006 festgestellt. Unter Berücksichtigung die-ses Bemessungsrahmens ist die Feststellung des
Bemessungsentgelts und der Höhe des Alg durch die Beklagte zutreffend vorgenommen worden und nicht zu
beanstanden. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist der Bemessungsrahmen nicht nach § 130 Abs 3 Nr 2
SGB III auf zwei Jahre zu erweitern.
Nach § 130 Abs 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem
jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrech-nungszeiträume der versicherungspflichtigen
Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst danach ein Jahr, er endet mit dem letzten
Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Unter Anwendung dieser
Regelung hat die Beklagte zutreffend den Bemessungsrahmen festgestellt. Der Bemessungsrahmen endet mit dem 4.
Dezember 2006, denn dieser Tag war der letzte Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses - hier
Krankengeldbezug als sonstige Versicherungszeit iSv § 26 Abs 2 Nr 1 SGB III - vor der Entstehung des Anspruchs
am 5. Dezember 2006. Unter Berücksichtigung des im Zeitraum vom 4. Dezember 2005 bis 31. August 2006 erzielten
Arbeitsentgelts hat die Beklagte zutreffend das Bemessungsent-gelt sowie den täglichen Zahlbetrag festgestellt. Dies
wird soweit auch von dem Kläger nicht beanstandet.
Zutreffend hat die Beklagte zudem den Bemessungsrahmen nicht nach § 130 Abs 3 Nr 2 SGB III auf zwei Jahre
erweitert. Nach dieser Vorschrift wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn es mit Rücksicht auf
das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im
Bemessungs-zeitraum auszugehen. Eine unbillige Härte im Sinne dieser Norm liegt nicht vor.
Zu berücksichtigen ist insoweit, dass zwischen der Feststellung des Bemessungsrah-mens von einem Jahr nach §
130 Abs 1 SGB III und der Erweiterung des Bemessungs-rahmens auf zwei Jahre nach Abs 3 der Vorschrift ein
Regel-Ausnahmeverhältnis be-steht. Eine Ausnahme von der Regelbemessung und damit ein Härtefall ist
grundsätzlich nur dann zu bejahen, wenn die Regelbemessung zu unerträglichen Ergebnissen führen würde (vgl BSG,
Urteil vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 59/96 - SozR 3-4100 § 44 Nr 16). Es muss eine erhebliche Verschlechterung in
der Entgeltsituation vorliegen, welche die Anknüpfung der Bemessung an die allgemeinen Regeln als im Einzelfall
unzumutbar er-scheinen lässt (Coseriu/Jakob, in: Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 3. Aufl 2008, § 130
Rdn 83). Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" iSv § 130 Abs 3 Nr 2 SGB III ist kein rein
rechnerisches, sondern ein wertausfüllungsbedürftiges Kriteri-um, wobei die Wertungselemente dem Zweck der
Bestimmung zu entnehmen sind (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. Mai 2006 - L 1 AL 10/06). Die
Bestim-mung eines festen prozentualen Grenzbetrags, ab dem ein Missverhältnis zwischen dem regulären
Bemessungsentgelt und dem Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungs-rahmen vorliegt, haben weder der
Gesetzgeber noch die Rechtsprechung bisher vorge-nommen; dies entspricht dem Charakter des Begriffs der
unbilligen Härte als unbestimm-tem Rechtsbegriff, der eine gerechte Bewertung des Einzelfalls ermöglichen soll (Beh-
rend in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rdn 91). Nach den internen Verwaltungsvor-schriften der Bundesagentur für
Arbeit, ist ab einer Differenz von 10 % von einer unbilli-gen Härte iSd genannten Vorschrift auszugehen. Die Kammer
hält es für sachgerecht - auch im Sinne einer Gleichbehandlung der Arbeitslosen - entsprechend der Dienstanwei-
sungen der Arbeitsverwaltung eine unbillige Härte zumindest dann anzunehmen, wenn das Bemessungsentgelt aus
dem erweiterten Bemessungsrahmen das um 10 % erhöhte Bemessungsentgelt übersteigt (Behrend, aaO).
Tatsächlich wird man regelmäßig von einem unerträglichen Ergebnis bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts und
damit von einer unbilligen Härte sprechen müssen, wenn das Entgelt im erweiterten Bemes-sungszeitraum das
Entgelt im Regelbemessungszeitraum um etwa 10 % übersteigt (Co-seriu/Jakob, aaO Rdn 86). In Einzelfällen kann
aber auch bei Unterschreiten der Richt-größe von 10 % die Annahme eines Härtefalls in Betracht kommen. Eine
unbillige Härte iSd Norm kann zum Beispiel vorliegen, wenn das niedrigere Arbeitsentgelt im Bemes-sungszeitraum
auf Maßnahmen der Beklagten zurückzuführen ist, zB die Einweisung in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder
durch eine nicht sachgerechte Vermittlung bzw bei Vermittlung in eine schlecht bezahlte Tätigkeit unter
Sperrzeitandrohung (Rolfs, in: Gagel, SGB III, § 130 Rdn 67). Zudem kann eine Härte in Betracht kommen, wenn be-
sondere Opfer für die Allgemeinheit oder die Betreuung eines Kindes zu einem geringen Verdienst geführt haben; eine
unbillige Härte könnte auch dann zu bejahen sein, wenn der Arbeitslose dann, wenn man vom Entgelt im
Bemessungszeitraum ausgeht, Leistun-gen der Grundsicherung nach dem SGB II in Anspruch nehmen müsste
(Rolfs, aaO). Die Festlegung einer Höchstgrenze von 5 %, bei Überschreiten derer grundsätzlich eine un-billige Härte
anzunehmen ist (so LSG Nordrhein-Westfalen, aaO), hält die Kammer da-gegen für nicht überzeugend.
Vorliegend wäre bei Verlängerung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre, dh auf den Zeitraum 5. Dezember 2004
bis 4. Dezember 2006 von einem Arbeitsentgelt von 65.426,79 EUR auszugehen, so dass das tägliche
Bemessungsentgelt 165,10 EUR, der tägliche Zahlbetrag 61,09 EUR betragen würden. Bei dem Vergleich mit dem
nach der Regelvorschrift des § 130 Abs 1 SGB III (einjähriger Bemessungsrahmen) zugrunde zu legenden täglichen
Bemessungsentgelts würde sich demzufolge eine Abweichung von etwa 3 % zugunsten des Klägers ergeben. Diese
Abweichung von 3 % stellt nach obigen Ausführungen regelmäßig keine unbillige Härte iSv § 130 Abs 3 Nr 2 SGB III
dar. Eine andere Sichtweise würde zudem dem vom Gesetzgeber bewusst vorgesehenen Regel-Ausnahmeverhältnis
nicht Rechnung tragen. Zudem sind keine Anhaltspunkte dafür er-kennbar, dass vorliegend besondere
Härtegesichtspunkte im Sinne der genannten Fall-gruppen vorliegen könnten, so dass sich auch bei einer geringeren
Differenz als 10 % ggf eine unbillige Härte iSd SGB III begründen ließe. Allein die Tatsache, dass der Kläger nach
Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehrere Monate arbeitsunfähig erkrankt war und Krankengeld bezogen hat, führt
dagegen nicht zur Annahme einer unbilligen Härte. Gleiches gilt für die Argumentation des Klägers, dass die
Heranziehung der Monate De-zember 2005 bis August 2006 zur Feststellung des Bemessungsentgelts zu den
denkbar ungünstigsten Ergebnissen geführt habe.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kann auch nicht die im November 2005 vom Arbeitgeber erbrachte
Sonderzahlung anteilig auf die Folgemonate angerechnet werden. Für eine solche Verfahrensweise mangelt es bereits
an einer Rechtsgrundlage. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch die im Juni 2006 geleistete
Sonderzahlung nicht von der Beklagten auf die Folgemonate verteilt worden ist. Dies hätte ggf zur Folge ge-habt,
dass die Sonderzahlung aus dem Juni 2006 nur anteilig bei der Berechnung des Bemessungsentgelts zu
berücksichtigen gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.