Urteil des SozG Stade vom 02.06.2009

SozG Stade: gebühr, widerspruchsverfahren, verwaltungsverfahren, vergleich, existenzminimum, niedersachsen, vorverfahren, erlass, bayern

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 02.06.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 34 SF 81/08
Auf die Erinnerung der Kläger wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 1. Juli 2008
geändert. Die von der Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 312,08 EUR festgesetzt. Im Übri-
gen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
Die gemäß § 197 Abs 2 SGG zulässige Erinnerung ist nur zum Teil begründet. Der Kos-tenfestsetzungsbeschluss
vom 01. Juli 2008 ist nur insoweit zu beanstanden, als dass die Urkundsbeamtin eine Verfahrensgebühr von 240,00
EUR anstelle von 242,25 EUR festgesetzt hat.
Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für das erstinstanzliche Eilverfah-ren die Verfahrensgebühr
nach Nr 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 3 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anstelle der
beantragten Verfahrensgebühr nach Nr 3102 VV in Ansatz gebracht.
Durch den geringeren Gebührenrahmen nach Nr 3103 VV RVG gegenüber Nr 3102 VV RVG wird dem Umstand
Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätig-keit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit
der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Gerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig
ist als für einen Rechtsanwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird. Dies ergibt sich insbesondere aus der
Begründung des Gesetzentwurfes zu Nr 3103 (BT-Drucks 15/1971, Seite 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr
3103 VV RVG ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsan-walts
in sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im
Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ein anderer Maßstab als im Hauptsacheverfahren. So genügt zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b
Abs 2 S 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes
glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwalts zur Begrün-dung des Anordnungsanspruchs ist aber inhaltlich
regelmäßig deckungsgleich mit der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das
Vorliegen des materiell-rechtlichen Anspruchs vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaubhaftma-chung des
Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Ver-hältnis zum Widerspruchsverfahren ein
weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Aus den genannten Gründen ist es gerechtfertigt, sowohl im Klagverfahren
als auch im einst-weiligen Rechtsschutzverfahren von einem einheitlich reduzierten Gebührenrahmen aus-zugehen
(ebenso ua SG Hannover, Beschluss vom 1. Dezember 2008 - S 34 SF 177/08; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 25. August 2006, L 8 B 31/05 SO; LSG Bayern, Beschluss vom 18. Januar 2007 - L 15 B 224/06 AS
KO; SG Aurich, Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS).
Das Gericht vermag sich dagegen der Auffassung, dass sich der Gebührentatbestand der Nr 3103 VV RVG nur auf
solche Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren beziehe, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind, nicht aber
auf das Verfahren des vor-läufigen Rechtsschutzes anwendbar sei, nicht anzuschließen (so aber SG Oldenburg,
Beschluss vom 15. August 2005, S 47 AS 169/05 ER). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige
Anordnung nach § 86b Abs 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid
voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Letztlich "profitiert" der Rechtsanwalt
regel-mäßig sowohl im Klageverfahren als auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von seiner Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren (vgl SG Aurich, Beschluss vom 09. Mai 2006, S 25 SF 20/05 AS), so dass die Zugrundelegung
der verringerten Gebühr für beide Verfahrensarten gerechtfertigt ist.
Der Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug beträgt vorlie-gend nach Nr 3103 VV RVG
unter Berücksichtigung der Erhöhung für jede weitere Per-son um 30 % (Nr 1008 VV RVG) 38,- EUR bis 608,- EUR.
Die Mittelgebühr hieraus be-trägt 323,- EUR, nicht wie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle festgesetzt
320,00 EUR. Nicht zu beanstanden ist vorliegend die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe einer 3/4-
Mittelgebühr.
Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs 1 S 1 RVG die Ge-bühren im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisses des Auftragsgebers, nach
billigem Ermes-sen. Ist die Gebühr -wie im vorliegenden Fall- von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem
Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Eine solche Feststellung und ggf
anderweitige Festsetzung obliegt dann dem Gebühren-schuldner.
Unter den zu berücksichtigen Umständen nennt § 14 Abs 1 RVG an erster Stelle den Umfang der anwaltlichen
Tätigkeit sowie deren Schwierigkeit. Der Umfang der anwaltli-chen Tätigkeit ist im vorliegenden Fall als
unterdurchschnittlich zu bewerten. Er be-schränkte sich auf die etwa eineinhalb Seiten begründete Antragsschrift. Die
Schwierig-keit der anwaltlichen Tätigkeit ist vorliegend allenfalls als durchschnittlich anzusehen. Die Bedeutung der
Angelegenheit ist im Vergleich zu anderen Verfahren aus dem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit, in denen zum Teil
um Geldleistungen in erheblicher Höhe ge-stritten wird, als unterdurchschnittlich einzustufen, auch wenn es sich bei
den im Streit stehenden Leistungen um solche nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und damit letztlich
um Leistungen handelte, die das Existenzminimum der Erinnerungsführer betreffen. Jedoch war durch die bereits
erfolgte Leistungsbewilligung zum Zeitpunkt der Antragstellung die Gewährung des Existenzminimums für die
Erinnerungsführer ganz überwiegend gesichert. Mit den auch auf Grund des Eilverfahrens ergangenen Ände-
rungsbescheiden wurden den Erinnerungsführern lediglich geringfügig höhere Leistungen nach dem SGB II bewilligt.
Unter Berücksichtigung dieser Änderungsbescheide wurde das Eilverfahren für erledigt erklärt.
Die gebotene Gesamtabwägung der nach § 14 RVG maßgeblichen Kriterien rechtfertigt im vorliegenden Einzelfall
nicht den Ansatz der Mittelgebühr für das erstinstanzliche Eil-verfahren. Die im angegriffenen
Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzte Verfahrens-gebühr in Höhe einer 3/4-Mittelgebühr ist dem Grunde nach
angemessen.
Unter Berücksichtigung der auf 323,00 EUR korrigierten vollen Mittelgebühr ist damit eine Verfahrensgebühr von
242,25 EUR festzusetzen. Die von der Prozessbevollmächtigten der Kläger getroffene Bestimmung (475,00 EUR)
erweist sich als unbillig im Sinne von § 14 Abs 1 RVG. Unter Einbeziehung der Auslagenpauschale in Höhe von 20,00
EUR und der Umsatzsteuer in Höhe von 49,83 EUR ergibt sich ein Erstattungsbetrag von 312,08 EUR.
Die Begründung der Erinnerung führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere ist schon in keiner Weise belegt,
dass nach "ständiger Rechtsprechung" der Sozialgerichte Hamburg und Lüneburg in Eilverfahren grundsätzlich die
Mittelgebühr zu Grunde gelegt wird. Im Übrigen ist das Gericht weder an die Rechtsprechung des SG Hamburg noch
an die Rechtsprechung des SG Lüneburg in irgendeiner Weise gebunden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs 2 SGG.