Urteil des SozG Stade vom 23.05.2008

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Sozialgericht Stade
Urteil vom 23.05.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 4 R 251/05
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Klägerin im Zeitraum 15. Oktober 1990 bis 31. August 2004
versicherungspflichtig in der Rentenversicherung war.
Die Klägerin, geboren 1939, war seit Juli 1985 in D. selbständig tätig und zahlte in dieser Zeit keine Beiträge zur
Rentenversicherung. Am 15. Oktober 1990 begann sie gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine selbständige
Tätigkeit in Gestalt des Handels mit Bürotechnik in der Stadt E. in F ...
Am 20. Oktober 2003 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung einer Regelaltersrente. Mit
Rentenbescheid vom 15. September 2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin daraufhin eine Rente iHv 727,49 EUR
monatlich ab 1. September 2004. Im zugehörigen Versicherungsverlauf wurde der Zeitraum vom 1. August 1990 bis
zum 31. August 1994 als Zurechnungszeit aufgeführt. Nach 1994 sind keine Zeiten gespeichert.
Mit Bescheid vom 27. September 2004 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin für ihre selbständige
Tätigkeit seit 15. Oktober 1990 fest. Als Anlage fügte sie eine Beitragsberechnung für den Zeitraum ab 1. Dezember
1998 bis zum 31. August 2004 bei, wonach die Klägerin Beiträge iHv 25.929,46 EUR noch zu zahlen habe. Den
Widerspruch der Klägerin gegen die Feststellung der Versicherungspflicht seit 15. Oktober 1990 wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 16. November 2005 als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005
machte die Beklagte den Erstattungsbetrag iHv 25.929,46 EUR geltend. Am 21. Dezember 2005 hat die Klägerin
Klage erhoben.
Sie trägt vor, sie habe sich ab Aufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit in München am 1. Juli 1985 beitragsfrei stellen
lassen und sei davon ausgegangen, dass diese Beitragsfreistellung auf bei Aufnahme der Tätigkeit im Beitrittsgebiet
am 15. Oktober 1990 fortgegolten habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 27. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf ihr Vorbringen in den streitigen Bescheiden.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte
sowie die vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 13.
Februar 2008 waren, Bezug genommen.
Das Gericht hat die Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13. Februar 2008 zur beabsichtigten
Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört und ihnen Gelegenheit zur
Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs 1 SGG entscheiden, weil
der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art mehr aufwies.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die angegriffene Entscheidung erweist sich als rechtmäßig und beschwert die Klägerin daher nicht, § 54 Abs 2 SGG.
Entgegen ihrer Auffassung war die Klägerin im Zeitraum vom 15. Oktober 1990 bis zum 31. August 2004 als
selbständige Kauffrau versicherungspflichtig in der Rentenversicherung.
Die Rentenversicherungspflicht für die am 15. Oktober 1990 in E. aufgenommene Tätigkeit ergibt sich aus § 10 des
Gesetzes über die Sozialversicherung (im Weiteren: SVG-DDR) vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38, 486), in dessen
Geltungsbereich der Ort der Tätigkeit lag. Ein Befreiungsantrag gemäß § 20 Abs 1 SVG-DDR oder auf Grundlage des
§ 229a Abs 1 SGB VI wurde nicht fristgerecht gestellt.
Das Gericht verweist hinsichtlich der weiteren Einzelheiten mit Blick auf die einschlägigen Rechtsgrundlagen auf die
zutreffenden Ausführungen der Beklagten im angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 16. November 2005, die es
sich zu eigen macht. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird daher insoweit abgesehen, § 136
Abs 3 SGG.
Ergänzend ist festzustellen, dass sich die Klägerin auch nicht darauf berufen kann, dass sie für die identische
Tätigkeit auf dem Gebiet der alten Bundesländer seit Jahren nicht versicherungspflichtig war. Denn im Beitrittsgebiet
galt zum damaligen Zeitpunkt übergangsweise noch das Rentenrecht der DDR zu weiten Teilen fort (vgl Art 30 Abs 5
Einigungsvertrag in Verbindung mit dortiger Anlage II Kap VIII F III Anlage 2 Kap VIII Sachgebiet F –
Sozialversicherung (allg Vorschriften) Abschnitt III Nr 2 b; vgl Klattenhoff in: Hauck/Haines, SGB VI, § 229a Rn 2).
Die Frage der Versicherungspflicht für Selbständige im Beitrittsgebiet bestimmte sich zum Zeitpunkt der Aufnahme
der Tätigkeit der Klägerin im Beitrittsgebiet ausschließlich nach dem im betreffenden Gebiet geltenden Recht, ohne
dass das damalige westdeutsche Rentenrecht hinsichtlich der Regelungen zur Versicherungspflicht und
Versicherungsfreiheit eine Ausstrahlungs- oder Vorrangwirkung besaß.
Die Tatsache, dass die Klägerin nach eigenen Angaben irrtümlich davon ausging, dass sie weiterhin nicht
versicherungspflichtig wäre, und dass sie nach ihrer Darstellung im Gegensatz zu ihrem Geschäftspartner seinerzeit
nicht von der Beklagten im Zusammenhang mit der Regelung in § 229a Abs 1 SGB VI auf die dort normierte zeitlich
begrenzte Befreiungsmöglichkeit hingewiesen wurde, ist für die bestehende Rechtslage objektiv unbeachtlich.
Auch aus Art 35 Abs 3 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) ergibt sich keine andere Beurteilung. Gemäß Art 35 Abs 3
RÜG tritt § 10 SVG-DDR außer Kraft, soweit er bestimmt, dass auch andere als die in § 2 oder § 229a Abs 2 SGB VI
genannten Tätigen durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in der Rentenversicherung versicherungspflichtig
werden. Die Klägerin gehört zu dem Personenkreis, der nicht nach § 2 oder § 229a Abs 2 SGB VI
versicherungspflichtig ist, so dass sie tatbestandlich der Regelung unterfiele und demnach nicht nach § 10 SVG-DDR
versicherungspflichtig würde. Allerdings trat Art 35 RÜG gemäß Art 42 Abs 8 RÜG erst mit Wirkung ab 1. August
1992 in Kraft und entfaltet Wirkung nur in die Zukunft. Die Klägerin hat ihre Tätigkeit jedoch bereits im Oktober 1990
aufgenommen, so dass von einer Geltung des § 10 SVG-DDR in dem Umfang, wie in den Anlagen zum
Einigungsvertrag geregelt, auszugehen ist.
Die Beitragsnachforderung ist auch der Höhe nach zutreffend. Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Rechenergebnis
bestehen nicht. Die Beklagte hat insbesondere auch die Verjährungsregelungen in § 25 SGB IV beachtet und ihre
Forderung auf die fälligen Beiträge ab 1. Dezember 1998 beschränkt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.