Urteil des SozG Stade vom 03.08.2009

SozG Stade: vergleich, gebühr, rücknahme, vertretung, anmerkung, form, auflage, niedersachsen, gleichbehandlung, ermessen

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 03.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 34 SF 98/08
Die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 30. Juli 2008 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
Streitig ist die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren. Der Kläger macht die Festsetzung einer
Terminsgebühr (Nr 3106 VV RVG) sowie einer höheren Erledigungs-gebühr (Nr 1006 VV RVG) geltend.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat zu Recht die Festsetzung einer Terminsge-bühr abgelehnt. Dass
vorliegend eine Terminsgebühr nicht entstanden ist, resultiert aus den folgenden Erwägungen:
Der Anspruch auf eine Terminsgebühr ergibt sich aus Nr 3106 VV RVG. Danach beträgt die Terminsgebühr 20,00
EUR bis 380,00 EUR. Gemäß Vorbemerkung 3 Abs 3 zu Teil 3 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr für die
Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörte-rungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von
einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Ver-meidung oder
Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei dies allerdings für
Besprechungen (nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Solche Tätigkeiten, dh die Vertretung in einem gerichtlichen
Termin oder die Teil-nahme an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen, hat der Erinne-
rungsführer bereits nach seinem Vorbringen nicht entfaltet. Die Voraussetzungen der Anmerkungen 1 bis 3 der Nr
3106 VV-RVG liegen nicht vor, unter denen "auch" eine Terminsgebühr entsteht. Dies gilt insbesondere auch
hinsichtlich der Anmerkung 3, die sich auf ein Verfahrensende nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche
Ver-handlung bezieht. Ein Anerkenntnis im Sinn der genannten Vorschrift liegt nicht vor. Denn das Klageverfahren ist
am 2. August 2007 durch die Annahme eines Teilanerkenntnisses beendet worden. Dieses ist prozessual indessen
wie ein Vergleich zu werten (Landesso-zialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. November 2006 - L 10
B 8/06 R SF; Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 8. März 2006 - L 1 B 88/06 R SF SK).
Eine schriftliche Einigung kann eine Terminsgebühr regelmäßig nicht auslösen. Insbe-sondere findet die 3. Alt von Nr
3104 VV RVG Anm Abs 1 Nr 1 im Rahmen von Nr 3106 VV RVG keine - auch nicht analoge - Anwendung (ebenso
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2006 - L 10 B 13/05 SB - AGS 2006, 441; Thüringer LSG, Be-
schluss vom 26. November 2008 - L 6 B 130/08 SF; SG Berlin, Beschluss vom 27. Okto-ber 2005 - S 15 KN 23/03 -
AGS 2006, 131). Dabei ist auch berücksichtigt, dass das So-zialgerichtsgesetz (SGG) nach seinem ausdrücklichen
Wortlaut nur drei Arten unstreitiger Verfahrenserledigungen kennt: den gerichtlichen Vergleich, § 101 Abs 1 SGG, das
ange-nommene Anerkenntnis, § 101 Abs 2 SGG, und die Rücknahme, § 102 Satz 2 SGG. Nach diesen Vorschriften
ist ein außergerichtlicher Vergleich nicht geeignet den Rechts-streit zu erledigen. Typischerweise bringen die
Beteiligten des Rechtsstreites in einem (nicht nur Teil-)Vergleich aber übereinstimmend zum Ausdruck, dass der
Rechtsstreit mit der außergerichtlichen Einigung in vollem Umfang zum Abschluss gebracht werden soll. Ein
derartiger außergerichtlicher Vergleich kann in prozessualer Hinsicht als angenom-menes Teilanerkenntnis und
Rücknahme der weitergehenden Klage gewertet werden.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht erkennbar (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Dezember 2006 - 1
BvR 2091/06 - RVGreport 2007, 107). Eine andere Ausle-gung der Nr 3106 VV RVG ist insbesondere nicht zur
Vermeidung einer etwaigen Un-gleichbehandlung von Erledigungen durch Vergleich einerseits und aufgrund Anerkennt-
nisses andererseits erforderlich. Denn es ist nicht so, dass der Anwalt in den von § 3 RVG erfassten Verfahren bei
außerterminlicher Erledigung aufgrund Anerkenntnisses drei, bei außerterminlicher Erledigung durch Vergleich aber nur
zwei Gebühren erhielte. Neben der in beiden Fällen entstehenden Verfahrensgebühr (Nr 3100 iVm Nr 3102 oder 3103
VV RVG) steht dem Anwalt bei vergleichsweiser Verfahrensbeendigung die Eini-gungsgebühr (Nr 1000 iVm Nrn 1005,
1006 VV RVG) zu. Diese Gebühr ist jedoch wegen Anmerkung 1 Satz 1, 2. Halbsatz zu Nr 1000 VV RVG bei einer
Erledigung des Rechts-streites aufgrund eines Anerkenntnisses ausgeschlossen (Landessozialgericht Nieder-
sachsen-Bremen, Beschluss vom 27. November 2006 - L 10 B 8/06 R SF).
Zutreffend hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Erledigungsgebühr nach Nr 1006 VV RVG in Höhe von
190,00 EUR festgesetzt.
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der an-waltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Das
Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist,
so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie
unbillig ist.
Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen
Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen
Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit
ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Be-rechnungspraxis
gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG
fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines
Bemessungsmerkmals das überwie-gende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-
Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).
Geltend gemacht wird vom Kläger die Festsetzung einer Erledigungsgebühr in Höhe von 250,00 EUR, dh in Höhe
einer um über 30 % erhöhten Mittelgebühr. Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Erledigungsgebühr vorliegend
eine deutliche Erhöhung der Mittel-gebühr gerechtfertigt ist, während bei der Verfahrensgebühr eine Mittelgebühr als
ange-messen angesehen wird, sind nicht ersichtlich. Auch der Rechtsanwalt hat die Geltend-machung der erhöhten
Erledigungsgebühr weder im Rahmen der Kostenaufstellung noch im Erinnerungsverfahren begründet. Insbesondere
hat er nicht dargelegt, aus welchen Gründen er selbst als Verfahrensgebühr die Mittelgebühr für angemessen hält,
dagegen als Erledigungsgebühr eine um über 30 % erhöhte Mittelgebühr. Nach Rechtsauffassung des Gerichts
handelt es sich zudem bei dem vorliegenden Verfahren um ein in jeder Hin-sicht durchschnittliches Verfahren.
Insbesondere ist auch nicht erkennbar, dass der Um-fang der anwaltlichen Tätigkeit als überdurchschnittlich
angesehen werden müsste. So hat zum Beispiel der Beklagte nach Vorlage des Sachverständigengutachtens
unverzüg-lich ein Teilanerkenntnis abgegeben, das der Kläger angenommen hat. Eine fundierte umfangreiche
Auseinandersetzung des Klägers mit dem Gutachten war daher - zumin-dest in schriftsätzlicher Form - nicht mehr
notwendig. Da die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts insoweit um mehr als 20 % von der vom Gericht für
angemessen gehalte-nen Gebühr abweicht, ist von einer unbilligen und damit nicht verbindlichen Gebührenbe-
stimmung auszugehen (Gerold/Schmidt-Mayer, aaO Rn 12).
Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen der Urkundsbeamtin der Ge-schäftsstelle im
angefochtenen Beschluss, insbesondere im Hinblick auf die Darstellung der Berechnung des Erstattungsbetrags.
Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs 2 SGG.