Urteil des SozG Stade vom 22.01.2008

SozG Stade: behinderung, schwerhörigkeit, verwaltung, datum, gesellschaft, bindungswirkung, orthopädie, niedersachsen, gesundheit, vergleich

Sozialgericht Stade
Urteil vom 22.01.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 3 SB 49/04
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 12 SB 9/08
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des bei dem Kläger vorliegenden Grades der Be-hinderung (GdB) im Zeitraum
vom 17. März 2003 bis 28. Februar 2006 streitig.
Mit beim Versorgungsamt Verden am 17. März 2003 eingegangenem Antrag vom 14. März 2003 stellte der am 24.
Februar 1944 geborene Kläger erstmalig den Antrag auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Als
Gesundheitsstörungen macht der Kläger geltend: "Bandscheibenvorfall, Wirbelsäulenkanalverengung, Arthrose,
Schwerhö-rigkeit, Augenprobleme".
Das Versorgungsamt Verden holte im Rahmen einer Ermittlungen einen Befundbericht des Hals-Nasen-Ohrenarztes
Dr. G. (ohne Datum, bei der Versorgungsverwaltung einge-gangen am 10. April 2003), der Augenärztin Dr. H. (ohne
Datum, bei der Versorgungs-verwaltung eingegangen am 5. Mai 2003) sowie einen Befundbericht des Arztes für Or-
thopädie Dr. I. vom 10. Juni 2003 ein. Dem Befundbericht von Dr. I. waren ferner Arzt-briefe an Dr. J. vom 8. Oktober
1998 sowie vom 10. März 1999 sowie ein Arztbrief der neurologischen Gemeinschaftspraxis Dr. K. /Dr. L. vom 18.
März 2003 beigefügt. Nach Auswertung der Unterlagen gelangte der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes Verden in
seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2003 zu der Einschätzung, dass für die Funktions-beeinträchtigung "Verschleiß
der Wirbelsäule mit Schmerzzuständen und Nervenwurzel-reizerscheinungen" ein Einzel-GdB von 20 und für die
Funktionsbeeinträchtigung "Schwerhörigkeit" ebenfalls ein Einzel-GdB von 20 und ein Gesamt-GdB von 30 gerecht-
fertigt sei. Gestützt auf diese Stellungnahme setzte das Versorgungsamt Verden mit Feststellungsbescheid vom 14.
Juli 2003 den GdB des Klägers ab 17. März 2003 auf 30 fest. In dem hiergegen erhobenen Widerspruch vom 14.
August 2003 machte der Kläger geltend, dass sein GdB mindestens 50 betragen müsse. Das Versorgungsamt Verden
holte daraufhin einen weiteren Befundbericht der Augenärztin Dr. H. (ohne Datum, bei dem Versorgungsamt Verden
eingegangen am 7. Oktober 2003), einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 10. Oktober
2003 und einen Befundbe-richt der Fachärztin für Neurologie Dr. K. vom 20. November 2003 ein. Den Befundbe-
richten waren ein Durchgangsarztbericht vom 7. Februar 2000, ein Arztbericht der kardio-logischen
Gemeinschaftspraxis Dres. Rühe/Sievert/Jansen vom 9. April 2001, ein Arztbe-richt von Dr. G. vom 4. März 2003,
Arztberichte von Dr. I. vom 10. Juli 2003 sowie 28. Juli 2003 und ein Arztbericht der Fachärztin für Neurologie Dr. K.
vom 11. November 2003 beigefügt. Nach Auswertung der Unterlagen stellte der ärztliche Dienst des Beklagten in
seiner Stellungnahme vom 22. Januar 2004 fest, dass die vorhandenen Funktionsein-schränkungen bereits zutreffend
bewertet worden seien, wobei die Hörminderung im obe-ren Ermessensspielraum bewertet sei und die geltend
gemachten Gelenkbeschwerden sowie die Sehminderung keinen GdB von wenigstens 10 bedingten. Daraufhin wies
der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2004 als unbegründet zurück.
Am 15. März 2004 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt.
Zur Begründung trägt er ergänzend vor, dass das Wirbelsäu-lenleiden zu niedrig bewertet sei. Darüber hinaus leide er
an einer schweren Schulterge-lenksarthrose, einer schweren Kniegelenksarthrose beidseits sowie an einer Arthrose
der linken Hand. Diese Erkrankung sei bisher noch nicht bewertet. Der Kläger trägt weiter vor, dass er bis 2002 in
seiner beruflichen Tätigkeit sehr schwer belastet gewesen sei, so dass die entsprechenden Krankheitsbefunde schon
bei Antragstellung bestanden hätten.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte am 6. Juni 2006 ein Teilanerkenntnis abgegeben und den GdB ab
März 2006 insgesamt mit 50 festgestellt. Dieses Teilaner-kenntnis hat der Kläger mit Schreiben vom 27. Juni 2006
zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreits angenommen. Er ist weiterhin der Ansicht, dass die bei ihm vorliegenden
Gesundheitsstörungen einen Gesamt-GdB von 50 bereits ab März 2003 rechtfertigen würden.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Versorgungsamtes Verden vom 14. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des
Beklagten vom 16. Februar 2004 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 6. Juni 2006 abzuändern und
2. den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von mindestens 50 bereits für den
Zeitraum vom 17. März 2003 bis 28. Febru-ar 2006 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht, abzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für rechtmäßig und verteidigt die angefochtenen Bescheide. Die über das
Teilanerkenntnis hinausgehende Klage sei unbegründet. Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen Beweis
erhoben durch Einholung aktuel-ler Befundberichte des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J., des Hals-Nasen-
Ohrenarztes Dr. G. sowie des Facharztes für Orthopädie Dr. I ... Ferner wurde von Amts wegen ein orthopädisches
Gutachten des Facharztes für Orthopädie/Chirotherapie Dr. M. eingeholt. In dem vom 31. März 2006 datierten und
anlässlich einer Untersuchung des Kläger am 28. März 2006 erstellten Gutachten sowie ergänzenden Stellungnahmen
vom 4. August 2006 und 13. November 2006 ist der Sachverständige Dr. M. zu dem Ergebnis gelangt, dass der
Gesamt-GdB ab März 2006 mit 50 einzuschätzen sei. Auf Antrag und gegen Kostenvorschuss des Klägers hat das
Gericht anschließend ein Sachverständi-gengutachten des Arztes für Sozialmedizin Dr. N. erstatten lassen. In dem
vom 4. Juni 2007 datierten und anlässlich einer ambulanten Untersuchung am 2. Juni 2007 erstellten Gutachten hat
der Sachverständige Dr. N., wenn man die tatsächlichen Verhältnisse zu Grunde lege, den Gesamt-GdB mit 40 ab
Antragstellung bewertet. Ginge man von einer Bindungswirkung des Behinderungsteilwertes von 20 für die
Schwerhörigkeit des Klägers aus, liege der Gesamt-GdB von 50 ab Antragstellung im Bereich des Denkbaren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Ge-richtsakte, der vom Beklagten
vorgelegten Schwerbehindertenakte (Az: 3610016-9253) und der beigezogenen Rentenakte (Versicherungsnummer: 28
240244 F 008) der Deut-schen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (früher: Landesversicherungsanstalt
Hannover) verwiesen, der zum Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gemacht worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist
jedoch, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten vom 6. Juni 2006, dass den Rechtsstreit
insoweit gemäß § 101 Abs 2 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) erledigt hat, hinausgeht, nicht begründet. Die bei dem
Kläger vor-liegenden Funktionsbeeinträchtigungen sind für die Zeit vom 17. März 2003 bis 28. Feb-ruar 2006 mit
einem Gesamt-GdB von 30 zutreffend bewertet. Nach dem Ergebnis der Beweisausnahme hat der Kläger keinen
Anspruch auf die begehrte Feststellung eines GdB von 50 bereits ab 17. März 2003.
1. Gemäß § 69 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wird auf Antrag eines behinderten Menschen das
Vorliegen einer Behinderung und der Grad der Behinderung festgestellt. Gemäß § 2 Abs 1 SGB IX sind Menschen
behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
län-ger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei mehreren Funkti-onsbeeinträchtigungen ist nach § 69 Abs 3 SGB IX
der Gesamt-GdB nach den Auswir-kungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer
wech-selseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei ist der GdB unter Heranziehung der vom Bundesministerium für
Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhalts-punkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004" (AHP 2004) festzustellen. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 19 mwN) gelten die AHP als
antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität und sind von der Verwaltung und den Gerichten im
Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen anzuwenden.
a) Die beim Kläger bestehende Funktionsbeeinträchtigung "Verschleiß der Wirbelsäule mit Schmerzzuständen und
wiederkehrenden Nervenwurzelreizerscheinungen" im Funk-tionssystem "Haltungs- und Bewegungsorgane,
rheumatische Krankheiten" hat der Be-klagte mit einem GdB von 20 bewertet. Die Sachverständigen haben diese
Funktionsbe-einträchtigung übereinstimmend mit einem GdB von 30 ab dem Zeitpunkt der Untersu-chung (Dr. M.) bzw
ab Antragstellung (Dr. N.) eingeschätzt. Zugunsten des Klägers ist vorliegend der GdB für das Wirbelsäulenleiden mit
einem GdB von 30 ab Antragstellung einzustufen. Diese Bewertung ist ausgehend von den vorliegenden Befunden
angemes-sen und entspricht Kapitel 26.18 Seite 115, 116 der AHP 2004.
Bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolistehsis,
Spinalkanalstenose und sog Postdiskotomiesyndrom) ergibt sich der GdB primär aus dem Ausmaß der
Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulen-verformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen
Wirbelsäulenabschnit-te. Die bei dem Kläger auftretenden Schmerzzustände und Bewegungsbeeinträchtigun-gen im
Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, sind nach den insoweit übereinstim-menden und überzeugenden
Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. und Dr. N. als mittelgradige funktionelle Auswirkungen eines
Wirbelsäulenschadens (Verformung, häu-fig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität
mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) in zwei Wir-belsäulenabschnitten
anzusehen, die nach den AHP 2004 mit einem GdB von 30 hinrei-chend berücksichtigt sind.
b) Die ab März 2006 festgestellte zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung "Polyarthrose im Bereich der Hand- und
Fingergelenke" lässt sich hingegen für den hier streitigen Zeit-raum vor März 2006 nicht belegen. Die Hände zeigen
nach den Aussagen beider Sach-verständiger, insbesondere durch die detaillierte vom Gutachter Dr. N. aufgestellte
Syn-opse eine klare Entwicklung einer Verschlimmerung. Für den hier streitigen Zeitraum von März 2003 bis Februar
2006 kann für die Polyarthrose kein GdB vergeben werden.
Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Vielmehr kann nur darauf verwiesen werden, dass
der Sachverständige Dr. M. und auch der von dem Klä-ger gemäß § 109 SGG benannte Sachverständige Dr. N. in
ihren Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen mehrfach ausdrücklich eine deutliche Verschlechterung der
Gesamtsituation im Vergleich von 1999 bis zum Untersuchungszeitpunkt im März 2006 dokumentieren: bis 2003
waren die Hände frei beweglich, im Juli 2003 zeigte sich eine leichte Streckhemmung der Finger, zum Zeitpunkt der
Begutachtung durch Dr. M. (März 2006) eine leichte Einschränkung und zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. N.
(Juni 2007) weiter eine Verschlechterung der Beweglichkeit gegenüber 2006. Der Sachverständige Dr. N. vermerkt
damit sogar ausdrücklich eine deutliche Verschlechte-rung im Vergleich zum früheren orthopädischen Gutachten vom
31. März 2006 von Dr. M ... Selbst bei wohlwollender Betrachtung für den Zeitraum zwischen März 2003 und Feb-ruar
2006 lässt sich der - von dem Kläger zu erbringende - Nachweis einer GdB relevan-ten Funktionsbeeinträchtigung der
Hände nicht führen, und selbst wenn - wie der Kläger vorträgt - eine schleichende Verschlechterung nicht eingetreten
sein sollte, lässt sich dies jedenfalls nicht belegen, so dass die Feststellung eines GdB von 30 für die Funktionsbe-
einträchtigung "Polyarthrose im Bereich der Hand- und Fingergelenke" für einen früheren Zeitpunkt als März 2006 und
damit für den hier streitigen Zeitraum nicht in Betracht kommt.
c) Die ebenfalls im Funktionssystem "Haltungs- und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten" durch den
Sachverständigen Dr. N. festgestellte Funktionsbeeinträchtigung "Degenerative Veränderungen der Hüft- und
Kniegelenke" mit geringgradiger Bewe-gungseinschränkung ist nach den AHP 2004 (Kapitel 26.18) mit einem Einzel-
GdB von 10 zutreffend und ausreichend bewertet. Denn ein GdB von 20 käme nach den AHP nur bei Ausschöpfung
des Interpretationsrahmens, also bei einer Bewegungseinschränkung geringen Grades im Übergang zu einer
Bewegungseinschränkung mittleren Grades in Betracht. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nach den objektiven
Befunden jedoch nicht. Vielmehr weist der Sachverständige Dr. N. selbst darauf hin, dass sich nach den
Feststellungen ein (zwingender) Grund für einen Teilwert von 20 nicht nennen lässt. Die Neutralstellung wird beidseits
erreicht, nur die Überstreckung nicht. Die Beugung ist le-diglich endgradig eingeschränkt und entzündliche
Reizerscheinungen oder Lockerungen des Kniebandapparates sind nicht zu eruieren. Auch die Bewegungsmaße an
den Hüft-gelenken halten sich im normalen Rahmen.
d) Die Funktionsbeeinträchtigung "Schwerhörigkeit" hat der Beklagte mit einem GdB von 20 eingestuft. Hierfür kann
jedoch ein GdB von nicht höher als 10 vergeben werden. Die beim Kläger bestehende Hochtonschwerhörigkeit ist mit
25 bzw 30 Prozent Hörverlust beidseits als geringgradige Schwerhörigkeit einzustufen, für die nach den AHP (Kapitel
26.5, Tabelle D Seite 59) ein GdB von 15 anzusetzen ist. Dieser ist, wie der Sachver-ständige Dr. N. zutreffend
ausführt, in diesem Fall - weil der GdB-Wert nur in vollen Zeh-nergraden anzugeben ist - auf 10 ab- und nicht auf 20
aufzurunden.
Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht, dass der ärztliche Dienst des Beklagten in seinen Stellungnahmen eine bei
dem Kläger bestehende Schwerhörigkeit mit einem Ein-zel-GdB von 20 bewertete und der Beklagte im
Feststellungsbescheid vom 14. Juli 2003 die Schwerhörigkeit als zusätzliche Funktionsbeeinträchtigung feststellte
und dies mit dem Teilanerkenntnis vom 6. Juni 2006 bestätigte. Auch wenn der Beklagte im genann-ten Bescheid und
in den Stellungnahmen einen GdB von 20 für die Schwerhörigkeit an-setzt, ergibt sich hieraus kein Anspruch auf
Feststellung eines höheren GdB. Denn die Teil-GdB entfalten keine Bindungswirkung. Regelungsgehalt eines
Feststellungsbeschei-des ist nur die Feststellung des Gesamt-GdB, denn ein GdB wird immer nur für den Ge-
samtzustand der Behinderung festgestellt, nicht für einzelne Funktionsbeeinträchtigun-gen. Soweit die
Versorgungsverwaltung deshalb nach den AHP einzelne Grade der Be-hinderung anzugeben hat, handelt es sich
lediglich um Bewertungsfaktoren für die Ein-schätzung des (Gesamt-) GdB (vgl BSG, Urteil vom 10. September 1997
- 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 ff). Die zur Vorbereitung und Begründung dieser Feststellung ermittelten
Krankheitsbilder und Funktionsbeeinträchtigungen sind nur unselbstständige Begrün-dungselemente solcher
Feststellungsbescheide (BSG, Urteil vom 25. März 1999, B 9 SB 12/97 R). Hieraus folgt, dass diese Teile der
feststellenden Bescheide der Versorgungs-verwaltung im Schwerbehindertenrecht nicht an der Bestandskraft der
Bescheide teilha-ben und dass soweit keine Bindungswirkung eintritt (vgl auch BSG, Urteil vom 24. Ju-ni 1998, B 9
SB 17/97 R - SozR 3-3870, § 4 Nr. 24; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 7. Februar 2001, L 9 SB 159/99).
2. Die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen sind gemäß § 69 Abs 3 SGB IX im Rahmen der
Bildung des Gesamt-GdB nach den Auswirkungen der Funkti-onsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter
Berücksichtigung ihrer wechselsei-tigen Beziehungen zueinander festzustellen. Dabei ist der Gesamt-GdB weder nach
ma-thematischen Formeln zu berechnen noch dürfen die Einzel-GdB-Werte addiert werden. Der Gesamt-GdB ist
vielmehr unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der ver-schiedenen Behinderungen und ihrer gemeinsamen
Auswirkungen auf die Erwerbsfähig-keit und Integrität des Körpers und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
wertend zu ermitteln. Ausgehend von der Behinderung, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, ist im Hinblick auf alle
weiteren Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit sich hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft erhöht. Dabei führen leichte Gesundheitsstörungen mit einem GdB um 10 nicht zu einer
wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigungen, die bei der Bildung des Ge-samt-GdB
berücksichtigt werden könnten, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander
bestehen. Auch bei Funktionsbeeinträchti-gungen mit einem Einzel-GdB um 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf
eine wesentli-che Zunahme des Ausmaßes der Behinderungen zu schließen (Kapitel 19 Seite 24 ff AHP 2004; BSG
SozR 3-3870 § 4 Nr 9).
Vor diesem Hintergrund ist bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung der vom Beklag-ten festgestellte GdB von 30
für den streitigen Zeitraum von März 2003 bis Februar 2006 rechtlich nicht zu beanstanden. Der GdB von 30 für die
Wirbelsäulenerkrankung wird nach Auffassung des Gerichts auch dem Gesamt-Behinderungszustand des Klägers im
streitigen Zeitraum gerecht, weil die weiteren mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Behinderungen als "leicht" zu
qualifizieren sind und das Ausmaß der Gesamt-Behinderung nicht wesentlich erhöhen. Die Auswirkungen einer nur mit
einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Funktionsstörung vermögen den Gesamt-GdB in aller Regel deshalb nicht zu
erhöhen, weil sie zu geringfügig sind. Die AHP drücken diesen Gedan-ken durch die Formulierungen "leichte
Gesundheitsstörungen" und "wesentliche Zunah-me des Ausmaßes der Behinderung" aus. Nach der Rechtsprechung
des BSG (Urteil vom 13. Dezember 2000 - B 9 V 8/00 R - SozR 3-3100 § 30 Nr 24), der sich das Gericht aus eigener
Überzeugung anschließt, gilt das Erhöhungsverbot der Nr 19 Abs 4 der AHP ausnahmslos, wenn die
Funktionsbeeinträchtigungen verschiedene Lebensbereiche betreffen. Gleiches gilt, wenn man die mit einem GdB von
10 bewerteten Funktionsbeein-trächtigungen zugunsten des Klägers mit einem Teilwert von 20 bewerten würde, da
die-se Bewertung allenfalls eben im Rahmen der Interpretationsmöglichkeiten erreicht und damit als "schwache 20" zu
werten wären. Unter Zugrundelegung der Auswirkungen der bei dem Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen
in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen kommt damit eine Erhöhung des
Gesamt-GdB im streitigen Zeitraum hier nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie entspricht dem Verfahrensergebnis. Das Gericht hat
berücksichtigt, dass der Beklagte unverzüglich nach Kenntnis der Ände-rung der gesundheitlichen Verhältnisse ein
Teilanerkenntnis abgegeben hat und der Rechtsstreit auch nach Abgabe des Teilanerkenntnisses durch den Kläger
fortgeführt worden ist.