Urteil des SozG Stade vom 01.03.2007

SozG Stade: gebühr, widerspruchsverfahren, vertretung, qualifikation, beendigung, aufwand, erschwernis, ermessen, vorverfahren, entstehung

Sozialgericht Stade
Beschluss vom 01.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 2 SF 4/06
1. Auf die Erinnerung des Erinnerungsführers zu 1. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade
vom 23. Oktober 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die dem Kläger von dem Beklagten aufgrund des
Anerkenntnisses des Beklagten vom 07. August 2006 zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 568,40
EUR (in Worten: fünfhundertachtundsechzig 40/100) nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem
17. August 2006 festgesetzt.
2. Die Erinnerung des Erinnerungsführers zu 2. wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Erinnerungsführer zu 1., im Folgenden Beklagter genannt, wehrt sich gegen die Festsetzung der Geschäftsgebühr
nach Nr 3103 VV RVG in Höhe von 204,- EUR; der Erinnerungsführer zu 2., im Folgenden Kläger genannt,
beanstandet die Festsetzung der Terminsgebühr nach Nr 3106 VV RVG in Höhe von 20,- EUR durch den
Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 23. Oktober 2006.
In dem unter dem Aktenzeichen S 2 SB 141/05 geführten und dem hiesigen Erinnerungsverfahren zugrunde liegenden
Streitverfahren begehrte der Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, also eines Grades der
Behinderung (GdB) in Höhe von 50 ab dem 03. August 2004. Angegriffen war insoweit der Bescheid des
Versorgungsamtes F. vom 10. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 26. Juli 2005.
Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens zog das Gericht Befundberichte von den den Kläger behandelnden
Ärzten Dres. G., H., I. sowie J. bei. Nach Auswertung dieser Befunde durch den Ärztlichen Dienst des Beklagten
erkannte der Beklagte einen GdB in Höhe von 50 ab April 2004 durch Schriftsatz vom 07. August 2006 an. Der Kläger
nahm das Anerkenntnis durch Schreiben vom 16. August 2006 an.
Zwischen den Beteiligten unstreitig sind die Gebührenansätze für das Widerspruchsverfahren, in dem der Kläger
bereits durch die Prozessbevollmächtigte vertreten wurde. Der Kläger begehrte für das Klageverfahren die Erstattung
der Geschäftsgebühr nach Nr 3103, 3102 VV RVG in Höhe von 170,- EUR sowie der Terminsgebühr nach Nr 3106 VV
RVG in Höhe von 200,- EUR.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2006 für das
Widerspruchsverfahren und das Klageverfahren folgende Gebühren in Ansatz gebracht:
Vorverfahren (unstreitig): 315,52 EUR Klageverfahren: Geschäftsgebühr Nr 3103 VV 204,00 EUR Terminsgebühr Nr
3106 VV 20,00 EUR Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr 7000 VV 8,00 EUR
Umsatzsteuer Nr 7008 VV 40,32 EUR Gesamt: 607,84 EUR
Die Erhöhung der Geschäftsgebühr nach Nr 3103 VV RVG um 20% auf 204,- EUR sei unter Berücksichtigung der
Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger nicht unbillig. Die Terminsgebühr sei nach Auffassung der
Urkundsbeamtin nur in Höhe von 20,- EUR erstattungsfähig, da lediglich die Annahme des Anerkenntnisses erklärt
worden wäre und damit eine Minimaltätigkeit für die Entstehung dieser Gebühr ansatzfähig sei.
Gegen den am 26. Oktober 2006 beim Kläger und am 27. Oktober 2006 beim Beklagten zugestellten
Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die am 07. November 2006 erhobene Erinnerung des Beklagten. Der Kläger
erhob am 14. November 2006 gleichfalls Erinnerung. Der Beklagte beanstandet die Festsetzung der Geschäftsgebühr
nach Nr 3103 VV RVG in Höhe von 204,- EUR; der Kläger richtet sich mit der Erinnerung gegen die Festsetzung der
Terminsgebühr nach Nr 3106 VV RVG auf 20,- EUR.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die Erinnerungen von dem Kläger und dem Beklagten sind jeweils zulässig. Die Erinnerung des Beklagten ist überdies
begründet.
Den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2006 hat das Gericht wie folgt zu korrigieren:
Widerspruchsverfahren (unstreitig):
315,52 EUR Klageverfahren: Geschäftsgebühr Nr 3103 VV 170,00 EUR Terminsgebühr Nr 3106 VV 20,00 EUR
Auslagenpauschale Nr 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr 7000 VV 8,00 EUR Umsatzsteuer Nr 7008 VV
(16% auf 218,- EUR) 34,88 EUR Summe Klageverfahren: 252,88 EUR
Erstattungsfähiger Betrag: 568,40 EUR
Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller
Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit
sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Wenn die
Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt betroffene Bestimmung nach § 14 Abs 1
Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
1. Die Erinnerung des Beklagten ist begründet. Der Betrag, den die Prozessbevollmächtigte des Klägers in ihrer
Kostennote vom 16. August 2006 für die Nr 3103 VV RVG angesetzt hatte, war nicht unbillig im Sinne des § 14 RVG.
Indes hält die 20%ige Erhöhung der Geschäftsgebühr Nr 3103 VV RVG und die damit verbundene Festsetzung auf
204,- EUR durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Zu recht wendet
der Beklagte ein, dass nicht jede Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft dazu führen kann und darf mit der
Folge, dass eine Erhöhung der Mittelgebühr der Nr 3103 VV RVG gerechtfertigt ist. Der Gebührenrahmen für die Nr
3103 VV beträgt zwischen 20,- EUR und 320,- EUR; die Mittelgebühr beträgt 170,- EUR, die zunächst auch von der
Prozessbevollmächtigten des Klägers in ihrer Kostennote vom 16. August 2006 angesetzt wurde. Ein Überschreiten
der Mittelgebühr, wie durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2006 erfolgt, ist mangels zugrunde
liegender Umstände nicht gerechtfertigt. Aus Sicht des erkennenden Gerichts ist in dem zugrunde liegenden
Klageverfahren von einem Durchschnittsfall auszugehen, der keine Tendenz nach oben zeigt.
Die Schwerbehinderteneigenschaft hat – und insoweit ist dem Beklagten beizupflichten – für den Kläger allenfalls
mittelmäßige Bedeutung (vgl insoweit auch BSG, Urteil vom 07. Dezember 1983 – Az: 9a RVs 5/82; so auch BSG,
Urteil vom 26. Februar 1992 – Az: 9a RVs 3/90). Gemessen an den im Sozialrecht insgesamt anfallenden
Angelegenheiten sind die durch die Schwerbehinderteneigenschaft zu erlangenden Vorteile häufig nur gering. Der
Kläger hat hier auch nicht vorgetragen, ob er zB berufstätig gewesen und ein Kündigungsschutzprozess anhängig
gewesen ist. Der Unterschied zwischen einem GdB in Höhe von 40 bzw 50 wirkt sich für den Kläger allenfalls auf die
Höhe des nach § 33b Einkommensteuergesetz (EStG)einzuräumenden Pauschbetrags für Behinderte und damit auf
die Höhe des zu versteuernden Einkommens aus und ist daher in der Regel nicht von einschneidender wirtschaftlicher
Bedeutung (so auch BSG, Urteil vom 26. Februar 1992 – Az: 9a RVs 3/90). Das Verfahren war für den Kläger auch
nicht mit der Feststellung von sonstigen Vorteilen, zB etwaiger Merkzeichen, die erst ab einem GdB in Höhe von 50
zuerkannt werden, verbunden. Auch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es in den Verfahren im
Schwerbehindertenrecht zu großen Teilen um die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft geht, diese
Verfahren den Hauptteil der regelmäßig vom Gericht zu bearbeitenden Verfahren ausmachen. Diese weichen nach
Auffassung des Gerichts nur dann vom Normalfall ab, wenn vom Kläger wesentliche Vorteile begründet werden, die er
durch die Erlangung der Schwerbehinderteneigenschaft für sich in Anspruch nehmen könnte bzw damit verbunden
wären, wie zB etwaige Merkzeichen. Anderenfalls wäre tatsächlich jede einfache Feststellung einer
Schwerbehinderteneigenschaft mit einem in kostenrechtlicher Hinsicht überdurchschnittlichen Verfahren verbunden,
so dass nach Überzeugung des Gerichts der Normalfall zu einem Sonderfall würde mit der Folge, dass der
Gebührenrahmen in unzulässiger Weise nach oben verschoben würde, weil bereits für einen eindeutigen
Durchschnittsfall eine – ggf bis zu 20% - oberhalb der rechnerischen Mitte liegende Gebühr verlangt werden könnte
(so auch BSG, Urteil vom 26. Februar 1992 – Az: 9a RVs 3/90).
Zudem ist der Umfang der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers lediglich durchschnittlichen
Verhältnissen zuzuordnen. Die Klägerin hat zu Beginn des Klageverfahrens Einsicht in die Verwaltungsakte
genommen, sodann die Klage in einem nach Auffassung des Gerichts den durchschnittlichen Rahmen nicht
übersteigenden Umfang begründet und nach Abgabe des Anerkenntnisses des Beklagten die Annahme desselben
erklärt. Es war auch eine Auseinandersetzung mit medizinischen Gutachten nicht erforderlich, der im übrigen auch
keine besondere Erschwernis der Tätigkeit eines Bevollmächtigten begründet (so BSG, Urteil vom 26. Februar 1992 -
Az: 9a RVs 3/90). Es ist ferner nicht ersichtlich, dass die Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Klägers
eine Abweichung von der Mittelgebühr im Übrigen rechtfertigen könnten.
Insgesamt ist im Verlauf des Klageverfahrens dem Gericht weder ein besonderes Interesse des Klägers an der
Feststellung eines GdB in Höhe von 50 erkennbar geworden noch vom Kläger in der Weise vorgetragen, so dass das
Klageverfahren als Durchschnittsfall angesehen werden muss, der auch nur die Festsetzung der Mittelgebühr nach
sich zieht. Überdies ist der Wortlaut des § 14 Abs 1 Satz 1 RVG Grundlage und Maßstab für die Festsetzung eines
Gebührentatbestandes. Danach bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall. Hier hat die
Prozessbevollmächtigte die Mittelgebühr angesetzt. Folglich geht sie selbst davon aus, dass das Verfahren ein
durchschnittliches ist. Eine darüber hinausgehende Festsetzung durch die Urkundsbeamtin ist mit dem Wortlaut des
Gesetzes insoweit nur schwer vereinbar.
2. Die Erinnerung des Klägers indessen ist unbegründet. Die Kriterien des § 14 RVG rechtfertigen entgegen der
Auffassung des Klägers eine Qualifikation der Angelegenheit im Hinblick auf die Terminsgebühr als weit
unterdurchschnittlich. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die streitige Terminsgebühr zu Recht mit 20,- EUR
festgesetzt.
Für die Bestimmung der Terminsgebühr gilt Nr 3106 VV RVG, da in dem hiesigen sozialgerichtlichen Verfahren
Beitragsrahmengebühren entstehen. Danach beträgt die Terminsgebühr 20,- EUR bis 380,- EUR. Die Terminsgebühr
entsteht nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder
Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten
Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne
Beteiligung des Gerichts, wobei dies allerdings für Besprechungen (nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Die
Terminsgebühr entsteht gemäß Nr 3106 Nr 3 VV auch, dh unabhängig von Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV, wenn
das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Das Klageverfahren ist am 17. August 2006 durch die Annahme des Anerkenntnisses beendet worden. Die
Terminsgebühr ist damit entstanden. Für die Höhe der Terminsgebühr kommt es nach § 14 Abs 1 RVG grundsätzlich
auf den Umfang der Verhandlung an. Eine solche Verfahrenssituation liegt aber bei der Beendigung des Verfahrens
durch die Annahme des Anerkenntnisses im Vorfeld vor einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Damit vergütet die
Terminsgebühr die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin, der in der hiesigen Fallkonstellation gar nicht
stattfindet. Folglich hat der Anwalt in einem solchen Fall keinen mit einem Termin verbundenen Aufwand
(Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung etc). Nach Auffassung des Gerichts kann sich die Terminsgebühr auch
nur nach dem anwaltlichen Arbeitsaufwand richten. Die Mittelgebühr in Höhe von 200,- EUR ist entgegen der
Auffassung der Klägerin nur bei einem durchschnittlichen – durchgeführten – Verhandlungstermin anzusetzen. Im
Falle der Nr 3106 Nr 3 VV ist die Mittelgebühr in der von dem Kläger beantragten Höhe daher generell auszuschließen.
Hat kein Termin stattgefunden, folgt aus der geringsten anwaltlichen Mühewaltung auch nur die Mindestgebühr in
Höhe von 20,- EUR.
Die Entscheidung ist endgültig, § 197 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG.