Urteil des SozG Speyer vom 05.10.2009
SozG Speyer: besondere härte, familie, eigene mittel, zuschuss, gesellschaft, darlehensvertrag, meinung, eigentum, haushalt, weiterverkauf
Sozialrecht
SG
Speyer
05.10.2009
S 1 AS 1731/09 ER
Abwrackprämie im Bezug von Arbeitslosengeld II
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Alg II ohne
Berücksichtigung der Umweltprämie (2.500,00 €) zu gewähren.
2. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Anordnungsverfahren darüber, ob die Antragsgegnerin Alg II
ohne Berücksichtigung der sogenannten Umweltprämie zu gewähren hat.
Der am 24.02.1964 geborene Antragsteller zu 1 ist verheiratet mit …, geb. 25.06.1961 (Antragstellerin zu
2). Diese übt zur Zeit eine Aushilfsbeschäftigung bei der Stadtverwaltung Speyer aus.
Aus der Ehe sind mindestens neun Kinder hervorgegangen, davon leben nach Angaben des
Antragstellers zu 1 sieben in seinem Haushalt, sechs minderjährige Kinder sind im Bewilligungsbescheid
als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft genannt.
Es handelt sich dabei um folgende Kinder (Antragsteller zu 3-8):
Die am 14.11.1991 geborene …,
die am 07.09.1994 geborene…,
die am 25.01.1996 geborene…,
die am 23.03.1998 geborene…,
die am 30.05.1999 geborene …und
der am 08.06.2001 geborene….
Der Antragsteller zu 1 bezieht nebst seiner Ehefrau und den genannten Kindern schon seit längerer Zeit
Alg II, wobei dessen Beginn aus den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen ist.
Am 20.07.2009 stellte er den Fortzahlungsantrag. Gleichzeitig legte er den Zuwendungsbescheid des
Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vom 19.06.2009 vor, wonach ihm gemäß der Richtlinie
für die Verschrottung des Altfahrzeuges mit der Kfz-Identitätsnummer WV2///70ZSH095809 und den
Erwerb des Neufahrzeuges mit der Kfz-Identitätsnummer: ZFA 27000064152285 ein Zuschuss in Höhe
von 2.500,00 € bewilligt wurde. In den Auflagen heißt es unter anderem: Der Zuwendungsbescheid könne
widerrufen werden, wenn eine Auflage nicht erfüllt werde.
Dem Antrag lag weiterhin ein Darlehensvertrag der Fiat-Bank bei, wonach für den Verkauf eines Fiat-
Transporters Model Scudo Panorama (Erstzulassung 29.10.2008, KM-Stand: 3900, Fahrzeugpreis incl.
Nebenkosten 26.500,00 €) ein Nettodarlehen in Höhe von 16.500,00 €, brutto 19.125,74 € gewährt wurde.
Mit Bescheid vom 13.08.2009 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 1 mit, dass Alg II für ihn und
seine Familie in der Zeit vom 01.09. bis 28.02.2010 bewilligt werde, dass aber die Umweltprämie in den
Monaten September und Oktober 2009 in Höhe von monatlich je 1250,00 € abzüglich 30,00 € Pauschale
für private Versicherungen angerechnet werde. Diesen Bescheid änderte die Antragsgegnerin dreimal ab,
einmal weil ab 01.10.2009 die tatsächlichen Kindergeldzahlungen berücksichtigt würden (Bescheid vom
31.08.2009), zum andern weil die Ehefrau ab 04.09.2009 eine Aushilfsbeschäftigung bei der Stadt Speyer
mit einem fiktiven Nettoeinkommen von monatlich 400,00 € aufgenommen habe (Bescheid vom
17.09.2009) und schließlich weil für Oktober 2009 eine Nachzahlung fällig sei (Bescheid vom
23.09.2009).
Der Antragsteller zu 1 widersprach der Anrechnung der Umweltprämie. Diesen Widerspruch wies die
Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10.09.2009 zurück.
Am 24.09.2009 hat der Antragsteller zu 1 sich an das Sozialgericht gewandt und beantragt,
die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
ohne Anrechnung der Abwrackprämie zu gewähren.
Gleichzeitig hat er gegen den Widerspruchsbescheid vom 10.09.2009 Klage erhoben.
Er trägt vor: Den Zuschuss habe er auf seinem Konto nicht verbuchen können, da die Anrechnung direkt
über den Autohändler erfolgt sei. Das Geld habe er also nicht erhalten. Ein finanzieller Zuschuss, welcher
auf ihre Lebenshaltung anzurechnen sei, sei daher nicht entstanden. Die Anrechnung erscheine ihm auch
unangemessen, zumal ihnen durch die Anrechnung ein finanziell hoher Schaden entstehe. Sie seien
nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Er habe neun Kinder, wovon noch sieben Kinder
bei ihm lebten. Es sei ihnen durch die Anrechnung nicht möglich, die Miete zu zahlen und Lebensmittel für
die Kinder zu kaufen. Ihnen drohe ein Mietrückstand und somit eine mögliche Räumung der Wohnung. Da
sie in einer Großfamilie lebten, sei der Autokauf zwingend notwendig gewesen. Seine Ehefrau arbeite nun
zwar seit einem Monat, jedoch habe sie noch keinen Lohn erhalten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Abwrackprämie stelle ein Einkommen im Sinne des § 11 SGB III dar. Sie verweist auf ihre Richtlinien
und auf den Beschluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 03.07.2009 (Az.:
L 20 b 59/09 AS ER).
Für das Verfahren hat die Antragsgegnerin auf Anforderung die Verwaltungsakten ab Bl. 505 f. vorgelegt.
II.
Der Antrag ist im Sinne einer Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG zulässig und auch
begründet. Danach kann das Gericht der Hauptsache bei Gefahr der Veränderung eines bestehenden
Zustandes mit der Folge einer möglichen Gefährdung oder Erschwerung der Durchsetzbarkeit eines
Rechts des Antragstellers eine vorläufige Regelung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen. Möglich ist
auch eine einstweilige Regelung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn dies zur Abwendung
wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Letzteres begehrt der Antragsteller, wenn er von der
Antragsgegnerin weitere Leistungen begehrt.
Begründet ist ein solcher Antrag, wenn ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch besteht. Ein
Anordnungsgrund liegt dann vor, wenn dem Antragsteller ohne eine vorläufige Regelung wesentliche
Nachteile drohen. Ein Anordnungsanspruch liegt dann vor, wenn dem Antragsteller der materiell-
rechtliche Anspruch, der Streitgegenstand ist, zusteht. Der Antragsteller zu 1 hat gleichzeitig Klage gegen
den Widerspruchsbescheid vom 10.09.2009 erhoben. Es ist abzuwägen, ob es für die Antragsteller
hinzunehmen ist, den Ausgang dieses Hauptverfahrens abzuwarten.
Zwar hat hier nur der Antragsteller zu 1 den Antrag gestellt, jedoch geht die Kammer aufgrund der
Tatsache, dass der Antragsteller immer für seine Familie spricht, davon aus, dass er auch für seine
Ehefrau und seine sechs in dem Bewilligungsbescheid genannten Kinder den Antrag gestellt hat. Das
Rubrum ist deshalb entsprechend anzupassen.
Die Antragsteller sind leistungsberechtigt im Sinne des § 7 SGB II. Der Antragsteller zu 1 und seine
Ehefrau haben das 15. Lebensjahr vollendet, jedoch noch nicht das 65. Lebensjahr erreicht, sie sind
erwerbsfähig, haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und sind mangels anderer, sowohl
den Grundbedarf nach § 20 SGB II sowie die Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II deckenden
Einkünfte bedürftig im Sinne des Gesetzes. Von den Kindern haben lediglich … und … das 15.
Lebensjahr vollendet. Für sie gilt dasselbe wie das zu ihren Eltern Gesagte. Die übrigen Kinder erfüllen
die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialgeld (§ 28 SGB II).
Gegenstand der Prüfung des Gerichts ist die Höhe der geschuldeten Alg II-Leistung, insbesondere ob die
Antragsgegnerin berechtigt ist, die sogenannte Umweltprämie für die Verschrottung eines Altfahrzeuges
und Kauf eines Neuwagens als Einkommen bei der Berechnung des Alg II zu berücksichtigen.
Als Einkommen im Sinne des SGB II sind nach § 11 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert
abzüglich bestimmter in Absatz 2 der genannten Vorschrift aufgezählten Abzüge und Ausgaben
anzusehen.
Die Meinungen, ob eine Anrechnung als Einkommen erfolgen darf, sind in der Rechtsprechung der
sozialgerichtlichen Instanzgerichte geteilt. Überwiegend wird diese Umweltprämie zwar zu dem
Einkommen im Sinne des § 11 SGB II gezählt (anders wohl nur SG Dresden, Beschluss vom 26.08.2009,
S 12 AS 3516/09 ER, recherchiert in juris), jedoch gehen die Meinungen auseinander, ob es sich um
sogenanntes zweckgerichtetes, also von der Anrechnung freigestelltes Einkommen im Sinne von § 11
Abs. 3 Nr. 1 a SGB II handelt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Verneinend das von der
Antragsgegnerin genannte Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
03.07.2009, L 20 B 66/09 AS, SG Chemnitz, Beschluss vom 09.09.2009, S 44 AS 4604/09 ER, bejahend:
SG Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2009, S 16 AS 907/09 ER, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt,
Beschluss vom 22.09.2009, L 2 AS 315/09 B ER, SG Lüneburg, Beschluss vom 22.08.2009, S 75 AS
1225/09 ER, recherchiert in juris).
Die Kammer ist mit dem SG Dresden der Meinung, dass die Umweltprämie bei den Antragstellern schon
keinen Einkommenscharakter besitzt. Dabei spielt hier eine Rolle, dass die Umweltprämie einmal nicht
direkt an die Antragsteller ausgezahlt wurde, sondern dass die Zahlung direkt an das Autohaus erfolgte,
sobald dieses das neue Kfz an die Antragsteller ausgehändigt hatte. Dies ist einmal dem vorgelegten
Darlehensvertrag zu entnehmen (der Kaufvertrag lag dagegen nicht vor), zum andern aber auch dem
Vortrag der Antragsteller, den die Antragsgegnerin diesbezüglich nicht bestritten hat. Es kommt hinzu,
dass das erworbene Neufahrzeug nur unter Aufnahme eines höheren Darlehens (nebst der
Umweltprämie) erworben werden konnte. In diesen Fällen ist auch üblich, dass sich das Autohaus zur
Sicherung des Darlehens das Eigentum vorbehält. Die Umweltprämie ist nicht nur an den Kauf eines
Neufahrzeuges gekoppelt, sondern auch daran, dass ein mindestens neun Jahres altes, auf den Käufer
des Neuwagens zugelassenes Altfahrzeug verschrottet wird. Die Verschrottung des Altfahrzeuges und der
damit im Zusammenhang stehende Kauf des Neufahrzeuges wird auch bzw. kann kontrolliert werden. Die
Umweltprämie ist gegebenenfalls zurückzuzahlen, sofern diese Voraussetzungen nicht eingehalten
werden. Die Umweltprämie stellt also ein Äquivalent für die Weggabe des im Eigentum des Antragstellers
stehenden Altfahrzeuges dar. Obwohl der Wert des Altfahrzeuges nicht bekannt ist und selbst wenn die
Umweltprämie den wirtschaftlichen Wert des Altfahrzeuges im Zeitpunkt des Kaufs des Neufahrzeuges
überschritten hätte, würde dies nichts am Ergebnis ändern. Denn die Umweltprämie muss als
wesentlicher Anreiz für die Aufgabe des Altfahrzeuges verstanden werden. Vermögen verliert aber in der
Regel seinen Wert als Vermögen durch eine Umwandlung nicht. Da die Umweltprämie direkt an das
Autohaus gezahlt wird, hat der Antragsteller zu 1 auch zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt,
darüber zu verfügen, sie also für seinen und den Lebensunterhalt seiner Familie zu verwenden. Sicher
stellt die Zahlung der Umweltprämie einen vermögenswerten Vorteil dar. Die Kopplung an den Verkauf
stellt diesen Vermögenszuwachs aber zum überwiegenden Teil in die Nähe einer
Vermögensumwandlung, nicht dagegen in die einer Einkommenserzielung. Die Umweltprämie geht in
dem Neufahrzeug auf, ist sonst nicht (oder nur bei Weiterverkauf des Neufahrzeuges) gesondert
verwertbar.
Deswegen ist es nach Ansicht der Kammer nur sinnvoll zu prüfen, ob die vom Bundesamt gezahlte
Umweltprämie als Vermögen verwertbar ist.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob es dem Antragsteller zumutbar ist, dieses neu entstandene
Vermögen (in Gestalt des neuen Pkw) wiederum durch einen Verkauf zu verwerten. Dies hängt gemäß §
12 Abs. 3 Nr. 6 davon ab, ob es sich um Sachen und Rechte handelt, deren Verwertung unwirtschaftlich ist
und für den Betroffenen keine besondere Härte bedeutet. Nach dem Vortrag des antragstellenden Vaters
hat er neun Kinder aus seiner Ehe, sechs Kinder davon leben noch in seinem Haushalt, für die er auch
Alg II bezieht. Es handelt sich bei dieser Familie also um eine Großfamilie, wie sie in unserer
bundesrepublikanischen Gesellschaft selten geworden ist. Der Erziehung der Kinder kommt in dieser
Großfamilie eine sehr große Bedeutung zu. Die von unserer Gesellschaft geforderte Mobilität verlangt
auch entsprechende Fortbewegungsmittel, was nicht nur in der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
bestehen kann, sondern welches gerade in diesem Fall einen größeren Pkw erfordert. Allenfalls könnte
man hier darüber streiten, ob ein billigeres Transportmittel ausgereicht hätte. Würde man die Familie aber
zum Verkauf des Pkw zwingen, würde man sie des Fortbewegungsmittels berauben, auf die es dringend
angewiesen ist.
Es kommt hinzu, dass sich der antragstellende Vater sowie auch die Mutter sehr hoch verschuldet haben,
um sich diesen Wagen überhaupt leisten zu können. Sie haben nicht nur eigene Mittel aufgewendet
(7500,00 €), ein Darlehen in Höhe von mehr als 19.000,00 € aufgenommen, sondern sich auch die
Umweltprämie gesichert. Ein Verkauf dieses Fahrzeuges wäre also eine besondere Härte für die Familie
und würde auch zu wirtschaftlichen Nachteilen führen, da der wirtschaftliche Wert gerade von neuen
Kraftfahrzeugen schon bald nach dem Kauf erheblich sinkt. Ein Verkauf wäre also offensichtlich
unwirtschaftlich und würde auch für die Familie eine besondere Härte bedeuten.
Außerdem können die Antragsteller angesichts der Zahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf hohe
Freibeträge rechnen. Sowohl der antragstellende Vater als auch die Mutter können nach § 12 Abs.1 Satz
1 Nr. 1 einen Grundfreibetrag von 150,00 € je vollendetem Lebensjahr in Anspruch nehmen, das sind hier
13.950,00 € zusammen. Für jedes Kind unter 18 Jahren kommen 3100,00 € hinzu, das sind hier
18.600,00. Der Haushaltsfreibetrag für notwendige Anschaffungen beträgt für jeden in der
Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfsbedürftigen 750,00 € (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II). Insgesamt kommt man
auf einen Freibetrag für die gesamte Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 38.550,00 €. Dieser überschreitet
den Wert des Kraftfahrzeuges (26.000,00 €) beträchtlich, wobei das Darlehen noch nicht einmal
berücksichtigt ist.
Sofern die Umweltprämie Einkommen darstellen sollte, ist die Kammer der Meinung, dass dieses
zweckgerichtet im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II geleistet wurde und damit anrechnungsfrei bleiben
muss.
Der Antrag hat deshalb Erfolg. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.