Urteil des SozG Speyer vom 11.06.2007

SozG Speyer: arzneimittel, therapie, behandlung, systematische auslegung, grammatikalische auslegung, begriff, krankenversicherung, verordnung, tumor, beschränkung

Sozialrecht
SG
Speyer
11.06.2007
S 7 KR 283/06
Mistelpräparate der anthroposophischen Therapierichtung sind auch in der adjuvanten Behandlung von
malignen Tumoren zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 5.5.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.7.2006
wird aufgehoben soweit er sich auf die Behandlung ab 24.5.2006 bezieht. Die Beklagte wird verurteilt, der
Klägerin die Kosten für das Arzneimittel Helixor in Höhe von 186,34 Euro zu erstatten.
2. Die Beklagte hat der Klägerin 50 % ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen hat sie ihre
außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für das Arzneimittel Helixor.
Die am geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin erkrankte an einem bösartigen,
prämenopausalen Mammakarzinom. Am 5.1.2006 und 16.1.2006 wurde der Tumor durch eine
brusterhaltenden Operation entfernt. Im weiteren Verlauf wurde die Klägerin mittels Chemo- und
Strahlentherapie behandelt. Begleitend zu diesen Therapieformen verschrieb der Frauenarzt Dr. S. der
Klägerin zur Rezidivprophylaxe mittels Privatverordnung das Mistelpräparat Helixor A.
Helixor A ist ein wässriger Auszug der Tannenmistel. Es wird als Injektionslösung in der
anthroposophischen Therapierichtung verwendet. Es ist apothekenpflichtig, aber nicht
verschreibungspflichtig.
Am 24.3.2006 beantragte die Klägerin unter Beifügung eines Attests des Arztes Dr. S. die Übernahme der
Kosten für die Behandlung mit Helixor bei der Beklagten.
Am 5.4.2006, 22.4.2006, 4.5.2006, 24.5.2006, 6.6.2006, 30.6.2006 und 20.7.2006 erwarb die Klägerin je
acht Ampullen Helixor A zum Preis von 48,49 Euro (viermal) bzw. 44,68 Euro (viermal).
Mit Bescheid vom 5.5.2006 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Nichtverschreibungspflichtige
Arzneimittel dürften nur im Ausnahmefall von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden. Der
behandelnde Arzt der Klägerin habe hier aber durch die Verwendung eines Privatrezepts zu erkennen
gegeben, dass ein solcher Ausnahmefall hier nicht vorliege. Er habe dies auch mit der zuständigen
Kassenärztlichen Vereinigung abgeklärt.
Hiergegen legte die Klägerin am 31.5.2006 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom
10.7.2006 zurückgewiesen wurde. Darin führte die Beklagte ergänzend zu den Gründen des
Ausgangsbescheids aus, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich nicht zulasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien. Insbesondere ergebe sich aus den
Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (AMR) keine ausnahmsweise
Verordnungsfähigkeit für Helixor. Die AMR würden eine Verordnungsfähigkeit nur für die Anwendung von
Mistelpräparaten in der palliativen Therapie vorsehen. Im Fall der Klägerin sei Helixor aber in der
adjuvanten Therapie eingesetzt worden.
Dagegen richtet sich die am 28.7.2006 vor dem Sozialgericht Speyer erhobene Klage der Klägerin.
Die Klägerin meint, die AMR würden in Ziffer 16.5 eine Ausnahme für die Erstattungsfähigkeit
anthroposophischer Arzneimittel bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen vorsehen. Hierzu
gehören insbesondere die in Ziffer 16.4.27 der AMR genannten malignen Tumore. Eine Beschränkung auf
die palliative Therapie ergebe sich aus den AMR nicht, so dass die Verordnungsfähigkeit zulasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung auch in der adjuvanten Therapie gegeben sei. Dass der behandelnde
Arzt systemwidrig ein Privatrezept verwendet habe und keine vertragsärztliche Verordnung, könne nicht
zulasten der Klägerin gehen.
Die Klägerin hat zunächst beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 5.5.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 10.7.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die
Kosten für das Arzneimittel Helixor A in Höhe von 328,00 Euro zu erstatten. Mit Schriftsatz vom 31.5.2007
hat sie die Klage betreffend die Rezepte vom 5.4.2006, 22.4.2006 und 4.5.2006 teilweise
zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 5.5.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.7.2006
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für das Arzneimittel Helixor A in
Höhe von 186,34 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Begründung ihres
Widerspruchsbescheids.
Das Gericht hat einen Befundbericht beim Arzt Dr. S. eingeholt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Sie waren daher aufzuheben.
Die Klägerin hat, soweit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch streitgegenständlich, einen
Anspruch auf Kostenerstattung für das Arzneimittel Helixor gem. § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes
Buch (SGB V).
Die Beklagte hat die Übernahme der Kosten für die Behandlung zu Unrecht abgelehnt.
Gem. § 31 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln,
soweit die Arzneimittel u.a. nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind.
Das apothekenpflichtige Arzneimittel Helixor ist nicht gem. § 34 SGB V ausgeschlossen. Gem. 34 Abs. 1
SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zwar grundsätzlich von der Versorgung nach § 31
SGB V ausgenommen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt aber in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1
Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung
schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen
mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V
schreibt vor, dass der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist.
Diesem Regelungsauftrag ist der Gemeinsame Bundesausschuss in den AMR - Abschnitt F -
nachgekommen.
Gem. Ziffer 16.2 AMR ist eine Krankheit schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie
aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer
nachhaltig beeinträchtigt.
In Ziffer 16.3 AMR ist ausgeführt, dass ein Arzneimittel als Therapiestandard gilt, wenn der therapeutische
Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse entspricht.
Was schwere Erkrankungen in diesem Sinne sind und welche Wirkstoffe als Standardtherapeutika für
diese Erkrankungen dienen, ist in den Ziffern 16.4.1 ff. AMR normiert.
Gem. Ziffer 16.4.27 dienen Mistel-Präparate, parenteral, auf Mistellektin normiert, nur in der palliativen
Therapie von malignen Tumoren der Verbesserung der Lebensqualität. Nur in diesen, verhältnismäßig
engen, Grenzen sind sie damit zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
Zwar handelt es sich bei der Erkrankung der Klägerin unstreitig um einen malignen Tumor. Schon wegen
der in Ziffer 16.4.27 enthaltenen Einschränkung auf die Palliativtherapie kommt aber eine Verordnung von
Helixor im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Helixor wurde der Klägerin nicht zur palliativen, d.h. nicht
kurativen, nur symptomlindernden, Therapie verordnet, sondern im Rahmen der adjuvanten, d.h. der
unterstützend-kurativen, Behandlung zu Rezidivprophylaxe.
Zudem ist Helixor nicht auf Mistellektin normiert, sondern als anthroposophisches Arzneimittel nicht auf
einen bestimmten Wirkstoffgehalt standardisiert gewonnen.
Die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels Helixor auch in der adjuvanten Therapie von malignen
Tumoren ergibt sich aber aus Ziffer 16.5 AMR (so auch SG Düsseldorf, Urteil vom 1.3.2005 - S 8 KR
321/04; SG Dresden, Urteil vom 29.6.2006 – S 18 KR 534/05). Darin heißt es:
„Für die in diesen Richtlinien in Abschnitt F aufgeführten Indikationsgebiete kann der Arzt bei
schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen,
sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als
Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.“
Da es sich bei Helixor um ein Arzneimittel der anthroposophischen Therapierichtung handelt, ist Ziffer
16.5 AMR anwendbar.
Auch dessen Voraussetzungen sind erfüllt. Ziffer 16.5 AMR verweist hinsichtlich der Indikationsgebiete auf
die Ziffern 16.4.1 ff. AMR, insbesondere auch auf Ziffer 16.4.27 AMR und die darin aufgeführte Indikation
„maligne Tumore“. Ein maligner Tumor lag bei der Klägerin vor.
Die Kammer folgt nicht der Auffassung der Beklagten, dass als Indikationsgebiet nicht nur die Erkrankung
„maligner Tumor“ zu verstehen ist, sondern auch die Beschränkung der Behandlung auf die palliative
Therapie.
Die Auffassung der Beklagten basiert auf der Überlegung, dass der Begriff „Indikationsgebiet“ zum einen
die „ursächliche Erkrankung“ beschreibt und zum anderen – gleichzeitig – die „Anwendungsform“ des
Arzneimittels. Unter „Anwendungsform“ versteht diese weite Auslegung insbesondere die Verwendung
des Arzneimittels in der palliativen bzw. adjuvanten Therapie.
Die Kammer versteht den Begriff „Indikationsgebiet“ im Gegensatz dazu in einer engen Auslegung. Er ist
synonym mit der „ursächlichen Erkrankung“.
Die grammatikalische Auslegung der Ziffer 16.5 AMR spricht zunächst für ein enges Verständnis des
Begriffs. Unter Indikation ist im medizinischen Sinne der Grund zur Anwendung eines bestimmten
diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem Erkrankungsfall zu verstehen (vgl.
Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Auflage, 2004, S. 858). Letztlich handelt es sich also begrifflich
um den Grund der Behandlung, d.h. die ursächliche Erkrankung. Hiervon ist die Anwendung der Therapie
– adjuvant oder palliativ – abzugrenzen (a.A. SG Düsseldorf a.a.O. S. 5; SG Dresden a.a.O. S. 12, die den
Begriff aus sich heraus nicht für eindeutig halten).
Jedoch wird diese anhand des Wortlauts erreichte Differenzierung zwischen ursächlicher Erkrankung und
Anwendung durch systematische Erwägungen erschüttert. Ziffer 16.5 AMR enthält nicht nur den Verweis
auf die in Abschnitt F genannten Indikationen, sondern auch eine Beschränkung auf „schwerwiegende
Erkrankungen“. Da gem. Ziffer 16.4 AMR aber alle „Indikationsgebiete“ des Abschnitts F „schwerwiegende
Erkrankungen“ sind, wäre diese Einschränkung überflüssig, wenn „Indikationsgebiet“ und „ursächliche
Erkrankung“ synonym wären.
Andererseits führt auch diese systematische Auslegung der Ziffer 16.5 AMR zu keinem eindeutigen
Ergebnis, denn die Vorschrift differenziert nicht nur zwischen den Begriffen „Indikationsgebiet“ und
„Erkrankung“, sondern auch zwischen „Indikationsgebiet“ und „Anwendung“: Eine Verordnungsfähigkeit
wird nämlich nur gesehen, „sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach
dem Erkenntnisstand als Therapiestandard [...] angezeigt sind“. Auch dieser Verweis wäre überflüssig,
wenn der Begriff der „Anwendung“ bereits im „Indikationsgebiet“ enthalten wäre (Um eine Klarstellung der
Ziffer 16.5 AMR im Sinne der weiten Auslegung, wie sie von der Beklagten vertreten wird, hat sich der
Gemeinsame Bundesausschuss in einem Beschluss vom 21.12.2004 bemüht, mit dem der Wortlaut des
16.5 AMR verändert und eine explizite Verweisung auch auf die Anwendungsvoraussetzungen des Ziffern
16.4.1 ff. AMR vorgenommen werden sollte. Dieser Beschluss wurde vom Bundesministerium für
Gesundheit und Soziale Sicherung aber am 18.2.2005 beanstandet, weil er die herausgehobene Stellung
der besonderen Therapierichtungen nicht ausreichend berücksichtige. Gegen die Beanstandung richtet
sich eine Klage des Gemeinsamen Bundesausschusses gegen die Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, in dem das Sozialgericht
Köln mit Urteil vom 26.7.2006 – Az.: S 19 KA 29/05 – eine Entscheidung zugunsten der dortigen Beklagten
getroffen hat).
Letztlich gibt aber die Auslegung der Vorschrift der Ziffer 16.5 AMR vor dem Hintergrund ihres Sinn und
Zwecks den Ausschlag für die enge Auslegung, die die Kammer dem Begriff des „Indikationsgebiets“
beimisst. Aus § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V ergibt sich, dass Behandlungen in
besonderen Therapierichtungen, namentlich auch der anthroposophischen Therapierichtung, nicht am
Maßstab der Schulmedizin zu messen sind. Hierfür spricht auch die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Satz 3 SGB
V. Daraus ist eine Privilegierung der besonderen Therapierichtungen herzuleiten, die sich in der Vorschrift
der Ziffer 16.5 AMR ausdrückt.
Diese Privilegierung der besonderen Therapierichtungen findet ihren Niederschlag unter anderem darin,
dass sie nicht gem. Ziffer 16.3. AMR nur dann verordnungsfähig sind, wenn sie Therapiestandard im
Sinne eines (schulmedizinisch geprägten) „allgemein anerkannten“ Standes der medizinischen
Erkenntnisse sind, sondern – nach der Spezialvorschrift der Ziffer 16.5 AMR - bereits dann, wenn sie
Therapiestandard „innerhalb der jeweiligen Therapierichtung“ sind (sog. Binnenanerkennung).
Da die Anwendungsformen, die in den Ziffern 16.4.1 ff. AMR, insbesondere 16.4.27 AMR, genannt sind,
sich aus der schulmedizinischen, „allgemeinen Anerkennung“ im Sinne der Ziffer 16.3 AMR herleiten,
würde die durch die bloße Binnenanerkennung erzielte Privilegierung der besonderen Therapieformen
wieder relativiert, wenn man die Arzneimittel der besonderen Therapieformen auf diese
Anwendungsformen beschränkt. Die Privilegierung würde ins Leere laufen, wenn sie zwar innerhalb der
Ziffer 16.5 AMR aufgestellt, dann aber durch einen umfassenden Verweis auf die schulmedizinsch
geprägten Ziffern 16.4.1 ff. AMR wieder aufgehoben würde.
Um den Sinn und Zweck der Ziffer 16.5 AMR, nämlich die durch § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 3
SGB V gebotene Privilegierung der besonderen Therapierichtungen, zu erhalten, muss daher der Begriff
des „Indikationsgebiets“ eng verstanden werden. Er kann nur als Verweis auf die in den Ziffern 16.4.1 ff.
AMR genannten schwerwiegenden Erkrankungen ausgelegt werden, nicht als Verweis auch auf die dort
genannten Anwendungsformen.
Im vorliegenden Fall ist für die Klägerin die einzige sich aus dem Verweis der Ziffer 16.5. AMR auf die
Vorschrift der Ziffer 16.4.27 AMR ergebende Voraussetzung – das Vorliegen eines malignen Tumors –
erfüllt.
Dass damit ein aus der Schulmedizin bekannter und nicht verordnungsfähiger Wirkstoff (ein
Mistelpräparat) letztlich alleine dadurch verordnungsfähig wird, dass er Teil eines anthroposophischen
Behandlungskonzepts ist, ist für die Entscheidung der Kammer nach alldem nicht erheblich. Eine solche
Unterscheidung wird durch die AMR vorgegeben und findet seine Entsprechung im Zulassungsrecht. Das
anthroposophische Arzneimittel Helixor ist auch für die adjuvanten Krebstherapie arzneimittelrechtlich
zugelassen. Im Gegensatz dazu sind die allopathischen (phytotherapeutischen) Mistelpräparate nur für
die Palliativtherapie zugelassen.
Die adjuvante Therapie mit dem Arzneimittel Helixor stellt auch den Therapiestandard in der
anthroposophischen Therapierichtung dar. Die Kammer stützt sich insoweit auf das von der Klägerseite
vorgelegte und von der Beklagten nicht substantiierte angegriffene Privatgutachten der Ärzte Dr. K. und
Dr. K. (vgl. insbesondere Ziffer 5.3.1, sowie Fußnoten 32, 46, 51, 53, 63, 66, 68, 71, 72), sowie auf die
ebenfalls von der Klägerseite vorgelegte Stellungnahme der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in
Deutschland (GAÄD) durch die Ärzte Dr. G., S. und Dr. M. (insbesondere Anlage 1, Ziffer 2 und Anlage 2,
Deutschland (GAÄD) durch die Ärzte Dr. G., S. und Dr. M. (insbesondere Anlage 1, Ziffer 2 und Anlage 2,
C 2 mit besonderem Bezug zur Indikation maligne Tumore). Der Nachweis, dass es sich beim Einsatz von
Mistelpräparaten bei der adjuvanten Therapie bei malignen Tumoren um den Therapiestandard in der
anthroposophischen Therapierichtung handelt, ergibt sich dabei insbesondere auf Häufigkeit der
Anwendung mit (alleine für Helixor) insgesamt 125.000 Verordnungen im Jahr 2003. Dies entspricht
zwischen 46 – 65 Prozent aller Krebspatienten, d.h. nicht nur solcher, die von Ärzten der
antroposophischen Therapierichtung behandelt werden. Zudem spricht dafür die in den o.g. Publikationen
dargestellte breite Zustimmung in der medizinischen Literatur (vgl. auch mit eingehender Begründung SG
Dresden a.a.O. S. 22 ff.).
Damit sind die Voraussetzungen der Ziffer 16.5 AMR erfüllt. Helixor ist in der adjuvanten Therapie von
malignen Tumoren verordnungsfähig.
Die Beklagte hat damit die Kosten für die Selbstbeschaffung des Arzneimittels gem. § 13 Abs. 3 SGB V zu
erstatten, denn die Kostenübernahme wurde zu Unrecht abgelehnt und der Klägerin sind durch die
Selbstbeschaffung Kosten entstanden.
Der Erstattungspflicht steht nicht entgegen, dass der behandelnde Arzt Dr. S. die Verordnung auf einem
Privatrezept ausgestellt hat. Dies schließt die Kostenerstattung gem. § 13 Abs. 3 SGB V nicht aus,
andernfalls würde diese Vorschrift leer laufen. Denn hätte Dr. S. der Klägerin eine vertragsärztliche
Verordnung ausgestellt, hätte die Klägerin das Arzneimittel bereits als Sachleistung erhalten. Dass Dr. S.
dies aus Gründen, die von der Kammer mangels Erheblichkeit für den vorliegenden Rechtsstreit nicht
aufzuklären waren, unterlassen hat, kann nicht zulasten der Klägerin gehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt, dass die
Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage
wäre die Klägerin unterlegen, weil es insoweit an der gem. § 13 Abs. 3 SGB V erforderlichen Kausalität
zwischen Ablehnung durch die Beklagte und Selbstbeschaffung der Leistung fehlt. Der Bescheid der
Beklagten erging nämlich erst nach der Selbstbeschaffung dieser Teilleistungen.
Die Kammer hat die Berufung gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der
Sache zugelassen.