Urteil des SozG Speyer vom 08.08.2007

SozG Speyer: schüler, wales, realschule, taschengeld, eltern, lfg, zuschuss, bestandteil, ausgrenzung, begriff

Sozialrecht
SG
Speyer
08.08.2007
S 3 AS 643/06
Übernahme von Kosten einer Klassenfahrt im Rahmen des SGB II
Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 1. August 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 verurteilt, dem Kläger die Kosten für die Klassenfahrt vom
18. bis 24. Mai 2006 nach Cardiff/Wales dem Grunde nach zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 4/5 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine Klassenfahrt.
Der am 10. September 1991 geborene Kläger bezieht gemeinsam mit seiner am 9. Januar 1967
geborenen Mutter von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch
(Grundsicherung für Arbeitsuchende) − SGB II −. Im Schuljahr 2005/2006 besuchte er die Klasse 8b der
…-Realschule in L.
Mit Schreiben vom 4. Mai 2006 beantragte seine Mutter bei der Beklagten die
Übernahme von Kosten für eine Klassefahrt des Klägers vom 18. bis 24. Mai 2006 nach Cardiff/Wales.
Dem Antrag war ein Schreiben der …-Realschule vom 29. November 2005 beigefügt, wonach sich der
Preis für die Reise auf 390,00 € belaufen werde. Darin enthalten seien die Fahrt mit dem Bus und der
Fähre, Vollpension in den Gastfamilie, die geplanten Ausflüge sowie ein Tag in London. Außerdem
beantragte die Mutter des Klägers ein Taschengeld in Höhe von 100,00 €.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2006 bestätigte die Klassenlehrerin des Klägers, Frau B., gegenüber seiner
Mutter, dass 85 v.H. der Klassenschüler an der Klassenfahrt teilgenommen hätten. Die Fahrt kostete
390,00 € und es sei ein Taschengeld von 75,00 € empfohlen worden.
Mit Bescheid vom 1. August 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten der
Klassenfahrt ab, weil nicht mindestens 90 v.H. der Schüler hieran teilgenommen hätten.
Hiergegen erhob die Mutter des Klägers Widerspruch (Schreiben vom 4. August 2006), den sie damit
begründete, an der Klassenfahrt hätten lediglich drei Schüler krankheitsbedingt nicht teilnehmen können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2006 wurde dieser Widerspruch zurückgewiesen. Die
Richtlinien des kommunalen Trägers stellten darauf ab, dass Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt nur
übernommen werden könnten, wenn mindestens 90 v.H. der Klassenschüler daran teilnehmen würden.
Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Am 5. September 2006 hat die Mutter des Klägers Klage erhoben.
Zur Begründung wird vorgetragen, nach den gesetzlichen Regelungen sei die Erstattung von Kosten für
Klassenfahrten nicht von einer bestimmten Teilnehmeranzahl abhängig. Weder Schüler noch Eltern
könnten die Gesamtteilnehmeranzahl beeinflussen. Der Ausschluss von Kindern von
Leistungsempfängern solle nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich verhindert werden. Dem
widersprächen die Richtlinien der Beklagten. Danach sei es sogar möglich, dass bei einem späteren
Rücktritt einzelner Schüler Kosten einer anfänglich erstattungsfähigen Klassenfahrt doch nicht
übernommen werden könnten. Das Geld habe sich der Kläger von Bekannten geliehen und bislang noch
nicht zurückgezahlt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 1. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August
2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die mehrtägige Klassenfahrt vom 18. bis
24. Mai 2006 nach Cardiff/Wales in Höhe von 390,00 € sowie ein Taschengeld in Höhe von 100,00 € zu
übernehmen.
Die Beklagte beantragt mit Bezug auf die angegriffene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Sie legt die einschlägigen Richtlinien des kommunalen Trägers vor, auf die sie ihre ablehnende Haltung
stützt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der
Beklagten vorgelegte Leistungsakte (Teilakte II) verwiesen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes
− SGG − hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten dem
Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Klassenfahrt vom 18. bis 24. Mai 2006
nach Cardiff/Wales. Im Übrigen ist seine Klage abzuweisen.
Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Kostenübernahme ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2
SGB II. Danach sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen
Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst und werden gesondert erbracht.
Inhaber des streitgegenständlichen Anspruchs ist allein der Kläger, nicht jedoch seine Mutter. Denn
anspruchsberechtigt im Rahmen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II sind nur die Schüler, nicht ihre
Eltern (vgl. Rothkegel in Gagel, SGB III mit SGB II, 29. Erg.-Lfg., Stand: Mai 2007, § 23 SGB II Rd.Nr. 71).
Deshalb ist vorliegend davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers nicht in eigenen Namen, sondern
als dessen gesetzliche Vertreterin die Übernahme der Kosten der Klassenfahrt bei der Beklagten
beantragte. Dies steht auch im Einklang mit ihrem Schreiben vom 4. Mai 2006, mit dem sie ausdrücklich
die Übernahme der Kosten einer Klassenfahrt ihres Sohnes, also des Klägers, begehrt. Demgemäß hat
seine Mutter in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Klägers auch Widerspruch eingelegt und
Klage erhoben. Daher war das Rubrum zu berichtigen.
Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II setzt voraus, dass eine mehrtägige Klassenfahrt
im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen stattfindet. Dem entspricht die Klassenfahrt des Klägers
vom 18. bis 24. Mai 2006 nach Cardiff/Wales.
Klassenfahrten im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II, auch Studien- oder Schulfahrten genannt,
sind mehrtägige im Klassen- bzw. Klassen ersetzenden Kursverband erfolgende Reisen, die mit dem der
besuchten Schule zuzurechnenden Unterricht zusammenhängen (vgl. Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II,
1. Aufl. 2005, § 23 Rd.Nr. 110 m. w. Nachw.). Diesen Anforderungen wird die besagte Klassenfahrt des
Klägers gerecht. Es handelte sich hierbei ausweislich der Bestätigung der …-Realschule vom 3. Juli 2006
um eine Klassenfahrt bzw. Sprachreise, die insgesamt sieben Tage dauerte und somit auch mehrtägig im
Sinne der gesetzlichen Vorschrift war.
Die Klassenfahrt fand auch im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen statt. Die pädagogische
Gestaltung des Unterrichts und die Umsetzung des Lehrplanes obliegt allein den Schulen und nicht den
Sozialleistungsträgern oder Gerichten. Es sind die Schulen, die die pädagogischen Ziele und
Schwerpunkte festlegen, um die Qualität schulischer Arbeit zu entwickeln und zu sichern (§ 23 Abs. 2
Satz 1 des Schulgesetzes vom 30. März 2004, GVBl. S. 239). Denn die Schulen haben den in Artt. 31, 33
der Verfassung für Rheinland-Pfalz verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen und
den Schülern dabei ausschließlich unter Beachtung ihrer Begabung und folglich ohne Rücksicht auf ihre
Herkunft oder wirtschaftliche Lage Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln. Hält sich daher eine
Klassenfahrt im Rahmen dieser schulrechtlichen Bestimmungen, sind weitergehende Erwägungen über
ihre Notwendigkeit oder Angemessenheit weder von den Sozialleistungsträgern noch von den Gerichten
anzustellen (so auch SG Speyer, Beschluss vom 13. Juni 2007 − S 5 ER 250/07 AS −). Dass eine
Klassenfahrt nach Großbritannien im Rahmen der Lehrveranstaltungen einer Realschule besonders
geeignet ist, die Englischkenntnisse der Schüler zu verbessern, noch zumal sie in Gastfamilien
untergebracht wurden, liegt auf der Hand und wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt.
Demnach sind die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II erfüllt.
Weitergehenden Anforderungen muss eine Klassenfahrt im Rahmen der Kostenübernahme nicht
entsprechen. Die einschlägigen Richtlinien des kommunalen Trägers, auf die die Beklagte ihre
ablehnende Haltung stützt, stehen zur Überzeugung der erkennenden Kammer nicht im Einklang mit den
gesetzlichen Vorgaben. Aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II lässt sich gerade nicht ableiten, dass
mindestens 90 v.H. der Klassenschüler teilnehmen müssen, damit die Kosten einer Klassenfahrt
übernommen werden. Denn weder ist der Begriff der Klassenfahrt teilnehmerabhängig definiert noch
sehen die schulrechtlichen Bestimmungen eine bestimmte Mindestteilnehmeranzahl vor.
Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass es durchaus sinnvoll erscheinen würde, die Übernahme der
Kosten für Klassenfahrten von einer bestimmten Mindestteilnehmerzahl abhängig zu machen, wenn der
Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II allein darin zu sehen wäre, eine Ausgrenzung
hilfebedürftiger Schüler zu vermeiden. Nimmt nämlich eine bestimmte Anzahl von Schülern − aus
Kostengründen − nicht an der Klassenfahrt teil, würden einzelne Schüler zwangsläufig nicht ausgegrenzt
mit der Folge, dass es dann mit Blick auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auch keiner
Kostenübernahme mehr bedürfe. Der Gesetzgeber verfolgt mit § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II
allerdings einen anderen Zweck. Er ist der Auffassung, dass Klassenfahrten ein wichtiger Bestandteil der
Erziehung durch die Schulen sind und dass eine Teilnahme durch die Übernahme der tatsächlichen
Kosten gewährleistet werden soll (vgl. BT-Drucks. 15/1541, S. 60; zur wortgleichen Vorschrift des § 31
SGB XII). Dieser Zweck würde aber jedenfalls dann nicht erreicht, wenn die Übernahme der Kosten einer
Klassenfahrt − wie es die von der Beklagten angeführten Richtlinien des kommunalen Trägers vorsehen −
von einer bestimmten, weder von den einzelnen Schülern noch ihren Eltern beeinflussbaren
Mindestteilnehmerzahl abhängig wäre.
Nach alledem hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der
Klassenfahrt vom 18. bis 24. Mai 2006 nach Cardiff/Wales. Die Beklagte ist daher gemäß § 130 Abs. 1
SGG unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 1. August 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 entsprechend zu verurteilen. Dabei wird hinsichtlich der
Höhe der zu übernehmenden Kosten zu berücksichtigen sein, ob und inwieweit für den Kläger die
Möglichkeit bestand, aus einem Schulfond oder über einen Schulförderverein einen finanziellen Zuschuss
zu der Klassenfahrt zu erhalten (§ 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II). In Anbetracht dessen ist die Beklagten nicht
antragsgemäß auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages (390,00 €) zu verurteilen.
Im Übrigen, also hinsichtlich des vom Kläger begehrten Taschengeldes, bleibt die Klage dagegen ohne
Erfolg.
Der Anspruch des Klägers aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II umfasst neben dem eigentlichen
Preis für die Klassenfahrt keine weiteren Leistungen. Insoweit kämen nach Auffassung der erkennenden
Kammer allenfalls gesondert zu erbringende Nebenkosten wie beispielsweise Eintrittsgelder für kulturelle
Veranstaltungen in Betracht. Denn gerade das kulturelle Programm prägt in der Regel die pädagogische
Zielsetzung und den Zweck von Klassenfahrten, so dass die Ermöglichung der Teilnahme hieran
Voraussetzung für die Verwirklichung der mit der Klassenfahrt verbundenen Zielsetzung ist (vgl. SG
Dortmund, Urteil vom 4. Dezember 2006 − S 33 AS 152/05 − m. w. Nachw., Juris). Diese Kosten sind
vorliegend aber ausweislich des Schreibens der …-Realschule vom 29. November 2005 bereits im
Reisepreis von 390,00 € enthalten und fallen somit nicht gesondert an. Demgegenüber ist ein −
allgemeines − Taschengeld nicht von der Beklagten zu erbringen, weil es weder die pädagogische
Zielsetzung noch den Zweck von Klassenfahrten prägt. Es ist daher nicht als Sonderbedarf im Sinne des
§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II, sondern als bereits durch die Regelleistung abgedeckt anzusehen
(vgl. Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Teil I, 8. Erg.-Lfg., Stand:
Januar 2007, § 23 SGB II Rd.Nr. 27).
Nach alledem hat die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Berufungszulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.