Urteil des SozG Speyer vom 25.04.2007

SozG Speyer: versicherungspflicht, vorläufiger rechtsschutz, sozialhilfe, krankenversicherung, krankheitsfall, erlass, hauptsache, vorrang, pauschal, glaubhaftmachung

Sozialrecht
SG
Speyer
25.04.2007
S 7 ER 163/07 KR
Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht
auch dann, wenn isoliert Leistungen der Krankenhilfe gemäß § 48 SGB XII i.V.m. § 264 SGB V bezogen
werden.
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin einstweilen als Pflichtversicherten in der
gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um das Bestehen der Versicherungspflicht für die Antragstellerin gem. § 5 Abs. 1
Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die am 1938 geborene Antragstellerin bezieht eine Altersrente und Wohngeld in Höhe von 658,99 €
bzw. 33,00 €. Die Antragstellerin erhält keine laufenden Leistungen von der Beigeladenen nach dem
Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) und
keine laufenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie war zu keinem Zeitpunkt privat
krankenversichert. Die Beigeladene gewährte ihr bis zum 31.3.2007 Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB
XII. Hierzu war die Antragstellerin als Betreute gem. § 264 SGB V bei der Antragsgegnerin gemeldet.
Mit Schreiben vom 30.3.2007 meldete die Beigeladene die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zum
31.3.2007 ab und wies auf die Einführung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V hin. Die Antragstellerin gab
daraufhin ihre Krankenversicherungskarte zurück.
Mit Bescheid vom 10.4.2007 lehnte die Antragsgegnerin die zuvor beantragte Feststellung der
Mitgliedschaft der Antragstellerin ab 1.4.2007 ab. Die Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
sei nicht eingetreten. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V setze unter anderem voraus, dass ein anderweitiger
Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nicht bestehe. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB XII
stelle aber einen solchen anderweitigen Anspruch dar.
Mit Schreiben vom 11.4.2007 legte die Antragstellerin hiergegen Widerspruch ein. Gleichzeitig beantragte
sie beim Sozialgericht Speyer den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Sie meint, sie sei ab dem 1.4.2007 gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtiges Mitglied der
Beklagten. Gem. § 5 Abs. 8a SGB V seien Personen, die - wie sie - lediglich Leistungen nach dem Fünften
Kapitel des SGB XII bezögen nicht von der Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
ausgenommen. Ein Eilbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestehe, weil er eine
schwere Herzerkrankung habe, die regelmäßig ärztlicher Kontrolle und Medikation bedürfe.
Die Antragstellerin beantragt schriftlich und sinngemäß,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie einstweilen als Pflichtversicherten in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu behandeln.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftlich,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin meint, eine Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bestehe nicht. Der
Versicherungspflicht sei ausgeschlossen, weil die Antragstellerin über § 264 SGB V eine anderweitige
Absicherung im Krankheitsfall habe. Dies ergebe sich explizit aus der Gesetzesbegründung, in der § 264
SGB V ausdrücklich als Fall einer anderweitigen Absicherung genannt sei. Die anderweitige Absicherung
dürfe nicht dadurch beseitigt werden, dass der Träger der Sozialhilfe die Antragstellerin kurzerhand von
der Betreuung gem. § 264 SGB V abmelde. § 5 Abs. 8a SGB V stelle gerade den Vorrang der Sozialhilfe
gegenüber der Versicherungspflicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V klar. Die Antragsgegnerin meint weiter,
ein Anordnungsgrund bestehe deshalb nicht, weil die Beigeladene einen Eilfall durch die Abmeldung der
Antragstellerin "produziert" habe. Dies sei im Hinblick auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)
nicht zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte der Beigeladenen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Absatz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in
Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts (Anordnungsanspruch) des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert (Anordnungsgrund) werden könnte (Satz 1). Einstweilige
Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928-932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO)
gelten entsprechend (Satz 4).
Für den Erlass einer Regelungsanordnung bedarf es also eines Anordnungsanspruchs und eines
Anordnungsgrundes (vgl. § 920 ZPO). Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht, für
das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird, der Anordnungsgrund ist bei der Regelungsanordnung die
Notwendigkeit des Eilverfahrens zur Abwendung wesentlicher Nachteile (vgl. Meyer-Ladewig, SGG,
7.Aufl. (2002), § 86 b, Rn.27 f.). Dabei sind Angaben glaubhaft zu machen (§ 920 Absatz 2 ZPO). Das
Gericht prüft die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung summarisch, d.h. Sach- und
Rechtsfragen werden vorläufig entschieden, da die Prüfung der Erfolgsaussichten die Entscheidung nicht
verzögern darf (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl. (2002), § 86 b, Rn.40).
Grundsätzlich darf dabei eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht erfolgen. Lediglich ausnahmsweise
kann es erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst ein zumutbarer
und angemessener Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragsstellerin unzumutbar wäre.
Die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes setzt voraus, dass substantiiert dargelegt und glaubhaft
gemacht wird, dass ein Eilverfahren notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
Hier sind sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch besteht. Die Antragstellerin ist nach summarischer Prüfung mit dem Inkrafttreten
des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zum 1.4.2007 - eingeführt durch Art. 1 § 4a Nr. 2 lit. a) cc) des Gesetzes zur
Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 (GKV-WSG; BGBl.
2007 I Nr. 11) als pflichtversichertes Mitglied der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Gem. § 5 Abs. 1
Nr. 13 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung
im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder
privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Absatz 5 oder den in §
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Abs.
1
oder
2
genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Gem.
§ 5 Abs. 8a SGB V ist u.a. nicht versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, wer Empfänger
laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches oder
Empfänger laufender Leistungen nach §
2
des Asylbewerberleistungsgesetzes ist.
Die Antragstellerin war, wie sich aus ihrem Schreiben vom 20.4.2007 ergibt niemals privat versichert. Sie
erhält auch keine laufenden Leistungen im Sinne des § 5 Abs. 8a SGB V. § 5 Abs. 8a SGB V erfasst
ausdrücklich Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII nicht. Dort sind aber die Leistungen der
Krankenhilfe gem. § 48 SGB XII geregelt.
Im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin auch keinen anderweitigen
Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Die Leistungen der Krankenhilfe nach § 48 SGB XII in
Verbindung mit § 264 SGB V sind keine anderweitige Absicherung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.
Zwar könnte man - isoliert betrachtet - die Leistungen zur Krankenhilfe gem. § 264 SGB V unter den
Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V subsumieren. Auch spricht die Begründung zum Entwurf des GKV-
WSG (BT-DS 16/3100) für die Rechtsauffassung der Antragsgegnerin. Aus der systematischen Auslegung
des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V im Zusammenhang mit Abs. 8a der Vorschrift zeigt aber, dass Leistungen
gem. § 264 SGB V gerade keine anderweitigen Ansprüche im Sinne der Regelung sind.
Die Begründung zum Entwurf des GKV-WSG kann kein tragfähiges Argument für die Rechtsauffassung
der Beklagten darstellen. Zwar ergibt sich aus der Begründung u.a. folgendes:
"[…] ohne Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall sind insbesondere die nicht
gesetzlich oder privat krankenversicherten Personen, die keinen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach §
40 SGB VIII, § 48 SGB XII, § 264 SGB V [haben] […]" (BT-DS 16/3100 S. 94)
Der Entwurf, auf den sich diese Begründung bezog, wurde jedoch wie folgt abgeändert. In der
Entwurfsfassung lautet § 5 Abs. 8a SGB V:
"Nach Absatz 1 Nr. 13 ist nicht versicherungspflichtig, wer nach Absatz 1 Nr. 1 bis 12
versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist. Satz 1 gilt entsprechend für
Empfänger von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger
laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes.“ (BT-DS 16/3100 S. 6)
Die zum 1.4.2007 Gesetz gewordene Fassung nimmt in Satz 2 des Abs. 8a aber nicht wie der Entwurf
pauschal Empfänger von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitels des SGB XII von der
Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus, sondern nur solche, die Leistungen nach dem
Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII beziehen. Insbesondere also nicht Empfänger
von Leistungen nach dem Fünften Kapitel - wie die Antragstellerin. Die Betreuung gem. § 264 SGB V
bleibt ihrer Natur nach auch eine Leistung nach dem Fünften Kapitel des SGB XII, obwohl Leistungen
nach dem SGB V von einem Krankenversicherungsträger erbracht werden. Die Ansprüche leitet sich
nämlich aus § 48 SGB XII ab und sind ohne diese Bezugsvorschrift im SGB XII nicht denkbar.
Die Begründung zum Entwurf bezieht sich damit auf einen nicht Gesetz geworden Teil des Entwurfs und
kann somit nicht zur Auslegung herangezogen werden.
Würde man über die Vorschrift des § 5 Abs. 8a SGB V hinaus, alleine über die im § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V
Ausnahme des "anderweitigen Anspruchs" einen Vorrang der Sozialhilfe gegenüber der
Versicherungspflicht herleiten, würde - systemwidrig - die Subsidiarität der Sozialhilfe ausgehebelt. Dies
kann nur durch ausdrückliche gesetzgeberische Anordnung geschehen, wie es durch § 5 Abs. 8a SGB V
für die dortigen Teilbereich der Sozialhilfe erfolgt ist. Schon aus dem dadurch nahe liegenden
Umkehrschluss ist ersichtlich, dass Leistungen aus dem Fünften Kapitel des SGB XII gerade nicht erfasst
sind.
Nach alledem ist die Antragstellerin nach summarischer Prüfung in der gesetzlichen Krankenversicherung
pflichtversichert.
Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich zumindest aus der
Erkrankung und Behandlungsbedürftigkeit der Antragstellerin. Die Eilbedürftigkeit wird nicht durch das -
nach den obigen Ausführungen rechtmäßige - Verhalten der Beigeladenen relativiert, da insoweit auf die
Situation der Antragstellerin abzustellen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und entspricht dem Ausgang des
Verfahrens.