Urteil des SozG Schleswig vom 21.02.2005

SozG Schleswig: wohnung, angemessenheit der kosten, umzug, unterkunftskosten, haushalt, zusicherung, wahlrecht, aufwand, sozialhilfe, vermieter

Sozialgericht Schleswig
Beschluss vom 21.02.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Schleswig S 6 AS 30/05 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ihre Zustimmung zur Anmietung der
Wohnung H.-Straße im Erdgeschoss und die Zusicherung zu den Aufwendungen für die künftige Unterkunft zu
erteilen.
Gründe:
Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche
Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die
Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die
begehrte Maßnahme. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsgrund und
Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Das bedeutet, dass die Beweisführung, die einem Antragsteller
hinsichtlich der von ihm behaupteten entscheidungserheblichen Umstände grundsätzlich obliegt, vorerst nur einen
geringeren Grad an Sicherheit vermitteln muss, als dies in einem Klageverfahren erforderlich wäre. In einem
Anordnungsverfahren einstweilen zugesprochene Mittel werden in aller Regel verbraucht und können, abgesehen von
Ausnahmefällen, nach einer etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren nicht mehr zurückgezahlt werden. Rein faktisch - wenn auch nicht rechtlich - werden somit im
Eilverfahren regelmäßig vollendete Tatsachen geschaffen; daher muss die Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs auf
die begehrte Leistung sehr groß sein, wobei gegebenenfalls allerdings auch zu berücksichtigen ist, in wessen Sphäre
die verbliebenen Ungewissheiten fallen, die den Unterschied zwischen geringer und hoher Wahrscheinlichkeit
ausmachen. Die Antragstellerin hat sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 2 SGB II. Der Antragsteller besitzt einen Anspruch auf
Zustimmung zur Anmietung der begehrten Wohnung aus § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II
hat der Antragsteller vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen
Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einzuholen. Nach Satz 2 des § 22 Abs. 2 SGB II ist der
kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die
neue Unterkunft angemessen sind. Diese an § 3 Abs. 1 der Regelsatzverordnung (BGBl. I Seite 515 vom 20. Juli
1962) angelehnte Vorschrift besitzt die Funktion einerseits dem Wahlrecht des Hilfebedürftigen (vgl. § 9 Abs. 2 SGB
XII) Rechnung zu tragen und andererseits eine Begrenzung der von der Allgemeinheit aufzuwendenden Mittel für
Unterkunft des Leistungsbeziehers zu bewirken. Die Leistungspflicht des kommunalen Trägers wird durch die
Angemessenheit der Wohnkosten begrenzt. Die Formulierung von § 22 Abs. 2 SGB II lässt den Schluss zu, dass im
Regelfall der Hilfeempfänger die Zustimmung der Behörde einholen soll. Tut er dies nicht, so wird die Übernahme der
Kosten durch die Angemessenheit begrenzt. Hieraus ergibt sich eine allgemeine Grenze dessen, was durch den
Leistungsträger zu tragen ist. Holt ein Leistungsberechtigter keine vorherige Zustimmung vom Leistungsträger ein, so
ist die Leistungspflicht auf die angemessenen Unterkunftskosten begrenzt (vgl. Berlit in LPK-SGB II, § 22 Rn. 52).
Nach dieser von Berlit geäußerten Auffassung stünde es einem Hilfeempfänger frei zwischen angemessenen
Wohnungen zu wechseln. Ob diese Auffassung zutreffend ist, mag im vorliegenden Fall dahin stehen, da es
entscheidend hierauf nicht ankommt. Für diesen freien Wechsel spricht einerseits das Wahlrecht des
Leistungsempfängers. Dieses in § 9 Abs. 2 SGB XII verankerte Wahlrecht findet auch für Leistungsbezieher nach
SGB II als allgemeiner Leistungsmaßstab Anwendung. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil 9. Dezember
2005 das Bundessozialhilfegesetz als allgemeinen Mindeststandard herangezogen (siehe Presse-Mitteilung Nr.
70/04). Die nachrangige Sozialhilfe besitzt somit auch die Funktion eines Referenzsystems (vgl. Rothkegel,
Sozialhilferecht, S. 125 ff.). Andererseits spricht gegen die von Berlit geäußerte Auffassung der
Bedarfsdeckungsgrundsatz. Der Bedarf des Leistungsbeziehers ist durch hinreichenden Wohnraum bereits gedeckt.
Der Umzug in eine teurere (aber ebenfalls noch angemessene) Wohnung ist im Regelfall nicht erforderlich.
Die Regelung des § 22 Abs. 2 SGB II ist dahingehend zu verstehen, dass ein Umzug von einer angemessenen
Wohnung in eine ebenfalls noch angemessene - aber teurere - Wohnung zulässig ist, wenn plausible Gründe für den
Umzug vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Vorgängerregelung, die nach
Auffassung der Kammer auf § 22 Abs. 2 SGB II zu übertragen ist, sind auch bei einem sozialhilferechtlich nicht
erforderlichen Umzug von einer angemessenen in eine teurere Wohnung, bei der aber die Unterkunftskosten auch
noch in einer angemessenen Spannbreite liegen, die Unterkunftskosten zu übernehmen, wenn die Mehrkosten
verhältnismäßig sind und die Gründe für den Umzug die Mehrkosten rechtfertigen (vgl. Bundesverwaltungsgericht,
NDV 1995, 298). Nach der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (FEVS 36, 291) bedarf es hierfür
des Vorliegens eines plausiblen, nachvollziehbaren und verständlichen Grundes. Dieser verständliche Grund kann
vielgestaltig sein. Die Gründe können darin liegen, dass die bisherige Wohnung zu klein ist, berufliche Gründe
vorliegen, Baumängel bestehen, in schlechten sanitären Verhältnissen, in problematischen gesundheitlichen
Verhältnissen oder auch andere Gründen. Diese Gründe sind im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
glaubhaft zu machen.
Aus der Kombination der absoluten Kappungsgrenze der angemessenen Wohnbeschaffungskosten und der
nachvollziehbaren Gründe für einen Wohnungswechsel kann geschlussfolgert werden, dass Gründe von einem
geringen Belang auch nur geringe Mehrkosten rechtfertigen. Gründe von erheblichen Belang (z.B. erhebliche
gesundheitliche Beeinträchtigungen) rechtfertigen einen deutlich höheren Aufwand. Jedoch wird auch der deutlich
höhere Aufwand durch die Angemessenheit der Kosten für die Wohnraumbeschaffung begrenzt.
Des Weiteren ist bei der Entscheidung stets zu berücksichtigen, ob durch den Wohnungswechsel weitere Kosten für
den Leistungsträger hervorgerufen werden. Gibt es keinen unmittelbaren sozialhilferechtlichen Anlass (Aufforderung
durch den Sozialhilfeträger die unangemessenen hohen Wohnraumkosten auf angemessene zu senken), so ist auch
zu berücksichtigen, ob durch den Umzug weitere Kosten hervorgerufen werden.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gegenwärtig beträgt die Nettokaltmiete der
Antragstellerin 312,14 Euro. Nach dem Angebot der Grundstücks-Gesellschaft "T.” mbH beträgt die Nettokaltmiete
320,84 Euro. Die Mietdifferenz zwischen beiden Wohnungen beträgt 8,70 Euro.
Nach der eigenen Festlegung der Antragsgegnerin über die neuen Angemessenheitsgrenzen für Unterkunftskosten in
der Sozialhilfe und beim Arbeitslosengeld II ab dem 01. Januar 2005 vom 16. Dezember 2004 beträgt die
Mietobergrenze für einen 2-Personen-Haushalt in diesem Fall 374,00 Euro. Hierbei handelt es sich nach der
Darstellung der Antragsgegnerin um Beträge der reinen Nettokaltmiete ohne Berücksichtigung von Betriebs- und
Heizkosten. Der Betrag von 274,00 Euro ist im vorliegenden Fall anzuwenden. Beim Haushalt der Antragstellerin
handelt es sich um einen 2-Personen-Haushalt, da ihre minderjährige Tochter mit in ihrem Haushalt lebt. Bei dem
Gebäude handelt es sich um ein solches, welches zu dem Baujahrbereich 1979 bis 2001 gehört.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 03. Februar 2005 davon ausgeht, dass auf die
Quadratmetergröße der Wohnungen abzustellen sei, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht. Nach der
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu der Frage der angemessenen Unterkunftskosten (vgl. § 3 Abs. 1 DVO zu
§ 22 BSHG) ist stets auf die angemessenen Unterkunftskosten abzustellen und nicht auf die tatsächliche Größe der
Wohnraumfläche (vgl. Hofmann in LPK-BSHG, § 12 Rdnr. 23 m.w.N.). Da sich die Wohnung im Rahmen der
Angemessenheitsgrenze bewegt, ist nicht darauf abzustellen, dass die Wohnung 17,74 Quadratmeter über dem von
der Antragsgegnerin als angemessen erachteten Wohnraumbedarf liegt.
Da die Wohnraumkosten nur 8,70 Euro über den bisherigen Wohnungskosten liegen, bedarf es nur der
Glaubhaftmachung hinreichender Gründe für einen Umzug. Die Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin
Drabicki vom 04. Februar 2005 stellt einen hinreichenden Grund für den Umzug dar. Die Antragstellerin hat zudem die
Wohnumstände in ihrer bisherigen Wohnung beschrieben und in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass ihre jetzige
Wohnung zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung ihrer Lebenssituation führt.
Die Antragstellerin wird darauf hingewiesen, dass eine Übernahme von Umzugskosten im vorliegenden Fall wohl
ausgeschlossen ist. Hierbei dürfte es sich nicht um einen Fall nach § 22 Abs. 3 SGB II handeln.
Der Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin zeitnah dem neuen Vermieter eine Rückantwort über
die Anmietung der Wohnung zu geben hat und es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass Vermieter, die ein
nachvollziehbares Interesse an der Vermietung ihrer Wohnung besitzen, nicht langfristig auf den Abschluss eines
Vertrages warten.