Urteil des SozG Saarbrücken vom 12.05.2010

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SG Saarbrücken Urteil vom 12.5.2010, S 21 KG 204/07
Kinderzuschlag - Unterschreiten der Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs 1 S 2 Nr 2
BKGG 1996 nach der Leistungsbewilligung - Aufhebung der Bewilligung und Erstattung der
erbrachten Leistungen
Leitsätze
1. Sinkt das Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung des Beziehers des
Kindergeldzuschlages nach der Leistungsbewilligung so ab, dass die
Mindesteinkommensgrenze des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKKG nicht mehr erreicht wird,
so liegt kein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vor.
2. Nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X
kommt diese Norm, die eine Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit
zulässt, nur dann zur Anwendung, wenn positiv, d.h. ein "Mehr", an Einkommen erzielt wird
und dies zu einem Wegfall oder zu einer Minderung des Anspruches auf Sozialleistungen
führt. 3. Bei dem Kinderzuschlag handelt es sich insofern um eine atypische Sozialleistung,
bei der nach § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BKKG nicht nur ein "Zuviel", sondern auch ein
"Zuwenig" erzielten Einkommen eine Leistungsberechtigung ausschließen kann. In
letzterem Fall ist für die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die
Vergangenheit nur Raum, soweit die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder
Nr. 4 SGB X vorliegen.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 12.12.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.03.2007 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung des Kinderzuschlages und die
Erstattung der erbrachten Leistungen.
Der 1960 geborene und mit der T.A. verheiratete Kläger stellte für seinen 2002 geborenen
Sohn D. am 12. Januar 2005 den Antrag auf Kinderzuschlag. Vor seiner Unterschrift in dem
vorgenannten Antrag versicherte er, alle Angaben richtig und vollständig gemacht zu haben
und insbesondere Änderungen bezüglich der Familien-, Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Beklagten unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Ferner
bestätigte der Kläger, dass Merkblatt über den Kinderzuschlag erhalten und von seinem
Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Der Kläger war seinerzeit bei der Firma M., Su.
abhängig beschäftigt mit einem Bruttolohn von 1.635,00 EUR und einem Nettolohn von
1.286,74 EUR.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab Januar 2005
Kinderzuschlag in Höhe von monatlich 112,00 EUR (die zutreffenden Berechnungen für
diesen Anspruch befinden sich auf den Blättern 13 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten).
Mit Schreiben vom 07. September 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass aufgrund
einer Rechtsänderung der Kinderzuschlag ab Oktober 2006 eingestellt werde. Zur Prüfung
des weiteren Anspruches sei ein erneuter Fragebogen mit entsprechenden Nachweisen
einzureichen.
Diesen Fragebogen reichte der Kläger am 27. September 2006 an die Beklagte zurück.
Hieraus ergab sich, dass der Kläger ab Januar 2006 nunmehr bei der Firma H.Sch. in S.
abhängig mit einem Bruttomonatslohn von 1.611,81 EUR beschäftigt gewesen ist. Der
Nettolohn betrug unter Abzug von 355,40 EUR Sozialversicherungsbeiträgen 1.256,41
EUR.
Die hierauf hin durchgeführten Berechnungen der Beklagten auf Blatt 49 ff. der
Verwaltungsakte ergaben, dass der Kläger aufgrund des geringeren Einkommens nunmehr
nicht mehr die Mindesteinkommensgrenze im Sinne des § 6 a Abs. 1 Nr. 2
Bundeskindergeldgesetz (BKKG) erreichte.
Mit Schreiben vom 09. Oktober 2006 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten
Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung für den im Zeitraum Januar bis September 2006
bezogenen Kinderzuschlag in Höhe von 1.008,00 EUR an.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 hob die Beklagte die Bewilligung des
Kinderzuschlages nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ab Januar 2006 bis September
2006 auf, da das klägerische Einkommen nicht mehr die Mindesteinkommensgrenze nach
§ 6 a Abs. 1 Nr. 2 BKKG erreiche. Der Kinderzuschlag in Höhe von 1.008,00 EUR sei nach
§ 50 SGB X vom Kläger zu erstatten.
Den hiergegen vom Kläger mit Schreiben vom 09. Januar 2007 erhobenen Widerspruch
wies die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2007 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2007 Klage erhoben und wie folgt vorgetragen. Eine
wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X habe es nicht
gegeben, da das Gehalt des Klägers sich nicht im Wesentlichen geändert habe. Auch greife
die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 SGB X nicht, da „Einkommen erzielt“ nur so
verstanden werden könne, dass ein Mehrbezug von Einkommen eintrete. Im Weiteren sei
der vorliegende Fall als atypischer Härtefall zu begreifen. Der Kläger verdiene ab 2006
weniger und solle nun auch noch den Kinderzuschlag zurückzahlen. Die nachträglich
bewilligten SGB II - Leistung sei zudem niedriger als der Kinderzuschlag. Dies hätte zu einer
Ermessensentscheidung der Beklagten führen müssen. Zuletzt sei zu berücksichtigen, dass
die ARGE zu einer abweichenden Einkommensberechnung für den Kläger gekommen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12. Dezember 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug
genommen; der Inhalt vorgenannter Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und liegt der Entscheidung zu Grunde.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in der Sache begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt den
Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Beklagte war zu einer Aufhebung
des dem Kläger bewilligten Kinderzuschlages für die Vergangenheit nicht berechtigt.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 SGB X. Soweit danach in
den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes
mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die Bewilligung des Kinderzuschlages in dem Bescheid vom 27. Januar 2005, die rechtlich
und rechnerisch zutreffend in Höhe von 112,00 EUR monatlich erfolgt ist, stellt einen
rechtmäßigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Aufgrund der Änderungen in den
Einkommensverhältnissen des Klägers ab Januar 2006 kam es zu einer wesentlichen
Änderung in den tatsächlichen Verhältnisses die, auch insofern kann auf die zutreffenden
Berechnungen der Beklagten verwiesen werden, dazu geführt hat, dass der Kläger nicht
mehr die Mindesteinkommensgrenze des § 6 a Abs. 1 Nr. 2 BKKG erreicht. Indes durfte die
Beklagte unter Beachtung von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ihren Bescheid vom 27. Januar
2005 am 12. Dezember 2006 nicht mit Wirkung für die Vergangenheit, d. h. mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zum 01. Januar 2006, aufheben. Die
eingeschränkten Voraussetzungen, unter denen dies möglich ist, sind vorliegend nicht
erfüllt.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X ist eine – belastende - Aufhebung mit Wirkung
für die Vergangenheit unter folgenden Voraussetzungen möglich:
- wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur
Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse
vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
- nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder
erzielt
Anspruches geführt haben würde,
- der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem Maße verletzt hat, dass er sich aus dem Verwaltungsakt
ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder
teilweise weggefallen ist.
Angesichts der ausgesprochen komplexen und selbst für einen Juristen nur schwer zu
überblickenden Berechnung des Kinderzuschlages kann auch unter Beachtung des
persönlichen Eindruckes, den die Kammer vom Kläger im Termin zur mündlichen
Verhandlung gewonnen hat, nicht davon ausgegangen werden, dass dieser wusste oder
aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt
ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise
weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Ebenso wenig greift die Norm des § 48
erzielt“
verstanden werden kann, dass der Betroffene ein Mehr an Einkommen erzielt, was zum
Wegfall einer Sozialleistung führt. Der hier zu entscheidende Fall, dass aufgrund eines
verminderten Einkommens die Sozialleistung wegfällt, ist nach Auffassung der Kammer
weder vom Wortlaut und ebenso wenig vom Sinn und Zweck dieser Vorschrift erfasst.
Insofern handelt es sich nämlich bei dem Kinderzuschlag um eine Sozialleistung, die
insofern eine Besonderheit aufweist, dass diese einem Betroffenen auch dann nicht
zustehen kann, wenn er zuwenig Einkommen erzielt. Dies ist im übrigen Bereich des
Bezuges von Sozialleistungen absolut untypisch, da bei diesen in der Regel nur ein Zuviel an
eigenem Einkommen eine Leistung ausschließt. Auf diese typischen Fälle jedoch ist die
Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zugeschnitten. Auf den vorliegenden Fall
kann sie indes keine Anwendung finden.
Zuletzt zu prüfen war, ob die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X Anwendung
finden kann. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung kann jedoch durch den Kläger
nicht von einer Verletzung von Mitteilungspflichten ausgegangen werden. Zunächst ist zwar
zu berücksichtigen, dass sich in der Verwaltungsakte der Beklagten im Februar 2006 kein
Eingang einer Verdienstbescheinigung für Januar 2006 verzeichnen lässt. Gleichwohl haben
sowohl der Kläger als auch die den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung
begleitende Ehefrau spontan und unter Beachtung des persönlichen Eindruckes, den die
Kammer von ihnen gewinnen konnte, auch glaubwürdig ausgeführt, dass die Ehefrau des
Klägers im Februar 2006 auf dem normalen Postwege die neue Verdienstbescheinigung für
Januar 2006 auch an die Beklagte gesandt hat. Damit hat der Kläger aus seiner Sicht alles
Notwendige getan, dass die entsprechende neue Information auch an die Beklagte gelangt.
Dass dieser Brief auf dem Postwege offenbar verloren gegangen ist, kann dem Kläger nicht
dahingehend angelastet werden, dass dies nunmehr für ihn eine
Mitteilungspflichtverletzung darstellt. Aufgrund der nur unwesentlichen Änderung des
Einkommens musste der Kläger auch aufgrund einer im Nachgang zu Februar 2006
fehlenden Änderungsentscheidung der Beklagten zur Höhe des Kinderzuschlages nicht
davon ausgehen, dass der Brief dort nicht angekommen ist. Insofern ist für einen die
Berechnung des Kinderzuschlages nicht überblickenden juristischen Laien bei einer
quantitativ gesehen nur unwesentlichen Änderung seines Einkommens nicht unbedingt zu
erwarten, dass dies eine Änderung des Kinderzuschlages nach sich zieht. Aus diesem
Grunde war der Kläger nach Auffassung der Kammer auch nicht gehalten, etwa im März
oder April 2006 bei der Beklagten nochmals nachzufragen, ob sein Brief mit der
geänderten Lohnbescheinigung im Februar 2006 dort auch angekommen ist.
Die Kammer verkennt nicht, dass sowohl im Anhörungs- als auch im Widerspruchs- und
Klageverfahren sich der Kläger nicht dahingehend eingelassen hat, die Beklagte rechtzeitig
von den geänderten Einkommensverhältnissen unterrichtet zu haben. Dies ist zum Einen
freilich auch dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte ihre Entscheidung auf § 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt hat, so dass der Kläger nicht herausgefordert war unter
Beachtung der Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X sich auf die Frage der
Verletzung von Mitteilungspflichten einzulassen.
Soweit der Kläger auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 09. Oktober 2006 nicht
bereits auf die Übersendung der neuen Lohnbescheinigung an die Beklagte hingewiesen
hat, hat die Kammer diesen Umstand dem Kläger vorgehalten. Hierbei ergab sich zum
Einen, dass das eigentliche Schreiben von der Ehefrau des Klägers gefertigt und vom
Kläger nur unterschrieben worden ist. Die Ehefrau gab, auch hier wiederum aufgrund des
persönlichen Eindruckes für die Kammer glaubwürdig an, dass sie unter dem Eindruck der
Privatinsolvenz ihres Mannes und der nunmehr auftauchenden Rückforderung von
1.008,00 EUR vollkommen aufgelöst gewesen sei und den Anhörungsbogen sodann direkt
ausgefüllt habe. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände erscheint es
nachvollziehbar, dass ein wenngleich durchaus entscheidendes Informationsdetail, sodann
zunächst nicht mitgeteilt wird. Hierbei ist auch das Gesamtverhalten des Klägers und
seiner Ehefrau zu würdigen, die nach Einstellung des Kinderzuschlages ab Oktober 2006
sodann den neuen Antrag am 27. September 2006 vollständig belegt eingereicht haben.
Auch hier erscheint die Einlassung der Ehefrau des Klägers glaubhaft und nachvollziehbar,
dass sie dies dann nicht gemacht hätte, wenn sie zuvor im Februar 2006 die Beklagte
nicht über die Änderung in den Einkommensverhältnisses informiert hätte. Nach alledem
konnte das Gericht nicht von einer Verletzung von Mitteilungspflichten auf Seiten des
Klägers ausgehen, so dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig und damit aufzuheben
ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.