Urteil des SozG Saarbrücken vom 14.09.2007

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SG Saarbrücken Entscheidung vom 14.9.2007, S 6 R 839/07
Erwerbsminderungsrente - Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres -
Rentenabschlag - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze
§ 77 Abs 2 SGB 6 ist dahingehend auszulegen, dass Erwerbsminderungsrenten nach dem
01.01.2004, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, auf
Grund des geminderten Zugangsfaktors einem Abschlag unterliegen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Reduzierung des Zugangsfaktors bei der Berechnung
ihrer Erwerbsminderungsrente.
Die 1953 geborene Klägerin bezieht Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit seit dem 28.08.2003.
Mit Schreiben vom 22.09.2006 begehrte sie eine Überprüfung der Rentenbescheide unter
Bezugnahme auf das Urteil des BSG mit dem Az.: B 4 RA 22/05 R, wonach die seit dem
Jahr 2001 eingeführten Rentenabschläge gesetz- und verfassungswidrig seien.
Mit Bescheid vom 23.02.2007 lehnte die Beklage das Begehren der Klägerin ab. Unter
Darlegung der Sach- und Rechtslage wurde ausgeführt, dass dem seitens der Klägerin in
Bezug genommenen Urteil des BSG vom 16.05.2006, Az.: B 4 RA 22/05 R nicht zu folgen
sei.
In ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch bezog sich die Klägerin erneut auf die o.g. BSG-
Rechtsprechung.
Er wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2007 zurückgewiesen.
Unter erneuter Darlegung der Sach- und Rechtslage führte die Beklagte aus, dass die
Abschläge bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch das Gesetz zur Reform
der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 mit einer
Übergangszeit vom 01.01.2001 bis 31.12.2003 eingeführt worden sei. Mit dem Gesetz
sei auch die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in
Anspruch genommenen Altersrente angeglichen worden. Dadurch hätten
Ausweichreaktionen auf eine abschlagsfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
verhindert werden sollen. Die ebenfalls mit diesem Gesetz eingeführte Neuregelung der
Zurechnungszeit ergebe eine beträchtliche Rentenerhöhung in den Fällen, in denen
Versicherte bereits in jungen Jahren erwerbsgemindert worden seien. Die über die gesamte
Bezugsdauer hinzunehmende Rentenkürzung aus der Verringerung des Zugangsfaktors
fände daher durch die neue Regelung der Zurechnungszeit eine hohe Kompensation.
Mit ihrer fristgemäß erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel wie im
Verwaltungsverfahren weiter.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 23.02.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 28.06.2007 die Beklagte zu verurteilen, ihre
Erwerbsminderungsrente ohne Minderung des Zugangsfaktors zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der
Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 SGG durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 23.02.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 28.06.2007 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin auch nicht in ihren
Rechten, denn sie hat keinen Anspruch auf Neuberechnung ihrer Rente wegen
Erwerbsminderung ohne Reduzierung des Zugangsfaktors.
Zwar hat das BSG, Urteil vom 16.05.2006, Az.: B 4 RA 22/05 und ihm folgen das
Landessozialgericht Saarbrücken entschieden, dass die Zeit des Bezuges einer
Erwerbsminderungsrente nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme im Sinne von §
77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI gilt, jedoch vermochte sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
Die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass es sich bei § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI
lediglich um eine Berechnungsregelung handelt, die verhindern soll, dass der Zugangsfaktor
bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres
unter einem Zugangsfaktor von 0,892, nämlich 136 x 0,003 herabsinken kann.
Die vom BSG vertretene Auffassung würde dazu führen, dass der Rentenbezieher
entgegen § 88 SGB VI bei Vollendung des 60. Lebensjahres eine Rentenkürzung hinnehmen
müsste, ohne das eine Veränderung seiner Verhältnisse eingetreten wäre. Zudem ergibt
sich kein logischer Grund dafür, dass die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres
berenteten Versicherten sich besser stehen sollten als die länger im Beruf stehenden
Versicherten, die erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres berentet werden.
Demnach kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass den o.g. Entscheidungen nicht zu folgen
ist (vgl. auch SG Aachen vom 09.02.2007, Az.: S 8 R 96/06) und die von der Beklagten
getroffene Reduzierung des Zugangsfaktors zu bestätigen war.
Die Klage erwies sich daher als unbegründet und war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG
abweisen.