Urteil des SozG Reutlingen vom 24.06.2010

SozG Reutlingen (beitragsbemessung, beginn des leistungsanspruchs, betrag, höhe, beginn, vermutung, berechnung, tätigkeit, einkünfte, einkommen)

SG Reutlingen Urteil vom 24.6.2010, S 14 KR 3892/09
Krankenversicherung - Höhe des Kranken- bzw Mutterschaftsgeldes bei selbstständiger Tätigkeit - keine
Auslegung des § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 als widerlegliche Vermutung
Leitsätze
Die Höhe des Krankengelds bei Selbstständigen ist anhand des Arbeitseinkommens zu bestimmen, das in dem
Einkommenssteuerbescheid, der der Beitragserhebung zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit
zugrunde lag, dokumentiert ist. Eine konkrete Ermittlung des tatsächlichen Arbeitseinkommens ist nicht nötig. §
47 Abs 4 Satz 2 SGB 5 ist nicht als widerlegliche Vermutung auszulegen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Mutterschaftsgeldes.
2
Die am ... geborene Klägerin war zu Beginn der Mutterschutzfrist am 23.01.2008 bei der Beklagten freiwillig mit
Anspruch auf Krankengeld versichert. Zu diesem Zeitpunkt zahlte die Klägerin Beiträge aus der
Mindestbemessungsstufe in Höhe von EUR 1.837,50. Der zum damaligen Zeitpunkt letzte aktuelle
Einkommensteuerbescheid datierte vom 03.04.2007 und betraf das Jahr 2005. Besteuerungsgrundlagen waren
damals Jahreseinkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von EUR 963,00 und aus anderer selbständiger
Arbeit in Höhe von EUR 3.472,00. Trotz Beginn der Mutterschutzfrist wurde Mutterschaftsgeld zunächst nicht
bewilligt.
3
Am 03.12.008 übersandte die Klägerin die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 (Bescheid vom
11.11.2008) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 17.11.2008). Die Beklagte setzte daraufhin mit Bescheid
vom 08.12.2008 die Beiträge ab 01.12.2008 aus den im Einkommensteuerbescheid 2007 ausgewiesenen
Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit (EUR 38.330,00), aus anderer selbständiger Tätigkeit (EUR 1.896,00)
und aus Kapitalvermögen (EUR 604,00), insgesamt aus monatlichen Einnahmen in Höhe von EUR 3.419,16
fest.
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Mit dem sowohl mit der Datierung 19. als auch 20.03.2009 vorliegenden Bescheid bewilligte die Beklagte
sodann Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 23.01.2008 bis 30.04.2008 unter Zugrundelegung des Einkommen,
das im Jahr 2006 verbeitragt wurde (EUR 1.837,50). Daraus errechnete sie ein tägliches Mutterschaftsgeld in
Höhe von EUR 42,88.
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Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 26.03.2009. Sie führte aus, nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auf das zuletzt tatsächlich erzielte Entgelt abzustellen.
Die Berechnungsvorschrift in § 47 Abs. 4 S. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) diene nur der
Verwaltungspraktikabilität. Sie habe sich vor ihrem Wechsel in die Versicherung mit Krankengeldanspruch
informiert und die Auskunft erhalten, dass der Krankengeldberechnung das tatsächlich erzielte Einkommen
zugrunde gelegt würde. Im Zusammenhang mit ihrem Mutterschutz habe sie angeboten, aktuelle
Einkommensnachweise vorzulegen. Die Steuererklärungen für die Jahr 2006 und 2007 seien damals bereits
abgegeben, aber noch beim Finanzamt in Bearbeitung gewesen. Der Einkommensteuerbescheid aus dem Jahr
2005 sei nicht mehr aktuell gewesen. Deswegen sei Berechnung des Mutterschaftsgeldes einvernehmlich
zurückgestellt worden. Im Bewilligungsbescheid sei dann doch die Beitragseinstufung im Jahr 2006 und nicht
die tatsächlichen Einnahmen im Jahr 2006 berücksichtigt worden, obwohl letztere bereits zum
Bewilligungszeitpunkt dokumentiert gewesen wären. Die Beklagte wolle Änderungen in den
Einkommensverhältnissen nur berücksichtigen, wenn sie zu Ungunsten des Betroffenen erfolgten. Richtig
seien hier die Einkünfte, die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 ausgewiesen würden, zugrunde
zu legen. Die tatsächlichen Einkommensverhältnisse seien zum Zeitpunkt der Berechnung und Auszahlung
des Mutterschaftsgeldes auch bekannt gewesen. Die Entgeltersatzfunktion des Mutterschaftsgeldes verlange
ein Abstellen auf die aktuellen Verhältnisse.
6
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009 zurück. Als
Berechnungsgrundlage käme maximal der Betrag, der vor Beginn der Mutterschutzfrist für die
Beitragsbemessung maßgebend war, in Betracht.
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Deswegen hat die Klägerin am 24.11.2009 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben. Sie wiederholt ihr
Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und ergänzt, sie habe schon vor der Auszahlung des
Mutterschaftsgeldes höhere Beiträge zahlen müssen.
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Die Klägerin beantragt,
9
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 19./20.03.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.10.2009 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 23.02. bis
01.05.2008 Mutterschaftsgeld unter Berücksichtigung der Einkünfte aus dem
Einkommenssteuerbescheid für 2007 zu gewähren.
10 Die Beklagte beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12 Die Beklagte nimmt zur Erwiderung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug. Auf
gerichtliche Nachfrage berechnete sie das Mutterschaftsgeld unter Berücksichtigung der im
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 ausgewiesenen Einkünfte fiktiv auf EUR 78,61 täglich.
13 Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der
Beklagten sowie auf die Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe
14 Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist
zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG).
15 Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein höheres Mutterschaftsgeld zu. Die
angefochtene Entscheidung erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten
verletzt.
16 Der Anspruch der Klägerin auf Mutterschaftsgeld in der Zeit vom 23.01. bis 30.04.2008 ist zwischen den
Beteiligten dem Grunde nach nicht streitig. Auch die Kammer sieht keinen Anlass an dem Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen zu zweifeln. Daher unterbleiben weitere Ausführungen hierzu.
17 Die Höhe des Mutterschaftsgelds war vorliegend gem. § 200 Abs. 2 S. 7 Reichsversicherungsordnung (RVO)
entsprechend den Bestimmungen zur Berechnung des Krankengeldes, hier also § 47 SGB V zu berechnen.
Das Mutterschaftsgeld beträgt nach § 47 Abs. 1 SGB V 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts
und Arbeitseinkommen, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Nach Abs. 4 S. 2 dieser
Vorschrift gilt für Versicherte, die - wie die Klägerin - nicht Arbeitnehmer sind, als Regelentgelt der
kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus
Arbeitseinkommen maßgebend war. Der Begriff des Arbeitseinkommens ist in § 15 Abs. 1 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) gesetzlich definiert. Es handelt sich dabei um den nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen
Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem
Einkommensteuerrecht zu bewerten ist.
18 Die Beitragsbemessung für freiwillig versicherte Selbständige wird nach dem Kenntnisstand der Kammer
regelmäßig nach dem letzten aktuellen Einkommensteuerbescheid vorgenommen.
19 Ausgehend vom Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V wird die Klägerin durch die von der Beklagten
vorgenommene Berechnung des Mutterschaftsgelds nicht benachteiligt. Im Gegenteil, an sich wäre ihr ein
geringeres Mutterschaftsgeld zu bewilligen gewesen.
20 Vor Beginn des Mutterschutzes lag der Beitragsbemessung der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005
zugrunde. Die Beitragsbemessung erfolgte jedoch nicht nach den dort ausgewiesenen Einkünften aus
freiberuflicher Tätigkeit und anderer selbständiger Arbeit von insgesamt EUR 4.435,00 jährlich (EUR 963,00 +
EUR 3.472,00), d.h. monatlich EUR 369,58. Denn dieses Einkommen unterschritt die nach § 240 Abs. 4 SGB
V vorgesehene Mindestbemessungsgrundlage. Deshalb entrichtete die Klägerin Beiträge aus der Mindeststufe
in Höhe von EUR 1.837,50. Bei dieser Mindeststufe handelt es sich jedoch nicht um ein fiktives
Arbeitseinkommen, sondern um eine reine Mindestbemessungsgröße. In § 240 Abs. 3 SGB V ist insoweit von
(fiktiven) beitragspflichtigen Einnahmen - das müssen nicht zwingend Einnahmen aus Arbeitseinkommen sein -
, jedoch nicht von einer Fiktion eines bestimmten Arbeitseinkommens die Rede.
21 An dieser Stelle ist auf die zwischen den Beteiligten thematisierte Rechtsprechung des BSG ein erstes Mal
einzugehen. Das BSG hat betont, dass bei der Berechnung des Krankengeldes (entsprechend hier des
Mutterschaftsgeldes) die Entgeltersatzfunktion ernst zu nehmen sei und vor allem in den Fällen, in denen bei
einer Beitragsbemessung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage klar zutage trete, dass tatsächlich
deutlich geringere Einkünfte erzielt wurden, das Krankengeld nicht aus der Mindestbemessungsgrundlage,
sondern aus den tatsächlichen Einkünften zu berechnen sei. Aus Sicht der Kammer hätte es für die
Begründung dieses Ergebnisses nicht einer systematischen Herleitung über die Entgeltersatzfunktion des
Krankengeld und der Interpretation des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegliche Vermutung bedurft.
Ausreichend wäre es gewesen, den Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V ernst zu nehmen. Der dortige
Verweis auf den Betrag, der der Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen zugrunde lag, bringt regelmäßig,
ohne dass es der Konstruktion einer „widerlegliche Vermutung“ bedurft hätte, dem Entgeltersatzprinzip
hinreichend Geltung. Denn bereits dem Wortlaut ist ohne die Notwendigkeit einer weiteren systematischen oder
teleologischen Auslegung zu entnehmen, dass allein auf das der Beitragsbemessung zugrunde liegende
Arbeitseinkommen abzustellen ist. Im Falle der Klägerin hätte dies bedeutet, dass der Berechnung des
Mutterschaftsgeldes allein die im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 genannten Einkünfte aus
freiberuflicher und selbstständiger Tätigkeit mit einem monatlichen Betrag von unter EUR 400,00 zugrunde zu
legen gewesen wäre. Soweit die Klägerin zum Beginn der Mutterschutzfrist aus einem höheren Betrag Beiträge
leistete, beruhte dies nicht auf verbeitragten Arbeitseinkommen, sondern allein auf der gesetzlich angeordneten
Verbeitragung nach einer Mindestbemessungsgrundlage (§ 240 SGB V). Insoweit besteht bis hier
Übereinstimmung mit dem Leitsatz des Urteils des BSG vom 30.03.2004 (B 1 KR 32/02 R, zitiert nach Juris):
Danach bemisst sich das Krankengeld eines freiwillig versicherten hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen
nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden
Mindesteinkommen.
22 Allerdings geht das BSG in den Urteilen vom 14.12.2006 (B 1 KR 11/06 R, zitiert nach Juris) und 06.11.2008 (B
1 KR 8/08 R) letztlich doch einen anderen, von der strengen Beachtung des Wortlauts, hier insbesondere des
Begriffs des Arbeitseinkommens in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V, abweichenden Weg. Denn aus § 47 Abs. 4 S. 2
SGB V schließt das BSG zunächst, dass der der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag und nicht das
im letzten Steuerbescheid dokumentierte Arbeitseinkommen im Sinne einer widerlegbaren Vermutung als
Regelentgelt der Krankengeldberechnung zugrunde zu legen ist. Um die Entgeltersatzfunktion des
Krankengeldes zu sichern, bedurfte das BSG freilich eben der Konstruktion einer „widerlegbaren Vermutung“.
Dies wäre jedoch - wie bereits ausgeführt - bei strenger Beachtung des Wortlauts nicht nötig gewesen.
23 Die Auslegung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegbare Vermutung überzeugt die Kammer nicht, da sie
im Wortlaut der Norm keinen Stütze findet. Dem Wortlaut der Norm lässt sich keinerlei Hinweis auf eine
Vermutungsregelung entnehmen. Die Kammer geht davon aus, dass der Gesetzgeber, wenn er eine
Vermutungsregelung schaffen möchte, dies auch klar zum Ausdruck bringt. Als Beispiel sollen hier genannt
werden: § 7 Abs. 3 a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der dortige Wortlaut: „Ein wechselseitiger
Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn (...)“. In § 120
Abs. 2 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wird formuliert: „Bei Schülern oder Studenten einer
Hochschule, (…) wird vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können“. Weiter
heißt es in S. 2: „Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Schüler oder Student (...)“. In § 46 Abs. 2a Sechstes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist geregelt: „Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente
oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den
besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder
überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen“. Auch die
Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nach der ein schriftlicher, postalisch
übermittelter Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, wird durch S.
3 der Vorschrift „dies gilt nicht, wenn“ klar als Vermutungsregelung gekennzeichnet. Derartiges ist für die
Kammer in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht ersichtlich. Aus Sicht der Kammer wollte der Gesetzgeber keine
Vermutungsregelung schaffen, sondern entsprechend dem, auch BSG angesprochenen, Gesichtspunkt der
Verwaltungspraktikabilität (beispielsweise im Urteil vom 14.12.2006, B 1 KR 11/06 R) den Vorrang geben. Der
Verwaltungspraktikabilität entspricht es jedoch am meisten, wenn bei der Berechnung des Kranken-
/Mutterschaftsgelds der Betrag ohne weitere Nachprüfung zugrunde gelegt wird, der als Arbeitseinkommen (!)
zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde lag. Wohl gemerkt, der Betrag, der das Arbeitseinkommen
kennzeichnet und nicht die Mindestbemessungsgrundlage. Dies dürfte regelmäßig ohne weitere Ermittlungen
möglich sein, und zwar auch in den Fällen, in denen die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zur Anwendung
kam. Denn die Bemessung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage liegen - davon geht die Kammer
aus - ebenfalls die Kenntnisnahme des letzten aktuellen Steuerbescheids nebst den darin ausgewiesenen
Einkünften aus selbständiger Tätigkeit, die nur die Mindestbemessungsgrundlage unterschritten, zugrunde.
24 Hinsichtlich des eben genannten Gesichtspunktes der Verwaltungspraktikabilität ist darauf hinzuweisen, dass
die konkrete Vorgehensweise im vorliegenden Sachverhalt gerade nicht der Sicherung der unmittelbaren
Entgeltersatzfunktion des Mutterschaftsgelds entsprach. Die Bewilligung des Mutterschaftsgelds über ein Jahr
nach Beginn der Mutterschutzfrist mag im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt sein, dem gesetzgeberischen
Zweck, den regelmäßigen Lebensunterhalt zu sichern, konnte das Mutterschaftsgeld zum Zeitpunkt der
Bewilligung jedoch nicht mehr dienen. Entsprechend kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass sie
ab 01.12.2008 tatsächlich höhere Beiträge entrichtete. Das Mutterschaftsgeld hätte am 01.12.2008 schon
lange bewilligt sein müssen.
25 Die Klägern kann sich nicht darauf berufen, vor Beginn der Mutterschutzfrist tatsächlich ein höheres
Einkommen erzielt zu haben. Dies war, wie sich aus den zwischenzeitlich vorgelegten
Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2006 ff. ergibt, durchaus der Fall. Die Berücksichtigung des
tatsächlich höheren Einkommens lässt sich aber mit dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht
vereinbaren. Maßgeblich ist das Arbeitseinkommen, das der Beitragsbemessung zugrunde lag. Insoweit wird
ein Gleichgewicht zwischen der Beitragsbelastung und dem Leistungsanspruch hergestellt.
26 Völlig zu Recht bemängelt die Klägerin aus Sicht der Kammer, dass sich die Beklagte bzw. das BSG und im
Anschluss daran auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 15.04.2008 (L 11
KR 3606/07) argumentativ in einer schwierigen Position bewegen, wenn § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V im Sinne einer
widerleglichen Vermutung nur dann zur Anwendung kommen soll, wenn das Arbeitseinkommen vor Beginn des
Leistungsanspruchs geringer ist als der der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag, nicht jedoch, wenn
das tatsächliche Arbeitseinkommen höher ausfällt als dieser Betrag. Ohne weitere Begründung führt das BSG
im Beschluss vom 28.07.2008 (B 1 KR 44/08 B, zitiert nach Juris) aus, dass, sollte der zuletzt der
Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag angeblich geringer als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich
erzielte Arbeitseinkommen des Versicherten gewesen sein, das vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erzielte
Arbeitseinkommen nicht konkret ermittelt werden muss. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bei
Betonung des Entgeltersatzprinzips, erscheint diese Sichtweise fragwürdig. Nachvollziehbarer erscheint
insoweit die Argumentation des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Urteil vom 15.04.2008 (L 11 KR
3606/07 - die dem eben genannten BSG-Beschluss vorgehende Entscheidung), wonach es quasi eine
Obliegenheit des Versicherten ist, höheres Einkommen durch eine alsbaldige Veranlassung und Vorlage des
Einkommensteuerbescheids zeitnah nachzuweisen und entsprechend zeitnah höhere Beiträge zu entrichten,
um sich damit höhere Leistungsansprüche zu sichern.
27 Im Ergebnis bedarf es jedoch aus Sicht der Kammer dieser schwer zu begründenden Auffassung, dass eine
Vermutung nur in eine Richtung widerlegbar sein soll, nicht. Um die Entgeltersatzfunktion ausreichend zu
sichern, reicht es - wie bereits mehrfach ausgeführt -, den Wortlaut des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V ernst zu
nehmen, d.h. der Berechnung des Kranken-/Mutterschaftsgeld das letzte über einen
Einkommensteuerbescheid nachgewiesene Arbeitseinkommen zugrunde zu legen.
28 Die Kammer verkennt nicht, dass damit abweichend von der Auffassung des BSG Fälle denkbar sind, in denen
in dem letzten Einkommensteuerbescheid Einkünfte ausgewiesen sind, die höher sind als die zuletzt vor
Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder des Mutterschutzes erzielten tatsächlichen Einkünfte. Dies muss jedoch
aus Sicht der Kammer angesichts des klaren Wortlauts des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V hingenommen werden. Im
Übrigen hält die Kammer dieses Problem angesichts des neben der Beachtung der Entgeltersatzfunktion auch
zu berücksichtigenden Grundsatzes der Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen für hinnehmbar. Dies
gilt auch vor allem im Hinblick darauf, dass bei freiwillig versichert selbständig Tätigen stets eine zeitversetzte
Verbeitragung erfolgt. In den Grenzen, in denen bei der Verbeitragung ein Auseinanderfallen der tatsächlichen
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit den aktuellen Beiträgen in Kauf genommen wird, muss auch ein
Auseinanderfallen der letzten tatsächlichen Einkünfte und der Entgeltersatzleistung akzeptiert werden.
Ansonsten würde hier aus Sicht der Kammer auch ein kaum hinnehmbares Ungleichgewicht entstehen.
29 Nach alledem stand der Klägerin kein höheres Krankengeld zu. Anzumerken ist, dass das Ergebnis gleich
wäre, wenn die Kammer sich in vollem Umfang der eben genannten Entscheidungen des BSG und des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 15.04.2008, Beschluss vom 28.07.2008 a.a.O.)
angeschlossen hätte.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.