Urteil des SozG Reutlingen vom 03.04.2008

SozG Reutlingen: bundesamt für migration, kosovo, ausreise, treu und glauben, aufenthalt, schweizerische eidgenossenschaft, tschechische republik, anerkennung, niedersachsen, verwaltung

Sozialgericht Reutlingen
Gerichtsbescheid vom 03.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Reutlingen S 2 AY 1686/07
Die Klagen werden abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i.V.m.
dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII.
Die Klägerin zu 1 ist am ... geboren und serbisch-montenegrinische Staatsangehörige. Am 4. Juli 1991 ist sie
zusammen mit ihrem damaligen, am ... geborenen kroatischen Ehemann aus Jugoslawien in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist und hat einen Asylantrag gestellt. Seit dem 25. Juli 1991 bezieht sie Leistungen des
Beklagten.
Am ... wurde als Sohn der Klägerin zu 1) der Kläger zu 2) geboren. Ein Asylantrag für ihn wurde nicht gestellt.
Am ... wurde als Tochter der Klägerin zu 1) die Klägerin zu 3) geboren. Ein Asylantrag für sie wurde nicht gestellt.
Am 12. Juli 1993 erklärten die Klägerin zu 1) sowie ihr damaliger Ehemann bei einer Anhörung beim Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge übereinstimmend ausdrücklich, dass die beiden inzwischen geborenen
Kinder nicht in das Asylverfahren mit aufgenommen werden sollen.
Mit Bescheid vom 7. September 1992 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die
Asylanträge der Klägerin zu 1) und des Ehemannes ab und stellte außerdem fest, dass bei der Klägerin zu 1), ihrem
damaligen Ehemann und der Klägerin zu 3) weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG)
noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Die Klägerin zu 1), ihr damaliger Ehemann sowie die
Klägerin zu 3) wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der
Entscheidung zu verlassen. Im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist einen Monat nach dem
unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.
Mit Bescheid vom 7. Februar 1994 forderte das Regierungspräsidium Tübingen – Bezirksstelle für Asyl – den Kläger
zu 2) auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach
Bekanntgabe der Entscheidung, zu verlassen.
Mit Urteil vom 11. November 1994 wies das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Klagen der Klägerin zu 1), ihres
Ehemannes sowie der Klägerin zu 3) gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 7. September 1993 ab (Az.: A 7 K 13349/93). Die Entscheidung wurde am 12. Dezember 1994
rechtskräftig. Die Abschiebungsandrohung wurde am 13. Januar 1995 vollziehbar.
Am ... wurde als Tochter der Klägerin 1) die Klägerin zu 4) geboren.
Mit Bescheid vom 2. November 1995 forderte das Regierungspräsidium Tübingen – Bezirksstelle für Asyl – die
Klägerin zu 4) auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer
Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, zu verlassen.
Mit Schreiben vom 2. September 1997 teilten das Regierungspräsidium Tübingen – Bezirksstelle für Asyl – der
Klägerin zu 1) und ihrem Ehemann mit, dass eine Ausreise nach Kroatien seit zwei Jahren möglich sei. Die Duldung
werde gemäß § 56 Abs. 6 AuslG letztmalig für die Dauer von 3 Monaten verlängert.
Im März 1998 verließ der Ehemann der Klägerin zu 1) die Bundesrepublik Deutschland und hielt sich anschließend nur
noch wochenweise in Deutschland als Tourist auf.
Seit September 1998 besucht der Kläger zu 2) eine allgemeinbildende Schule.
Am ... wurde als Sohn der Klägerin zu 1) der Kläger zu 5) geboren.
Mit Bescheid vom 18. März 2004 forderte das Regierungspräsidium Tübingen – Bezirksstelle für Asyl – den Kläger zu
5) auf, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach
Bekanntgabe der Entscheidung, zu verlassen.
Am 17. Dezember 2004 beantragten die Klägerin zu 1) die Gewährung von Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ab
dem 1. Januar 2005.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Januar 2005 ab und verfügte zugleich eine Kürzung der
Leistungen ab Februar 2005 gemäß § 1a AsylbLG. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die
Kläger die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätten, indem sie bei der Passbeschaffung nicht
mitgewirkt und außerdem gegen § 50 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verstoßen hätten.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin zu 1) am 26. Januar 2005 Widerspruch ein. Am 28. Januar 2005 legten alle
Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein.
Am 1. Februar 2005 legten die Kläger zwei Bescheinigungen des Vereins der Ashkali/Kosovo vor, laut der es sich bei
der Familie der Kläger um Angehörige der Minderheit der Ashkali aus dem Kosovo handele.
Mit Bescheid vom 25. April 2005 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 19. Januar 2005 insoweit auf, als darin die
Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG ab dem 1. Februar 2005 verfügt worden war.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2005 meldete das Regierungspräsidium Tübingen – Bezirksstelle für Asyl – dem
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Kläger zu 2), 4) und 5) und teilte mit, dass diese bisher
kein Asylverfahren betrieben hätten.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennung der Kläger zu
2), 4) und 5) als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab.
Mit Urteil vom 20. Februar 2006 hob das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Az.: A 2 K 10576/05) den Bescheid des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juli 2005 auf, da er formell rechtswidrig sei, da das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge in Ermangelung eines Asylantrages zu einer Entscheidung über die Anerkennung der
Kläger zu 2), 4) und 5) des hiesigen Verfahrens als Asylberechtigten nicht berufen sei.
Am ... wurde die Ehe der Klägerin zu 1) vor dem Amtsgericht ... geschieden (Az.: 6 F 1394/04)
Mit Bescheid vom 19. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Januar 2005
zurück.
Mit ihrer am 30. April 2007 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Ansicht, dass sie
die Dauer ihres Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten. Der Umstand, dass sie nicht
freiwillig in den Kosovo ausgereist seien, sei nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar werde von der Beklagten zutreffend
darauf hingewiesen, dass nach der derzeitigen Rechtssprechung eine freiwillige Rückkehr von Minderheiten aus dem
Kosovo grundsätzlich und tatsächlich möglich sei. Nach Mitteilung der UNMIK-Verwaltung im Kosovo stimme diese
Verwaltung einer überprüften und kanalisierten Rückkehr von Minderheiten in den Kosovo zu. Die Verantwortlichen der
UNMIK ließen die Rückkehr allerdings lediglich für Minderheiten der Ashkali zu, nicht jedoch der Roma. Nach
Mitteilung der UNMIK sei die Sicherheitslage im Kosovo zwar stabiler als noch im Jahr 2004, wobei sich die UNMIK-
Verwaltung allerdings vorbehalte, bei Abschiebungen jeden Einzelfall zu überprüfen und die Möglichkeit vorbehalte,
einer Rückführung bestimmter Personen zu widersprechen. Die Verwaltung im Kosovo sei nicht in der Lage,
rückkehrwillige Personen aufzunehmen, diese zu versorgen oder unterzubringen. Eine mögliche Rückkehr von
Minderheiten aus dem Kosovo sei nur dort möglich, wo noch Verwandte in den früheren Wohnorten lebten, die die
Aufnahme und Eingliederung dieser Personen gewährleisten könnten. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Kosovo
wären die Kläger auf Hilfen von dritter Seite angewiesen. Nach Mitteilung der UNMIK könne dies allerdings durch die
dortige Verwaltung nicht gewährleistet werden. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sowie der
Versorgungslage im Kosovo sowie der Tatsache, dass Minderheiten aus dem Kosovo nach wie vor dort nicht gelitten
seien, könne im Falle der Kläger von einem Rechtsmissbrauchs ihres Aufenthaltes nicht ausgegangen werden.
Alleinstehende und insbesondere allein erziehende Frauen hätten im Kosovo keine ausreichende Lebensbasis. Die
Kläger zu 2) bis 5) seien überdies im Bundesgebiet geboren und ausschließlich im Bundesgebiet aufgewachsen. Sie
seien im höchsten Maße in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Ihre "Heimat" sei ihnen
völlig unbekannt. Dies gelte nicht nur für die Kultur, sondern auch für die Sprache, die Schrift und auch sonstige
Verhältnisse. Den Klägern zu 2), 4) und 5) stehe überdies bis zum rechtskräftigen Abschluss des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu, so dass auch vor diesem Hintergrund
der Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19. April 2007 zu verpflichten, ihnen ab dem 1. Januar 2005 Leistungen nach § 2 Abs. 1
Asylbewerberleistungsgesetz in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Entscheidung fest. Er ist der Ansicht, dass die Kläger die Dauer ihres Aufenthaltes in der
Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätten. Sie seien seit über zehn Jahren
ausreisepflichtig und dennoch nicht freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt. Der Umstand, dass die Kläger zur
ethnischen Minderheit der Ashkali aus dem Kosovo gehörten, hindere die Ausreise nicht. Hinzu komme, dass die
Klägerin zu 1) erst im Februar 2005 eine Bestätigung vom Verein der Ashkali vorgelegt habe, dass sie zu dieser
Minderheit gehöre. Die Kläger hätten zumutbare Ausreisemöglichkeiten nicht wahrgenommen. So hätte die Familie
bereits 1996 gemeinsam freiwillig nach Kroatien ausreisen können, wenn sie die entsprechenden Anstrengungen
unternommen hätten, um die Voraussetzungen für eine gemeinsame freiwillige Einreise nach Kroatien zu erfüllen.
Nachdem der Ehemann der Klägerin vom kroatischen Konsulat einen Pass erhalten habe, sei dieser im Februar 1998
ohne seine Familie nach Kroatien ausgereist. Verschiedene Anfragen seitens der Bezirksstelle für Asyl beim
kroatischen bzw. serbischen Konsulat hinsichtlich der Ausstellung von Passersatzpapieren für die Kläger seien
negativ ausgefallen, da zum Teil Unterlagen fehlten, die durch die Kläger nicht beigebracht worden seien. Seit dem 1.
Mai 2005 seien Rückführungen der Minderheit der Ashkali und der Ägypter in den Kosovo wieder möglich. Im Jahr
1996 seien die Kläger zu 2), 3) und 4) in einem Alter gewesen, in dem sie in die deutsche Gesellschaft und die
hiesigen Lebensverhältnisse noch nicht so integriert waren, dass ihre Ausreise einer "Auswanderung" nahekäme. Der
Kläger zu 5) sei zu dieser Zeit noch nicht einmal geboren gewesen. Daraus, dass eine bestehende und zumutbare
Rückreisemöglichkeit jahrelang nicht wahrgenommen worden sei, könnten sich leistungsrechtlich nicht auch noch
Vorteile ergeben.
Das Gericht hat die Beteiligten auf seine Absicht, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden
hingewiesen, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Kläger und der Beklagte haben sich mit einer
Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Gerichts, auf die beigezogenen Akten
der Beklagten sowie auf die beigezogenen Akten des Regierungspräsidiums ... – Bezirksstelle für Asyl – Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Das Gericht konnte den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten.
2. Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19. April 2007 ist rechtmäßig. Weder die Klägerin zu 1) (dazu unter a) noch die Kläger
zu 2 bis 5 (dazu unter b) haben einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V. m. dem
SGB XII. Streitgegenständlich ist dabei der Zeitraum vom 1. Januar 2005, wie es mit der Antragstellung am 17.
Dezember 2004 begehrt wurde, bis zur gerichtlichen Entscheidung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom
22.11.2007, Az.: L 7 AY 4504/06, Juris, Rdnr. 15).
a) Die Klägerin zu 1 hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V. m. dem SGB
XII.
aa) Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung ist abweichend von den §§ 3 bis
7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von
insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthaltes nicht
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Zwar hat die Klägerin zu 1) über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Damit
kann dahinstehen, ob die mit Wirkung zum 28. August 2007 eingeführte 48-Monats-Regelung auch auf Altfälle
Anwendung findet oder ob insofern noch auf die bis zum 27. August 2007 geltende 36-Monats-Regelung abzustellen
ist (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007, Az.: L 7 AY 4504/06, Juris, Rdnr. 18).
Die Klägerin zu 1) hat jedoch die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Bei dem
Tatbestandsmerkmal der nicht rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer handelt es sich um eine
anspruchsbegründende Tatsache, für die der Betroffene die objektive Beweislast trägt. Die Gegenansicht (BSG, Urteil
vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [341]; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
16.10.2007, Az.: L 11 AY 28/05, Juris, Rdnr. 22; Hohm, in: ders. [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, §
2 [2006] Rdnr. 93) berücksichtigt nicht, dass § 2 Abs. 1 AsylbLG die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der
Aufenthaltsdauer gerade nicht als anspruchsvernichtende Tatsache normiert hat, wie dies durch eine für
anspruchsvernichtende Normen typische negative Formulierung (etwa: "es sei denn, dass sie die Dauer des
Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben") zum Ausdruck hätten kommen können (vgl. beispielhaft
§ 10 Abs. 1 SGB II, §§ 145, 476 Bürgerliches Gesetzbuch). Wenn man davon ausgeht, dass selbst eine solche "es-
sei-denn"-Formulierung im Sozialrecht nicht zu einer Beweislastumkehr führt (so Rixen, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.],
SGB II, 2. Aufl. 2008, § 10 Rdnr. 140), dann muss die übliche Beweislastverteilung – sie trägt sowohl hinsichtlich des
Vorhandenseins positiver als auch für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale derjenige, der einen Anspruch
geltend macht (vgl. nur Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 103 Rdnr. 19a, m.w.N.) –
im vorliegenden Zusammenhang mangels anderer Normierung erst Recht gelten.
Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer versteht § 2 Abs. 1 AsylbLG auch eine von
der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der
Rechtsposition, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erlangt hat (BSG,
Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [339]; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom
22.11.2007, Az.: L 7 AY 4504/06, Juris, Rdnr. 19). Darunter fällt auch der Verbleib eines Ausländers in Deutschland,
dem es möglich und zumutbar wäre, auszureisen (BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58
[2007], S. 337 [339], m.w.N.).
Die Rechtsordnung verlangt von Ausländern für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einen
Aufenthaltstitel in Form eines Visums, einer Aufenthalts- oder einer Niederlassungserlaubnis (§ 4 Abs. 1 AufenthG)
bzw. bis zum 31. Dezember 2004 eine Aufenthaltsgenehmigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 5 AuslG). Wer – wie die
Klägerin zu 1) – darüber nicht verfügt, ist unverzüglich oder bis zum Ablauf einer ihm gesetzten Frist zur Ausreise
verpflichtet (§ 50 Abs. 1 und 2 AufenthG bzw. § 42 Abs. 1 und 3 AuslG). Kommt er dem nicht nach, ist die Ausreise
zwangsweise durchzusetzen: Der Ausländer wird abgeschoben (§ 58 Abs. 1 AufenthG; früher § 49 Abs. 1 AuslG). Ist
das aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, wird die Abschiebung vorübergehend ausgesetzt (§ 60a
Abs. 2 AufenthG; früher § 55 Abs. 2 AuslG). Durch die "Duldung" bleibt die Ausreisepflicht unberührt (§ 60a Abs 3
AufenthG; früher § 56 Abs. 1 AuslG).
Nach dieser Konzeption widerspricht der weitere Inlandsaufenthalt des ausreisepflichtigen, aber geduldeten
Ausländers der Rechtsordnung (BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [340]).
Lässt seine Ausreisepflicht sich nicht zwangsweise durchsetzen, wird ihm zwar auch ohne entsprechenden Titel ein
vorübergehender Aufenthalt ohne Verstoß gegen Strafvorschriften (§ 95 Abs 1 Nr 2 AufenthG) möglich gemacht. Die
Forderung, selbstständig auszureisen und damit den nicht rechtmäßigen Aufenthalt zu beenden, bleibt aber bestehen
(BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [340]). Wer diese Pflicht vorwerfbar nicht
befolgt, macht funktionswidrig unter Verstoß gegen Treu und Glauben von der durch Duldung eingeräumten
Rechtsposition Gebrauch (BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [340]). Denn
sein weiterer Aufenthalt wird in Erwartung rechtspflichtkonformen Verhaltens durch selbstständige Ausreise nur wegen
der Ohnmacht des Staates geduldet, das geltende Recht zwangsweise durchzusetzen (BSG, Urteil vom 08.02.2007,
Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [340], auch mit entstehungsgeschichtlichen Argumenten).
Allerdings kann die Zumutbarkeit der Ausreise in besonderen Situationen entfallen, wenn sich Ausreisemöglichkeiten
erst nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland eröffnen. Haben sie sich während dieser langen Zeit derart in die
deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert, dass ihre Ausreise in das Herkunftsland etwa
einer Auswanderung nahe käme, so mag zwar das Aufenthaltsrecht darauf keine Rücksicht nehmen, falls es gelingt,
diese Ausländer eines Tages doch noch abzuschieben. Bis dahin soll dem Ausländer seine Nichtausreise
leistungsrechtlich aber nicht vorwerfbar und der weitere – geduldete – Aufenthalt in Deutschland deshalb nicht
rechtsmissbräuchlich sein (so BSG, Urteil vom 08.02.2007, Az.: B 9b AY 1/06 R, FEVS 58 [2007], S. 337 [341]; LSG
Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007, Az.: L 7 AY 4504/06, Juris, Rdnr. 21).
Der fehlende Rechtsmissbrauch muss sich allerdings nicht nur auf die 36 bzw. 48 Monate des Bezuges von
Leistungen nach dem § 3 AsylbLG (so aber wohl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007, Az.: L 7 AY
4504/06, Juris, Rdnr. 20; SG Karlsruhe, Urteil vom 07.04.2006, Az.: S 4 AY 5256/05, Juris, Rdnr. 18), auf den
Zeitraum, für den die Leistungen begehrt werden (so aber wohl LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2007,
Az.: L 11 AY 31/07, Juris, Rdnr. 28; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 16.10.2007, Az.: L 11 AY 28/05, Juris,
Rdnr. 22, anders aber bei Rdnr. 24) oder gar nur auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beziehen, sondern
auf den gesamten Zeitraum der Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland (ebenso LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 28.03.2007, Az.: L 7 AY 1386/07 ER-B, Juris, Rdnr. 19; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
20.12.2005, Az.: L 7 AY 40/05, Juris, Rdnr. 21; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 2
AsylbLG Rdnr. 13; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 2 AsylbLG Rdnr. 4).
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut, der keinerlei entsprechende Einschränkung in zeitlicher Hinsicht enthält, und wird
durch den Zweck der Vorschrift bestätigt. § 2 Abs. 1 AsylbLG will ausschließen, dass jemand Leistungen nach dem
SGB XII erhält, der sich bei nicht rechtsmissbräuchlichem Verhalten gar nicht mehr in der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten würde. Dazu ist es aber notwendig, dass jede rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des
Aufenthaltes in Deutschland anspruchsschädlich ist und nicht durch bloßen Zeitablauf gleichsam wieder geheilt
werden kann. Dass die Aufenthaltsdauer im Laufe des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich verlängert worden ist,
schließt daher in jedem Fall eine Gleichstellung mit Ausländern, die unverschuldet nicht ausreisen konnten, aus (so
ausdrücklich Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 2 AsylbLG Rdnr. 4) und zwar auf Dauer
(Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 2 AsylbLG Rdnr. 4). Da die rechtmissbräuchliche
Beeinflussung des Aufenthaltes nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass dies jedenfalls in den Fällen, in denen
diese Beeinflussung in der Nichtausreise besteht, zur Folge hat, dass sich die Betroffenen nicht mehr in Deutschland
aufhalten würden, ist der Rechtsmissbrauch in diesen Konstellationen stets kausal für die verlängerte
Aufenthaltsdauer.
bb) Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer nicht festzustellen, dass es der Klägerin zu 1) nicht zumindest in den
Jahren 1995 bis 1998 möglich und zumutbar gewesen wäre, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Sie ist seit
dem 13. Januar 1995 zur Ausreise verpflichtet. Der Zumutbarkeit stand nicht entgegen, dass sich der Kläger zu 2)
und die Klägerin zu 3) zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufhielten, da auch sie zur Ausreise verpflichtet waren und
es der Klägerin zu 1) zumutbar gewesen war, gemeinsam mit ihnen auszureisen. Wenn man zugunsten der Klägerin
zu 1) die Geburt der Klägerin zu 4) am ... bzw. ihre Schwangerschaft berücksichtigt, folgt hieraus doch zumindest bis
Mai 1995 kein Ausreisehindernis. Nachdem auch die Klägerin zu 4) ab dem 2. November 1995 ausreisepflichtig war,
begann ab diesem Zeitpunkt eine neue Phase, in der der Klägerin zu 1) die gemeinsame Ausreise mit ihren Kindern
zumutbar gewesen war, die jedenfalls bis zur Einschulung des Klägers zu 2) im September 1998 andauerte.
Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war keines der bis dahin geborenen Kinder der Klägerin zu 1) derart in die
deutsche Gesellschaft integriert, dass der Klägerin zu 1) aufgrund dessen die Beendigung des Aufenthaltes in der
Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zumutbar gewesen wäre.
Entgegen der in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisweilen erörterten Frage, ob eine Rückkehr in das Heimatland
möglich war (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2007, Az.: L 7 AY 4504/06, Juris, Rdnr. 20), kommt es
darauf im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht an. § 2 Abs. 1 AsylbLG knüpft gerade nicht an die Zumutbarkeit
der Rückkehr in das Herkunftsland an, sondern nur an die Zumutbarkeit, den Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland (auch durch Ausreise in ein Drittland) zu beenden (so wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
20.12.2005, Az.: L 7 AY 40/05, Juris, Rdnr. 21, das auch nur auf die Möglichkeit der Ausreise aus dem Bundesgebiet
abstellt; offen gelassen vom Bayerischen VGH, Beschluss vom 23.07.2002, 12 CE 02.683, Juris, Rdnr. 18). Der
Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit beruht nach der oben zitierten Rechtsprechung des BSG auf der Nichtbefolgung
der Ausreisepflicht, die aber gerade nicht die Pflicht beinhaltet, das Heimatland aufzusuchen, sondern nur die Pflicht,
die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Dies wird bestätigt durch den für die hier interessierende Zeit bis zum
31. Dezember 2004 geltenden § 42 Abs. 4 AuslG (jetzt § 50 Abs. 4 AufenthG), nach dem der Ausländer durch die
Einreise in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften seiner Ausreisepflicht nur genügt, wenn
ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Ausreise in einen der
Europäischen Gemeinschaften nicht angehörenden Staat zur Erfüllung der Ausreisepflicht ungeachtet der
Rechtmäßigkeit ausreicht. Damit hätte die Klägerin zu 1) jedenfalls in den Jahren 1995 bis 1998 ihrer Ausreisepflicht
bereits auf dem Landweg durch die tatsächliche Einreise in die Republik Polen, die Tschechische Republik oder die
Schweizerische Eidgenossenschaft genügen können. Der Frage, ob zumindest zeitweilig auch die Ausreise nach
Kroatien, das Heimatland des damaligen Ehemannes der Klägerin zu 1) möglich und zumutbar gewesen war, kommt
damit keine Bedeutung zu.
Auf die heutige familiäre Situation, insbesondere den Umstand, dass die Kinder der Klägerin zu 1) in Deutschland
geboren und aufgewachsen sind und hier die Schule besuchen, kommt es nach dem oben Dargelegten – das
phasenweise rechtsmissbräuchliche Verhalten steht Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG dauerhaft entgegen –
ebenso wenig an wie darauf, dass sich die Kläger zu 2), 4) und 5) derzeit formell in einem Asylverfahren befinden.
Hätte die Klägerin zu 1) ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht zumindest Mitte der 1990er Jahre
rechtsmissbräuchlich verlängert, wäre es im übrigen zu der heutigen familiären Situation gar nicht gekommen. Dass
die Entwicklung aber so verlief, gerät nach dem Willen des Gesetzgebers nun nicht zum Vorteil der Klägerin zu 1) und
damit reflexhaft zu einer Leistungsverpflichtung der Allgemeinheit der Steuerzahler.
b) Auch die Kläger zu 2) bis 5) haben keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V.
m. dem SGB XII. Minderjährige Kinder – darum handelt es sich bei den Klägern zu 2) bis 5) –, die – wie hier – bei
einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nur, wenn
mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft diese Leistungen erhält. Da die Klägerin zu 1), die Mutter der
Kläger zu 2) bis 5), nach dem oben Dargelegten keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V. m.
dem SGB XII hat, sind auch die Kläger zu 2) bis 5) von diesen Leistungen ausgeschlossen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.