Urteil des SozG Reutlingen vom 29.04.2008

SozG Reutlingen (recht der europäischen union, bundesrepublik deutschland, europäische union, egv, unionsbürger, freizügigkeitsgesetz, kompetenz, kläger, deutschland, richtlinie)

SG Reutlingen Urteil vom 29.4.2008, S 2 AS 2952/07
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei (erneuter) Einreise zur
Arbeitsuche - Unionsbürger - kein Leistungsanspruch aus Europäischen Fürsorgeabkommen
(EuFürsAbk) oder nach dem SGB 12 - Verfassungsmäßigkeit - Europarechtskonformität
Leitsätze
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB 2 gilt auch für EU-Bürger.
2. Der Leistungsausschluss für arbeitsuchende Ausländer in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB 2 ist mit
Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union vereinbar.
3. Die Frage, wer beitragsunabhängige Sozialleistungen beanspruchen darf, gehört nicht zu den von den
Mitgliedstaaten auf die Europäische Union übertragenen Kompetenzen. Diese fehlende Kompetenzübertragung
kann nicht durch einen Rekurs auf das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV ersetzt werden.
4. Aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen von 1953 folgt kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2.
5. Ausländer, die aufgrund von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB 2 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 haben,
haben auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 12.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 wird
aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit
vom 11. Juni 2007 bis zum 22. Juli 2007 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem Zehntel zu tragen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
für die Zeit vom 11. Juni 2007 bis zum 31. März 2008.
2
Der Kläger ist am ... geboren und italienischer Staatsangehöriger. Nach dem Besuch von Grund- und
Hauptschule im italienischen ... von 1976 bis 1985 hielt er sich von Oktober 1990 bis Juni 2003 erstmals in der
Bundesrepublik Deutschland auf und war in dieser Zeit teilweise als Arbeitnehmer versicherungspflichtig
beschäftigt, teilweise selbständig tätig und teilweise arbeitslos. Anschließend hielt sich der Kläger wieder in
Italien auf.
3
Der Kläger reiste am 23. April 2007 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 11. Juni 2007 beantragte
er bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Am 28. Juni 2007 sprach er persönlich bei der Beklagten
vor und teilte mit, dass er die letzten dreieinhalb Jahre in Italien gelebt und gearbeitet habe und nun nach
Deutschland gezogen sei, um eine Arbeit aufzunehmen bzw. zu suchen.
4
Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Die Voraussetzungen
für eine Leistungsgewährung seien nicht erfüllt, da der Kläger allein zum Zwecke der Arbeitssuche nach
Deutschland eingereist sei.
5
Am 10. Juli 2007 stellte die Stadt ... dem Kläger eine Bescheinigung aus, laut der er Staatsangehöriger eines
Mitgliedstaates der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU zur Einreise und
zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt sei.
6
Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger am 11. Juli 2007 Widerspruch ein. Er trug vor, dass sich
sein Aufenthaltsrecht aus dem Freizügigkeitsgesetz ergebe.
7
Mit Bescheid vom 12. Juli 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
Voraussetzungen für eine Leistungsbewilligung lägen nicht vor, da sich das Aufenthaltsrecht des Klägers allein
aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Aus der Freizügigkeitsbescheinigung ergebe sich nur ein Recht, sich
in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten. Es leite sich daraus aber kein Anspruch auf Leistungen nach
dem SGB II ab.
8
Mit der am 23. Juli 2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger, der aufgrund einer Vermittlung seitens der
Beklagten am 1. April 2008 eine unselbständige Tätigkeit aufgenommen hat, sein Begehren weiter. Er ist der
Ansicht, dass er als Bürger der Europäischen Union keine Arbeitserlaubnis benötige. Aufenthaltsrechtliche
Bestimmungen nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Freizügigkeitsgesetz/EU sowie sonstige Regelungen mit
aufenthaltsrechtlichem Inhalt gingen den Leistungsbestimmungen des SGB II vor.
9
Der Kläger beantragt,
10
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II in
gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 11. Juni 2007 bis zum 31. März 2008 zu gewähren.
11 Die Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13 Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen im angefochtenen
Widerspruchsbescheid.
14 Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Gerichts sowie auf die
beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15 A. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 ist nur insoweit rechtswidrig und die Rechte des
Klägers verletzend, als darin die Gewährung von Leistungen gänzlich und nicht nur ab dem 23. Juli 2007
abgelehnt wurde. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit
vom 11. Juni 2007 bis zum 22. Juli 2007. Einen weitergehenden Leistungsanspruch hat der Kläger, der den
Streitgegenstand durch den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zulässigerweise auf die Zeit vom
11. Juni 2007 bis zum 31. März 2008 beschränkt hat, nicht.
16 I. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der vom 1. April 2006 bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung
erhalten keine Leistungen nach dem SGB II unter anderem Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus
dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.
17 Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung erhalten keine Leistungen nach
dem SGB II unter anderem Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder
Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und
ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes (Nr. 1), und Ausländer, deren
Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (Nr. 2).
18 Ausgehend davon ist für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren.
Für die Zeit vom 23. April 2007 bis zum 22. Juli 2007 konnte er sein Aufenthaltsrecht nicht lediglich darauf
stützen, dass er sich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält, so dass er ab Antragstellung (§ 37 Abs. 2 Satz
1 SGB II), also ab dem 11. Juni 2007 bis zum 22. Juli 2007 einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II
hatte (dazu unter 1). Ab dem 22. Juli 2007 kann er sein Aufenthaltsrecht lediglich darauf stützen, dass er sich
zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält, so dass er gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der bis zum 27.
August 2007 geltenden Fassung und gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der seit dem 28. August 2007
geltenden Fassung von der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist (dazu unter 2).
19 1. Für nichtdeutsche Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger), wie es
beim Kläger der Fall ist, besteht grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht nur nach Maßgabe von § 2 des Gesetzes
über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU). Danach hatten in der bis zum
27. August 2007 geltenden Fassung ein Recht auf Einreise und Aufenthalt,
20 - Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder Berufsausbildung aufhalten wollen, § 2 Abs.
2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
21 - Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene
selbständige Erwerbstätige), § 2 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
22 - Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des
Artikel 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollen (Erbringer von
Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, § 2 Abs. 2 Nr. 3
Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
23 - Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, § 2 Abs. 2 Nr. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
24 - Verbleibeberechtigte im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über
das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates
zu verbleiben (ABl. EG Nr. L 142 S. 24, 1975 Nr. L 324 S. 31) und der Richtlinie 75/34/EWG des Rates vom
17. Dezember 1974 über das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, nach Beendigung der
Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zu verbleiben (ABl.
EG 1975 Nr. L 14 S. 10), § 2 Abs. 2 Nr. 5 Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
25 - nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU, § 2 Abs. 2
Nr. 6 Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
26 - Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 Freizügigkeitgesetz/EU, § 2 Abs. 2 Nr. 7
Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.,
27 - Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, § 2 Abs. 5
Freizügigkeitsgesetz/EU a. F.
28 Der Gesetzgeber hat damit die maßgebliche EU-Richtlinie aber zunächst (zu den am 28. August 2007 in Kraft
getretenen Änderungen siehe sogleich unter 2) insofern nicht umgesetzt, als er Unionsbürgern für einen
Zeitraum von bis zu drei Monaten kein weitgehend unkonditioniertes Aufenthaltsrecht eingeräumt hat. Gemäß
Art. 6 Abs. 1 der Unionsbürger-Richtlinie (Richtlinie 2004/38/EG vom 29.04.2004) hat ein Unionsbürger nämlich
das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei
Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und
ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht. Daher hat der Kläger
unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 der Unionsbürger-Richtlinie ein Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten
seines am 23. April 2007 begonnenen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland gehabt.
29 Da § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F. in der für diesen Zeitraum maßgeblichen Fassung für den
Leistungsausschluss nur darauf abgestellt hat, dass sich das Aufenthaltsrecht des Betroffenen allein aus dem
Zweck der Arbeitssuche ergibt, greift der Leistungsausschluss insofern nicht, weil in den ersten drei Monaten
ein von diesem Zweck unabhängiges Aufenthaltsrecht bestanden hat (offen gelassen von LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 16.04.2007, Az.: L 19 B 13/07 AS ER, NZS 2008, 104 [105]). Diese Gesetzeslücke
hat der Gesetzgeber inzwischen – mit Wirkung zum 28. August 2007 – durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II
geschlossen. Mangels rückwirkender Geltung wirkt sich dies aber nicht zu Lasten des Klägers aus.
30 2. Seit dem 23. Juli 2007, also nach Ablauf von drei Monaten nach Einreise, kann der Kläger sein
Aufenthaltsrecht hingegen nur auf den Zweck der Arbeitssuche stützen. Für die Zeit nach den ersten drei
Monaten des Aufenthaltes hat der Gesetzgeber das nach Maßgabe der Unionsbürgerrichtlinie bestehende
europarechtliche Freizügigkeitsrecht ohne Verstoß dagegen in § 2 Freizügigkeitsgesetz/EU konkretisiert.
31 a) Durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom
19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970; vgl. dazu Huber , NVwZ 2007, 977 ff.), das insoweit gemäß seinem Art. 10
Abs. 1 am 28. August 2007 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber insbesondere den bereits oben
angesprochenen Mangel bei einem Aufenthalt in den ersten drei Monaten korrigiert.
32 Nunmehr haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt,
33 - Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder Berufsausbildung aufhalten wollen, § 2 Abs.
2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU,
34 - Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene
selbständige Erwerbstätige), § 2 Abs. 2 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU,
35 - Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des
Artikel 50 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erbringen wollen (Erbringer von
Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind, § 2 Abs. 2 Nr. 3
Freizügigkeitsgesetz/EU,
36 - Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen, § 2 Abs. 2 Nr. 4 Freizügigkeitsgesetz/EU,
37 - nicht erwerbstätige Unionsbürger, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und
ausreichende Existenzmittel verfügen, § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU,
38 - Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 Freizügigkeitgesetz/EU, § 2 Abs. 2 Nr. 6
Freizügigkeitsgesetz/EU,
39 - Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben, § 2 Abs. 2 Nr. 7
Freizügigkeitsgesetz/EU,
40 Nach dem neugefassten § 2 Abs. 3 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU bleibt das Aufenthaltsrecht für
Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei vorübergehender Erwerbsminderung infolge
Krankheit oder Unfall (Nr. 1), unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit
oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss
hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (Nr. 2) und bei Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der
Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht, was nicht erforderlich ist, wenn der
Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat (Nr. 3). Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur
für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Aufenthaltsrecht
während der Dauer von sechs Monaten unberührt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU).
41 aa) Beim Kläger kommt lediglich der Aufenthaltstitel „zur Arbeitssuche“ gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Var.
Freizügigkeitsgesetz/EU in Betracht. Etwas anderes lässt sich auch aus der vom Kläger vorgelegten
Bescheinigung der Stadt ... vom 10. Juli 2007 nicht ableiten. Es handelt sich hierbei um eine deklaratorische
Bescheinigung im Sinne von § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU, mit der lediglich das Aufenthaltsrecht
bestätigt wird (so bereits Beschluss der Kammer vom 03.08.2008, Az.: S 2 AS 2936/07 ER, juris, Rdnr. 30;
ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 13.09.2007, Az.: L 9 AS 44/07 ER, FEVS 59 [2008], S. 110 [115];
Hessisches LSG, Beschluss vom 03.04.2008, Az.: L 9 AS 59/08 B ER, juris, Rdnr. 14; Urteil der 12. Kammer
des SG Reutlingen vom 18.02.2008, Az.: S 12 AS 1077/07, n. v.; Loose , in: Hohm [Hrsg.],
Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 7 [2007] Rdnr. 24, 28; Schreiber , info also 2008, 3 [4]). Weder lässt
sich ihr entnehmen, dass sich der Kläger auf einen anderen Aufenthaltstitel berufen kann noch stellt die
Bescheinigung gar selbst einen solchen Aufenthaltstitel dar (dazu auch Loose , in: Hohm [Hrsg.],
Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 7 [2007] Rdnr. 28). Für die gegenteilige Annahme (so wohl LSG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.04.2007, Az.: L 19 B 116/07 AS ER, juris, Rdnr. 22) fehlt es an einer
gesetzlichen Grundlage.
42 bb) Ein anderes Aufenthaltsrecht kann der Kläger auch nicht unmittelbar aus der europarechtlichen
Gewährleistung der Freizügigkeit (Art. 18 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom
07.02.1992 in der Fassung vom 16.04.2003 [EGV]) ableiten.
43 Gemäß Art. 18 Abs. 1 EGV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten
vorbehaltlich der im EG-Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und
Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Diese Grundfreiheit ist spezielle Ausprägung des allgemeinen
Verbotes der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, soll aber nicht ein von den verschiedenen
mitgliedstaatlichen Bürgerrechten unabhängiges Recht auf Bewegung und Aufenthalt begründen (so zu Art. 45
der Grundrechte-Charta der Europäischen Union Schöbener , in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische
Grundrechte-Charta, 2006, Art. 45 Rdnr. 15). Diese Vorschrift nimmt mit dem ausdrücklichen Verweis auf die in
„den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“ auf das die allgemeine
Freizügigkeit ausgestaltende und konkretisierende Sekundärrecht Bezug (EuGH, Urteil vom 07.09.2004, Rs. C-
456/02 – Trojani, NZA 2005, 757 [758]; Bode , EuZW 2003, 552 [553 f.]; Schöbener , in: Tettinger/Stern
[Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 45 Rdnr. 37; Wollenschläger , EuZW 2005, 309 [310]; vgl.
auch OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2007, Az.: S2 B 426/07, juris, Rdnr. 20).
44 Einschlägig ist insoweit die Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 (Unionsbürger-Richtlinie). Nach deren Art.
7 hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates für einen
Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
45 - Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist (lit. a) oder
46 - für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres
Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er
und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmestaat
verfügen (lit. b) oder
47 - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner
Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer
Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und über einen
umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen
nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft
macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass
sie während ihres Aufenthaltes keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen
müssen (lit. c) oder
48 - ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen der Buchstaben a, b oder c
erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht (lit. d).
49 Der Bundesgesetzgeber hat diese Richtlinie für Aufenthalte von länger als drei Monaten europarechtskonform
im Freizügigkeitsgesetz/EU in der oben dargestellten Weise umgesetzt. Er ist dabei sogar unter anderem
insoweit großzügiger gewesen, als er das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche unbefristet und unabhängig von
der Erfolgsaussicht dieser Arbeitssuche gewährt (siehe auch Strick , NJW 2005, 2182 [2184]).
50 Bedenken gegen die Vereinbarung von Art. 7 der Unionsbürger-Richtlinie mit Art. 18 EGV bestehen schon
deswegen nicht, weil Art. 18 EGV eben gerade unter dem nicht weiter konditionierten Vorbehalt der
Ausgestaltung durch das Sekundärrecht steht (für Vereinbarkeit mit Art. 18 EGV auch OVG Bremen,
Beschluss vom 05.11.2007, Az.: S1 B 252/07, juris, Rdnr. 13; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
02.08.2007, Az.: L 9 AS 447/07 ER, juris, Rdnr. 24; Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1143]; siehe aber auch die
Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des SG Nürnberg vom 18.12.2007, Az.: S 19 AS 691/07, juris, und S 19
AS 738/07, juris; zweifelnd auch Schreiber , ZESAR 2006, 423 [429]). Im übrigen hat auch der Europäische
Gerichtshof bereits entschieden, dass das Aufenthaltsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EGV nicht absolut ist, sondern
der aufgesuchte Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht davon abhängig machen darf, dass der Betroffene über
ausreichende Existenzmittel verfügt, durch die sichergestellt ist, dass während des Aufenthaltes die Sozialhilfe
des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch genommen werden muss (EuGH, Urteil vom 07.09.2004, Rs. C-
456/02 – Trojani, NZA 2005, 757 [758]). Unter diesen Begriff der Sozialhilfe ist auch das beitragsunabhängige
Arbeitslosengeld II zu subsumieren (so auch Schreiber , info also 2008, 3; Strick , NJW 2005, 2182 [2184];
implizit Hessisches LSG, Beschluss vom 03.04.2008, Az.: L 9 AS 59/08 B ER, juris, Rdnr. 26), weil es sich
jenseits der terminologischen Zuordnung bei materieller Betrachtung mangels einer vorher geleisteten
Beitragszahlung um Sozialhilfe handelt (so auch OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2007, Az.: S2 B 426/07,
juris, Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.09.2007, Az.: L 29 B 828/07 AS ER, juris, Rdnr.
32; Urteil der 12. Kammer des SG Reutlingen vom 18.02.2008, Az.: S 12 AS 1077/07, n. v.; offen gelassen
von LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.04.2007, Az.: L 19 B 13/07 AS ER, NZS 2008, 104; a. A.
SG Berlin, Urteil vom 29.02.2008, Az.: S 37 AS 1403/08, juris, Rdnr. 20 ff.).
51 b) Vor diesem Hintergrund und angesichts des klaren Wortlauts von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II alter und neuer
Fassung besteht für eine Auslegung der Norm dahingehend, dass von der Regelung nur diejenigen (EU-
)Ausländer betroffen sein sollen, die erstmals in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und dort unmittelbar
mit dem Zuzug Sozialleistungen in Anspruch nehmen (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom
17.09.2007, Az.: L 7 SO 3970/07 ER-B, NVwZ-RR 2008, 209 [209 f.]; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 25.07.2007, Az.: L 6 AS 444/07 ER, juris, Rdnr. 14, im Anschluss an SG Osnabrück, Beschluss vom
27.04.2006, Az.: S 22 AS 263/06 ER, juris, Rdnr. 18; dazu kritisch Hänlein , in: Gagel [Hrsg.], SGB III mit
SGB II, § 7 SGB II [2008] Rdnr. 67) weder Anlass noch Raum (wie hier auch Spellbrink , in: Eicher/Spellbrink
[Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rdnr. 19).
52 Der Gesetzgeber hat den Anspruchsausschluss gerade nicht davon abhängig gemacht, ob der Betroffene
erstmals nach Deutschland einreist, sondern allein von der Grundlage seines Aufenthaltsrechtes. Die
gegenteilige Auffassung kann sich nicht auf den Willen des Gesetzgebers, der im übrigen dann keinen
hinreichenden Niederschlag im Normtext gefunden hätte, berufen (so aber LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 25.07.2007, Az.: L 6 AS 444/07 ER, juris, Rdnr. 14). In der Beschlussempfehlung und dem
Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages heißt es zwar, dass auch die
Familienangehörigen eines erstmals in Deutschland arbeitssuchenden EU-Bürgers vom Bezug von Leistungen
nach dem SGB II ausgeschlossen sind (Bundestags-Drucksache 16/688, S. 13). Diese Erläuterung ist aber
nicht Ausdruck eines den Wortlaut der Norm einschränkenden Willens des Gesetzgebers, sondern ersichtlich
(nicht abschließendes) Element der Beschreibung der Rechtswirkungen des neuen Ausschlusstatbestandes
(ähnlich Spellbrink , in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rdnr. 19). Im Satz zuvor heißt es
im übrigen, dass von der Regelung vor allem EU-Bürger, die von ihrem Recht auf Unionsbürgerschaft Gebrauch
machen und sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, betroffen sind (Bundestags-
Drucksache 16/688, S. 13), also ohne jegliche Einschränkung hinsichtlich der Frage, ob es sich um den
erstmaligen oder einen späteren Aufenthalt handelt. Eine andere Sichtweise würde angesichts der
offenkundigen Missbrauchsmöglichkeit einer erstmaligen kurzfristigen Ein- und Ausreise vor der mit dem
Zweck des Leistungsbezuges erfolgenden zweiten Einreise den Anspruchsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2
SGB II auch weitgehend leerlaufen lassen. Auch nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU begründet ein früherer
Aufenthalt in Deutschland als solcher kein selbständiges Aufenthaltsrecht. Vielmehr sind zusätzliche zeitliche
Voraussetzungen zu erfüllen (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU). Zudem stellt im konkreten Fall
die Abwesenheit des Klägers zwischen dem Jahr 2003 und der erneuten Einreise im Jahre 2007 eine derartige
Zäsur dar, die eine Ausnahme vom Anspruchsausschluss ohnehin nicht rechtfertigt.
53 c) Es besteht auch keine Notwendigkeit zu einer von Gemeinschaftsrecht wegen vorzunehmenden Auslegung
des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II dahingehend, dass der Anspruchsausschluss jedenfalls nicht nach Ablauf eines
dreimonatigen Aufenthaltes im Bundesgebiet greift (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
25.04.2007, Az.: L 19 B 116/07 AS ER, juris, Rdnr. 25; wie hier OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2007,
Az.: S2 B 426/07, juris, Rdnr. 18).
54 Die insofern herangezogene Richtlinie 2004/38/EG gibt hierzu keine Veranlassung. Zwar genießt jeder
Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im
Anwendungsbereich des EG-Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses
Mitgliedstaates (Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Unionsbürger-Richtlinie). Dies gilt aber ausdrücklich nur vorbehaltlich
spezifischer und ausdrücklich im EG-Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen. Eine
solche Ausnahmebestimmung enthält Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürger-Richtlinie, nach der abweichend von Art.
24 Abs. 1 der Richtlinie der Aufnahmemitgliedstaat unter anderem nicht verpflichtet ist, anderen Personen als
Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status verbleibt, und ihren Familienangehörigen
während der ersten drei Monate des Aufenthaltes oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach
Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie
erfasst den Fall, dass der Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, um
Arbeit zu suchen. Damit erlaubt die Richtlinie ausdrücklich den Ausschluss von EU-Bürgern vom
Leistungsanspruch auf Sozialhilfe über den Zeitraum von drei Monaten hinaus auch dann, wenn der
Unionsbürger – wie der Kläger – in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, um Arbeit
zu suchen (siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.09.2007, Az.: L 29 B 828/07 AS ER, juris,
Rdnr. 31; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.08.2007, Az.: L 9 AS 447/07 ER, juris, Rdnr.18;
Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1142]).
55 Vor diesem Hintergrund entspricht eine Auslegung, die § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf Unionsbürger jedenfalls
nach Ablauf eines dreimonatigen Aufenthaltes im Bundesgebiet für unanwendbar erachtetet nicht der Richtlinie,
sondern widerspricht ihr genauso wie dem Willen des deutschen Gesetzgebers, auch EU-Bürger, die sich
lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, vom Leistungsanspruch im Sinne des SGB II
auszuschließen (siehe die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales
des Deutschen Bundestages, Bundestags-Drucksache 16/688, S. 13). Eine Auslegung der Richtlinie führt
vielmehr zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche arbeitssuchender EU-Ausländer auf Arbeitslosengeld II (und
Sozialhilfe im deutschen Sinne) ausgeschlossen werden können (zutreffend Strick , NJW 2005, 2182 [2184]).
56 d) Ebenso ist für eine Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der jeweils geltenden Fassung dahingehend,
dass er auf EU-Ausländer generell keine Anwendung findet (so aber Schreiber , ZESAR 2006, 423 [429]; bzgl.
§ 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII jedenfalls bei nicht ausreisepflichtigen Unionsbürgern SG Wiesbaden, Beschluss
vom 15.01.2008, Az.: S 16 AS 690/07 ER, juris, Rdnr. 37) bereits aus methodischen Gründen kein Raum (so
auch Urteil der 12. Kammer des SG Reutlingen vom 18.02.2008, Az.: S 12 AS 1077/07, n. v.), da die
Auslegungsgrenze nicht nur durch den Wortlaut (siehe aus jüngerer Zeit nur BVerfG, Beschluss vom
19.09.2007, Az.: 2 BvR 3/02, NVwZ 2007, 1396 [1401]), sondern auch durch den eindeutig erklärten Willen des
Gesetzgebers gebildet wird (BVerfG, Urteil vom 12.03.2008, Az.: 2 BvF 4/03, juris, Rdnr. 140, insofern in
DVBl. 2008, 507 ff. nicht abgedruckt; BVerfG, Beschluss vom 19.09.2007, Az.: 2 BvR 3/02, NVwZ 2007, 1396
[1401]; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2006, Az.: L 20 B 73/06 SO ER, juris, Rdnr. 11).
Diese methodischen Grenzen gelten auch bei verfassungs- oder europarechtskonformer Auslegung (siehe für
die verfassungskonforme Auslegung BVerfG, Beschluss vom 19.09.2007, Az.: 2 BvR 3/02, NVwZ 2007, 1396
[1401]). Die gesetzgeberische Intention darf nicht verfehlt oder verfälscht werden (BVerfG, Beschluss vom
19.09.2007, Az.: 2 BvR 3/02, NVwZ 2007, 1396 [1401]).
57 Beide Gesichtspunkte – Wortlaut und Entstehungsgeschichte – lassen aber Zweifel an der Erstreckung des § 7
Abs. 1 Satz 2 SGB II auch auf Ausländer mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der
Europäischen Union nicht zu. Der Wortlaut enthält keinerlei solche Einschränkungen. Auch der Wille des
Gesetzgebers ist eindeutig, da er sich schon bei der Schaffung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der vom 1.
April 2006 bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung an der Unionsbürger-Richtlinie orientiert hat, also
gerade eine Regelung schaffen wollte, die (auch) EU-Ausländer erfasst. Bestätigt wird dies durch die am 28.
August 2007 in Kraft getretene Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, durch die die Bezugnahme auf
das Freizügigkeitsgesetz/EU und damit auf ein Gesetz, das gerade das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern
regelt, ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen wurde. Ist daher eine vermeintlich
europarechtskonforme Auslegung nicht möglich, kann europarechtlichen Implikationen allenfalls unter dem
hiervon zu unterscheidenden Gesichtspunkt der Außeranwendunglassung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II bei
EU-Ausländern Rechnung getragen werden (dazu noch unter III.).
58 e) Entgegen der offenbar vom Kläger vertretenen Auffassung kommt es nicht darauf an, dass er für die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keine Arbeitserlaubnis benötigt. Diese Frage wird lediglich im Zusammenhang
mit § 8 SGB II relevant. Nach § 8 Abs. 2 SGB II gelten Ausländer nur als erwerbsfähig, wenn ihnen die
Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Diese Voraussetzung der
Erwerbsfähigkeit liegt beim Kläger vor. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II errichtet aber für Ausländer eine weitere,
neben der Erwerbsfähigkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 SGB II stehende
Anspruchsvoraussetzung (vgl. Blüggel , in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 8 Rdnr. 47).
59 II. Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II alter und neuer Fassung ist verfassungsgemäß. Insbesondere
liegt kein Verstoß gegen die Grundrechte auf Gleichbehandlung in Art. 3 GG vor.
60 Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit und damit eine Sonderbehandlung von Ausländern wird von
keinem der Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG erfasst (BVerfGE 51, 1 [30]; 90, 27 [37]; BVerwGE 80, 233 [243];
Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 3 Rdnr. 126), so dass dieser spezielle Gleichheitssatz
bereits nicht einschlägig ist.
61 Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Zwar liegt zumindest mittelbar –
durch die Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht – eine Ungleichbehandlung zwischen deutschen
Staatsangehörigen und Ausländern vor. Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG sind aber
verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn ein hinreichender Differenzierungsgrund vorliegt. Bei den
Anforderungen hieran unterscheidet das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität, mit der eine
Ungleichbehandlung die Betroffenen beeinträchtigt. Die Intensität wächst, je mehr das Kriterium der
Ungleichbehandlung personen- und je weniger situationsbezogen ist, je mehr das Kriterium einen der nach Art.
3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien ähnelt, je weniger der Betroffene das Kriterium beeinflussen kann und je
mehr die Ungleichbehandlung den Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten erschwert ( Pieroth/Schlink ,
Grundrechte, 23. Aufl. 2007, Rdnr. 438; zu Beispielen Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 3
Rdnr. 17 ff., m.w.N.).
62 Hier liegt eine Differenzierung nach einem personenbezogenen Merkmal vor, das der Kläger zwar nicht ohne
weiteres beeinflussen kann, andererseits aber nicht einem der durch Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien
zuzuordnen ist. Nimmt man gleichwohl eine Ungleichbehandlung größerer Intensität an, ist deren
verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar nicht
schon allein deshalb anzunehmen, weil keine willkürliche Differenzierung vorliegt, jedoch dann, wenn sie einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält (vgl. BVerfGE 103, 172 [193]; 107, 27 [45]; 110, 412 [431]; 112, 164
[174]; siehe auch Huster , in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 3 [2004] Rn. 123 ff.). Dies ist
hier der Fall, weil mit der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sozialleistungsorientierte
Wanderungsbewegungen (sog. Sozialtourismus) verhindert werden soll. Dabei handelt es sich ohne weiteres
um ein legitimes Ziel, zu dessen Verwirklichung der Anspruchsausschluss auch geeignet, erforderlich und
angemessen ist.
63 III. Das Recht der Europäischen Union steht dem in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II normierten
Anspruchsausschluss nicht entgegen. Dies gilt schon deshalb, weil die Frage, wem Leistungen nach dem SGB
II zustehen, nicht in den Anwendungsbereich des Rechtes der Europäischen Union fällt (dazu unter 1). Selbst
wenn man dies anders sehen würde und die Anwendbarkeit des Rechtes der Europäischen Union bejahen
würde, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen (dazu unter 2).
64 1. a) Gegenüber dem deutschen Recht gebührt dem Recht der Europäischen Union der Anwendungsvorrang.
Dies bedeutet, dass eine dem Recht der Europäischen Union entgegenstehende nationale Vorschrift nicht
unwirksam ist, sondern dass sie lediglich außer Anwendung zu bleiben hat, soweit sie im Widerspruch zu EU-
Recht steht (siehe nur BVerfGE 85, 191 [204]; Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 23 Rdnr. 34;
Terhechte , JuS 2008, 403 ff., m.w.N.).
65 Dieser Anwendungsvorrang gilt allerdings nur, wenn und soweit der deutsche Gesetzgeber der Europäischen
Union eine entsprechende Rechtssetzungsbefugnis verliehen hat (BVerfGE 89, 155 [190]; Ibler , in:
Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 IV [2002] Rdnr. 60; Isensee , in:
Due/Lutter/Schwarze [Hrsg.], Festschrift für Everling, 1995, S. 567 [574]; vgl. auch BVerfGE 75, 223 [244]). Ist
die Rechtsanwendung durch Organe der Europäischen Union nicht von der Kompetenzübertragung gedeckt,
sind die daraus hervorgehenden Rechtsakte im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich (BVerfGE 89, 155
[188]). Im EG-Vertrag findet dies – aus Sicht des deutschen Rechts: deklaratorisch – seinen Niederschlag in
Art. 5 Abs. 1 EGV, nach dem die Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen
Befugnisse und Ziele tätig wird. Die Europäische Gemeinschaft verfügt also nicht über originär eigene
Hoheitsbefugnisse, sondern muss diese von den Mitgliedstaaten ableiten (siehe nur Isensee , in:
Due/Lutter/Schwarze [Hrsg.], Festschrift für Everling, 1995, S. 567 [573 f.]).
66 Dies trägt nicht zuletzt dem Umstand Rechnung, dass gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG alle Staatsgewalt vom
Volke ausgeht. Das damit verfassungsrechtlich verankerte Demokratieprinzip gebietet, dass Normen im
Anwendungsbereich des Grundgesetzes nur dann Geltung beanspruchen können, wenn sie durch das
Staatsvolk (vgl. dazu Böckenförde , in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrecht der
Bundesrepublik Deutschland, Band II, 3. Aufl. 2005, § 24 Rdnr. 26 ff.) legitimiert sind. Eine solche Legitimation
kann auch inter- bzw. supranationalem Recht innewohnen, aber nur in dem Umfang, in dem der deutsche
Souverän – vermittelt durch die ausübenden Organe im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG – einen
entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erlassen hat (BVerfGE 89, 155 [190]; Isensee , in:
Due/Lutter/Schwarze [Hrsg.], Festschrift für Everling, 1995, S. 567 [574]). Liegt das über- bzw.
zwischenstaatliche Recht außerhalb der ihm vom deutschen Souverän übertragenen Kompetenzen ist es im
Geltungsbereich des Grundgesetzes von Verfassungs wegen außer Anwendung zu lassen und kann damit erst
Recht nicht seinerseits nationales Recht – gleich auf welcher Normhierarchieebene verortet – verdrängen (vgl.
Scholz , DÖV 2000, 417 [418]; vgl. zur Situation innerhalb der föderal geordneten Bundesrepublik Deutschland,
wo der durch Art. 31 GG statuierte Vorrang des Bundesrechts gegenüber Landesrecht nur dann Platz greift,
wenn das Bundesrecht kompetenzgemäß erlassen worden ist, etwa BVerfGE 98, 145 [159]; Huber , in: Sachs
[Hrsg.], GG, 4. Aufl. 2007, Art. 31 Rdnr. 14; Pieroth , in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 31 Rdnr. 3).
67 b) Die Kompetenzübertragung kann in der Weise geschehen, dass die Bundesrepublik Deutschland die
Europäische Union ermächtigt, eine bestimmte Einzelfrage oder Materie zu regeln, oder indem sie ihr die
Kompetenz für ein bestimmtes Politikfeld überträgt. Diese Kompetenzübertragungen sind abschließend. Nicht
zulässig ist indes die Schaffung einer Kompetenz-Kompetenz (BVerfGE 89, 155 [194]; vgl. auch BVerfGE 75,
223 [242]), mit Hilfe derer sich die Organe der Europäischen Union selbst Kompetenzen verschaffen könnten
(„Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“; vgl. dazu BVerfGE 89, 155 [193, 209 f.]; Epiney , Jura 2006, 755
[755 f.]; Herchenhan , BayVBl. 2003, 649 [650]; Lorz , EuR 2006, Beiheft 1, S. 43 [44]; Isensee , in:
Due/Lutter/Schwarze [Hrsg.], Festschrift für Everling, 1995, S. 567 [577]; Scholz , DÖV 2000, 417 [418]), weil
damit der Souveränitätsvorbehalt des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, der zudem durch Art. 79 Abs. 3 GG auch
gegen Verfassungsänderungen geschützt ist (siehe auch BVerfGE 89, 155 [172, 182]), leerliefe.
68 Der Schaffung einer solchen Kompetenz-Kompetenz käme es gleich, wenn die Bundesrepublik Deutschland
Kompetenzen gleichsam generalklauselartig auf die Europäische Union übertragen könnte. Eine solche
Generalermächtigung ist aber nicht zulässig (BVerfGE 89, 155 [187]). Kompetenzen erwachsen auch nicht aus
den Aufgabennormen (BVerfGE 89, 155 [192, 210]) oder den in den Verträgen niedergelegten Zielen der
Europäischen Union (BVerfGE 89, 155 [209]; BVerwG, Beschluss vom 20.05.1999, Az.: 1 WB 94-98, NVwZ
1999, 1343 [1344]), sondern allein aus den Befugnisnormen. Der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis ist
nicht zulässig (BVerfGE 89, 155 [192, 209 f.]; Everling , in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 1995, S. 57 [67];
Herchenhan , BayVBl. 2003, 649 [650]).
69 Das Prinzip der Einzelermächtigung darf auch nicht durch extensive Auslegungen unterlaufen werden
(BVerfGE 89, 155 [210]; Isensee , in: Due/Lutter/Schwarze [Hrsg.], Festschrift für Everling, 1995, S. 567 [577];
insoweit übereinstimmend auch Everling , in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 1995, S. 57 [66]). Nichts anderes
gilt mit Blick auf Grundrechte und Grundfreiheiten, deren thematischer Anwendungsbereich theoretisch kaum
Grenzen kennen würde (siehe auch von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union,
Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 35) und daher der kompetenzabhängigen Eingrenzung bedürfen (ähnlich Sander ,
DVBl. 2005, 1014 [1019 f.]; vgl. auch Sodan , JZ 2002, 53 [58], der auf die Grenzziehungen durch nationales
Verfassungsrecht abstellt). Auch sie verschaffen oder vermitteln der Europäischen Union weder eine
Allkompetenz noch eine Kompetenz-Kompetenz. Ihr Anwendungsbereich reicht vielmehr nur soweit, wie die
Europäische Union tatsächlich materiell über Kompetenzen kraft Verleihung durch ihre Mitgliedstaaten verfügt.
In diesem Sinne hat auch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass die allgemeinen
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz nur dann
Anwendung finden, wenn entweder die Europäische Gemeinschaft selbst oder ein Mitgliedstaat im
Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig wird (BVerfGE 104, 214 [219]).
70 Schließlich betrifft das verfassungsrechtliche Verbot der Übertragung von Kompetenz-Kompetenzen nicht nur
die Kompetenz, eine neue Kompetenz zu schaffen, sondern denknotwendigerweise auch die Kompetenz, über
die eigene Reichweite der Kompetenz zu entscheiden (vgl. BVerfGE 75, 223 [242 f.]).
71 c) Für die hier zu beurteilende Frage ist zunächst bedeutsam, dass die Europäische Union nicht über eine
generelle Kompetenz für den Bereich der Sozialpolitik verfügt. Im europäischen System ist Sozialpolitik
vielmehr eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten (so auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007, Rs. C-213/05 –
Geven, NZA 2007, 887 [888]; Sander , DVBl. 2005, 1014 [1019]). Substantielle Gesetzgebungskompetenzen
im Sozialbereich besitzt die Europäische Union nicht ( Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1143]; ähnlich Schlegel ,
SGb 2007, 700 [701]). Die Zuständigkeiten der Europäischen Union auf diesem Gebiet sind vielmehr punktuell
begrenzt. Das Sozialrecht bzw. die Sozialpolitik haben im primären europäischen Recht ihren Niederschlag in
den Art. 136 ff. EGV gefunden. Die Frage, wer steuerfinanzierte Leistungen in Anspruch nehmen darf, gehört
nicht zu den dadurch in die Kompetenz der Europäischen Union übertragenen Regelungsmaterien (ebenso
Sander , DVBl. 2005, 1014 [1016 f., 1019 f.]; Strick , NJW 2005, 2182 [2184]). Die Inanspruchnahme von
Sozialhilfeleistungen im weiteren Sinne – auch von Arbeitslosengeld II – fällt damit nicht in den
Anwendungsbereich des EG-Vertrages ( Strick , NJW 2005, 2182 [2184]).
72 (1) In Art. 136 EGV wird festgehalten, dass die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten als Ziele
„die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem
Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen
Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau
und die Bekämpfung von Ausgrenzungen“ verfolgen. Hierbei handelt es sich indes ausdrücklich um
Zielbestimmungen (siehe auch Schlegel , SGb 2007, 700 [701]), die gerade nicht kompetenzbegründend sind (
Geiger , EUV/EGV, 4. Aufl. 2004, Art. 136 EGV Rdnr. 12; Steinmeyer , RdA 2001, 10 [12]).
73 (2) Nach Art. 137 Abs. 1 EGV unterstützt die Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele des Art. 136 EGV die
Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter anderem auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes
der Arbeitnehmer (lit. c), der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung (lit. j) sowie der Modernisierung der
Systeme des sozialen Schutzes (lit. k). Zu diesem Zweck kann der Rat (Art. 202 ff. EGV) gemäß Art. 137
Abs. 2 EGV unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten Maßnahmen annehmen, die dazu bestimmt sind, die Zusammenarbeit zwischen den
Mitgliedstaaten durch Initiativen zu fördern, die die Verbesserung des Wissensstandes, die Entwicklung des
Austausches von Informationen und bewährten Verfahren, die Förderung innovativer Ansätze und die
Bewertung von Erfahrungen zum Ziel haben (lit. a) und in den in Abs. 1 lit. a bis i genannten Bereichen unter
Berücksichtigung der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Bedingungen und technischen Regelungen
durch Richtlinien Mindestvorschriften erlassen, die schrittweise anzuwenden sind (lit. b).
74 Auch diese Vorschriften begründen bereits nach ihrem Wortlaut keine Kompetenz der Europäischen
Gemeinschaft zur Regelung der Frage, wer Sozialleistungen in Anspruch nehmen darf. Dies wird implizit
bestätigt durch Art. 137 Abs. 4 EGV, nach dem aufgrund dieses Artikels erlassene Bestimmungen die
anerkannten Befugnisse der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit
festzulegen, nicht berühren.
75 (3) Diese fehlende Kompetenz kann nach dem bereits Dargelegten auch nicht durch den Rekurs auf Art. 12
EGV ersetzt werden. Auch das dort verankerte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit gilt nur dort, wo die Europäische Union materiell über Kompetenzen verfügt, erweitert diese
aber nicht im Sinne einer Generalklausel (ähnlich BVerwG, Beschluss vom 20.05.1999, Az.: 1 WB 94-98,
NVwZ 1999, 1343 [1344]; Scholz , DÖV 2000, 417 [418], zur Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG; a. A.
von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 36). Dies
spiegelt sich im übrigen in Art. 12 EGV selbst wieder, der das Diskriminierungsverbot ausdrücklich auf den
Anwendungsbereiches des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beschränkt. Damit ist
auch der sachlich-thematische Anwendungsbereich des Vertrages gemeint (siehe auch Bode , EuZW 2003,
552 [556]; Hailbronner , NJW 2004, 2185 [2186]; von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der
Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 24). Aus Sicht des deutschen Rechts hat diese Einschränkung
freilich nur deklaratorischen Charakter, weil ein anderer Regelungsgehalt der Verleihung einer Kompetenz-
Kompetenz gleichkäme, dies aber von Verfassungs wegen unzulässig ist.
76 Soweit der EuGH die Auffassung vertritt, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot auch in den Bereichen
Anwendung findet, die in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben sind, soweit dies zur effektiven
Gewährleistung der den Bürgern im EG-Vertrag garantierten Rechten erforderlich ist (in diesem Sinne etwa
EuGH, Urteil vom 18.07.2007, Rs. C-213/05 – Geven, NZA 2007, 887 [888]; EuGH, Urteil vom 26.09.1996, Rs.
C-43/95 – Data Delecta, NJW 1996, 3407; EuGH, Urteil vom 20.10.1993, Rs. C-92/92 u. C-362/92 – Collins,
NJW 1994, 375 [376]; insoweit ebenso Bode , EuZW 2005, 279 [280]; von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.],
Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 35 f.), und dass daher auch die Leistung von
Sozialhilfe in den Anwendungsbereich des EGV falle (EuGH, Urteil vom 07.09.2004, Rs. C-456/02 – Trojani,
NZA 2005, 757 [759]; vgl. auch EuGH, Urteil vom 20.09.2001, Rs. C-184/99 – Grzelczyk, EuZW 2002, 52 [55])
handelt es sich um eine die Kompetenz der Europäischen Union unzulässig (vgl. BVerfGE 89, 155 [210];
Zuck/Lenz , NJW 1997, 1193 [1196 f.]) erweiternde Auslegung ( Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1149 ff.]; Sander
, DVBl. 2005, 1014 [1016 f., 1019 f.]), der im Geltungsbereich des Grundgesetzes keine Rechtswirkung
zukommt (vgl. BVerfGE 89, 155 [210]). Dem Unionsbürgerstatus sozialrechtliche Bedeutung beizumessen (vgl.
Borchardt , NJW 2000, 2057 ff.) hat lediglich rechtspolitischen Charakter; dies ist mit dem Vertragstext und
dem Willen der europäischen Vertragsparteien nicht vereinbar (dazu näher Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1139
ff.]; Sander , DVBl. 2005, 1014 [1016 f.]).
77 Dass der begrenzte Anwendungsbereich des Rechtes der Europäischen Union nicht durch eine unbegrenzte
Anwendung der Grundrechte bzw. Grundfreiheiten – hier des Diskriminierungsverbotes aus Art. 12 EGV –
ausgedehnt werden darf, wenn das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht leerlaufen soll, ist im
Bereich des Sozialleistungsrechts besonders augenfällig. Europarechtliche Einwirkungen auf die Frage, wer in
den Mitgliedstaaten sozialleistungsberechtigt ist, würde bei hinsichtlich des Leistungsumfanges
unterschiedlichen nationalen Regelungen zunächst den sog. Sozialtourismus fördern (vgl. zu dieser
Perspektive auch SG München, Urteil vom 08.08.2007, Az.: S 22 AS 1304/06, ASR 2008, 34 [37]) und sodann
zu dessen Eindämmung die Mitgliedstaaten zur Harmonisierung des Sozialrechts veranlassen (siehe auch
Muckel , Sozialrecht, 2. Aufl. 2007, § 20 Rdnr. 39; Sander , DVBl. 2005, 1014 [1018]). Diese Harmonisierung
wollten die Mitgliedstaaten bislang aber gerade nicht der Europäischen Union übertragen (vgl. Art. 137 Abs. 2
lit. b EGV; Muckel , Sozialrecht, 2. Aufl. 2007, § 20 Rdnr. 4, 39; Schlegel , SGb 2007, 700 [701]).
78 d) Die vorstehenden Ausführungen zum Kompetenzverhältnis zwischen Bundesrepublik Deutschland und
Europäischer Union sowie zur fehlenden Kompetenz der Europäischen Union bezüglich der Frage, wer
steuerfinanzierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen kann, erstrecken sich auf alle Organe der Europäischen
Union und damit auch auf den EuGH. Daher kann auch der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu ähnlichen
Fall- und Normkonstellationen für die hier zu beurteilende Frage keine Bedeutung zukommen.
79 Die Rechtsprechungsbefugnis des EuGH reicht nicht weiter als die Rechtssetzungsbefugnis der Organe der
Europäischen Union (siehe auch Scholz , DÖV 2000, 417 [418]). Insbesondere kommt auch ihm keine
Kompetenz-Kompetenz und damit auch nicht die Befugnis zur Entscheidung darüber zu, wie weit die
Kompetenzen der Europäischen Union reichen (vgl. BVerfGE 75, 223 [242 f.]; in diesem Sinne auch deutlich
Broß , VerwArch 2006, 332 [343], der es „schlechterdings“ für ausgeschlossen hält, „dass der EuGH
letztverbindlich festlegt, in welchem Umfang die Vertragsstaaten ihre nationale Souveränität aufgegeben und
auf die Gemeinschaftsebene übertragen haben“; ferner Ibler , in: Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar
zum GG, Art. 19 IV [2002] Rdnr. 60; Scholz , DÖV 2000, 417 [418]; tendenziell auch Zuck/Lenz , NJW 1997,
1193 [1194]; skeptisch auch Lorz , EuR 2006, Beiheft 1, S. 43 [45]; für eine grundsätzliche
Prüfungskompetenz des EuGH und eine Prüfungskompetenz des BVerfG allenfalls bei offenkundiger und
schwerwiegender Überschreitung der übertragenen Kompetenz hingegen Jarass , in: Jarass/Pieroth, GG, 9.
Aufl. 2007, Art. 23 Rdnr. 36).
80 Der EuGH ist zur Rechtsprechung nur soweit berufen, wie ihm die Mitgliedstaaten eine entsprechende
Kompetenz verleihen. Er ist daher nicht befugt, über die Kompetenzreichweite der Europäischen Union und
damit zugleich auch über seine eigene Kompetenzreichweite zu entscheiden (vgl. zu daraus resultieren
Überlegungen, ein Kompetenzgericht zu errichten: Everling , in: Festschrift für G. Hirsch, 2008, S. 63 ff.; Lorz ,
EuR 2006, Beiheft 1, S. 43 [60] m.w.N.; Sauer , Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 197
ff., m.w.N.). Die Kompetenz der Europäischen Union zur Regelung einer bestimmten Materie ist nicht
Gegenstand, sondern Voraussetzung der Rechtsprechungstätigkeit des EuGH.
81 Bei gleichwohl entstehenden Kompetenzkonflikten gebietet Art. 20 Abs. 2 GG, die letzte Entscheidung dem
deutschen Rechtsanwender zu überlassen (vgl. auch BVerfGE 111, 307 [319], wo es im Verhältnis zum
Völkerrecht „die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität“ betont; a. A. Everling ,
in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 1995, S. 57 [70]). In diesem Sinne hat sich auch das
Bundesverfassungsgericht vorbehalten zu prüfen, ob sich die Handlungen der Organe der Europäischen Union
in den Grenzen der ihnen eingeräumten Zuständigkeiten halten oder aus ihnen ausbrechen (BVerfGE 89, 155
[188]; vgl. auch BVerfG (K), Beschluss vom 17.02.2000, Az.: 2 BvR 1210/98, NJW 2000, 2015 [2016]), ohne
dass ihm hierbei gegenüber den anderen deutschen Gerichten aber ein Monopol zukäme (so auch die Deutung
bei Hirsch , NJW 1996, 2457 [2460 f.]; anders Everling , in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 1995, S. 57 [68]).
Das Bundesverfassungsgericht hat auch ausdrücklich festgehalten, dass die deutschen Staatsorgane
kompetenzwidrigem Handeln von Organen der Europäischen Union die Gefolgschaft verweigern müssen
(BVerfGE 89, 155 [195]). Dieses Recht und diese Pflicht kommt auch den Fachgerichten zu (BVerfG,
Beschluss vom 26.04.1995, Az.: 2 BvR 760/95, EuZW 1995, 412 f.; Lecheler , JuS 2001, 120 [122, in Fußn.
15]; Sauer , Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen, 2008, S. 191 f.; siehe zu Beispielen aus der Praxis
Hirsch , NJW 1996, 2457 [2460 f.], m.w.N.). Mit anderen Worten: Die Feststellung und Lösung eines
Normkonfliktes zwischen einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts und dem Recht der Europäischen
Gemeinschaft ist der umfassenden Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der zuständigen Fachgerichte
überlassen (BVerfGE 31, 145 [174 f.]).
82 Dies alles ist die zwingende Konsequenz daraus, dass im Geltungsbereich des Grundgesetzes Regelungen nur
aufgrund und nach Maßgabe des Grundgesetzes verbindliche und normative Wirkung entfalten können und
eine hiervon unabhängige Rechtsetzung nicht möglich ist. Das im Streit- und Zweifelsfalle bestehende Primat
der deutschen Gerichte gegenüber Organen der Europäischen Union beruht in diesem Sinne nicht zuletzt
darauf, dass die deutschen Gerichte stets demokratisch legitimiert im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG
sind, während dies bei den Organen der Europäischen Union nur bei Handlungen innerhalb der ihnen
übertragenen Kompetenzen der Fall ist (andere Konzeption bei Sauer , Jurisdiktionskonflikte in
Mehrebenensystemen, 2008, S. 457 ff.).
83 2. Selbst wenn man eine Kompetenz der Europäischen Union zur Regelung der Frage, wer Leistungen nach
dem SGB II erhalten darf, bejahen würde, stünde europäisches Recht der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2
SGB II auf EU-Ausländer nicht entgegen.
84 a) Dies gilt zunächst für das europarechtliche Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 Abs. 1 EGV selbst. Ihm lässt
sich – ebenso wie etwa dem Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Grundgesetz [GG] – kein
Leistungsanspruch gegen die öffentliche Hand entnehmen (siehe zu Art. 18 Abs. 1 EGV Bode , EuZW 2003,
552 [556]; siehe zu Art. 11 GG Bayerischer VGH, FEVS 21 [1973], 244 [251]; VGH Kassel, NVwZ 1986, 860
[861]; Krüger/Pagenkopf , in: Sachs [Hrsg.], 4. Aufl. 2007, Art. 11 Rdnr. 22; Ziekow , in: Friauf/Höfling [Hrsg.],
Berliner Kommentar zum GG, Art. 11 [2002] Rdnr. 123, m.w.N.). Alleiniger Maßstab für die Frage der Teilhabe
von Unionsbürgern an sozialen Vergünstigungen des Aufenthaltsstaates ist Art. 12 EGV ( Bode , EuZW 2003,
552 [556]; Schöbener , in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 45 Rdnr. 28).
Die in Art. 17 ff. EGV geregelte Unionsbürgerschaft und die Sozialhilfeberechtigung sind nach dem Willen
sowohl der europäischen Legislative als auch der Vertragsparteien zu unterscheiden (dazu m.w.N. Sander ,
DVBl. 2005, 1014 [1016 f.]).
85 b) Schließlich lässt sich auch aus Art. 12 EGV die Unanwendbarkeit des Anspruchsausschlusses in § 7 Abs. 1
Satz 2 SGB II nicht ableiten (ebenso OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2007, Az.: S2 B 426/07, juris, Rdnr.
15 ff.; a. A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.04.2007, Az.: L 19 B 116/07 AS ER, juris, Rdnr. 26
f.). Gemäß Art. 12 Satz 1 EGV ist im Anwendungsbereich des EG-Vertrages unbeschadet besonderer
Bestimmungen des EG-Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
86 aa) Dies ist der Fall, wenn im konkreten Fall eine andere Rechtsfolge einschlägig wäre, wenn der Betroffene die
Staatsangehörigkeit des Staates besäße, demgegenüber er sich auf Art. 12 EGV beruft ( von Bogdandy , in:
Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 6). In diesem Sinne wird
eine Diskriminierung angenommen, wenn der Betroffene von bestimmten Leistungen ausgeschlossen wird (
von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 8). Im
vorliegenden Fall knüpft der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht unmittelbar an die
Staatsangehörigkeit an, sondern an den Grund des Aufenthaltsrechts. Allerdings liegt nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes eine Diskriminierung im Sinne von Art. 12 EGV nicht nur bei
unmittelbarer Diskriminierung vor, sondern auch bei Regelungen, die durch die Anwendung anderer
Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (EuGH, Urteil vom 23.01.1997, Rs. C-
29/95 – Pastoors u. Trans-Cap GmbH , NZV 1997, 234 [235]). Entsprechend wird man hier einen Eingriff in das
durch Art. 12 EGV geschützte Recht annehmen müssen.
87 bb) Das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV gilt indes nicht uneingeschränkt (OVG Bremen, Beschluss
vom 05.11.2007, Az.: S1 B 252/07, juris, Rdnr. 17; von Bogdandy , in: Grabitz/Hilf [Hrsg.], Das Recht der
Europäischen Union, Art. 12 EGV [2005] Rdnr. 23, m.w.N.; Wilms , in: Hailbronner/Wilms [Hrsg.], Das Recht
der Europäischen Union, Art. 12 EGV [2007] Rdnr. 21 f.) Vielmehr liegt ein Verstoß gegen Art. 12 EGV nur vor,
wenn die nationale Vorschrift nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil vom 23.01.1997,
Rs. C-29/95 – Pastoors u. Trans-Cap GmbH, NZV 1997, 234 [235]; OVG Bremen, Beschluss vom 05.11.2007,
Az.: S1 B 252/07, juris, Rdnr. 17; Hessisches LSG, Beschluss vom 03.04.2008, Az.: L 9 AS 59/08 B ER, juris,
Rdnr. 24; vgl. zu Art. 18 EGV EuGH [Große Kammer], Urteil vom 23.10.2007, verb. Rs. C-11/06 u. C-12/06 –
Morgan, BayVBl. 2006, 234 [235]) bzw. wenn die Unterscheidung nicht sachlich gerechtfertigt ist (EuGH, Urteil
vom 02.10.1997, Rs. C-122/96 – Saldanha u. MTS Securities Corporation, NJW 1997, 3299 [3300]).
88 Ein die Unterscheidung rechtfertigender Grund liegt hier indes vor, da § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II einen legitimen
Zweck verfolgt, nämlich sozialleistungsorientierte Wanderungsbewegungen (sog. „Sozialtourismus“) zu
vermeiden (ebenso OVG Bremen, Beschluss vom 05.11.2007, Az.: S1 B 252/07, juris, Rdnr. 19; LSG Hessen,
Beschluss vom 13.09.2007, Az.: L 9 AS 44/07 ER, FEVS 59 [2008], S. 110 [116]; Urteil der 12. Kammer des
SG Reutlingen vom 18.02.2008, Az.: S 12 AS 1077/07, n. v.; a. A. SG München, Urteil vom 08.08.2007, Az.:
S 22 AS 1304/06, ASR 2008, 34 [37]; für § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII SG Wiesbaden, Beschluss vom
15.01.2008, Az.: S 16 AS 690/07 ER, juris, Rdnr. 34; Schreiber , info also 2008, 3 [7 f.]) und ist auch
verhältnismäßig. Entsprechend wird auch für das in der Charta der Grundrechte verankerte Freizügigkeitsrecht
angenommen, dass Regelungen zulässig sind, die der Verhinderung eines Missbrauchs des
Freizügigkeitsrechts allein zu dem Zweck, in den Genuss der Sozialleistungen des anderen Mitgliedstaates zu
kommen, dienen sollen ( Schöbener , in: Tettinger/Stern [Hrsg.], Europäische Grundrechte-Charta, 2006, Art.
45 Rdnr. 35). Ob daneben noch darauf abgestellt werden kann, dass auch die unterschiedliche Nähe zum
deutschen Arbeitsmarkt rechtfertigend wirkt (so Hessisches LSG, Beschluss vom 03.04.2008, Az.: L 9 AS
59/08 B ER, juris, Rdnr. 24), kann damit dahinstehen.
89 Dies wird bestätigt durch die Unionsbürger-Richtline (2004/38/EG). Diese Richtlinie mit dem bereits oben
beschriebenen Inhalt, dass Personen, deren Aufenthaltsrecht nur darauf beruht, dass sie sich auf Arbeitssuche
befinden, ohne zeitliche Einschränkung keinen Zugang zu beitragsunabhängigen Sozialleistungen
beanspruchen können, steht der Annahme entgegen, dass ein solcher Anspruch aus dem
Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 12 EGV deduziert werden könnte. Dabei kommt es nicht einmal darauf
an, ob der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbotes durch die sekundärrechtlichen Schranken des
Aufenthaltsrechts begrenzt wird (so Bode , EuZW 2003, 552 [556], m.w.N.). Jedenfalls entfaltet die Richtlinie
2004/38/EG insofern Rechtfertigungscharakter für darauf beruhende Ungleichbehandlungen (so auch Strick ,
NJW 2005, 2182 [2185]). Eine andere Auffassung würde im übrigen die Annahme voraussetzen, dass die
Richtlinie 2004/38/EG ihrerseits mit dem primären Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist (zutreffend LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.08.2007, Az.: L 9 AS 447/07 ER, juris, Rdnr.26; vgl. auch Bode ,
EuZW 2005, 279 [281]; Hailbronner , JZ 2005, 1138 [1143]). Dies ist aber – siehe oben – nicht der Fall.
90 IV. Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember
1953 (BGBl. 1956 II, S. 563), das allerdings sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Republik
Italien abgeschlossen haben. Dieses Abkommen ist auf das SGB II nicht anzuwenden.
91 Gemäß Art. 2 Abs. b des Europäischen Fürsorgeabkommens findet dieses Abkommen nur auf die
Rechtsvorschriften und nur nach Maßgabe der von den Vertragsschließenden formulierten Vorbehalte
Anwendung, die in Anhang I und Anhang II zu dem Abkommen aufgeführt sind. In den insofern maßgeblichen
Anhängen mit Stand vom 1. März 2000 (BGBl. 2001 II, S. 1086) erfasst das Abkommen in der Bundesrepublik
Deutschland das Bundessozialhilfegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl. I,
S. 646, 2975), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Juli 1999 (BGBl. I, S. 1656), ferner die §§
27, 32 bis 35 und 41 jeweils in Verbindung mit § 39 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.
Dezember 1998 (BGBl. I, S. 3546) und schließlich die §§ 14, 14 und 22 des Gesetzes zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953 (BGBl. I, S. 700), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom
19. Dezember 1997 (BGBl. I, S. 3158).
92 Aus dem enumerativen und abschließenden Charakter dieser Aufzählung ergibt sich, dass Leistungen nach
dem SGB II – und im übrigen auch nach dem SGB XII – nicht in den Anwendungsbereich des Europäischen
Fürsorgeabkommens fallen (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.01.2008, Az.: L 8 SO 88/07
ER, juris, Rdnr. 37 f.). Wenn man den Anhang I des Abkommens insofern im Sinne einer dynamischen
Verweisung für auslegungsfähig hält und den Anwendungsbereich auf das SGB II als eine der
Nachfolgegesetze des Bundessozialhilfegesetzes erstrecken will (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 14.01.2008, Az.: L 8 SO 88/07 ER, juris, Rdnr. 37 ff.), muss dann allerdings auch der im Anhang II des
Abkommens enthaltene Vorbehalt, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung
übernimmt, die in dem Bundessozialhilfegesetz in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Hilfe zum
Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage und Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer
Schwierigkeiten an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen
Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden, ebenfalls dynamisch auf das SGB II bezogen
werden. Eine über den Wortlaut hinaus erweiternde Auslegung des Anwendungsbereiches in Anhang I ohne
gleichzeitige entsprechende Auslegung des Vorbehaltes in Anhang II ist inkonsequent und daher nicht
überzeugend.
93 B. Der zuständige Träger der Leistungen nach dem SGB XII war nicht beizuladen. Zwar kann der
Sozialhilfeträger gemäß § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Beiladung verurteilt werden. Jedoch hat
der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII.
94 Dem steht zum einen § 21 Satz 1 SGB XII entgegen, wonach Personen, die nach dem SGB II als
Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten.
Da es für diesen Leistungsausschluss also allein darauf ankommt, dass der Betroffene als Erwerbsfähiger dem
Grunde nach Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, aber nicht darauf, ob er aufgrund individueller
Umstände tatsächlich Leistungen bezieht (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2006, Az.: L 20 B
248/06 AS ER, juris, Rdnr. 26), erfasst dieser Leistungsausschluss auch Personen, die zwar erwerbsfähig,
aber gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind (so ausdrücklich
auch die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen
Bundestages auf Bundestags-Drucksache 16/688, S. 13; ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
14.01.2008, Az.: L 8 SO 88/07 ER, juris, Rdnr. 32; Hänlein , in: Gagel [Hrsg.], SGB III mit SGB II, § 7 SGB II
[2008] Rdnr. 73; Spellbrink , in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rdnr. 14; a. A. im Ergebnis
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.09.2006, Az.: L 20 B 73/06 SO ER, juris, Rdnr. 11 f.; LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.11.2006, Az.: L 20 B 248/06 AS ER, juris, Rdnr. 30 ff.), also auch den
Kläger.
95 Dies wird bestätigt und verstärkt durch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, nach dem unter anderem Ausländer, die
eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der
Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. Damit ist automatisch derjenige, der – wie der
Kläger – gemäß § 7 Abs. Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen
ist, auch von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen (siehe auch Urteil der 12. Kammer des SG
Reutlingen vom 18.02.2008, Az.: S 12 AS 1077/07, n. v.).
96 Auch europäisches Recht führt in diesem Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit gelten die
obigen Ausführungen zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II entsprechend.
97 C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz. Dabei entsprach es
angesichts des Umstandes, dass der Kläger mit seinem, einen über zehnmonatigen Zeitraum betreffenden
Klageantrag nur für sechs Wochen obsiegte, billigem Ermessen, der Beklagten die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers, dem die Kammer Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, nur zu einem
Zehntel aufzuerlegen.