Urteil des SozG Reutlingen vom 19.05.2010

SozG Reutlingen: leiter, abstimmung, versicherungspflicht, abgrenzung, vergütung, sozialversicherung, abhängigkeit, koordination, anhörung, arbeitskraft

Sozialgericht Reutlingen
Urteil vom 19.05.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Reutlingen S 10 R 329/09
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 in der
Gestalt des Bescheids vom 11.02.2010 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger die Tätigkeit als
Leiter Änderungskoordination für die beigeladene Fa. B ...vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 als selbständige Tätigkeit
ausübte. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die versicherungsrechtliche Beurteilung des Klägers bzgl. seiner Tätigkeit für die
beigeladene Firma B ...
Der am ... geborene Kläger beantragte am 14.05.2008 bei der Beklagten die Feststellung des
sozialversicherungsrechtlichen Status. Der Kläger beantragte insoweit festzustellen, dass ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht vorliege (vgl. Bl. 1/2 d. Verw.-Akte). Ausweislich des
Antrages sei der Kläger bei der Beigeladenen als Leiter Änderungskoordination mit der Leitung, Koordination und
Absicherung des Prototypenänderungsmanagements betraut. Für diese Tätigkeit habe der Kläger bis 31.01.2008
einen Existenzgründungszuschuss bezogen.
Folgende Fragestellungen im Antrag wurden seitens des Klägers verneint:
- Waren sie vor ihrer jetzigen Tätigkeit für einen der angegebenen Auftraggeber als Arbeitnehmer tätig? - Wird ihr
Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft geführt? - Beschäftigen sie mindestens einen
Arbeitnehmer/Auszubildenden mit einem monatlichen Arbeitsentgelt von mehr als 400,- EUR? - Arbeiten sie am
Betriebssitz ihres Auftraggebers? - Haben sie regelmäßige Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einzuhalten? - Werden
ihnen Weisungen hinsichtlich der Ausführung (Art und Weise) ihrer Tätigkeit erteilt? - Kann ihr Auftraggeber ihr
Einsatzgebiet auch ohne ihre Zustimmung verändern? - Ist die Einstellung von Vertretern bzw. Hilfskräften durch sie
von der Zustimmung ihres Auftraggebers abhängig?
In Bezug auf sein unternehmerisches Risiko gab der Kläger an, dass er keinen Kapitaleinsatz habe, da er beratender
Ingenieur sei und sich die Preisgestaltung am Markt orientieren würde. Bzgl. der weiteren Einzelheiten des Antrags
wird voll inhaltlich auf Bl. 1, 2 d. Verw.-Akte verwiesen.
Auf den Fragebogen der Beklagten vom 26.05.2008 (vgl. Bl. 3 d. Verw.-Akte) hin, nahm der Kläger mit Schreiben vom
06.08.2008 Stellung (vgl. Bl. 4 d. Verw.-Akte). Er habe am 15.04.2007 bei der Agentur für Arbeit den Antrag auf
Existenzgründung gestellt, der auch genehmigt worden und bis Januar 2008 bewilligt worden sei. Nach zahlreichen
Bewerbungen habe der Kläger am 05.05.2008 eine freiberufliche Tätigkeit bei der Beigeladenen angenommen. Der
Kläger setze kein eigenes Kapital ein und es würden auch keine Arbeitsgeräte seitens der Beigeladenen zur
Verfügung gestellt. Die Arbeit würde selbständig und persönlich vom Kläger durchgeführt werden. Der Ausführungsort
sei bei der ... AG in S in separaten Räumen für Fremdarbeitskräfte. Der Kläger arbeite selbst nicht in Räumen der
Beigeladenen und trage folglich auch keine Kostenbeteiligung. Die Abrechnung erfolgt direkt mit der Beigeladenen und
die Leistungen würden ausschließlich im Namen und auf Rechnung der Beigeladenen erbracht. Zusammen mit der
Stellungnahme wurde der Dienstleistungsvertrag vom 15.05.2008 zwischen dem Kläger und der Beigeladenen
vorgelegt. Dieser Vertrag enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 1 Gegenstand des Vertrages
(1) Der Dienstleister wird für B. folgende Dienstleistungen erbringen: - Koordination und Absicherung des
Prototypenänderungsmanagements und des Prozesses zur Absicherung von Freigabeterminen im Teilprojekt
Entwicklung. - Prozessabstimmungen und -implementierung unter Integration aller Systembereiche. - Vorbereitung
und Durchführung von Abstimmungen zur Überprüfung der DMU-Planung. - Sicherstellung der Freigabeverfolgung. -
Identifikation von Änderungsanträgen mit Prototypenrelevanz. - Abstimmung der erforderlichen Information (Kosten,
Termine, technische Auswirkungen) mit den verantwortlichen Bereichen (teilprojektübergreifend) zur
Entscheidungsvorbereitung. - Organisation und Koordination des Prototypenänderungsmanagement-Gremiums. -
Erstellung von Entscheidungsvorlagen und -empfehlungen inklusive Massnahmedefinition. - Verfolgung der
entschiedenen Maßnahmen. - Aufbau und Durchführung von Berichterstattung innerhalb des Projektes SFTP. -
Koordination der 3 Änderungskoordinatoren.
Die Dienstleistung wird in enger Abstimmung mit dem Kunden erfolgen.
...
(3) Der Dienstleister wird Dienstleistungen grundsätzlich in eigener Person erbringen. Will der Dienstleister
Arbeitnehmer, Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen zuziehen, so hat er vorab die schriftliche Zustimmung von B.
einzuholen und die dritten Personen in einer ähnlichen Weise zur Geheimhaltung verpflichten. Verantwortlich für die
ordnungsgemäße Durchführung der Dienstleistungen bleibt in jedem Fall der Dienstleister.
(4) B ... stellt dem Dienstleister jeweils die für die Durchführung der vereinbarten Dienstleistungen notwendigen
Informationen für die Dauer und Zwecke der entsprechenden Dienstleistungen zur Verfügung. B ... haftet nicht für die
Richtigkeit und freie Verwendbarkeit übermittelten Informationen ...
§ 2 Vergütung, Reisetätigkeit
(1) Der Dienstleister erhält ein Honorar in Höhe von 45,- Euro (netto) pro Stunde. Im Honorar inbegriffen sind sämtliche
Nebenkosten wie Reisekosten, sowie Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit.
(2) Der Dienstleister wird B ... eine detaillierte Auflistung seiner erbrachten Arbeitsleistung in regelmäßigen Abständen,
spätestens jedoch einmal in der Woche zur Unterzeichnung vorlegen. Die Vergütung wird immer zum Ende des
Monats fällig, der auf die Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung unter Beifügung der prüf- und
genehmigungsfähigen Auflistung folgt. Die gesetzliche Mehrwertsteuer muss ordnungsgemäß ausgewiesen sein.
(3) Dem Dienstleister werden weder Reisezeiten noch Reisekosten erstattet, es sei denn, dass zwischen den Parteien
im Einzelfall ausdrücklich etwas anderes schriftlich vereinbart ist.
(4) Die Wahl des Arbeitsortes erfolgt in enger Abstimmung mit B ...; eine gesonderte Aufwandsentschädigung für den
Arbeitsort erhält der Dienstleister nicht.
(5) Der Dienstleister gestaltet seine Arbeitszeit in Abstimmung mit B ...
Bzgl. der weiteren Einzelheiten des Dienstleistungsvertrages wird voll inhaltlich auf Bl. 5 - 11 d. Verw.-Akte
verwiesen.
Mit jeweiligem Schreiben vom 02.07.2008 leitete die Beklagte gegenüber den Kläger und der Beigeladenen die
Anhörung ein (vgl. Bl. 13/14 d. Verw.-Akte bzgl. der Anhörung der Beigeladenen und Bl. 15/16 d. Verw.-Akte bzgl. der
Anhörung des Klägers).
Hieraufhin nahm der Kläger mit Schreiben vom 15.08.2008 (vgl. Bl. 26/27 d. Verw.-Akte) Stellung. Unter detaillierter
Darstellung der Hintergründe und der Abläufe seiner Existenzgründung führte der Kläger weiter aus, dass er seine
früheren Kontakte zu Ingenieurbüros nach Existenzgründung aktiviert habe um mit seinem Know-how speziell im
Automotivbereich Aufträge zu bekommen. Ein direkter Kontakt zu Firmen wie Daimler, Porsche, Audi und BMW sei
nur über Ingenieurbüros, die bereits festangestellte Mitarbeiter oder Freiberufler einsetzen würden, möglich. Zwischen
diesen Firmen würden größere Kontingente geplant und abgerechnet. Für Selbständige sei der Verwaltungsaufwand
für die Rechts- und Haftungsfragen für diese Firmen zu aufwendig. Eine eigene Lieferantennummer zu bekommen sei
sehr schwierig bzw. unmöglich. Aufgrund seiner Profileinstellung in namhaften Onlinedatenbanken sei er von
verschiedensten Vermittlern kontaktiert und zu Projektvorstellungen eingeladen worden. Dort hätte der Kläger sich und
sein berufliches Know how präsentiert. Im Anschluss daran habe er sich die Aufgabenstellung und
Rahmenbedingungen erläutern lassen und im Nachgang über die Stunden- bzw. Tagessatzverhandlung entschieden,
ob er die Herausforderung annehme. Auch innerhalb der Ingenieurbüros habe es Projekte gegeben, die ihm angeboten
worden seien. Auch hier habe der Kläger frei entscheiden können, ob die Rahmenbedingungen für ihn stimmig seien
und er den Auftrag annehme. Über das derzeitige Projekt sei er am 02.05.2008 in einem Gespräch zwischen ... und
der Beigeladenen informiert worden. Am 04.05.2008 vormittags sei der Kläger dann über die Zusage seitens ...
informiert worden und der Kläger habe um 12:30 Uhr mit dem Projektauftrag begonnen. Der Auftrag der Beigeladenen
sei gemäß vertraglicher Vereinbarung zum 15.05.2008 bis 30.09.2008 befristet. Der Kläger führte weiter aus, dass er
für die Zielerreichung aus dem Anforderungsprofil selbst verantwortlich sei, er die Aufgabe selbst koordinieren und
erledigen müsse und er hätte in diesem Fall drei Mitarbeiter der Firma (externer Anbieter) zu koordinieren. In diesem
Zusammenhang sei er auf der Suche nach einem geeigneten Mitarbeiter, der ihn administrativ unterstütze. Dies sei
jedoch erst nach Klärung der Frage der Selbständigkeit möglich, da weitere finanzielle Ausgaben auch durch
Einnahmen gedeckt sein sollten. Der Kläger habe Investitionen für Weiterbildung, Büroeinrichtung, EDV, Auto usw.
getätigt und erwarte über die Beauftragungen langfristig einen Kapitalrückfluss und in der Folge steigende Gewinne.
Mit Bescheid vom 21.08.2008 wurde gegenüber dem Kläger festgestellt, dass dessen Tätigkeit als Leiter
Änderungskoordination bei der Beigeladenen seit 01.05.2008 im Rahmen eines abhängigen
Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung entstehe
mit der Aufnahme der Beschäftigung. Unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen und der darin enthaltenen
Kriterien zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung zu einer selbständigen Tätigkeit führte die Beklagte aus,
dass die Aufgabenstellung klar umrissen sei und der Kläger nach außen hin als Mitarbeiter der Beigeladenen
erscheinen würde, denn der Kläger erbringe seine Leistungen im Rahmen und auf Rechnung der Beigeladenen. Im
allgemeinen Geschäftsverkehr würde der Kläger insoweit nicht als selbständig Tätiger wahrgenommen werden. Der
Kläger habe die zwischen der Beigeladenen und der ... AG vereinbarte Leistung zu erbringen. Eine gestalterische
Freiheit bestehe dabei nicht. Ferner habe er einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz bei der ... AG. Wenn der Kläger
dennoch Teile des Auftrages in Heimarbeit erledigen sollte, so sei dies kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit. Nach
Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis überwiegen.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10.09.2008 Widerspruch ein (vgl. Bl 28 d. Verw.-Akte). Zur Begründung
des Widerspruchs wurden im Wesentlichen die Argumente aus der Stellungnahme vom 15.08.2008 wiederholt.
Ergänzend führte der Kläger aus, dass er nicht verpflichtet sei, die Arbeit höchstpersönlich zu erbringen, sodass es
auch an einem wesentlichen Merkmal, nämlich an der persönlichen Abhängigkeit, für die Annahme einer abhängigen
Beschäftigung fehlen würde (vgl. Bl. 35/36 d. Verw.-Akte).
Mit Widerspruch vom 15.09.2008 wandte sich die Beigeladene gegen den ihr gegenüber ergangenen
Statusfeststellungsbescheid vom 21.08.2008 (vgl. Bl. 30/31 d. Verw.-Akte). Zur Begründung führte die Beigeladene
aus, dass der Kläger als unabhängiger Freiberufler beauftragt worden sei und auch als solcher auftrete. Der Kläger sei
nicht weisungsgebunden und nicht in dem Organisationsablauf der Beigeladenen eingebunden. Die Umschreibung der
Projekttätigkeit im Vertrag sei im Rahmen von Ingenieurdienstleistungen generell üblich und stelle kein Indiz für eine
Arbeitnehmereigenschaft dar. Auch sei der Kläger prinzipiell berechtigt, eigene Mitarbeiter zu beschäftigen. Er sei also
nicht verpflichtet, die Dienstleistung persönlich zu erbringen, sodass es schon insofern an der persönlichen
Abhängigkeit fehle. Das unternehmerische Risiko liege voll und ganz beim Kläger, da er die Haftung für seine Leistung
trage.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Unter erneuter detaillierter Auseinandersetzung mit den rechtlichen Vorgaben bzgl. der Abgrenzung zwischen einem
abhängigen Beschäftigungsverhältnis und einer selbständigen Tätigkeit führte die Beklagte zur Begründung im
Wesentlichen aus, dass die Arbeitskraft des Klägers nicht mit ungewissem Erfolg eingesetzt werde. Die Vergütung
werde somit erfolgsunabhängig gezahlt. Jedoch wäre auch die Bezahlung lediglich nach dem Erfolg der Arbeit kein
zwingender Grund für den Ausschluss einer persönlichen Abhängigkeit des Beschäftigten. Es sei unerheblich, dass
der finanzielle Erfolg des Beschäftigten von dessen beruflicher Tüchtigkeit abhängig sei. Die Chance, länger oder
mehr zu arbeiten, um so ein höheres Entgelt zu erzielen, sei nicht die spezielle Chance des Unternehmers, sie hätte
auch jeder Beschäftigte. Dieses Risiko des Einkommens sei von dem bei einem selbständigen Beruf typischen
Unternehmerrisiko zu unterscheiden. Der Kläger würde ausschließlich die eigene Arbeitskraft einsetzen und sei
funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. Ein Kapitaleinsatz, der auch mit der Möglichkeit
eines Verlustes verbunden sei, liege nicht vor. Der Kläger unterliege bzgl. Zeit, Dauer, Art und Ort der
Arbeitsausführung dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Kläger könne zwar frei entscheiden, ob er Aufträge
annehme oder ablehne, bei Annahme erfolge jedoch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des
Weisungsgebers. Der zeitliche Rahmen der Tätigkeit sei zwar nicht exakt nach Tagen, Stunden oder Minuten
bestimmt, aber noch derartig hinreichend eingegrenzt, dass er als bestimmter zeitlicher Rahmen im Sinne der
Rechtsprechung zur persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers zu qualifizieren sei. Die Weisungsgebundenheit
verfeinere sich, wie bei Diensten höherer Art, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Im Hinblick
auf die festgestellte Weisungsbindung sei ebenfalls anzumerken, dass auch jedem Arbeitnehmer ein gewisser
Freiraum bei der Ausgestaltung seiner Tätigkeit eingeräumt sei. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit sei also
überwiegend fremdbestimmt. Ein wesentlicher Gestaltungsspielraum bzgl. der zu erbringenden Dienstleistung sei
somit im zu beurteilenden Sachverhalt nicht gegeben. Dieser reduziere sich auf die Annahme eines Vertrages, der die
Erbringung einer überwiegend fremdbestimmten Dienstleistung beinhalte. Nach Gesamtwürdigung aller Tatsachen
würden die Merkmale, die ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis belegen, überwiegen.
Hiergegen richtet sich die am 03.02.2009 beim Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage. Zur Begründung der Klage
werden die Ausführungen in der Stellungnahme des Klägers vom 15.8.2008 im Wesentlichen wiederholt. Hinsichtlich
des Zugangs des Widerspruchsbescheids wird seitens des Klägers ausgeführt, dass dieser von der Beklagten am
05.01.2009 zur Post gegeben worden und beim Bevollmächtigten des Klägers am 08.01.2009 eingegangen sei. Ein
zweites Mal sei der Widerspruchsbescheid, an den Kläger direkt adressiert, von der Beklagten am 29.01.2009 zur
Post gegeben und beim Kläger am 30.01.2009 eingegangen (vgl. Bl. 41 d. SG-Akte).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 in der
Gestalt des Bescheids vom 11.02.2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger die Tätigkeit als Leiter
Änderungskoordination für die beigeladene Fa. B ...vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 als selbständige Tätigkeit
ausübte.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Mit Beiladungsbeschluss vom 14.07.2009 wurde die Fa. B ...zum Verfahren beigeladen (vgl. Bl 55 d. SG-Akte).
Mit Bescheid vom 11.02.2010 wurde der Bescheid vom 21.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
17.12.2008 dahingehend abgeändert, dass in der vom Kläger vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 und vom 01.10.2008 bis
19.12.2008 ausgeübten Beschäftigung als Leiter Änderungskoordination bei der Beigeladenen Versicherungspflicht in
der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der
Arbeitsförderung bestehe. Zur Begründung wird ausgeführt, dass aus den vorliegenden Unterlagen sich keine
Tatbestände ergeben, die die Versicherungsfreiheit begründen bzw. die Versicherungspflicht in einem Zweig der
Sozialversicherung ausschließen würden. Der Bescheid enthält einen Hinweis nach § 96 SGG.
Im Erörterungstermin am 24.02.2010 und in der mündlichen Verhandlung am 19.05.2010 erfolgten auf Nachfragen des
Gerichts weitere Ausführungen zur Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen. Diesbezüglich wird vollinhaltlich auf
die jeweilige Sitzungsniederschrift verwiesen (Niederschrift über die Sitzung vom 24.02.2010: Bl. 63/65 d. SG-Akte
und Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19.05.2010: Bl. 75/76 d. SG-Akte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist erfolgreich, da sie zulässig und begründet ist.
I.
Die formgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Sie ist
insbesondere fristgerecht erhoben worden. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägervertreters ist der
Widerspruchsbescheid, datierend vom 17.12.2008, beim Bevollmächtigten des Klägers erst am 08.01.2009
eingegangen. Dies wird auch durch den Eingangsstempel des Klägervertreters auf dem Anschreiben der Beklagten
(vgl. Bl. 42 d. SG-Akte) belegt. Mit Klageerhebung am 03.02.2009 erfolgte diese innerhalb der Monatsfrist des § 87
SGG.
II.
Die Klage ist auch in der Sache begründet. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Statusfeststellung der Beklagten in
dem Bescheid vom 21.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2008 und des Änderungsbescheids
der Beklagten vom 11.02.2010. Dieser Änderungsbescheid ist nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des
Klageverfahrens geworden. Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG liegen vor. Der Änderungsbescheid hat den
Bescheid vom 21.08.2008 abgeändert und festgestellt, dass in der vom Kläger vom 04.05.2008 bis 30.09.2008 und
vom 01.10.2008 bis 19.12.2008 ausgeübten Beschäftigung als Leiter Änderungskoordination bei der Beigeladenen
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem
Recht der Arbeitsförderung bestehe.
Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 21.08.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 sind auch in der
Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2010 rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.
1.) Gegenstand des Rechtsstreits ist die Statusfeststellung der Beklagten in dem Bescheid vom 21.08.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.02.2010. Die
Beklagte war zur Entscheidung über den Antrag des Klägers berufen. Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 des Vierten Buches
des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine
Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der
Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Für eine solche
Statusfeststellung ist nach § 7a Abs. 1 Satz 3 SGB IV die Beklagte zuständig, nicht die nach § 28h Abs. 2 Satz 1
SGB IV zur Entscheidung berufene Einzugsstelle. Einen solchen Antrag auf Statusfeststellung hatte der Kläger am
14.05.2008 bei der Beklagten gestellt. Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung durch einen
anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist nicht ersichtlich.
Im Rahmen einer Statusfeststellung nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV darf sich die Beklagte nicht darauf
beschränken, eine abhängige Beschäftigung oder zusätzlich eine daraus folgende Versicherungspflicht "dem Grunde
nach" festzustellen. Dies käme einer unzulässigen Elementenfeststellung gleich. Die Beklagte muss vielmehr, um
einen Lebenssachverhalt zum Rechtsbegriff der abhängigen Beschäftigung zuzuordnen, das konkrete
Rechtsverhältnis bezeichnen, an das sozialrechtlich angeknüpft werden soll, auch Aussagen darüber treffen, in
welchen Zweigen der Sozialversicherung die festgestellte Beschäftigung im jeweiligen Feststellungszeitraum zur
Sozialversicherung geführt hat. Dies hat das BSG in seinen Urteilen vom 11. März 2009 (B 12 R 11/07 R, SozR 4-
2400 § 7a Nr. 2) und vom 04. Juni 2009 (B 12 R 6/08 R, veröffentlicht in Juris) ergänzend zu seiner früheren
Rechtsprechung entschieden.
Die Beklagte hat vorliegend nicht nur den Status des Klägers geprüft, sondern darüber hinaus festgestellt, dass er in
der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund seiner abhängigen Beschäftigung bei der
Beigeladenen versicherungspflichtig war. Sie hat dadurch die Anforderungen an eine Statusfeststellung erfüllt.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und
Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, §
20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 25 Abs. 1
Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs.
1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06
R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7, Urteil vom 04. Juli 2007, B 11 a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8) setzt eine
Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in
einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit,
Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine
selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete
Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab,
welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und
selbständiger Tätigkeit BVerfG SozR 3 - 2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung
(vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind
die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen
Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so
wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das
Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus
ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen
stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur
der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich
ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht
wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer
Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3 - 2400 § 7 Nr. 4; SozR 3 - 4100 § 168
Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen
abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff.; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56; jeweils m.w.N.). Maßgeblich ist
die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl.
hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr. 7).
2.) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt eine Gesamtabwägung der
maßgeblichen Anhaltspunkte ein Überwiegen zu Gunsten der selbständigen Tätigkeit.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Argument des weitgehenden Fehlens eines Unternehmerrisikos
mangels Kapitaleinsatzes kein durchschlagendes Argument für eine abhängige Beschäftigung. Nicht jedes Fehlen
eigener Produktionsmittel ("Equipment") lässt eine Tätigkeit als abhängig erscheinen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg,
Urt. v. 23.01.2009 - Az.: L 1 KR 26/08). In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kläger
weder von der Beigeladenen noch vom Kunden, der ... AG, wesentliche Betriebsmittel zur Verfügung gestellt
bekommen hat. Sämtliche Hard- und Software hat der Kläger nach seinen überzeugenden Darlegungen selbst
vorgehalten. Das Bereitstellen eines E-Mail-Programmes (Microsoft Outlook) für die elektronische Kommunikation
zwischen dem Kläger und dem Kunden stellt aus Sicht der Kammer kein wesentliches Betriebsmittel dar.
Ferner gibt es in vielen Wirtschaftsbereichen Konstellationen, in welchem das Kriterium der eigenen Produktionsmittel
zurücktritt hinter das der Inanspruchnahme fachspezifischer Kompetenz. Als Beispiele mögen die Dienst- bzw.
Werkleistungen des Lotsen (vgl. § 13 Abs. 1 SGB IV und speziell für die Abgrenzung der so genannten freien Beruf
wie Rechtsanwalt und Seelotse nur gegenüber dem Gewerberecht: Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Dezember 2001 -
L 4 KR 147/99 -), des Partyausrichters, des Einkauf- bzw. Stylingberaters, des Werkskantinenbetreibers und des so
genannten Mietkochs dienen. Diese Freiberufler bzw. Gewerbetreibenden bedienen sich ausschließlich oder
überwiegend der Einrichtungen der Auftraggeber.
Des weiteren spricht gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit auch nicht der Umstand, dass die Vergütung
nach Zeitaufwand durch Aufschreiben von Stunden erfolgt ist. Bei Dienstleistungen in betriebsmittelarmen Bereichen,
in denen denknotwendig der persönliche Arbeitseinsatz im Vordergrund steht, ist die Abrechnung auf Stundenbasis
üblich und eignet sich daher nur sehr eingeschränkt als Unterscheidungskriterium für die Abgrenzung einer
selbständigen zu einer abhängigen Beschäftigung.
Maßgebend für die Kammer war aber der Umstand, dass der Kläger weder bei der Beigeladenen noch beim Kunden in
die jeweilige Arbeitsorganisation eingegliedert war und auch einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung
umfassenden Weisungsrecht der Beigeladenen bzw. des Kunden nicht unterlag. Glaubhaft gab der Kläger an, dass er
hinsichtlich der Arbeitszeit weder von der Beigeladenen noch vom Kunden feste Vorgaben erhalten hat und entgegen
der Regelung im Dienstleistungsvertrag vom 15.05.2008 in § 2 Ziffer 5 ("Der Dienstleister gestaltet seine Arbeitszeit in
Abstimmung mit B ...") erfolgte keine Abstimmung der Arbeitszeit. Der Kläger hatte vom Kunden einen Ausweis
erhalten, so dass er die Arbeitszeit auch nicht mit dem Kunden abstimmen musste. Nach seinen Angaben musste
sich der Kläger beim Kunden weder an- noch abmelden. Auch die Art der Ausführung wurde dem Kläger weder von der
Beigeladenen noch vom Kunden vorgeschrieben. Vom Kunden wurden dem Kläger lediglich Ziele vorgegeben. Wie der
Kläger diese Ziele erreicht war ihm überlassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten war dem Kläger ein
wesentlicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, der auch weit über das hinausgeht, was einem Arbeitnehmer an
Freiraum zugebilligt wird. Das zeigt sich auch daran, dass die wöchentlichen Feedback-Gespräche des Klägers mit
dem Kunden ohne Hinzuziehung der Beigeladenen stattfanden. Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers
und der Beigeladenen war die Dienstleistung unter Beachtung des Geheimhaltungsinteresses auch nicht
höchstpersönlich zu erbringen. Im Übrigen fehlt jede soziale Absicherung, sei es in Form einer Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, in Form von Urlaubsgewährung oder eines Honorarausfalls bei Nichtdurchführbarkeit des Auftrages. Die
von der Beklagten angeführten Regelungen des Dienstleistungsvertrages, die nach Auffassung der Beklagten für eine
abhängige Beschäftigung sprechen würden (§ 4 Wettbewerbsverbot und § 6 Rechte am Ergebnis), sind in
Vertragsgestaltungen sowohl für selbständig als auch für abhängig Beschäftigte üblich und daher nur indiziell als
Unterscheidungskriterium geeignet.
Nach alledem ist der Klage stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG