Urteil des SozG Reutlingen vom 25.07.2005

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Sozialgericht Reutlingen
Urteil vom 25.07.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Reutlingen S 4 U 1505/02
Der Bescheid vom ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ... wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt,
unter Anerkennung des Ereignisses vom ... als Wegeunfall Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu
gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger bei einem am ... erlittenen Verkehrsunfall unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen
Unfallversicherung stand.
Der am ... geborene Kläger war ab 1.10.1998 bei der Firma ..., ..., als Konstrukteur beschäftigt. Nachdem er zunächst
in ... eingesetzt wurde, wechselte er im März 1999 an den Standort ... Er behielt während der gesamten Zeit seine
Familienwohnung in ... bei. Von der Firma ... wurde ihm während der Tätigkeit in ... zunächst ein Hotelzimmer und ab
Anfang April eine Mietwohnung in ...- ... als Firmenunterkunft überlassen.
Der Unfall ereignete sich am ... gegen 20.10 Uhr in der Ortschaft ... Der Kläger hatte sein Fahrzeug gewendet, um
entgegen der bisherigen Fahrtrichtung in die Straße Richtung ... einzubiegen. Beim Linksabbiegen übersah er ein von
links kommendes vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug und es kam zum Zusammenstoß. Der Kläger wurde mit
Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule mit dem Rettungswagen in das Krankenhaus ... gefahren. Dort wurde
eine HWS-Distorsion diagnostiziert und eine Halskrawatte verordnet. Eine Fraktur wurde auf den angefertigten
Röntgenaufnahmen nicht gesehen. Der Kläger ging am nächsten Tag zunächst zur Arbeit, ließ sich jedoch dann
wegen zunehmender Beschwerden bis 26.4.1999 arbeitsunfähig schreiben. Am 17.5.1999 trat er seinen Jahrsurlaub
an. Ab 2.6.1999 war er wiederum arbeitsunfähig. Er litt unter Schwindelanfällen und Kopfschmerzen. Am 12.7.1999
wurde in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ... eine HWK-II-Fraktur Anderson III festgestellt, die auf den
Unfall zurückzuführen sei und zunächst übersehen worden war. Es erfolgte deshalb ein stationäres Heilverfahren vom
10.8. bis 11.9.1999 sowie eine stationäre Rehabilitation in den ... Kliniken. Der Kläger litt auch nach dieser
Behandlung unter starken Schmerzen im Bereich der HWS sowie Sensibilitätsstörungen im Gesicht und im Bereich
des rechten Armes und schweren Schwindelattacken. Am 4.10.2000 stellte Dr ... für die BfA u.a. eine anhaltende
somatoforme Funktionsstörung bei dringendem Verdacht auf Anpassungsstörungen, beginnender posttraumatischer
Belastungsstörung fest. Er hielt den Kläger bis zum erfolgreichen Abschluss einer Rehabilitation nicht für in der Lage,
erwerbstätig zu sein. Wegen einer Chronifizierung des Krankheitsbildes erhält er inzwischen eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit auf Dauer.
Die Beklagte erfuhr von dem Unfall zunächst durch den Durchgangsarztbericht des Krankenhauses ... Darin wird
angegeben, der Unfall habe sich auf dem Heimweg von der Arbeit ereignet. Von der Firma ... wurde am 21.7.1999 eine
Unfallanzeige erstellt. Die Beklagte übernahm daraufhin zunächst die Kosten und zahlte dem Kläger Verletztengeld.
Parallel dazu stellte sie Ermittlungen zum genauen Unfallhergang an. In diesem Zusammenhang teilte der Kläger mit
Schreiben vom 9.8.1999 der Beklagten mit, er wisse nur noch, dass er in seine Familienwohnung nach ... fahren und
dabei die Autobahn Kempten - Ulm benutzen wollte, da diese Strecke zeitlich kürzer sei als die Strecke über ...
Weiter teilte er mit: "Da mir von der Firma ... eine Ferienwohnung in der Ortschaft ... gestellt wurde, aber ich schon
vorbeigefahren war, um noch etwas zu holen, wendete ich auf dem Parkplatz ..." Weiter teilte er mit, er habe am
Unfalltag von 6.00 Uhr bis 19.30 Uhr gearbeitet. Der gewöhnliche Weg zu seiner Familienwohnung in ... sei ca. 120
km lang. Für die Strecke benötige er ca. 2 Std ... Aus dem vom Kläger vorgelegten Kartenmaterial ergibt sich, dass er
sich zum Zeitpunkt des Unfalles auf dem direkten Weg zur Autobahn A 96 befand, die er für seine Heimfahrt benutzen
wollte. Die ca. 1,5 km (vgl. Marcopolo-Routenplaner) entfernte Abzweigung zu seiner Werkswohnung in ... hatte er
bereits passiert.
Mit Bescheid vom ... lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Unfalles ab. Zur Begründung
wird ausgeführt, versicherte Tätigkeit sei das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden
unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Nicht versichert hingegen sei ein sogenannter Abweg. Dies
sei jeder Weg, der aus eigenwirtschaftlichen Gründen vom Ziel weg oder über das Ziel hinaus führe. Bei dem Unfall
habe sich der Kläger auf einem solchen Abweg befunden. Er habe nämlich seinen ursprünglichen Weg Richtung
Autobahn Lindau - Ulm verlassen, um in entgegengesetzter Richtung, also vom Ziel weg, zu fahren. Mit dem Wenden
des Fahrzeuges habe er den inneren Zusammenhang mit der eigentlich versicherten Tätigkeit (direkter Weg von der
Arbeit zur Wohnung) und somit den Versicherungsschutz unterbrochen.
Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom ... Widerspruch ein. Zur Begründung gab er an, er habe notwendige
Konstruktionsunterlagen der Firma ... für den von ihm bearbeiteten Prototypen eines Rettungswagens aus seiner
Unterkunft holen wollen. Aus diesem Grund habe er sein Fahrzeug gewendet. Die Fahrt sei insoweit ausschließlich
betrieblich und durch die Heimfahrt bedingt gewesen. Eigenwirtschaftliche Gründe oder eigenwirtschaftliche
Verrichtungen seien nicht gegeben gewesen. Auf weitere Nachfrage der Beklagten wurde von den Bevollmächtigten
des Klägers noch vorgetragen, der Kläger sei Projektleiter der Konstruktion des Prototyps gewesen. Er habe die
Unterlagen gebraucht, um notwendige Änderungen vorzunehmen, damit er am nächsten Morgen zu Arbeitsbeginn
gegen ca. 6.30 Uhr die Beschäftigten der Fertigung aufgrund der überarbeiteten Unterlagen einweisen konnte. Er habe
beabsichtigt, am Abend noch eine Stunde zu Hause an den Unterlagen zu arbeiten. Seit er in ... beschäftigt gewesen
sei, sei er außer am Wochenende auch einmal in der Mitte der Woche nach Hause zu seiner Frau und seinen beiden
Kindern gefahren.
Dr ... von der Firma ... teilte der Beklagten mit, inzwischen seien in der Firma wegen Auftragsmängel ca. die Hälfte
der Mitarbeiter entlassen worden. Außerdem habe zum 01.01. und 01.10.1999 jeweils ein Gesellschafterwechsel mit
Personalaustausch in Schlüsselpositionen stattgefunden. Genaue Angaben zu den Verhältnissen zur Zeit des
Unfalles seien daher schwierig. Die vom Kläger angefertigten Zeitaufschreibungen für April 1999 seien in der
Personalakte nicht vorhanden. Da es einige Projekte in der Konstruktionsabteilung mit fixen Endterminen gegeben
habe, könne es vorgekommen sein, dass länger im Büro oder auch zu Hause gearbeitet wurde.
Frau ..., damals Mitarbeiterin in der Konstruktionsabteilung der Firma ..., teilte auf Anfrage der Beklagten mit, sie
könne nicht bestätigen, dass der Kläger öfters bis 19.30 Uhr gearbeitet habe. Sie halte dies für sehr fraglich. Ein
weiterer ehemaliger Mitarbeiter, Herr ..., teilte mit, er sei am 21. und 22.4.1999 auf Dienstreise gewesen. Eine
Arbeitszeit bis 19.30 Uhr sei für den Kläger nicht ungewöhnlich gewesen. Das Projekt, an dem der Kläger gearbeitet
habe, sei zu dieser Zeit gerade in Hardware umgesetzt worden. Dies habe einen erheblichen Arbeitseinsatz zur Folge
gehabt. Außerdem habe der Kläger dadurch freitags früher nach Hause fahren können. Ihm sei auch bekannt, dass
der Kläger auch an normalen Wochentagen öfters zu seinem Familienwohnsitz nach ... gefahren sei. Es sei auch
mitunter für das Projekt von Vorteil gewesen, dass der Kläger Unterlagen mit nach Hause genommen habe. In der
Nähe von ... seien Zulieferer der Firma ansässig gewesen. Grundsätzlich sei es möglich gewesen, dass der Kläger
Pläne mit nach Hause nahm. Dies sei bei früheren Projekten durchaus üblich gewesen. Ob dies auch bei dem damals
aktuellen Projekt nötig und üblich gewesen sei, könne er nicht sagen, da er an diesem Projekt nicht so stark beteiligt
gewesen sei.
Von Seiten der Firma ... wurde mit weiteren Schreiben bestätigt, dass zu dem fraglichen Zeitpunkt enormer Zeitdruck
in der Konstruktionsabteilung geherrscht habe. Dem Kläger sei es möglich gewesen, Unterlagen für das Projekt
"Prototyp RTW" mit nach Hause zu nehmen. Der genaue Fortgang und die exakte Entwicklung des Projektes sei nicht
mehr nachvollziehbar, da die beteiligten Kollegen aus der Firma ausgeschieden seien.
Auf Ersuchen der Beklagten wurde dann noch vom Sozialgericht Konstanz am 7.11.2001 in Anwesenheit des
Prozessbevollmächtigten des Klägers der ehemalige Mitarbeiter der Firma ..., ..., vernommen. Aus dem Protokoll
ergibt sich, dass der Zeuge im April 1999 als Elektriker in der Produktion der Firma ... beschäftigt war. Mit dem
Konstruktionsbüro habe es einen Dialog über technische Fragen in Zusammenhang mit der Entwicklung des Prototyps
RTW gegeben. In diesem Zusammenhang habe er auch mit dem Kläger zu tun gehabt, insbesondere wegen der
Lochbildfestlegung. Es sei ihm allerdings nicht bekannt, ob der Kläger gelegentlich von zu Hause überarbeitete Pläne
mitgebracht habe, die dann in die Produktion umzusetzen waren. Überstunden seien bei der Firma ... von Zeit zu Zeit
gang und gäbe gewesen. Allgemein herrsche in jeder Fertigung ein gewisser Zeit- und Termindruck.
Mit Schriftsatz vom 28.01.2002 ließ der Kläger noch "klarstellen", dass er den Entschluss, die Unterlagen aus seiner
Firmenunterkunft abzuholen, bereits vor Fahrtantritt gefasst hatte. Er sei dann wegen Ortsunkenntnis irrtümlich an der
Ausfahrt vorbeigefahren, die ihn eigentlich zu seiner Firmenunterkunft führen sollte. Nachdem er den Irrtum bemerkt
hatte, habe er gewendet.
Mit Widerspruchsbescheid vom ... hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wird
ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der weiteren Ermittlungen sei davon auszugehen, dass der Kläger sich zum
Unfallzeitpunkt aus unfallrechtlicher Sicht auf einem unversicherten Abweg befunden habe. Die nachträglich
angeführten betrieblichen Gründe für die Umkehr seien nicht voll bewiesen. Durch die Angaben der befragten Zeugen
hätten die Behauptungen objektiv nicht bestätigt bzw. belegt werden können. Betriebliche Gründe, die den Kläger zur
Umkehr zur Firmenunterkunft bewogen haben könnten, seien daher nicht voll nachgewiesen. Die bloße Möglichkeit sei
nicht ausreichend. Gesetzt den Fall, dass der Kläger sich ungeachtet seiner ursprünglichen Angaben und betrieblicher
Gründe tatsächlich zunächst zur Firmenunterkunft begeben wollte, könnte aufgrund von Ortsunkenntnis für die
irrtümliche Wegeabweichung ausnahmsweise dann Versicherungsschutz bestehen, wenn sich Art und Dauer des
"Verirrens" noch in vertretbaren Grenzen halten würden. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom ... erhobene Klage. Zur Begründung wird weiter ausgeführt, der Kläger
habe sich auf dem Weg von der Arbeit zu der von der Firma ... gestellten Firmenwohnung befunden. Die Tatsache,
dass er von dort noch den Heimweg nach ... habe antreten wollen, ändere nichts daran, dass der Weg zu der
Firmenwohnung in ... versichert gewesen sei. Da er die Wohnung in ... erst wenige Tage vor dem Unfall bezogen
habe, sei er noch nicht ortskundig gewesen. Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der Dämmerung und des
regnerischen Wetters habe sich der Kläger trotz des irrtümlichen Vorbeifahrens an der Abzweigung zu seiner
Werkswohnung bei dem Unfall noch auf einem versicherten Weg befunden. Hilfsweise folge dies auch daraus, dass
der Kläger betriebliche Unterlagen aus seiner Werkswohnung holen wollte.
Das Gericht hat noch die Akten der BfA beigezogen und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr ... sowie
ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr ... zu den Akten genommen. Daraus ergibt sich, dass der
Kläger seit dem Unfall unter zunehmenden Schmerzen leidet, weshalb er erwerbsunfähig ist.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom ... in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ... aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm wegen der Folgen des Unfalles vom ... Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die
beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte das Vorliegen
eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Entschädigungsleistungen verneint.
Bei dem Verkehrsunfall des Klägers vom ... handelt es sich um einen Unfall auf einer sogenannten Familienheimfahrt,
§ 8 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den § 2, 3 oder 6 SGB VII
begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine versicherte Tätigkeit ist u.a. das Zurücklegen des mit der
versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr.
1 SGB VII) sowie das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der
ständigen Familienwohnung, wenn der Versicherte wegen der Entfernung zur Familienwohnung von dem Ort der
Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII). Ein Versicherungsschutz
nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII scheidet vorliegend aus, da der Kläger sich auf dem Weg zu seiner Familienwohnung
befunden hat und insoweit die Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII eingreift.
Die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII hängt davon ab, dass es sich bei dem Ziel des Weges oder seinem
Ausgangspunkt um die ständige Familienwohnung des Versicherten handelt und der Versicherte am
Beschäftigungsort oder in dessen Nähe nur eine Unterkunft hat. Ständige Familienwohnung im Sinne dieser Vorschrift
ist nach der Rechtsprechung eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse
des Versicherten bildet (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 13). Bei einem verheirateten Versicherten befindet sich der
Mittelpunkt der Lebensverhältnisse im allgemeinen an dem Ort, an dem sich der Ehepartner und - ggf. - die
gemeinsamen Kinder nicht nur vorübergehend aufhalten (BSG a.a.O.). Insoweit gibt es vorliegend keinen Zweifel
daran, dass beim Kläger der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse auch für die Zeit seiner Beschäftigung bei der Firma
... seine Wohnung in ... geblieben ist. Bei der Wohnung in ... handelt es sich lediglich um eine Unterkunft im Sinne
von § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII.
Der Kläger befand sich ferner - jedenfalls zunächst - auf dem Weg von seiner Arbeitsstätte zur Familienwohnung.
Auch die Beklagte geht in den streitbefangenen Bescheiden hiervon aus. Die Kammer hat auch keinen Zweifel daran,
dass der Kläger gleich im Anschluss an das Arbeitsende von ... seinen Heimweg angetreten hat. So hat der Kläger
von Anfang an - siehe hierzu den Durchgangsarztbericht vom 04.05.1999 - mitgeteilt, dass er auf dem Heimweg von
der Arbeit verunfallt ist. Seine Angaben werden im Ergebnis bestätigt durch die Auskünfte der Firma ... und des
ehemaligen Arbeitskollegen ... Beide haben ausgeführt, dass eine Arbeitszeit bis 19.30 Uhr für den Kläger nicht
ungewöhnlich bzw. ein längeres Arbeiten im Büro vorgekommen ist. Den insoweit anders lautenden Bekundungen der
ehemaligen Kollegin ... vermag die Kammer schon deshalb keine Bedeutung beizumessen, da diese aus der Firma ...
bereits Ende März ausgeschieden ist und somit zu den Verhältnissen zum Unfallzeitpunkt, die nach Angaben des
Arbeitgebers durch einen enormen Zeitdruck in der Abteilung des Klägers geprägt waren, keine Angaben machen
kann. Lediglich ergänzend weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach ständiger
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die strengen Anforderungen hinsichtlich des Beginns des Weges
nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (Fahrtantritt innerhalb von 2 Stunden seit Beendigung der versicherten Tätigkeit) für
den Versicherungsschutz auf Familienheimfahrten nicht zu stellen sind (BSGE 56, 244; Landessozialgericht (LSG)
Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.03.2004, L 9 U 155/02, abgedruckt in JURIS). Eine für alle Familienheimfahrten
einheitliche Zeitbegrenzung für den Antritt des Weges von dem Ort der Tätigkeit, wie dies im Rahmen des § 8 Abs. 2
Nr. 1 SGB VII wegen der durch die Dauer von 2 Stunden vertretbaren Typisierung möglich ist, lässt sich wegen der
Vielfalt der für eine solche Begrenzung zu berücksichtigenden Fallgestaltungen bei Familienheimfahrten nicht
begründbar festlegen (BSG, Urteil vom 06.12.1989, 2 RU 23/89, abgedruckt in JURIS). Im Übrigen lassen sich
Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall durch einen großen zeitlichen Abstand zwischen dem Ende der Arbeit
und dem Beginn des Heimweges der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gelöst sein könnte, bei dem
bekannten aktenkundigen zeitlichen Ablauf nicht feststellen. Als Zwischenergebnis bleibt somit festzustellen, dass
der Kläger auf seiner Familienheimfahrt unter Versicherungsschutz gestanden hat.
Der Versicherungsschutz ist auch nicht dadurch beendet worden, dass der Kläger auf dem Weg zu seiner
Familienwohnung in ... umgekehrt und entgegen der bisherigen Fahrtrichtung weitergefahren ist. Eine Unterbrechung
des Versicherungsschutzes tritt dann ein, wenn ein Versicherter aus privaten Gründen umkehrt und in Richtung auf
den Ausgangspunkt seines Weges zurückfährt. In solchen Fällen wird von höchstrichterlicher Rechtsprechung
unmittelbar mit der Richtungsänderung eine Unterbrechung angenommen ungeachtet der Frage, ob der Betreffende im
Straßenraum verblieben und dort verunglückt war (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 8, § 550 Nr. 1). Ein solcher Abweg
unterscheidet sich sowohl nach seiner Zielrichtung als auch nach seiner Zweckbestimmung von dem zunächst
eingeschlagenen Weg. Hingegen ist Versicherungsschutz weiterhin zu bejahen, wenn der Weg in innerem
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, d.h. ihr wesentlich dient (BSGE 43, 113, 114). Unter Würdigung
sämtlicher Umstände gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht aus privaten, sondern rein aus
betrieblich motivierten Gründen umgekehrt ist. Der Kläger hat von Anfang an angegeben, dass er umgekehrt ist, um
etwas zu holen. Im weiteren Verlauf hat er ergänzend vorgetragen, dass er Konstruktionsunterlagen, die den von ihm
bearbeiteten Prototyp eines Rettungswagens betrafen, holen wollte, um diese zu Hause zu überarbeiten. In
Anbetracht der Tatsache, dass nach den Bekundungen des Arbeitgebers damals ein enormer Zeitdruck in der
Abteilung des Klägers herrschte und es dem Kläger auch gestattet war, Arbeitsunterlagen mit nach Hause zu
nehmen, sind die Angaben des Klägers glaubwürdig. Hieran ändert die Tatsache nichts, dass der Kläger erst spät
(gegen 21.30 Uhr) zu Hause angekommen wäre und gleich am nächsten Morgen früh wieder zu seiner Arbeitsstelle
hätte zurückkehren müssen. Auch der ehemalige Arbeitskollege ... hat bestätigt, dass der Kläger häufig
Arbeitsunterlagen mit nach Hause genommen hat um dort zu arbeiten. Die Verwendung einer CAD-Anlage - wie die
ehemalige Arbeitskollegin ... ausgeführt hat - war für die Überarbeitung der Pläne an dem Prototyp RTW nach den
Bekundungen der Firma ... nicht notwendig, sodass insgesamt keine Argumente ersichtlich sind, die gegen die
Angaben des Klägers sprechen. Keine Bedeutung misst die Kammer der Tatsache bei, dass der Kläger erst im
Widerspruchsverfahren die Gründe seiner Umkehr mitgeteilt hat. Aus seiner Sicht hatte vor diesem Zeitpunkt kein
Anlass für nähere Angaben bestanden. Hingegen hätte die Beklagte die näheren Umstände zeitnah zu dem
Unfallereignis erfragen können. Dass sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann - insbesondere
in Anbetracht der widerspruchsfreien Angaben des Klägers - sich nicht zum Nachteil des Klägers auswirken.
Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert ein Versicherungsschutz auch nicht daran, dass der Kläger nach seinen
Angaben die Abzweigung zu seiner Unterkunft nach ... verpasst hat und sich Art und Dauer des Verirrens nicht mehr
in vertretbaren Grenzen halten würden. Zwar besteht kein Versicherungsschutz, wenn die Verlängerung der Strecke
durch einen Abweg erheblich ist. Eine schematische Betrachtung der Längenunterschiede zwischen dem direkten und
dem durch Um- bzw. Abweg eingeschlagenen Weg ist jedoch nicht zulässig. Vielmehr sind alle rechtserheblichen
Umstände heranzuziehen, welche den Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem gewählten Weg
begründen oder ausschließen. Hierzu gehören insbesondere die jeweiligen Verkehrsverhältnisse, die Art des
benutzten Verkehrsmittels, die Dauer des üblichen Weges und sonstige in der Person des Versicherten begründeten
Umstände (BSG, Urteil vom 24.03.1998, B 2 U 4/97 R, abgedruckt in JURIS). In Anwendung dieser Grundsätze ist
eine Lösung des inneren Zusammenhangs und damit ein Verlust des Versicherungsschutzes nicht festzustellen. Zu
berücksichtigen ist, dass der Kläger erst seit Anfang April in ... wohnte, es sich bei der Abzweigung zu der Unterkunft
nicht um eine größere gut sichtbare Kreuzung handelte, es ferner bereits dunkel war und somit die Sichtverhältnisse
eingeschränkt waren. Darüber hinaus beträgt die durch das Verfehlen der Abzweigung verursachte Verlängerung des
Weges nur 1,5 km, die in Anbetracht des Gesamtweges von ... nach ... nicht als erheblich gewertet werden kann.
Auch haben keine in der Person des Klägers liegenden Umstände zu der Verlängerung des Weges geführt (z.B.
angeregte Unterhaltung, vgl. hierzu BSG a.a.O.).
Somit stand der Kläger bei seiner Fahrt am ... unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der Folge,
dass ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren sind (vgl. zum Grundurteil § 130 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.