Urteil des SozG Regensburg vom 27.10.2005

SozG Regensburg: arbeitslosenhilfe, eigentumsgarantie, behörde, arbeitslosenversicherung, anschluss, umgestaltung, arbeitsvermittlung, arbeitsmarkt, zusicherung, entscheidungsbefugnis

Sozialgericht Regensburg
Urteil vom 27.10.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 13 AS 86/05
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen in der Höhe, wie er sie bis zum 31. Dezember 2004 als
Arbeitslosenhilfe erhalten hat.
Der am 11. Januar 1945 geborene Kläger ist seit der Insolvenz seines Arbeitgebers im Jahre 1997 arbeitslos. Bis zum
31. März 1999 bezog er Arbeitslosengeld und seither Arbeitslosenhilfe. Am 14. Oktober 2003 erklärte er gegenüber
dem Arbeitsamt Schwandorf, Geschäftsstelle Sulzbach-Rosenberg, dass er die Leistungen unter den erleichterten
Voraussetzungen nach § 428 des 3. Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beziehen wolle.
Mit Bescheid vom 27. November 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau für die Zeit vom 01.
Januar bis zum 30. Juni 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der Regelleistungen gemäß §
20 Abs. 3 Satz 1 SGB II von je 311,- EUR zuzüglich der Unterkunftskosten.
Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs machte der Kläger geltend, bei Abgabe seiner Erklärung
nach § 428 SGB III sei ihm ausdrücklich zugesichert worden, dass er bis zum Bezug einer abschlagsfreien
Altersrente Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe erhalte. Durch die Einführung des Arbeitslosengeldes II zum 01.
Januar 2005 werde sein diesbezügliches Vertrauen enttäuscht. Dies verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip und die
Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (GG).
In den Gründen des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 30. März 2005 wird dargelegt: Hinsichtlich der mit
Einführung des Arbeitslosengeldes II verbundenen Absenkung des Leistungsniveaus werde der Kläger nicht
schlechter gestellt als die anderen Leistungsbezieher. Im Unterschied zu diesen brauche er aber auch weiterhin nicht
seine Arbeitsbereitschaft unter Beweis zu stellen.
Mit der am 18. April 2005 eingegangenen Klage wird insbesondere geltend gemacht: Die Gewährung von
Arbeitslosenhilfe habe seit dem Jahr 2000 zur Voraussetzung gehabt, dass zuvor für mindestens zwölf Monate
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt worden seien. Damit seien die Voraussetzungen für den Bezug von
Arbeitslosenhilfe dieselben gewesen, wie beim Arbeitslosengeld. Wenn aber die Betroffenen durch eigene Leistungen
zum Entstehen eines Anspruchs beigetragen hätten, habe dieser auch dann eigentumsähnliche Qualität, wenn die
Leistungen aus Steuermitteln gewährt würden. In eine vom Schutzbereich des Art. 14 des Grundgesetzes umfasste
Position dürfe der Gesetzgeber aber nur nach einer Interessenabwägung eingreifen, die hier nicht stattgefunden habe.
Das SGB II verfolge das Ziel, die Eigeninitiative der Leistungsempfänger durch schnellere und passgenaue
Vermittlung in Arbeit zu unterstützen. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sollten Vorrang vor Leistungen zum
Lebensunterhalt haben. Gerade das individuelle Fallmanagment sei aber für den Personenkreis, der sich auf eine
Erklärung nach § 428 SGB III eingelassen habe, ausgeschlossen. Damit werde dieser auch nicht von der
"Vermittlungsoffensive" begünstigt, die durch das SGB II geleistet werden solle. Wenn jedoch ein Personenkreis von
dem verfolgten Zweck der Neuregelung ausgeklammert bleibe, seien ihm gegenüber die damit verbundenen
Einschnitte in das Leistungssystem nicht zu rechtfertigen. Die Zielsetzung der gesetzgeberischen Maßnahme gehe
an ihm vorbei.
Sinngemäß wird beantragt,
unter Abänderung des Bescheids vom 27. November 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2005 die
Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen in Höhe der bis zum 31. Dezember 2004 bezogenen Arbeitslosenhilfe
zu gewähren.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit der Erklärung nach § 428 SGB III sei nicht die Zusicherung einer bestimmten Leistungsart oder Leistungshöhe
verbunden gewesen. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht unmittelbar aus § 428 SGB III. Die Absenkung des
Leistungsniveaus treffe alle Bezieher der bisherigen Arbeitslosenhilfe. Soweit sich der Kläger durch die Erklärung
nach § 428 SGB III von der verstärkt eingeleiteten "Vermittlungsoffensive" ausgeschlossen fühle, könne er jederzeit
mit der Arbeitsvermittlung in Kontakt treten. Die Erklärung stehe dem nicht entgegen.
Zur Tatbestandsergänzung wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Leistungsakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, über die gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Leistungen der Beklagten in Höhe der bis zum 31. Dezember 2004 bezogenen Arbeitslosenhilfe.
1. Zum 1. Januar 2005 hat der Gesetzgeber die Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Erwerbsfähige Hilfebedürftige können
nunmehr Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach Maßgabe des SGB II in Anspruch nehmen, die
allerdings - wie im Fall des Klägers - häufig erheblich niedriger ausfallen als die frühere Arbeitslosenhilfe. Dennoch ist
diese Gesetzesänderung weder allgemein noch für den Personenkreis, der - wie der Kläger - eine Erklärung nach §
428 SGB III abgegeben hat, verfassungswidrig. a. Die Regelungen über die Arbeitslosenhilfe fallen nicht unter den
Schutz der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG. Diese Feststellungen hat das Bundessozialgericht in ständiger
Rechtsprechung für die zum 01. Januar 2000 abgeschaffte sog. orginäre Arbeitslosenhilfe getroffen (vgl. BSG, U. v.
14. September 2003, Az: B 11 AL 15/03 R mit weiteren Nachweisen). Die dafür maßgeblichen Erwägungen gelten
aber auch für das seither bis zum 31. Dezember 2004 geltende Institut der sog. Anschluss-Arbeitslosenhilfe. Deren
Gewährung war zwar vom Erwerb der vollen Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld durch die Leistung von
Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung auf die Dauer von mindestens zwölf Monaten abhängig und wies auch
hinsichtlich der Bemessung nach dem Arbeitsentgelt Anklänge an eine Versicherungsleistung auf. Gleichwohl war die
Arbeitslosenhilfe im Unterschied zum Arbeitslosengeld nach wie vor geprägt durch die Finanzierung aus Steuermitteln
und das Erfordernis der Bedürftigkeit. Auch die sog. Anschluss-Arbeitslosenhilfe war also letztlich eine
Fürsorgeleistung des Staates und keine durch die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG geschützte Rechtsposi- tion.
b. Auch nach dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) war der Gesetzgeber nicht gehindert, die Arbeitslosenhilfe
abzuschaffen - mit der Folge, dass nunmehr zahlreiche Personen eine häufig schmerzhafte Kürzung der staatlichen
Unterstützungsleistungen hinnehmen müssen. Denn bei der Erfüllung seiner aus diesem Prinzip folgenden
Verpflichtung, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Es
fällt grundsätzlich in seine Entscheidungsbefugnis, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der
vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll. Die betreffende
Willensbildung des aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Gesetzgebers kann die Rechtsprechung
grundsätzlich nicht durch eigene Erwägungen ersetzen. Von Verfassungswegen besteht sonach kein Anspruch auf
Fortzahlung sozialer Leistungen in einer bestimmten Höhe, so lange der notwendige Lebensunterhalt im Sinne eines
menschenwürdigen Daseins gesichert ist, wie dies nunmehr durch die Leistungen nach dem SGB II erfolgt.
2. Der Kläger kann auch aus der von ihm abgegebenen Erklärung nach § 428 SGB III keinen Anspruch auf
Fortzahlung von Leistungen in der bis zum 31. Dezember 2004 gewährten Höhe ableiten.
So hat er mit Unterzeichnung des betreffenden Formblatts nicht etwa einen Vertrag mit der Behörde dahingehend
geschlossen, dass ihm bis zur Altersberentung die Arbeitslosenhilfe in unveränderter Höhe weiter gewährt wird. Auch
kann dem Formblatt keine entsprechende Zusicherung der Behörde im Sinne von § 34 SGB X entnommen werden.
Zum einen ist der Abschluss eines öffentlich rechtlichen Vertrages über eine Sozialleistung ohnehin gemäß § 53 Abs.
2 SGB X nur zulässig, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, was bei der
Arbeitslosenhilfe nicht der Fall gewesen ist. Zum anderen und vor allem ist in dem Formblatt weder eine Aussage zur
Höhe der Arbeitslosenunterstützung noch eine Erklärung dahingehend enthalten, dass auch bei einer Änderung der
Rechtslage die bisherige Leistungshöhe beibehalten bleibt. Vielmehr wird nach Wortlaut und Inhalt der Erklärung ein
von Gesetzeswegen bestehender Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vorausgesetzt und lediglich erläutert, dass
mit der Inanspruchnahme der sog. 58er-Regelung nach § 428 SGB III die sonst mit der Leistungsgewährung
verbundenen Verpflichtungen des Arbeitslosen (uneingeschränkte Arbeitsbereitschaft, Beschäftigungssuche und
Erreichbarkeit) weitestgehend entfallen.
3. Diese Priviligierung (Leistung zur Sicherung des Lebensun- terhalts trotz fehlender Arbeitsbereitschaft) bleibt dem
Kläger auch nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe er- halten. Denn der Gesetzgeber hat mit § 65 Abs. 4 SGB II
eine mit § 428 Abs. 1 SGB III inhaltsgleiche Regelung für die Bezieher von Arbeitslosengeld II geschaffen. Der Kläger
wird also nicht gezwungen, wegen der Umgestaltung des Sozialleistungssystems seine Lebensplanung zu revidieren
und sich nunmehr wieder um Arbeit zu bemühen. Auf der anderen Seite wäre es ihm aber auch nicht verwehrt, im
Hinblick auf das gesunkene Leistungsniveau seine Erklärung zur Inanspruchnahme von Arbeitslosenunterstützung
ohne Arbeitsbereitschaft zu widerrufen und von den Angeboten der Arbeitsvermittlung Gebrauch zu machen. Insofern,
vor allem aber im Hinblick auf die bekanntermaßen geringen Chancen älterer Arbeitsloser auf dem Arbeitsmarkt kann
die zur Klagebegründung vorgebrachte Argumentation, der Kläger werde durch die Umgestaltung des Rechts der
Arbeitslosenunterstützung nur belastet, ohne an der "Vermittlungsoffensive" teilhaben zu können, nicht überzeugen.
Demgegenüber hat bereits das Sozialgericht Oldenburg (Urteil vom 08. Juli 2005, Az: S 47 AS 69/05) zutreffend
darauf hingewiesen, dass der Standpunkt des Klägers zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Privilegierung
seines Personenkreises führen könnte - verglichen mit dem Personenkreis, der über 58-jährigen Arbeitslosen, die in
der Vermittlung geblieben sind. Diese würden nun - würde man dem Gedankengang des Klägers folgen - gleichsam für
ihre Arbeitsbereitschaft in der Vergangenheit "bestraft", indem sie nunmehr die niedrigeren Leistungen nach dem SGB
II beziehen würden, während der Kläger neben dem Umstand, dass er nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stand,
eine wirtschaftliche Besserstellung erhalten würde.
Aus diesen Gründen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 193 SGG abzuweisen. Dem Antrag der Klägerseite
entsprechend war gemäß § 161 Abs. 2 in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache die Sprungrevision zuzulassen.