Urteil des SozG Osnabrück vom 09.11.2007

SozG Osnabrück: arbeitslosigkeit, wichtiger grund, beendigung, aufhebungsvertrag, erfüllung, unvereinbarkeit, leistungsdauer, niedersachsen, berufungsschrift, ausschluss

Sozialgericht Osnabrück
Urteil vom 09.11.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 16 AL 200/06
1. Der Bescheid des Beklagten vom 06.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2006 wird
aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin beginnend 12 Wochen nach dem 01.04.2006 bis zum 30.09.2006
Überbrückungsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
3. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außerge-richtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Überbrückungsgeld.
Die Klägerin war bis zum 31.03.2006 als Sozialpädagogin und Kinder- und Jugendpsy-chotherapeutin im
sozialpädiatrischen Zentrum des G.tätig. Der Umfang dieser Tätigkeit betrug 10 bis 12 Stunden pro Woche. Zudem
war die Klägerin beim H. für den Landkreis I. als Sozialpädagogin in der aufsu-chenden Familienarbeit tätig. Der
Umfang dieser Tätigkeit belief sich auf 19,25 Stunden in der Woche.
In der Zeit von 2000 bis 2005 qualifizierte sich die Klägerin zudem berufsbegleitend zu Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeutin an der J. in K ... Diese berufsbegleitende Wei-terbildung schloss sie am 10.11.2005
mit dem Staatsexamen ab und erhielt am 05.12.2005 die Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.
Am 08.02.2006 wurde sie durch den Zulassungsausschuss Aurich der L. für den Vertragssitz M. für die Zeit ab dem
01.04.2006 zur psychotherapeutischen Versorgung zugelassen.
Mit Aufhebungsvertrag vom 01.03.2006 löste die Klägerin das mit dem H. bestehende Arbeitsverhältnis zum
31.03.2006 auf. Mit weiterem Aufhebungsvertrag vom 06.03.2006 löste sie zudem zum gleichen Datum das mit dem
N. O. bestehende Arbeitsverhältnis auf.
Am 13.03.2006 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Überbrückungsgeld, für eine
mit dem 01.04.2006 beginnende Tätigkeit als Psychothera-peutin für Kinder und Jugendliche. Diese Tätigkeit nahm
die Klägerin zum 01.04.2006 auf.
Mit Bescheid vom 06.04.2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Über-brückungsgeld ab. Im
vorliegenden Fall werde durch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit weder Arbeitslosigkeit beendet noch
vermieden. Ein Vermeiden läge nämlich nur dann vor, wenn die Fortdauer eines Beschäftigungsverhältnisses aus
Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe, gefährdet sei, und der Arbeitnehmer das Risiko der
Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit abmildere. Dies sei im vorliegendem Fall deshalb
nicht der Fall, da sie die Beendigung des Arbeitsver-hältnisses beim N. O. durch Unterzeichnung des
Aufhebungsvertrages selbst herbeige-führt habe. Ein Risiko einer Arbeitslosigkeit habe nicht vorgelegen.
Gegen diesen Bescheid legte die Kläger mit Schreiben vom 12.04.2006 Widerspruch ein. Die Weiterführung der
bisherigen Tätigkeit sei unzumutbar gewesen. Der bisherige Le-benserwerb habe sich aus drei unterschiedlichen
Tätigkeiten zusammengesetzt, die so-wohl zeitlich als auch inhaltlich auf Dauer nicht miteinander vereinbar seien. Die
Tätigkeit bei der P., die aufsuchende Familienarbeit, setzte eine sehr hohe Flexibilität voraus. Im Gegensatz dazu sei
die therapeutische und beratene Tätigkeit im N. auf eine so genannte Kommstruktur ausgerichtet, sei also auf
verlässliche Terminsabsprachen gegründet. Zudem sei sie mit ihrer jetziger Weiterbildung bei dem H. eindeutig
überquali-fiziert. Außerdem seien diese beiden Tätigkeiten mit der Tätigkeit als Psychotherapeutin in M. unvereinbar.
Nach der kassenärztlichen Zulassung sei sie örtlich an M. gebunden, zudem dürfe sie höchstens 15 Stunden weitere
Tätigkeiten ausüben.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2006 zu-rück. Die Arbeitslosigkeit sei
nicht vermieden worden, da die Widerspruchsführerin die Beendigung ihrer beiden Arbeitsverhältnisse durch
Abschließen der Aufhebungsverträge selbst herbeigeführt habe.
Gegen den Bescheid vom 06.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2006 hat die Klägerin
am 26.06.2006 Klage erhoben.
Sie ist der Ansicht, dass sich aus § 57 Abs. 3 SGB III ergebe, dass auch wenn kein wich-tiger Grund für den
Abschluss des Aufhebungsvertrag vorliege, zumindest dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen bestehe. Aus
der Tatsache, dass der Gesetzgeber hier die Möglichkeit der Kürzung des Überbrückungsgeldes geregelt habe, sei
abzuleiten, dass zumindest dem Grunde nach ein Anspruch bestehen müsse.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 06.04.2006 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 29.05.2006
aufzuheben.
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab dem 01.04.2006 für die Dauer von sechs Monaten
Überbrückungsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig.
Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, sowie die Gerichtsakte verwie-sen. Die Akten sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung, sowie der anschließenden Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und beschweren die Klägerin somit. Die Klägerin hat in dem aus dem
Tenor ersichtlichen Umfang einen Anspruch auf Überbrü-ckungsgeld aus § 57 Abs. 1 SGB III. Trotz des Abschlusses
der beiden Aufhebungsverträge im März 2006 wurde im vorlie-genden Fall eine Arbeitslosigkeit vermieden (dazu unter
1). Der Abschluss der Aufhe-bungsvertrag führt jedoch zu einer Verkürzung des Anspruchs nach § 57 Abs. 3 S. 2
SGB III i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III (dazu unter 2).
Nach § 57 Abs. 1 SGB III in der vom 31.12.2005 bis 31.07.2006 geltenden Fassung hat-ten Arbeitnehmer, die durch
die Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätig-keit die Arbeitslosigkeit beendet oder vermieden haben in
der Zeit nach der Existenz-gründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Nach Abs. 2 der Vorschrift musste der
Arbeitnehmer zudem in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit
Anspruch auf Entgelter-satzleistung nach dem SGB III haben oder eine Beschäftigung ausüben, die nach dem SGB
III gefördert worden ist. Zudem musste eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der
Existenzgründung vorliegen.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
1. Dabei ist zwischen den Beteiligten das Vorliegen der Voraussetzungen nach dem Abs. 2 der Vorschrift unstreitig.
Nach der Überzeugung der Kammer liegt zudem ein Vermei-den von Arbeitslosigkeit trotz Abschlusses der
Aufhebungsverträge vor. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift (dazu unter a), zum anderen aus
dem syste-matischen Zusammenhang zu § 57 Abs. 3 SGB III (dazu unter b).
a) Ein Vermeiden von Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit liegt vor, wenn die
betreffende Person einer selbstständigen Tätigkeit nachgeht, nicht mehr in einem abhängigen
Beschäftigungsverhältnis steht, keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr sucht, sich nicht mehr der
Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt und sich nicht arbeitslos meldet (vgl. Link in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 57,
Rdnr. 38b). Dementsprechend ist für die Frage der Vermeidung der Arbeitslosigkeit das Herbeiführen der potenziellen
Arbeitslosigkeit nicht von Bedeutung. Es ist im vorliegenden Fall also nicht entscheidend, dass die beiden Stellen
nicht von einer Beendigung bedroht waren, sondern dass in tatsächlicher Hinsicht durch die Aufnahme der
selbstständigen Tätigkeit eine Arbeitslosigkeit vermieden wurde. Bezugspunkt für die Erfüllung des
Tatbestandsmerkmals "Vermeiden von Arbeitslosig-keit" ist damit nicht der Entschluss zum Abschluss des
Aufhebungsvertrages und der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, sondern der Zeitpunkt nach der Aufhebung
der Arbeitsverhältnisse. Danach drohte der Klägerin zum 01.04.2006 die Arbeitslosigkeit. Diese wurde durch die
Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit vermieden.
b) Diese Auslegung wird zudem durch die Systematik der Vorschrift unterstützt: Nach § 57 Abs. 3 S. 2 SGB III in der
zum Antragszeitpunkt geltenden Fassung verkürzte sich die Dauer des Überbrückungsgeldes für die Zeit, in der die
Vorraussetzung einer Sperr-zeit nach § 144 SGB III vorlagen. Daraus ist zu schließen, dass ein Ruhenssachverhalt
im Zeitpunkt der Existenzgründung der Förderung dem Grunde nach nicht entgegen steht (vgl. Winkler in: Gagel, SGB
III, § 57, Rdnr. 16). Die Frage, wie es zu der Arbeitslosigkeit gekommen ist, ist also nur für die Förderungsdauer
entscheidend. Dass die Antragsstellerin das Risiko der Arbeitslosigkeit hier also durch Abschluss des
Aufhebungsvertrages selbst herbeigeführt hat, führt über § 57 Abs. 3 S. 2 SGB III i. V. m. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGB III
zwar zu einer Verkürzung der Förderungsdauer (dazu unter 2), nicht jedoch zu einem Ausschluss der
Tatbestandsvoraussetzung "Vermeidung von Ar-beitslosigkeit".
2. Der Anspruch war im vorliegenden Fall jedoch um 12 Wochen zu kürzen, da die Kläge-rin einen wichtigen Grund für
die Aufhebung der Arbeitsverhältnisse nicht hat nachweisen können.
a) Wie oben bereits erläutert führt die Erfüllung eines Sperrzeittatbestandes nach § 144 SGB III i.V.m. § 57 Abs. 2 S.
3 SGB III in der zum Antragszeitpunkt geltenden Fassung zu einer Verkürzung der Leistungsdauer um die Zeit des
Sperrzeitsachverhalts. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin durch Abschluss der Aufhebungsverträge die dro-hende
Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt, da eine Anschlusstätigkeit nicht in Aussicht war. Zwar war hier die zu
fördernde Selbstständigkeit in Aussicht, je-doch ist dies bei dieser Betrachtungsweise nicht zu berücksichtigen. Für
die Beurteilung der Verkürzung der Förderungsdauer nach Abs. 3 der Vorschrift ist dem Grunde nach allein
entscheidend, ob das Risiko einer Arbeitslosigkeit bestand, oder von der Klägerin selbst herbeigeführt wurde. In
diesem Zusammenhang kommen also die beklagtenseits vorgetragenen Argumente zum tragen. Dementsprechend
war im vorliegenden Fall nur noch zu prüfen, ob der Verkürzung der Leistungsdauer hier das Vorliegen eines wichtigen
Grundes (§ 144 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB III) entgegen steht. Ein solcher wichtiger Grund ist nach Ansicht der Kammer
im vorliegenden Fall nicht gegeben.
b) Für die Beurteilung des wichtigen Grundes ist dabei zunächst lediglich die Situation unabhängig von der Zulassung
der kassenärztlichen Vereinigung zu sehen. Zwar ergibt sich ein weiteres Konfliktpotenzial aus dieser Zulassung
(beispielsweise die Ortsgebun-denheit und die Einschränkung der weiteren Tätigkeiten), dies ist jedoch für die Frage
der Aufgab der bisherigen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Hierfür ist allein entscheidend, in wie weit der Klägerin
der Zustand bis zum 31.03.2006 weiterhin zumutbar war. Diesbezüglich trägt sie vor, dass durch unterschiedliche
Strukturen ihrer beiden Tätigkei-ten eine Unvereinbarkeit folgte. So habe die aufsuchende Familienarbeit bei der P.
eine sehr hohe Flexibilität vorausgesetzt, wobei die therapeutische und beratene Tätigkeit im N. auf eine so genannte
Kommstruktur ausgerichtet sei und dementsprechend auf ver-lässliche Terminabsprachen gegründet sei. Dies allein
führt jedoch nach Ansicht der Kammer nicht zu einer derartigen Unvereinbarkeit, so dass ein wichtiger Grund im Sinne
des § 144 SGB III vorliegen würde.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der B e r u f u n g a n g e f o c h t e n werden.
Die Berufung ist i n n e r h a l b e i n e s M o n a t s n a c h Z u s t e l l u n g des Ur-teils beim Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 201, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich z u r N i e d e r s c h r i f t des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist a u c h g e w a h r t , wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht
Osnabrück, An der Petersburg 6, 49082 Osnabrück, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich-te e i n g e h e n. Sie soll das
angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für
die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Ist das Urteil im A u s l a n d zuzustellen, gilt a n s t e l l e der oben genannten Monats-fristen eine Frist von d r e i M
o n a t e n.
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