Urteil des SozG Osnabrück vom 15.05.2008

SozG Osnabrück: aufnahme einer erwerbstätigkeit, berufsausbildung, begriff, arbeitslosigkeit, arbeitsförderung, arbeitsvermittlung, beratung, anwendungsbereich, form, fürsorgepflicht

Sozialgericht Osnabrück
Urteil vom 15.05.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 22 AS 173/08
1. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008
wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag auf Erstattung der Bewerbungskosten vom 5. Juli
2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. 3. Die Beklagte trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. 4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die erneute Bescheidung seines Antrages auf Erstattung von Bewerbungskosten nach § 16 Abs. 1
Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch
Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III).
Der am 24. März 1981 geborene Kläger war bis zum 19. Juni 2007 als Lehramtsstudent der F. Universität G.
eingeschrieben und meldete sich nach erfolgreichem Abschluss des Studiums ab dem 20. Juni 2007 arbeitslos. Auf
seinen Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 20. Juni 2007 bis 31. Dezember 2007
Arbeitslosengeld II (Bescheid vom 22. Juni 2007). Der Kläger bewarb sich als Referendar für den Vorbereitungsdienst
für ein Lehramt bei den jeweils zuständigen Behörden der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg,
Hansestadt Bremen, Hansestadt Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Am
9. Juli 2007 beantragte er bei der Beklagten die Erstattung der Kosten für diese Bewerbung in Höhe von insgesamt
176,70 EUR. Mit Bescheid vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008 lehnte
die Beklagte die Erstattung von Bewerbungskosten ab, denn mit den neun Bewerbungen habe der Kläger keine
versicherungspflichtigen Beschäftigungen angestrebt. Die Leistungen zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung
sollten im Rahmen der Zielsetzung des SGB III dazu beitragen, die Aufnahme einer Beschäftigung zu ermöglichen,
um Arbeitslosigkeit zu beseitigen, unmittelbar drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder offene Arbeitsplätze zu
besetzen. Sie dürften nur für Bewerbungen auf versicherungspflichtige Beschäftigungen gewährt werden.
Der Kläger hat am 21. Februar 2008 Klage erhoben und trägt vor, dass den maßgeblichen Vorschriften nicht zu
entnehmen sei, dass es sich um Rahmen einer Kostenerstattung um versicherungspflichtige Beschäftigungen
handeln müsse.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
1. den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008
aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Erstattung der Bewerbungskosten vom 5. Juli 2007 unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Begründung in dem streitigen Bescheid und hält an ihrer Entscheidung fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen
Richter einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakteakte und die Verwaltungsakte der Beklagte sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung
gewesen. Auf ihren Inhalt wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung
Die Kammer konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung
unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter entscheiden, weil die Beteiligten zuvor ihr Einverständnis hierfür gegeben
haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. Januar 2008 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger. Der Bescheid vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2008 war aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf
Erstattung der Bewerbungskosten vom 5. Juli 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung von Bewerbungskosten.
Der Kläger ist Berechtigter im Sinne des SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, nicht jedoch das 65. Lebensjahr
(§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Trotz fehlender Angaben in der Verwaltungsakte ist mangels anderweitiger
Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Kläger erwerbsfähig ist (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II). Der Kläger
hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Er ist
überdies unter Beachtung der Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 22. Juni 2007 hilfebedürftig (§§ 7 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3, 9, 11, 12 SGB II).
Die weiteren Voraussetzungen der hier einschlägigen Anspruchsgrundlage des § 16 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1 a SGB
II i.V.m. § 45 SGB III für die begehrte Erstattung von Bewerbungskosten sind ebenfalls erfüllt.
Danach kann die Agentur für Arbeit die im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelten Leistungen
erbringen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Soweit das SGB II nicht Abweichendes regelt, gelten für die Leistungen nach
Absatz 1 die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des SGB III (§ 16 Abs. 1 a SGB II). Arbeitslose und von
Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitsuchende sowie Ausbildungssuchende können zur Beratung und Vermittlung
Leistungen erhalten, soweit der Arbeitsgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird (§
45 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Als unterstützende Leistungen können Kosten für die Erstellung und Versendung von
Bewerbungsunterlagen (Bewerbungskosten) übernommen werden (§ 45 Satz 2 Nr. 1 SGB III). Die Bewerbungskosten
können bis zu einem Betrag von 260,- EUR jährlich übernommen werden (§ 46 Abs. 1 SGB III). Der Begriff der hier
einschlägigen Adressatengruppe des Ausbildungssuchenden ist in § 15 Satz 1 SGB III definiert. Danach sind
Ausbildungssuchende Personen, die eine Berufsausbildung suchen.
Soweit die Beklagte den Begriff der Berufsausbildung – ohne Begründung – auf den Anwendungsbereich einer
sozialversicherungspflichtigen Berufsausbildung begrenzt, vermochte die Kammer dem nicht folgen.
Im Bereich der Arbeitsförderung nach dem SGB III wird der Begriff der Berufsausbildung dahingehend ausgelegt, dass
Bewerbungskosten lediglich für eine – hier nicht vorliegende – sozialversicherungspflichtige Berufsausbildung erstattet
werden können. Hierfür sprechen zwei
Gründe:
Zum einen ziele die Arbeitsvermittlung nach § 35 SGB III auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses.
Bemühungen zur Begründung von Beamtenverhältnissen fielen nicht unter den Begriff der Arbeitsvermittlung. Zum
anderen seien mit Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsuchenden in § 45 SGB III neben den
Ausbildungssuchenden zwei Gruppen genannt, die entweder der Versichertengemeinschaft angehörten oder ein
versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anstrebten. Aus der Nähe dieser beiden Adressatengruppen zur
Versichertengemeinschaft sei zu folgen, dass auch der Ausbildungssuchende eine versicherungspflichtige
Beschäftigung anstreben müsse. Die Arbeitslosenversicherung sei durch das Äquivalenzprinzip geprägt, wonach
Leistungen grundsätzlich nur derjenige erhielte, der zuvor selbst Beiträge erbracht habe. § 45 SGB III sei eine
beitragsfinanzierte Leistung (vgl. so Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 12. April 1984 – 7 RAr 57/83 –, Juris
Rn. 16 ff; Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 15. August 2003 – L 4 AL 22/02 –, Juris Rn. 19 ff).
Diese im Bereich der Arbeitsförderung nach dem SGB III entwickelten Grundsätze lassen sich jedoch nicht auf den
Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II übertragen, denn ein solch enges Verständnis von
Berufsausbildung ist mit Aufgabe und Ziel der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht vereinbar. Zur Bestimmung
des Begriffs der Berufsausbildung ist das aufgezeigte arbeitsförderungsrechtliche Kriterium der
Sozialversicherungspflichtigkeit nicht einzufordern. Vielmehr ist die Systematik des SGB II im Rahmen des sich nach
§ 16 Abs. 1 SGB II ergebenden Anwendungsbefehls zu beachten (vgl. hierzu Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.
Auflage, 2008, § 16, Rn. 60; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II, 17. Ergänzungslieferung, Stand April 2008, K § 16, Rn.
318). Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger stärken und
dazu beitragen, dass diese ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften
bestreiten können (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Leistungen der Grundsicherung sind insbesondere darauf
auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der
Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird (§ 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 SGB II). Das
Ziel der Leistungen der Grundsicherung geht danach über das in § 35 SGB III formulierte Ziel der bloßen
Arbeitsvermittlung hinaus und umfasst vielmehr weitergehend die Vermeidung, Verminderung bzw. Verkürzung der
Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Dass es sich bei dieser Erwerbstätigkeit um eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handeln muss, ergibt sich aus dem aufgezeigten Ziel der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nicht. Vielmehr wird die Förderung jeglicher Erwerbstätigkeit, die geeignet ist, die Hilfebedürftigkeit
zu vermeiden, zu vermindern bzw. zu verkürzen, den Zielvorgaben des SGB II gerecht. Der Kläger kann – nach
erfolgreicher Bewerbung – mit der Aufnahme des Referendariats für Lehramt seine Hilfebedürftigkeit vermeiden oder
so doch zumindest vermindern.
Der Begriff des Berufsausbildung ist auch nicht deshalb durch das Merkmal der Sozialversicherungspflichtigkeit
einzuschränkend auszulegen, weil der Kläger mit seinen Bewerbungen ein beamtenrechtliches Dienst- und
Treueverhältnis anstrebt, denn mit der bloßen Bewerbung auf eine verbeamtete Referendariatsstelle wird ein solches
beamtenrechtliches Dienst- und Treueverhältnis, welches eine Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Art. 33 Abs. 4
Grundgesetz – GG – nach sich ziehen würde (vgl. bei dienstlich veranlassten Umzügen und einem umfassenden
beamtenrechtlichen Sicherungssystem in Form des Reise- und Umzugskostenrechts: nochmals BSG, Urteil vom 12.
April 1984 – 7 RAr 57/83 –, Juris Rn. 18), (noch) nicht begründet (vgl. zum Anwendungsbereich von Art. 33 Abs. 4
GG: Maunz in: Maunz/Düring, GG, 51. Ergänzungslieferung, Stand Dezember 2007, Art. 33, Rn. 50 – 51).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Rahmen der Arbeitsförderung nach dem SGB III angeführten
Aspekt, dass aufgrund der Nähe des Ausbildungssuchenden zur Versichertengemeinschaft zu folgen sei, dass auch
der Ausbildungssuchende eine versicherungspflichtige Beschäftigung anstreben müsse, zumal die Leistungen nach §
45 SGB III beitragsfinanziert seien. Denn die nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 45 SGB III zu erbringenden
Leistungen zur Eingliederung des Hilfebedürftigen sind nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert (vgl. § 46 Abs. 1 Satz
1 SGB II). Der Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nicht durch eine Versichertengemeinschaft
gekennzeichnet, in der jeder Anspruchsberechtigte vor Inanspruchnahme von Leistungen zuvor Beiträge hat einzahlen
müssen. Vielmehr hat jeder Hilfebedürftige nach den §§ 7, 9, 11 und 12 SGB II unabhängig von einer vorherigen
Zugehörigkeit zu einem System der Sozialversicherung Anspruch auf Eingliederungsleistungen.
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte (vgl. hierzu Pilz in: Gagel, SGB III, 30. Ergänzungslieferung, Stand September
2007, § 45, Rn. 12) ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die von dem Kläger angeschriebenen potentiellen
Arbeitgeber / Dienstherren keine Bewerbungskosten erstattet haben.
Sind die Tatbestandsvoraussetzungen danach erfüllt, hat die Beklagte den Antrag des Klägers unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts und nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 6.
Dezember 2007 – B 14/7b AS 50/06 R –, Juris Rn. 16 ff) erneut zu bescheiden. Gründe für eine so genannte
Ermessenreduzierung auf Null, die einen unmittelbaren Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen
begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenfolge beruht auf der Regelung des § 193 SGG.
Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.