Urteil des SozG Oldenburg vom 17.07.2009

SozG Oldenburg: fristlose kündigung, versorgung, entzug, dispositionen, geldleistung, abschlag, befristung, verwaltungsakt, aufnehmen, jahresgewinn

Sozialgericht Oldenburg
Beschluss vom 17.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 91 P 48/08
Der Streitwert wird auf 1.786.030,60 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 63 Abs. 2
Gerichtskostengesetz (GKG). Nach Antrag des Klägerinnenprozessbevollmächtigten vom 22. Mai 2009 war der
Streitwert festzusetzen. Es handelt sich um ein Verfahren, in dem weder die Klägerin noch die Beklagten zu dem in §
183 SGG genannten privilegierten Personenkreis gehören.
Die Wertfestsetzung erfolgt, weil es für Streitigkeiten über die Zulassung eines Pflegeheims zur Versorgung von
Versicherten nach § 72 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) keine im
GKG gesetzlich festgelegten Streitwerte gibt. Es handelt sich auch nicht um eine bezifferte Geldleistung oder einen
auf eine solche Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt. Wenn der Sach- und Streitstand für eine abweichende
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte böte, wäre er auf 5.000,00 EUR gemäß § 52 Abs. 2
und 4 GKG festzusetzen. Im vorliegenden Fall gibt es jedoch eine eindeutige Grundlage für eine Bestimmung des
Streitwertes. Er war auf 1.786.030,60 EUR festzusetzen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes wird für Streitigkeiten über die Zulassung eines Leistungen
erbringenden Pflegeheims auf den Wert der Jahresgewinne aus 3 Jahren abgestellt. (vgl. BSG Urteil vom 12.06.2008
B 3 P 2/07 ER unter Verweis auf BSG vom 10.11.2005 Az. B 3 KR 36/05; LSG Berlin-Brandenburg vom 31.08.2006
Az. L 24 B 31/06 P ER) Der Jahresgewinn errechnet sich aus den Einnahmen im entsprechenden Zeitraum abzüglich
der Kosten im entsprechenden Zeitraum. (vgl. BSG a.a.O.).
Bei Streitigkeiten um die Abwehr einer Zulassungsentziehung nach § 74 SGB XI für ein bereits zugelassenes
Pflegeheim ist jedoch auf den dreifachen Jahresumsatz abzustellen. Also auf die Gewinne ohne Abzug der Kosten.
Dies begründet das Bundessozialgericht (vom 12.06.2008 Az. B 3 P 2/07 R) damit, dass die finanziellen Folgen einer
Zulassungsentziehung regelmäßig gravierender sind, als bei der Ablehnung eines ersten Zulassungsantrages. Der
Entzug einer Zulassung führe dazu, dass ein bereits laufender Betrieb geschlossen werden müsse. Wenn hingegen
die Zulassung für zukünftige Pflegevorhaben verweigert wird, so kann die Pflegeeinrichtung bzw. beabsichtigte
Pflegeeinrichtung erleichtert Dispositionen für die Zukunft treffen. Sie könnte den Betrieb gar nicht aufnehmen und ein
anderes Geschäftsmodell erstreben ohne zwingend in ihrer wirtschaftlichen Situation eingeschränkt zu sein.
Entgegen dem Vortrag der Beklagten bestand nicht nur Streit darüber, ob eine Erweiterung des Versorgungsvertrages
von 16 Plätzen auf 17 Plätze vorzunehmen ist. Bezüglich dieser Erweiterung hatten die Beteiligten ausweislich des
Akteninhaltes bereits im Vorfeld des Gerichtsverfahrens Einigung erzielt. Der Streit bestand vielmehr darüber, ob die
Klägerin überhaupt über den 31.12.2009 hinaus zur Erbringung von Leistungen zugelassen wird. Der bereits
bestehende Vertrag war bis zum 31.12.2009 befristet.
Somit bestand zwar kein Streit, ob eine Zulassung zu der Versorgung mit pflegerischen Leistungen entzogen wird.
Sondern es darüber, ob ein auslaufender befristeter Versorgungsvertrag verlängert wird. Auch in dieser Konstellation
ist auf den Betrag der von der Klägerin vorgetragenen dreifachen Jahresumsätze abzustellen.
Nach Auffassung des erkennenden Gerichtes stellt sich ein Auslaufen eines befristeten Vertrages als gleichermaßen
gravierend dar, wie der Entzug der Zulassung. Im Ergebnis würde das Auslaufen des bislang befristeten
Versorgungsvertrages ebenfalls dazu führen, dass die Klägerin ihren laufenden Betrieb schließen müsste. Die
Erwägungen bezüglich der gravierenden Einschränkung bei Kündigung des Vertrags, die das Bundessozialgericht
(a.a.O.) anstellt, können daher gleichermaßen für die Konstellation eines auslaufenden Vertrags Geltung
beanspruchen.
Auch ein Abschlag von dem Wert des dreifachen Jahresumsatzes ist nicht gerechtfertigt. Zwar kann die Klägerin
aufgrund der Befristung des Vertrages schon während der Laufzeit hypothetische Dispositionen für die Zeit nach
Vertragsablauf treffen. Somit wäre sie in ihrer wirtschaftlichen Situation nicht gleichermaßen bedroht wie bei einer
sozusagen "aus heiterem Himmel" erfolgenden Kündigung. Jedoch erfolgt auch die Kündigung eines
Versorgungsvertrages nach § 74 SGB XI gerade nicht aus "heiterem Himmel". Vielmehr ist nach § 74 Abs. 1 S. 1
SGB XI in der Regel mit einer Frist von einem Jahr zu kündigen. Außerdem ist im Zuge der Ermittlungen der
Spitzenverbände im Vorfeld einer Kündigung von Versorgungsverträgen davon auszugehen, dass die
Pflegeeinrichtung Kenntnis von der drohenden Kündigung hat. Eine fristlose Kündigung nach § 74 Abs. 2 SGB XI
kann nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen erfolgen.
Der Streitwert von 1.786.030,60 EUR ergibt sich daraus, dass die Klägerin den entsprechenden Betrag
nachvollziehbar anhand der Vergütungen in der Intensivpflegestation bei durchschnittlicher Belegung dargelegt hat.
Der Jahresumsatz beträgt 595.343,54 EUR, der dreifache Jahresumsatz dementsprechend 1.786.030,60 EUR.