Urteil des SozG Oldenburg vom 14.06.2005

SozG Oldenburg: private krankenversicherung, wohnfläche, hauptsache, familie, bereinigung, angemessenheit, gefahr, eigentumswohnung, haftpflichtversicherung, nebenkosten

Sozialgericht Oldenburg
Beschluss vom 14.06.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 47 AS 176/05 ER
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, einstweilen der Antragstellerin längstens
bis zum rechtskräftigen Entscheid des Hauptsacheverfahrens S 47 AS 177/05 über die bereits mit Bescheid vom 14.
Dezember 2004 gewährten Leistungen hinaus für Heizungskosten und die Absetzung einer Kraftfahrzeugversicherung
weitere monatliche 87,78 Euro zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind von dem
Antragsgegner zu erstatten.
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner höhere Leistungen im Hinblick auf ihre Heizungskosten und die
vom Antragsgegner versagte Absetzung einer Kraftfahrzeugversicherung beim Einkommen ihres Ehemannes.
Die im Mai 1949 geborene Antragstellerin ist verheiratet; ihr ihm November 1943 geborener Ehemann bezieht eine
Altersrente in Höhe von monatlich 786,79 Euro. Sie bewohnen zusammen die Unterwohnung eines freistehenden
Zweifamilienhauses, dass ihnen zusammen mit anderen Personen gehört. Die Wohnung hat 128 m2 Wohnfläche und
das Haus wurde im Jahre 1980 Bezugs fertig. Es wird mit einer Nachtstromspeicherheizung beheizt. An Schuldzinsen
zur Finanzierung des Hauses fallen anteilmäßig monatlich 390,71 Euro und an Nebenkosten monatlich 148,79 Euro
(Abgaben an die Gemeinde, Abwasserabgaben, Schornsteinfeger, Gebäudeversicherung, Sielacht etc.) an. Außerdem
fallen nach dem Vorbringen der Antragstellerin monatlich durch die Nachtstromspeicherheizung 120,21 Euro an. Ihr
Ehemann ist der Halter eines im Januar 1990 zugelassenen Opel Kadett, für den er bei der C. eine jährliche
Haftpflichtversicherung in Höhe von 233,25 Euro bezahlt.
Auf den Antrag der Antragstellerin vom 08. Oktober 2004, ihr Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zu
gewähren, gewährte ihr der Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 zunächst für den
Bewilligungszeitraum von Januar bis zum März 2005 monatliche Leistungen in Höhe von 614,04 Euro. Dabei ging der
Antragsgegner auf der Bedarfsseite von einem Regelsatz jeweils für die Antragstellerin und ihren Ehemann in Höhe
von 311,-Euro, Schuldzinsen für die Wohnung und Nebenkosten in Höhe von 539,50 Euro und angemessenen
Heizungskosten in Höhe von 62,43 Euro aus und berücksichtigte auf der Einkommensseite das Einkommen des
Ehemannes der Antragstellerin von 786,99 Euro, welches um Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung sowie
eine private Haftpflichtversicherung in Höhe von insgesamt 134,10 Euro bereinigt (= 652,89 Euro) und mit einem
Zuschlag für die Antragstellerin nach § 24 SGB II von 43,-Euro monatlich berechnet wurde. Zugleich forderte der
Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 auf, sich um angemessene
Unterkunftskosten zu bemühen, da die Kosten der Unterkunft mit 539,50 Euro monatlich die Angemessenheitsgrenze
für zwei Personen mit 345,-Euro monatlich deutlich übersteige. Gegen den Bescheid des Antragsgegners legte die
Antragstellerin mit Schreiben vom 24. Januar 2005 Widerspruch ein und führte zur Begründung u.a. aus, dass die
Heizungskosten unangemessen niedrig angesetzt worden seien. Auch seien zu Unrecht die
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, eine Privathaftpflichtversicherung, die Hausratversicherung und eine
Sterbegeldversicherung nicht anerkannt bzw. abgesetzt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2005 wies
der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, dass für einen Zwei-Personen-Haushalt
eine Wohnungsgröße von 60 m2 und dafür Heizkosten lediglich in Höhe von 62,34 Euro monatlich angemessen seien.
Die Wohngebäudeversicherung sei berücksichtigt worden, jedoch könne dies lediglich im Rahmen der Kosten der
Unterkunft stattfinden. Die Sterbegeld- und Privathaftpflichtversicherung könnten nicht abgesetzt werden, da es sich
nicht um gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen handele. Die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung könne
allenfalls beim Arbeitseinkommen in Abzug gebracht werden. Dagegen hat die Antragstellerin am 07. April 2005 Klage
erhobenen, über die noch nicht entschieden worden ist (Aktenzeichen: S 47 AS 177/05).
Am 07. April 2005 hat sich die Antragstellerin zugleich an das Sozialgericht Oldenburg mit der Bitte um Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Sie macht insbesondere geltend, dass ein Kraftfahrzeug im ländlichen Raum
mit nur unzulänglichen Nahverkehrsmöglichkeiten notwendig sei, um eine Arbeit zu finden.
Der Antragsgegner ist im Antrag entgegengetreten und verweist auf die Begründung seines Widerspruchsbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag hat Erfolg. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte
Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass sowohl ein
Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein
Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei
darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich
nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem
Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Auch besteht die Gefahr, dass eventuell in einem
Eilverfahren vorläufig, aber zu Unrecht gewährte Leistungen später nach einem Hauptsacheverfahren, dass zu Lasten
der Antragstellerin ausginge, nur unter sehr großen Schwierigkeiten erfolgreich wieder zurückgefordert werden
könnten. Daher ist der vorläufige Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare,
anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zur deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin sowohl eine Anordnungsgrund als auch einen
Anordnungsanspruch glaubhaft dargetan. Der Antragsgegner hat bei den Kosten der Unterkunft unzutreffend nicht auf
die tatsächlichen Kosten, sondern auf angeblich angemessene abgestellt; ebenso ist die Einkommensbereinigung des
Ehemannes der Antragstellerin nicht zutreffend erfolgt.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
zu erbringen, soweit diese angemessen sind. Die Antragstellerin hat zusammen mit ihrem Ehemann Heizungskosten
in Höhe von 120,21 Euro monatlich tatsächlich zu erbringen. Diese sind bei einer Wohnfläche von 128 m2 auch
angemessen; dies gilt insbesondere dann, wenn man die tatsächliche Heizung des freistehenden Einfamilienhauses
durch eine Nachtstromspeicherheizung bedenkt. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kann die Angemessenheit
auch nicht unter Hinweis auf eine zu große Wohnfläche verneint werden. Zwar geht der Antragsgegner zutreffend
davon aus, dass für zwei Personen grundsätzlich eine Wohnfläche von 60 m2 angemessen ist. Im vorliegenden Fall
ist jedoch zu beachten, dass das von der Antragstellerin und ihrem Ehemann bewohnte Haus dem
Anwendungsbereich von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II unterfällt. Danach ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen
ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung. Hier
geht der Antragsgegner offensichtlich selbst davon aus, dass die Unterwohnung des Zweifamilienhauses (wobei die
Oberwohnung wohl von Verwandten der Antragstellerin bewohnt wird) als ein angemessenes Hausgrundstück bzw.
Eigentumswohnung anzusehen ist. Auch wurde vom Antragsgegner eine Verwertung des Hausgrundstücks zur
Vermeidung der Hilfebedürftigkeit nicht verlangt. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zwischen den
Vermögensanrechnungsvorschriften und den Bestimmungen über die Berechnung der Unterkunftskosten ist die
Angemessenheit der Heizungskosten für ein nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II geschütztes Hausgrundstück
daher grundsätzlich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche zu prüfen. Die Nichtberücksichtigung eines
angemessenen Hausgrundstücks bei der Vermögensanrechnung ist aufgrund einer bewußten Entscheidung des
Gesetzgebers erfolgt, das im Eigentum des Arbeitslosen stehende und von ihm und/oder seiner Familie selbst
bewohnte Haus als Lebensmittelpunkt und nicht als Vermögensgegenstand zu schützen. Hieraus folgt jedoch
zwingend, dass das betreffende Haus angemessen beheizt wird, um bewohnbar zu sein. Es geht nicht an, die
Schutzvorschrift des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II durch Beschränkungen bei der Übernahme der Heizungskosten
faktisch wieder auszuhöhlen (vgl. SG Aurich, Beschluss vom 10. Februar 2005 – S 15 AS 3/05 ER; SG Oldenburg,
Beschluss vom 15. April 2005 – S 45 AS 165/05 ER). Der von dem Antragsgegner im Bescheid bereits anerkannte
Anteil von 62,43 Euro muss daher um monatlich 57,78 Euro erhöht werden.
Auch hat die Antragstellerin hinsichtlich der Bereinigung des Einkommens ihres Ehemannes einen
Anordnungsanspruch glaubhaft dargetan. Ihr Ehemann bezieht als Rentner monatlich 786,99 Euro Rente. Eine
Bereinigung um die private Krankenversicherung ist bereits vom Antragsgegner erfolgt. Nicht hingegen hat der
Antragsgegner bei der Bereinigung des Einkommens eine Sterbegeldversicherung, eine private Hausratversicherung
und insbesondere die Kraftfahrzeugversicherung für das ältere Kraftfahrzeug der Familie berücksichtigt. Dies ist mit §
11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift sind vom Einkommen abzusetzen die Beiträge zu
öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich
vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Mit dieser Vorschrift weicht das SGB II deutlich von der
Vorgängernorm des § 194 SGB III a. F. ab; auch kann die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur
sozialhilferechtlichen Notwendigkeit eines Kraftfahrzeuges im Rahmen des BSHG in Anbetracht dieser Vorschrift
nicht fortgeführt werden (vgl. so noch: BVerwGE 62, 261, 264). Denn Einkommen und Vermögen des mit dem
Hilfesuchenden in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners sind auch nach §§ 11 und 12 SGB II zu beurteilen. Nach §
12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der
Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Damit gehören grundsätzlich auch die
Kraftfahrzeugversicherungen zu denjenigen Versicherungen, die als angemessene anerkannt werden können (vgl.
Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, München 2005, § 11 SGB II Rdn. 8; Mecke in: Eicher/Spellbrink, München 2005,
SGB II, § 11 Rdn. 62). Daher ist vom Einkommen der Bedarfsgemeinschaft gemäß § 3 Nr. 1 der Verordnung zur
Berechnung von Einkommen beim Arbeitslosengeld - Alg II - V - vom 20. Oktober 2004 (BGBl I Seite 2622) ein Betrag
von 30,-Euro monatlich für die verschiedenen privaten Versicherungen und damit auch für die
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung abzusetzen. Dabei ist zu bedenken, dass nach dem Vorbringen der
Antragstellerin die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ihres Ehemannes monatlich 19,43 Euro ausmacht. Bei dieser
Absetzung kann es keinen Unterschied machen, ob der Ehemann der Antragstellerin Halter des Kraftfahrzeuges ist
oder ob es die Antragstellerin ist. Denn zutreffend weisst die Antragstellerin darauf hin, dass sie ohne ein
Kraftfahrzeug in der Familie im ländlichen Raum des D. bei den nur sehr eingeschränkten Nahverkehrsverbindungen
schwerlich Arbeit finden wird.
Soweit die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch dargetan hat, besteht zugleich ein Anordnungsgrund. Denn
entgegen der Ansicht des Antragsgegners würde es nämlich einen schwerwiegenden und nach Ablauf des das
Klageverfahren in der Hauptsache betreffenden Zeitraumes nur sehr schlecht wieder gut zumachenden Nachteil
darstellen, wenn die Antragstellerin gezwungen wäre, dass sie und ihr Ehemann ab dem April 2005 monatlich auf
ihnen zustehende Leistungen von über 80,-Euro monatlich verzichten müssten. Denn auch bei einer späteren
Nachzahlung – ein erfolgreich verlaufendes Hauptsacheverfahren unterstellt – wäre gleichwohl die Gefahr gegeben,
dass sie wegen unvollständiger Abschlagszahlungen an den Energieversorger mit einem gerichtlichen Verfahren zur
Durchsetzung seiner Ansprüche überzogen würden. Gleichfalls wäre zu befürchten, dass die Antragstellerin bzw. ihr
Ehemann das Halten des betreffenden Kraftfahrzeuges aufgeben müßten, obwohl es zum geschützten Vermögen
gehört.
Über die außergerichtlichen Kosten war gemäß § 193 SGG analog zu entscheiden. Es entspricht nach Ansicht des
Gerichts der Billigkeit, wegen des Erfolgs der Antragstellerin n der Sache ihre außergerichtlichen Kosten für
erstattungsfähig zu erklären. Für die Antragstellerin ist das Verfahren gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 SGG
gerichtskostenfrei.