Urteil des SozG Oldenburg vom 11.01.2005

SozG Oldenburg: besondere härte, alleinerziehende mutter, ausbildung, anmerkung, heizung, unterkunftskosten, leistungsanspruch, darlehen, haushalt, ernährung

Sozialgericht Oldenburg
Beschluss vom 11.01.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 45 AS 2/05 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflich-tet, der Antragstellerin für die Kinder C.,
geboren am 31. März 1994, und D., geboren am 06. Mai 1996, Sozialgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vor-
schriften zu zahlen. Im übrigen wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abge-lehnt. Die
Antragsgegnerin hat der Antragstellerin vier Fünftel der erstattungsfähi-gen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die im Jahre 1973 geborene Antragstellerin ist Studentin an der Universität Oldenburg. Sie studiert Mathematik und
Physik (Lehramt) im 3. Semester. Die Regelstudienzeit be-trägt acht Semester. Die Antragstellerin ist
alleinerziehende Mutter der Kinder C., gebo-ren am 31. März 1994, und D., geboren am 06. Mai 1996.
Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Außerdem bezog sie
bis zum 31. Dezember 2004 Mehrbedarfsleistungen nach § 23 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Kinder bezogen
bis Ende 2004 Hilfe zum Le-bensunterhalt ebenfalls nach den Bestimmungen des BSHG.
Im Hinblick auf die zu erwartenden Gesetzesänderungen beantragte die Antragstellerin am 20. November 2004
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Mit
Bescheid vom 20. Dezember 2004 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab mit der Begründung, eine Gewährung
von Leistungen nach dem SGB II komme gemäß § 7 Abs. 5 SGB II nicht in Betracht, da die Klägerin eine Ausbildung
absolviere, die im Rahmen des Bundesausbildungsförderungs-gesetzes dem Grunde nach förderungsfähig sei und
eine Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht vorliege. Daher bestehe auch kein Anspruch auf
Mehrbedarfsleistun-gen, auch wenn diese der Antragstellerin bislang gewährt worden seien.
Am 27. Dezember 2004 wandte sich die Antragstellerin an das Sozialgericht mit dem Antrag, die Antragsgegnerin im
Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für sie, die Antragstellerin, Mehrbedarfsleistungen zu erbringen,
sowie für die Kinder C. und D. Sozialgeld zu zahlen. Sie trägt vor, sie bzw. ihre Kinder hätten Anspruch auf Leistun-
gen nach dem SGB II. Bei dem Mehrbedarfszuschlag handle es sich nicht um ausbil-dungsgeprägten Bedarf. Daher
sei dieser trotz der Ausbildung zu gewähren. Folglich sei auch für die Kinder Sozialgeld zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab-zulehnen. Die Antragstellerin
sei Studentin und gehöre damit zum ausgeschlossenen Personenkreis nach § 7 Abs. 5 SGB II. Demzufolge sei auch
ein Anspruch auf Sozialgeld für die minderjährigen Kinder der Antragstellerin nicht gegeben.
Es hat ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 11. Janaur 2005 stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird
verwiesen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsa-che auf Antrag einstweilige
Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine
solche Regelung zur Abwen-dung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG).
Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin macht geltend, ihr Lebensunterhalt und der ihrer Kinder sei in naher
Zukunft nicht mehr sichergestellt. Im Hinblick darauf, daß die Familie bis zum 31. Dezember 2004 Leistungen nach
dem BSHG bezogen hat, bestehen an diesem Vorbringen und damit an der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung des
Gerichts keine Zweifel. Ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache ist der Antragstelle-rin nicht zuzumuten.
Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet. Nach summarischer Prüfung geht das Ge-richt davon aus, daß die
Antragstellerin keinen Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen ge-mäß § 21 SGB II hat. Diese Vorschrift regelt den
Mehrbedarf für werdende Mütter, für alleinerziehende Personen, für behinderte Hilfebedürftige und für Hilfebedürftige,
die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernährung benötigen. Voraussetzung für einen Anspruch auf
Mehrbedarfsleistungen nach § 21 SGB II ist jedoch, daß die betref-fende Person leistungsberechtigt nach § 7 SGB II
ist (Linhart/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II § 21 Anmerkung 12; vgl. auch Hauck/Noftz, SGB II § 21 Anmer-
kung 2 und 3). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 erhalten Leistungen nach dem SGB II Perso-nen, die das 15. Lebensjahr
vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet ha-ben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in der Bun-desrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese
Voraussetzung erfüllt zwar auch die Antragstellerin. Da sie sich jedoch im Studium befindet und Leistun-gen nach
dem BAföG erhält, hat sie keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies folgt aus der
Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, wonach Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des
Bundesausbildungsförde-rungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Leistungsanspruch haben.
Damit entfällt auch ein eventueller Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 SGB II. Auf die Tatsache, daß sich
der Mehrbedarf aus der Alleinerziehung und nicht aufgrund der Ausbildung ergibt, kommt es dabei nicht an.
Auch eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor. Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 können
in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Derartige
besondere Umstände sind im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich und werden von der Antragstellerin auch nicht
vorgetragen.
Nach alledem ist in Bezug auf die geltend gemachten Mehrbedarfsleistungen gemäß § 21 SGB II eine
Anordnungsanspruch nicht gegeben. Der Antrag auf Erlaß einer einst-weiligen Anordnung ist daher insoweit
zurückzuweisen.
Begründet ist der Antrag hingegen in Bezug auf den Anspruch auf Sozialgeld für die zwei minderjährigen Kinder der
Antragstellerin. Die Antragstellerin ist nicht gehindert, derartige Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen.
Dies folgt aus § 38 SGB II, wonach vermutet wird, soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, daß der erwerbsfähige
Hilfe-bedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Diese aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und
Verwaltugsökonomie in das Gesetz auf-genommene Vorschrift ist auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar.
Der Anspruch auf Sozialgeld ergibt sich aus § 7 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 4 in Verbindung mit § 28 Abs. 1
Satz 1 SGB II.
Die Antragstellerin ist eine erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Demzufolge sind
gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 die Kinder der Antragstellerin an-spruchsberechtigt, denn nach dieser Vorschrift erhalten
auch Personen Leistungen, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Zur Be-
darfsgemeinschaft gehören u.a. der erwerbsfähige Hilfebedürftige selbst (§ 7 Abs. 3 Nr. 1) und die dem Haushalt
angehörenden minderjährigen, unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit sie nicht aus
eigenem Einkommen oder Vermö-gen die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beschaffen können (§ 7
Abs. 3 Nr. 4). Danach bilden die Antragstellerin und ihre zwei minderjährigen Kinder eine Be-darfsgemeinschaft im
Sinne des Gesetzes. Der Umstand, daß die Antragstellerin selbst aufgrund der Sondervorschrift des § 7 Abs. 5 Satz
1 SGB II keinen Leistungsanspruch hat, steht dem nicht entgegen. Die Bedarfsgemeinschaft als solche bleibt hiervon
unbe-rührt. Damit haben die Kinder der Antragstellerin Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Das Sozialgeld umfaßt die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 ergebenden Leistungen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Dies sind
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ein-schließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und
Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts beträgt im Rahmen des Sozialgeldes im vorliegenden
Fall 60 vom Hundert der nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelleistungen, hier für jedes Kind 207,00 EUR pro Monat,
wobei Einkommen, insbesondere Kindergeld, nach Maßgabe des § 11 SGB II zu berücksichtigen ist. Ferner sind als
Sozialgeld die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu zahlen. Dabei sind die Unterkunftskosten nach
der Anzahl der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft aufzuteilen (Hauck/Noftz, SGB II § 22 Anmerkung 5). Da im
vorliegenden Fall drei Personen in der Haushaltsgemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft) leben, erhält jedes Kind im
Rahmen des Sozialgeldes ein Drittel der angemessenen Unterkunftskosten.
Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193 SGG.