Urteil des SozG Nürnberg vom 17.07.2006
SozG Nürnberg: auflage, vergütung, gebühr, rechtsschutz, erlass, glaubhaftmachung, hauptsache, dienstleistung, ermessen, bauer
Sozialgericht Nürnberg
Beschluss vom 17.07.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 AS 2/06 ER KO
Auf die Erinnerung vom 14.06.2006 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
vom 31.05.2006 abgeändert und die zu erstattenden Kosten auf 108,27 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 03.01.2006 beantragte der Antragsteller (Ast) beim Sozialgericht Nürnberg den Erlass einer einstweiligen
Anordnung. Streitgegenstand war dabei auch die Umwandlung einer darlehensweise gewährten Leistung nach § 23
Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in eine Beihilfe nach § 22 SGB II und die Frage, ob dem Ast von der
Antragsgegnerin (Ag) alle geschuldeten Leistungen ausbezahlt worden waren. Ferner wurde im vorläufigen
Rechtsschutz begehrt, den Einbehalt von der Regelleistung nach den gesetzlichen Vorgaben vorzunehmen. Im
Hinblick auf dieses zuletzt genannte Begehren, wurde mit Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.02.2006
dem Antrag des Ast entsprochen. Der Ag wurde im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, beginnend ab
Januar 2006 25 Euro von der Regelleistung einzubehalten und an die ARGE Nürnberger Land zu überweisen. Gemäß
Ziffer II des Beschlusses wurde die Ag verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Ast zur Hälfte zu
übernehmen. Dem am 30.12.2005 gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom
20.02.2006 entsprochen. Die Prozesskostenhilfe wurde ohne Ratenzahlung bewilligt unter Beiordnung von Herrn
Rechtsanwalt H.
Mit Schriftsatz vom 22.03.2006 wurde Antrag auf Kostenfestsetzung seitens des Rechtsanwaltes gestellt. Für die
rechtsanwaltliche Tätigkeit wurde eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) nach Anlage 1 zu
§ 2 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Höhe von 250 Euro angesetzt. Unter Berücksichtigung der
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV und unter Einschluss der gesetzlichen Mehrwertsteuer wurde ein Betrag von
313,20 Euro errechnet und somit für die Ag und für die Staatskasse jeweils die Hälfte hiervon, also 156,60 Euro
geltend gemacht. Die Ag erstattete die außergerichtlichen Kosten in der geltend gemachten Höhe. Zu Lasten der
Staatskasse wurden die Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.05.2006 auf insgesamt 59,16 Euro
festgesetzt. Dabei wurde für die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV ein Betrag in Höhe von 85 Euro angesetzt. Die
Gebührenbestimmung des Prozessbevollmächtigten des Ast wurde als unbillig erachtet. Bei der Bemessung der
Gebühr gemäß § 14 RVG sei der im Vergleich zum Verfahren in der Hauptsache geringe Umfang des Verfahrens zu
berücksichtigen. Es sei außer eine Vertretungsanzeige und einer Wiederholung der Klageanträge und Begründung, die
der Kläger selbst bereits ausführlich eingereicht habe, kein weiterer Aufwand erforderlich. Die Verfahrensgebühr sei
daher auf ein Drittel der Mittelgebühr reduziert worden.
Hiergegen wurde am 14.06.2006 Erinnerung erhoben. Der Prozessbevollmächtigte des Ast hob in seiner Begründung
hervor, dass keinesfalls lediglich Anträge und Sachvortrag der Ag wiederholt worden seien. Der Umfang der Arbeit
habe sich sogar erhöht, da sich der Bevollmächtigte des Ast auch mit dessen Ausführungen habe auseinandersetzen
müssen. Ferner müsse im Rahmen des § 14 RVG die erhebliche Unterdeckung des Bedarfs des Ast durch die
mangelnden Leistungen der Ag berücksichtigt werden. Es sei beim Ast schlichtweg ums Überleben gegangen. Es sei
mehr als gerechtfertigt, die Mittelgebühr der Nr. 3102 VV in Höhe von 250 Euro zu Grunde zu legen.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die mit Schriftsatz vom 14.06.2006 erhobene Erinnerung ist zulässig und in der Sache teilweise begründet.
Mit Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 15.02.2006 war die Ag verpflichtet worden, die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Ast zur Hälfte zu übernehmen. Somit fällt die Hälfte der notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Staatskasse zur Last. Die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf
Antrag des Rechtsanwaltes von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des ersten Rechtszuges festgesetzt (§ 55
Abs. 1 Satz 1 RVG). Der beigeordnete Rechtsanwalt hat einen Vergütungsanspruch, der aus der Landeskasse zu
befriedigen ist (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Anspruch begründet eine unmittelbare Schuldnerschaft der Staatskasse, nicht
lediglich eine Haftung für die Schuld der bedürftigen Partei (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, RVG, 16. Auflage, § 45
RVG RN 3). Der Anspruch nach den §§ 45 ff RVG umfasst die gesetzliche Vergütung. Die gesetzliche Vergütung
setzt sich aus Gebühren und Auslagen zusammen. Für Eilverfahren enthält das RVG keine speziellen
Gebührenbestimmungen. Anwendbar sind daher im gerichtlichen Verfahren die Gebühren gemäß Nr. 3100 f des
Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 16. Auflage,
Teil D RN 55). Dabei ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Antragsverfahren Betragsrahmengebühren
entstanden sind (§ 3 RVG). Zutreffend wurde im vorliegenden Fall insoweit für die anwaltliche Dienstleistung die
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV zu Grunde gelegt. Der Gebührenrahmen bewegt sich dabei zwischen 40 und
460 Euro.
Die zu beachtenden Einzelkriterien gibt § 14 RVG vor. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr
im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers
nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG). Der beigeordnete Rechtsanwalt hat den Ansatzpunkt der
Mittelgebühr gewählt. Die Mittelgebühr ist nicht die Hälfte der Höchstgebühr, sondern die Mitte des Rahmens (vgl.
Hartmann, Kostengesetze, 36. Auflage, § 14 RVG RN 14). Die Mittelgebühr wird nach der Formel Höchstgebühr und
Mindestgebühr geteilt durch zwei berechnet (vgl. Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG, 9. Auflage, § 14 RVG RN 12). Die
Mittelgebühr ist eine exakt ermittelte rechnerische Durchschnittsgröße. Sie ist anzusetzen, wenn es sich um einen
Durchschnittsfall handelt, der keine Tendenz nach oben oder nach unten zeigt. Für die Verfahrensgebühr gemäß Nr.
3102 VV hat der beigeordnete Rechtsanwalt die Mittelgebühr in Höhe von 250 Euro zu Grunde gelegt. Der Ansatz der
Mittelgebühr ist im vorliegenden Fall unbillig, wie dies auch im Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend angenommen
wurde. Es entspricht jedoch nicht der Billigkeit die rechtsanwaltliche Vergütung auf der Basis von einem Drittel der
Mittelgebühr zu bestimmen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss wurden insoweit 85 Euro für die anwaltliche Tätigkeit
angesetzt, was in etwa einem Drittel der Verfahrensgebühr entspricht. Dies wurde im Kostenfestsetzungsbeschluss
damit begründet, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gehandelt habe, bei dem der
"Umfang des Verfahrens" geringer sei als in einem Hauptsacheverfahren.
Die Höhe der Gebühr ist auch im vorläufigen Rechtsschutz an den Bemessungskriterien des § 14 RVG auszurichten.
Zu diesen Kriterien zählt auch der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Im vorliegenden Fall war wegen des Verfahrens
im vorläufigen Rechtsschutz eine völlige Durchdringung des Tatsachenstoffs und eine abschließende rechtliche
Würdigung nicht erforderlich. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung genügt die Glaubhaftmachung von
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (vgl. Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Auflage, RN 644; ausführlich:
Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2005, RN 289 ff). Aus diesem Grunde kann, wenn die Glaubhaftmachung
im Einzelfall nicht besondere Bemühungen notwendig macht, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit den eines
Hauptsacheverfahrens nicht erreichen, was bei der Bemessung der Gebühr zu berücksichtigen ist. Wenn im
Kostenfestsetzungsbeschluss ausgeführt wird, dass Klageanträge und die Klagebegründung durch den beigeordneten
Rechtsanwalt sich lediglich auf die Ausführungen des Klägers bezogen hätten, ist dem nicht zuzustimmen. Damit wird
die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren nicht hinlänglich beschrieben. Der Erinnerungsführer hat zutreffend darauf
hingewiesen, dass er Ausführungen des Ast einer Überprüfung unterziehen musste. Der Rechtsanwalt hatte zu
entscheiden, ob ein bestimmter Vortrag des Ast aufrecht erhalten wird oder nicht. Dies ist bei der Beurteilung der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen, die allerdings bei einem Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes trotzdem als unterdurchschnittlich einzuschätzen ist. Als weiteres Bemessungskriterium nach § 14
RVG ist die Bedeutung der Angelegenheit heran zu ziehen. Für den Ast war der Umfang der streitigen Beträge von
durchaus erheblichen wirtschaftlichen Interesse, da er Leistungen nach dem SGB II bezieht. Hinzu kommt, dass mit
dem Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 15.02.2006 teilweise die Hauptsache vorweg genommen wurde. Da
eine Vorwegnahme im Hinblick auf den gesamten Streitgegenstand jedoch nicht erfolgte, ist unter Berücksichtigung
aller Bemessungskriterien der Ansatz von zwei Dritteln der Mittelgebühr angemessen. Der
Kostenfestsetzungsbeschluss war entsprechend abzuändern und im Hinblick auf die höheren Gebühren für die
anwaltliche Tätigkeit die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV auf 20 Euro anzuheben.