Urteil des SozG Neuruppin vom 26.04.2010

SozG Neuruppin: eltern, aufschiebende wirkung, gesetzliche vermutung, bad, mietvertrag, wohnung, unterkunftskosten, mitwirkungshandlung, haushalt, rechtsschutz

Sozialgericht Neuruppin
Beschluss vom 26.04.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Neuruppin S 18 AS 429/10 ER
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragssteller im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzes für den
Zeitraum vom 24.03.2010 bis 31.03.2010 vorläufig 50 Euro sowie für den Zeitraum 01.04.2010 bis 30.06.2010
monatlich je 251 Euro vorläufig zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner hat dem Antragssteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 1/3 zu erstatten.
3. Dem Antragssteller wird für diesen Rechtszug ab dem 26.03.2010 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt
M. S. beigeordnet. Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.
Gründe:
Der Antragssteller begehrt die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II).
I.
Der 31 Jahre alte Antragssteller bezieht vom Antragsgegner seit Januar 2005 mit Unterbrechungen Leistungen nach
dem SGB II. Er wohnt im Haus seiner Eltern. Seinem Erstantrag hatte er eine Mietbescheinigung seines Vermieters
und Vaters, J.W., beigelegt, nach der er monatlich Heizkosten in Höhe von 25 Euro, Warmwasserkosten in Höhe von
85 Euro sowie Betriebskosten in Höhe von 150 Euro zu zahlen habe. In den Betriebskosten seien zudem
Stromkosten in Höhe von 55 Euro enthalten.
Am 26.11.2009 beantragte der Antragssteller beim Antragsgegner erneut Leistungen zur Sicherung seines
Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dem Antrag legte er diesmal einen Mietvertrag mit seinen Eltern, J. und R.W.,
vom 28.09.2009 bei, nach dem er für Nebenkosten und Wohneinrichtung monatlich jeweils 150 Euro zu zahlen habe.
Ob in den Betriebskosten auch diesmal ein Anteil für Strom enthalten sein sollte, wurde nicht angegeben. Im Antrag
gab er zudem an, Heizkosten in Höhe von 50 bis 100 Euro zu haben. Am 18.01.2010 reichte er einen weiteren
Mietvertrag mit seinen Eltern ein (diesmal vom 01.10.2009), nach dem er monatlich eine Bruttokaltmiete von 300 Euro
sowie 50 Euro für Heizkosten zu leisten habe. Beide Mietverträge sollten jeweils zum 01.10.2009 beginnen.
Der Antragsgegner forderte den Antragssteller mit Schreiben vom 05.01.2010 auf, aktuelle Nachweise zu den Lasten
des Hauses vorzulegen sowie Auskunft über Einkommen und Vermögen der Eltern zu geben. Dem kam der
Antragssteller nicht nach. Darauf hin versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 02.02.2010 die Gewährung von
Leistungen. Als Begründung gab er an, dass der Antragssteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei.
Ohne die angeforderten Unterlagen könne sein Leistungsanspruch nicht berechnet werden. Hiergegen legte der
Antragssteller mit Schreiben 08.02.2010 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2010
zurückgewiesen wurde. Der Antragsgegner gab an, dass zwischen dem Antragssteller und dessen Eltern eine
Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II bestehe und daher die angeforderten Unterlagen für die
Leistungsberechnung notwendig seien.
Der Antragsgegner stützte sich dabei maßgeblich auf einen am 26.08.2009 beim Antragssteller durchgeführten
Hausbesuch. Nach dem Hausbesuchsprotokoll vom 01.09.2009 befanden sich im Erdgeschoss des Hauses das Bad
und die Küche des Antragsstellers. Im Bad seien "mindestens 5 Zahnbürsten" gewesen. Die vom Antragssteller
getätigte Aussage, dass er sich mit seinem Bruder das Bad teilen würde, sei daher fragwürdig. Der Antragssteller
habe dem Besuchsdienst des Weiteren sein Schlaf- und Wohnzimmer im Obergeschoss gezeigt. Er habe angegeben,
dass keine Mietzahlungen, sondern nur die Zahlung der Nebenkosten an seinen Vater in Bar erfolgten. Die gezeigten
Räumlichkeiten würden keine Anerkennung als separaten Wohnraum rechtfertigen. Ein eigenständiges Haushalten
und Wirtschaften des Antragsstellers könne demnach nicht erkannt werden.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Antragssteller am 24.03.2010 Klage, die ebenfalls in der erkennenden
Kammer anhängig ist (Az: S 18 AS 430/10). Dem Bruder des Antragsstellers, der im selben Haus wie der
Antragssteller wohnt, wurden Leistungen nach dem SGB II bewilligt.
Der Antragssteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner zu verpflichten, ab Anhängigkeit dieser Sache vorläufiges Arbeitslosengeld II nach den
gesetzlichen Bestimmungen, hilfsweise Arbeitslosengeld II in Höhe von 70 % der Regelleistung, zu gewähren.
Er trägt vor, dass der Abtragsgegner über mehrere Jahre unter gleicher Konstellation Arbeitslosengeld II geleistet
habe. Es sei ihm daher unverständlich, warum dies nun mehr nicht mehr der Fall sei. Er bilde mit seinen Eltern keine
Haushaltsgemeinschaft. Er verfüge über eine eigene Wohnung im Dachgeschoß des Hauses mit Schlaf- und
Wohnzimmer. Des Weiteren teile er sich mit seinem Bruder Küche und Bad. Seine Eltern hätten ein eigenes Bad. Die
zwei vorgelegten Mietverträge zum 01.10.2009 hätten keine Aussagekraft darüber, ob er mit seinen Eltern eine
Haushaltsgemeinschaft bilde. Dies könne lediglich zur Frage, ob Kosten der Unterkunft zu übernehmen sind,
Indizwirkung haben. Den Mietvertrag vom 28.09.2009 hätten er und sein Vater einvernehmlich geändert und die "neue"
Miete von 350 Euro sei von ihm ab Oktober 2009 auch gezahlt worden. Das Hausbesuchsprotokoll vom 01.09.2009
gebe die Wohnverhältnisse des Antragsstellers nur ungenügend wieder.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er gibt an, dass er gegenwärtig nicht ermitteln könne, ob der Antragssteller leistungsberechtigt nach dem SGB II sei.
Es sei vorliegend von einer Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Antragssteller und seinen Eltern auszugehen. Er
benötige daher Angaben über die elterlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Diese habe der Antragssteller
trotz Fristsetzung und Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vorgelegt. Für eine Haushaltsgemeinschaft spreche
schon die Tatsache des Wohnens in einer gemeinsamen Wohnung. Der Antragssteller bewohne keine eigene
Einliegerwohnung, sondern Zimmer im Haus seiner Eltern. Das Haus bilde offensichtlich eine große Wohneinheit und
für viele Personen (auch für den Bruder des Antragsstellers und dessen Lebensgefährtin) den Lebensmittelpunkt.
Ebenso für eine Haushaltsgemeinschaft spreche, dass während des Hausbesuchs am 26.08.2009 ein eigenständiges
Haushalten und Wirtschaften des Antragsstellers nicht habe festgestellt werden können. Letztlich sprächen auch die
eingereichten Mietverträge nicht für ein eigenständiges Haushalten des Antragsstellers. Im Übrigen fehle es an einem
Anordnungsgrund, da der Vater des Antragsstellers angegeben habe, diesen darlehensweise mit Geldbeträgen zu
unterstützen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene
Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Dem Antragsteller war vorliegend Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu
gewähren, obgleich der im Hauptsacheverfahren angefochtene Versagungsbescheid vom 02.02.2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2010 grundsätzlich mittels isolierter Anfechtungsklage angreifbar wäre. Der
Versagungsbescheid vom 02.02.2010 erging aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten gemäß § 66 Abs. 1
und 3 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). In einem Klageverfahren wäre dieser daher
dahingehend zu überprüfen, ob die Ablehnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 und 3 SGB I vorgelegen haben,
während - mangels einer Sachentscheidung der Verwaltung über das Leistungsbegehren - eine Überprüfung der
materiellrechtlichen Leistungsvoraussetzungen durch das Gericht ausscheidet (BSG, Urteil v. 22.02.1995 – 4 RA
44/94, zitiert nach juris, Rn. 16). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wäre damit ein Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG der folgerichtige Rechtsbehelf. Dieser alleine könnte jedoch
keinen effektiven Rechtsschutz bewirken. Denn mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung könnte der
Antragsteller die begehrten Leistungen für den streitigen Zeitraum nicht erlangen (vgl. auch LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss v. 11.01.2008 – L 7 AS 772/07 ER, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies wiederum
ist nur mittels Gewährung von Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG möglich. Das Begehren des
Antragsstellers war daher entsprechend auszulegen.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG können Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine Einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der geltend gemachte materielle Rechtsanspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der
Hauptsache geregelt werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn nach summarischer Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür
spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im
Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren Erfolg haben würde. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die
Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86 b Rz. 16b). Ein
Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle
Interessenlage des Antragstellers unzumutbar erscheinen lässt, ihn zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf das
Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie
zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer
wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf
schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr
unmittelbar bevorsteht (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss v. 16.12.2008 - L 7 B 613/08 AS ER, zu finden unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine
summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das
Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann darf sich das Gericht nur dann an den Erfolgsaussichten
orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist ihm dagegen eine vollständige Aufklärung der
Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist in solchen Fällen allein anhand einer Folgenabwägung zu
entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05, zu finden unter
www.bverfg.de/entscheidungen; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 26.10.2006 - L 19 B 516/06 AS ER, zu finden
unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Gemessen an diesen Maßstäben war dem Antrag des Antragsstellers in dem im Tenor ersichtlichen Umfang statt zu
geben. Dies ergab sich aus einer von der Kammer durchzuführenden Folgenabwägung, da eine vollständige
Aufklärung der Sachlage vorliegend nicht möglich war. Die Kammer hatte dabei nicht alleine die Voraussetzungen des
§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zu prüfen. Sie musste auch würdigen, ob bezüglich des Versagungsbescheids vom
02.02.2010 die aufschiebende Wirkung im Sinne des § 86 b Abs. 1 SGG anzuordnen gewesen wäre.
Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheids des Antragsgegners vom
02.02.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2010). Rechtsgrundlage der Versagung war § 66
Abs. 1 und 3 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Danach können Leistungsträger Leistungen verweigern, wenn ein
Leistungsempfänger trotz Aufforderung Angaben unterlässt, die für die Gewährung der Leistung erheblich sind. Dabei
muss durch die fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert sein. Vorliegend ist aus den
im Eilverfahren vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, dass die vom Antragsgegner geforderten Unterlagen
insbesondere zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern des Antragsstellers
entscheidungserheblich sind. Dazu wäre das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II
zwischen dem Antragssteller und seinen Eltern erforderlich, für welche es derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte
gibt (dazu sogleich). Hinzu kommt, dass der Antragsgegner vorliegend Unterlagen von Dritten verlangt. Dies ist
gerade im Hinblick auf die möglichen Folgen der unterlassenen Mitwirkung problematisch. Die Versagung von
Leistungen nach § 66 Abs. 1 und 3 SGB I rechtfertigt sich gerade dadurch, dass der Leistungssuchende eine ihm
auferlegte Mitwirkungshandlung unterlässt, obwohl er zuvor über die Folgen schriftlich belehrt wurde. Ein Unterlassen
einer Mitwirkungshandlung kann jedoch nur dann vorliegen, wenn dem Mitwirkungsverpflichteten die
Mitwirkungshandlung möglich ist. Dies ist bei der Vorlage von Unterlagen von dritten Personen zweifelhaft. Nachweise
über Einkommen und Vermögen (in Form von Verträgen, Kontoauszügen, etc.) stehen regelmäßig im Eigentum des
jeweiligen Inhabers. Nur dieser kann über diese verfügen. Der Mitwirkungsverpflichtete könnte daher nur dann der
verlangten Mitwirkung nachkommen, wenn der Dritte dies gestattet. Dies gilt im Grundsatz auch bei Verwandten und
Verschwägerten. Vorliegend ist aus dem bisher Vorgebrachten nicht ersichtlich, ob eine solche Zustimmung durch die
Eltern des Antragsstellers erteilt wurde. Bezüglich der geforderten Unterlagen zu den Kosten der Unterkunft des
Antragsstellers kommt hinzu, dass eine darauf gestützte Totalversagung von Leistungen nicht zulässig sein dürfte.
Die im Rahmen des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG durchzuführende Folgenabwägung ging in dem im Tenor ersichtlichen
Umfang zu Gunsten des Antragsstellers aus. Es spricht insoweit mehr dafür als dagegen, dass dem Antragssteller
Leistungen nach dem SGB II zumindest in dieser Höhe zustehen. Ob ihm darüber hinaus auch Leistungen für Kosten
der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehen, konnte im Rahmen des Eilverfahrens nicht aufgeklärt
werden.
Leistungen nach dem SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, wenn sie das 15. Lebensjahr vollendet und das
65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Vorliegend ist allein streitig, ob der Antragssteller
hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II ist und dabei insbesondere, ob der Antragssteller
mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II lebt und daher vermutet werden
kann, dass der Antragssteller Leistungen von seinen Eltern erhält, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen
erwartet werden kann.
Nach dem im Eilverfahren ermittelbaren Sachverhalt geht die Kammer davon aus, dass der Antragssteller zumindest
in dem im Tenor ersichtlichen Umfang hilfebedürftig ist. Eigenes Einkommen und Vermögen des Antragsstellers sind
vom Antragsgegner nicht festgestellt worden und auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Ob er darüber hinaus
hilfebedürftig ist, konnte im Rahmen des Eilverfahrens nicht aufgeklärt werden. Es bleibt insbesondere offen, ob und
gegebenenfalls in welchem Umfang der Antragssteller tatsächlich durch seine Eltern unterstützt wird und ob dies
gegebenenfalls aufgrund des Bestehens einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II vermutet
werden kann.
Gemäß § 9 Abs. 5 SGB II wird für den Fall, dass ein Hilfsbedürftiger in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder
Verschwägerten lebt, vermutet, dass er von ihnen Leistungen erhält, soweit dies nach deren Einkommen und
Vermögen erwartet werden kann. § 9 Abs. 5 SGB II enthält demnach eine widerlegbare Vermutung dergestalt, dass
der Hilfsbedürftige im Falle des Bestehens einer Haushaltsgemeinschaft von seinen Verwandten oder Verschwägerten
unterstützt wird. Daraus ergibt sich, dass die Vermutungsregelung erst dann eingreift, wenn eine
Haushaltsgemeinschaft festgestellt worden ist. § 9 Abs. 5 SGB II enthält demnach im Gegensatz zu § 36 Satz 1
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) keine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer
Haushaltsgemeinschaft (vgl. dazu BSG, Urteil v. 27.01.2009 - B 14 AS 6/08 R, zu finden unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de). Für eine solche reicht es dabei nicht aus, wenn Verwandte oder Verschwägerte in
einem Haushalt lediglich zusammen wohnen. Vielmehr muss über die bloße Wohngemeinschaft hinaus der Haushalt
im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam geführt werden (vgl. dazu BSG, Urteil v. 19.02.2009 - B 4 AS
68/07 R, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 05.09.2003 (BT-Drucksache 15/1516, S. 53) ist dies
der Fall, wenn die Verwandten oder Verschwägerten mit dem im selben Haushalt lebenden Hilfebedürftigen "aus
einem Topf" wirtschaften (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 9 Rz. 52). Die Anforderungen an das
gemeinsame Wirtschaften gehen daher über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und Gemeinschaftsräumen
hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln,
Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse
begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. BSG, Urteil v. 27.01.2009, a.a.O.). Es muss vielmehr neben
einem gemeinsamen Wohnen auf Grund der Umstände des Einzelfalls davon auszugehen sein, dass ein Teil des
Bedarfs des Hilfsbedürftigen durch das gemeinsame Wirtschaften mit den Verwandten gedeckt ist (Mecke in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 9 Rz. 52 f.). Die Voraussetzungen des Vorliegens einer solchen
Wirtschaftsgemeinschaft von mehreren in einer Wohnung zusammen lebenden Verwandten oder Verschwägerten
müssen vom jeweiligen Grundsicherungsträger positiv festgestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 27.01.2009 - B 14 AS
6/08 R, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das für § 9 Abs. 5 SGB II erforderliche gemeinsame Haushalten und Wirtschaften aus einem Topf war vorliegend
nach summarischer Prüfung nicht feststellbar. Insbesondere reichen die bisher vom Antragsgegner durchgeführten
Ermittlungen dafür nicht aus.
Der Antragssteller bildet mit seinen Eltern nicht bereits deshalb eine Haushaltsgemeinschaft, weil er nicht in einer
eigenständigen Wohneinheit wohnt. Eine solche ist gemäß dem oben Gesagten gerade nicht erforderlich.
Auch das vom Antragsgegner als maßgeblich herangezogene Hausbesuchsprotokoll vom 01.09.2009 enthält keine
Anhaltspunkte dafür, ob eine Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Antragssteller und seinen Eltern vorliegt. Dazu
fehlt es an jeglichen aussagekräftigen Sachverhaltsermittlungen des Besuchsdienstes des Antragsgegners. Weder
hat er die Räumlichkeiten des Antragsstellers näher beschrieben noch hat er das Wirtschaften des Antragsstellers
sowie seiner Eltern zu ergründen versucht. Wie er angesichts dieser Versäumnisse zu der Feststellung gekommen
ist, dass ein eigenständiges Haushalten und Wirtschaften des Antragsstellers nicht erkannt werden könne, bleibt
schleierhaft. So hat z. B. die Aussage, dass der Antragssteller über Wohn- und Schlafräume verfügt, für sich keinerlei
Aussagekraft. Gleiches gilt für die bloße Nennung einer Anzahl von Zahnbürsten. Die vom Besuchsdienst des
gemeinsamen Wirtschaftens "überführten" Eltern des Antragsstellers kommen im Protokoll praktisch überhaupt nicht
vor. Im Gegenzug ist nicht ersichtlich, warum der Antragssteller nach Ansicht des Besuchsdienstes nicht auch mit
seinem Bruder eine Haushaltsgemeinschaft bildet bzw. der Bruder mit den gemeinsamen Eltern. Es bleibt ebenfalls
im Dunkeln, warum die vom Antragssteller getätigten Aussagen über die Zugehörigkeit der nicht gezeigten
Räumlichkeiten sowie die personelle Verteilung der gezeigten Räumlichkeiten nicht glaubhaft sein sollen.
Auch die von einander abweichenden Mietverträge sind nach Ansicht der Kammer kein aussagekräftiges Indiz für das
Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft. Zwar stimmt die Kammer insoweit mit dem Antragsgegner überein, als dass
die Umstände der Erstellung der eingereichten Mietverträge aufklärungsbedürftig sind. Dies gilt jedoch ausschließlich
für die Frage, ob die im (zuletzt eingereichten) Mietvertrag vom 01.10.2009 geltend gemachten
Unterkunftsaufwendungen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmen sind.
Weitere Umstände bezüglich des Bestehens einer Haushaltsgemeinschaft konnten im Rahmen des Eilverfahrens
nicht ermittelt werden. Dies bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dort werden sowohl der Antragsgegner als
auch der Antragssteller die Möglichkeit haben, ihren jeweiligen Tatsachenvortrag zu ergänzen. Der Antragsgegner wird
dabei insbesondere zu erwägen haben, ob er einen weiteren, diesmal aussagekräftigen, Hausbesuch beim
Antragssteller durchführt.
Bezüglich der Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II konnte der Antragssteller einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen. Die vom Antragssteller vorgebrachten Angaben ermöglichten es der
Kammer nicht, die Höhe der tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten zu ermitteln. Die Kammer teilt insoweit die
Bedenken des Antragsgegners bezüglich der eingereichten Mietverträge. Es ist angesichts der deutlich
unterschiedlichen, jedoch fast zeitgleich erstellten Mietverträge (jeweils mit Mietbeginn zum 01.10.2009), nicht
ersichtlich, welcher von diesen tatsächlich gewollt war/ist und entsprechend durchgeführt wird. Zwar wird bei
Mietverträgen unter Verwandten ein Fremdvergleich mittlerweile nicht mehr gefordert (vgl. BSG, Urteil v. 03.03.2009 -
B 4 AS 37/08 R, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Leistungsträger
jegliche Mietverträge ungeprüft hinzunehmen haben. Insbesondere wird von Hilfsbedürftigen verlangt werden können,
dass sie eine nachvollziehbare und nachweisbare Mietvertragsgestaltung vornehmen. Hinzu kommt, dass es
angesichts der deutlichen "Mieterhöhung" im Mietvertrag vom 01.10.2009 (die "Grundmiete" wurde praktisch
verdoppelt) fraglich sein dürfte, ob die nun mehr anfallenden Unterkunftsaufwendungen in voller Höhe vom
Leistungsträger zu übernehmen sind. Der Antragssteller dürfte im Hinblick darauf, dass aufgrund des nur befristeten
Arbeitsvertrages eine alsbaldige erneute Hilfsbedürftigkeit absehbar war, gehalten gewesen sein, seine
Unterkunftskosten nicht ohne Not deutlich zu steigern. Dies gilt umso mehr, wenn man die Mietpreisentwicklung seit
der ersten eingereichten Mietbescheinigung berücksichtigt.
Die Folgenabwägung war dahingehend durchzuführen, dass dem Antragssteller im Wege des vorläufigen
Rechtsschutzes 70 Prozent der Regelleistung zuzusprechen sind. Die Kammer ist der Ansicht, dass dies ausreichend
ist, um die Erfüllung des Grundbedarfes des Antragsstellers bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens sicher zu
stellen. Sie folgt insoweit dem Hilfsantrag des Antragsstellers. Eine darüber hinausgehende Eilbedürftigkeit hält die
Kammer für nicht gegeben. Den beigefügten Kontoauszügen des Antragsstellers kann entnommen werden, dass in
den letzten drei Monate nur marginale Kontobewegungen stattgefunden haben. Es ist daher davon auszugehen, dass
eine anderweitige, jedenfalls teilweise vorläufige Versorgung des Antragsstellers geschieht. Zudem hielt es die
Kammer auch im Hinblick darauf, dass vorliegend eine Folgenabwägung durchzuführen war und ein Nachweis des
Bestehens der Haushaltsgemeinschaft im Hauptsacheverfahren möglich ist, ausnahmsweise für angemessen, im
Eilverfahren einen Abschlag bezüglich der Regelleistung vorzunehmen (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
v. 24.10.2008 - L 29 B 1844/08 AS ER, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Eilbedürftigkeit des
Verfahrens entfällt nach Ansicht der Kammer jedoch nicht dadurch zur Gänze, dass der Antragssteller durch seinen
Vater "notgedrungen darlehensweise mit Geldbeträgen unterstützt" wird. Da der Antragssteller keinen Anspruch auf
diese Geldbeträge hat, kann er nicht im Rahmen des Eilverfahrens auf diese verwiesen werden. Dadurch wäre nicht
sicher gestellt, dass das verfassungsmäßig geschützte Existenzminimum des Antragsstellers gewährleistet ist.
Zudem kann davon ausgegangen werden, dass durch die Geldbeträge des Vaters nicht das gesamte
Existenzminimum des Antragsstellers abgedeckt wird.
Bezüglich der Unterkunftskosten fehlt es an der erforderlichen Eilbedürftigkeit. Der Antragssteller hat nicht glaubhaft
gemacht, dass ihm ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein Verlust seiner Wohnung droht. Er hat auch
nicht vorgetragen, dass derzeit überhaupt spürbare Nachteile für ihn zu befürchten sind. Die Kammer geht daher
davon aus, dass der Antragssteller bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren in der streitgegenständlichen
Unterkunft wohnen bleiben kann. Es ist nicht ersichtlich, dass die Eltern des Antragsstellers diesen bei Nichtzahlung
laufender und künftiger Mieten der Wohnung verweisen würden. So liegt weder eine Mahnung oder eine
Kündigungsandrohung vor noch sind Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Eltern des Antragsstellers ihre
finanziellen Interessen über die verwandtschaftlichen Bindungen zu ihrem Sohn erheben wollten (vgl. dazu LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 23.06.2009 - L 7 AS 456/09 B ER, zu finden unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Dem Antragssteller waren im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzes für den Monat März 2010 Leistungen in Höhe
von 50 Euro (70 Prozent von 359 Euro/30 Tage-6 Tage, berechnet im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II und
gerundet im Sinne des § 41 Abs. 2 SGB II) sowie für die Monate April 2010 bis Juni 2010 jeweils Leistungen in Höhe
von monatlich 251 Euro (70 Prozent von 359 Euro, gerundet im Sinne des § 41 Abs. 2 SGB II) zuzusprechen. Die
Kammer orientierte sich bezüglich der Dauer der zu gewährenden vorläufigen Leistungen am hypothetischen
Bewilligungszeitraum im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Da der Antragssteller im Hauptsacheverfahren
Leistungen ab Januar 2010 begehrt, waren demnach die Leistungen bis Juni 2010 zu begrenzen.
2. Die Kostenentscheidung ergeht analog § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.
3. Dem Antragssteller ist gemäß § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ist der Antragssteller nicht in der Lage, die Kosten für die
Prozessführung selbst aufzubringen. Der Rechtsstreit bot auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht
mutwillig.
Die Prozesskostenhilfe war vollumfänglich zu bewilligen, obwohl der Antrag des Antragsstellers nur teilweise Aussicht
auf Erfolg bot. Eine nur teilweise Gewährung von Prozesskostenhilfe war vorliegend nicht möglich. Dies beruht auf
dem Gedanken, dass in sozialgerichtlichen Verfahren wie dem vorliegenden, in dem das Gerichtskostengesetz (GKG)
keine Anwendung findet (§ 197a SGG i.V.m. § 183 SGG), Rahmengebühren nach § 3 Abs. 1
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) anfallen. Eine Quotelung anhand des Streitwerts ist somit nicht möglich. Dies
gilt jedenfalls dann, wenn es sich - wie vorliegend - um ein einheitliches Antragsbegehren handelt (vgl. LSG Berlin-
Brandenburg v. 08.10.2007 - L 23 B 108/07 SO PKH, zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Schließlich war unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage die Beiordnung eines Rechtsanwalts geboten.
Rechtsmittelbelehrung: ( ...)