Urteil des SozG Neuruppin vom 06.04.2011

SozG Neuruppin: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, heizung, anfechtungsklage, notlage, widerspruchsverfahren, unterbrechung, medien, versorgung

Sozialgericht Neuruppin
Beschluss vom 06.04.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Neuruppin S 26 AS 341/11 ER
Der Antrag des Antragstellers vom 27. Februar 2011, ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Der bei dem Sozialgericht Neuruppin am 27. Februar 2011 eingegangene Antrag des Antragstellers,
ihm vorläufig die ihm zustehenden Leistungen nach dem SGB II in voller Höhe zu bewilligen,
hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtsschutzgewährung hinsichtlich des im Rahmen der Leistungsgewährung nach den Bestimmungen des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ergangenen vorläufigen
Teilaufhebungs- und Änderungsbescheides des Antragsgegners vom 23. Februar 2011 hat – entgegen der Auffassung
der Beteiligten – nicht in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
zu erfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz ist vielmehr nur nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Denn der
Antragsteller wendet sich gegen eine ihn belastende Verfügung, die ihm die mit Bescheid vom 24. Januar 2011 bereits
gewährte Rechtsposition mit Wirkung ab dem 01. März 2011 (teilweise) wieder nimmt. Richtige Rechtsschutzform
dagegen ist in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, 1. Alternative SGG). Weil der Antragsteller
bereits gegen den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 24. Januar 2011 Widerspruch erhoben hat, wird der
nunmehr ergangene vorläufige Teilaufhebungs- und Änderungsbescheid vom 23. Februar 2011 gemäß § 86 SGG
Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens; gleichzeitig hat er jedoch gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in
Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. In diesen Fällen kann das Gericht in der Hauptsache
im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz
oder teilweise anordnen. Bei verständiger Würdigung ist deshalb im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers
davon auszugehen, dass er begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen (vgl. § 123 SGG).
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von
Widerspruch und Anfechtungsklage sieht § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund
einer Interessenabwägung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, Rdnr. 12). Es trifft dabei in
jedem Fall eine eigene Ermessensentscheidung nach denselben Gesichtspunkten wie die Widerspruchsbehörde in
den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Hauptsache überwiegt in der Regel das
Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des
Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des betroffenen Verwaltungsakts oder fehlende Erfolgsaussichten
von Widerspruch und/oder Anfechtungsklage können allein das besondere Vollzugsinteresse jedoch nicht begründen,
auch nicht eine Prüfung ersetzen oder entbehrlich machen. Sie können nur zur Folge haben, dass die vorhandenen,
ihrer Art nach dringlichen Vollzugsinteressen grundsätzlich als schwerwiegender anzusehen sind als das Interesse
des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der zu treffenden Abwägung der
Interessen sind dabei vor allem die Natur, die Schwere und insbesondere auch die Dringlichkeit der dem Antragsteller
auferlegten Belastungen und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung der
Maßnahme und ihre Folgen zu berücksichtigen.
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt vorliegend das Interesse des Antragsgegners am Vollzug des
streitgegenständlichen vorläufigen Teilaufhebungs- und Änderungsbescheides vom 23. Februar 2011 gegenüber dem
Interesse des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs, weil es an dem auch für diese
Entscheidung erforderlichen Dringlichkeitselement fehlt. Der Antragsteller hat nämlich nicht glaubhaft machen können,
dass ihm insbesondere bei Nichtzahlung der Kosten der Unterkunft und Heizung Wohnungslosigkeit oder eine
ähnliche existenzielle Notlage droht. Dass dem Antragsteller eine existenzielle Notlage drohen könnte, ist für die
Kammer schon deshalb nicht erkennbar, weil dem Vater des Antragstellers – der aufgrund des
Grundstücksüberlassungsvertrages vom 25. Januar 2011 zwischenzeitlich Miteigentümer des gemeinsam bewohnten
Grundstückes geworden ist – im Rahmen der ihm von dem Antragsgegner gewährten Leistungen nach dem SGB II
nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragsgegners ebenfalls Leistungen für die nachgewiesenen
Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt werden und zumindest in der Gesamtbetrachtung sämtliche
nachgewiesene Hauslasten bei der Leistungsberechnung des Antragstellers einerseits und seines Vaters andererseits
Berücksichtigung finden; gegen diesen vom Antragsgegner vorgetragenen Umstand hat der Antragsteller keine
konkreten Einwände erhoben. Darüber hinaus ist die unmittelbar bevorstehende Zwangsversteigerung der Immobilie
oder die Unterbrechung der Versorgung des Antragstellers mit sonstigen Medien schon deshalb nicht zu erwarten, weil
es der Kammer – unabhängig von etwaigen vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Antragsteller und seinem
Vater – besonders lebensnah erscheint, dass im Rahmen der vorliegenden familiären
Grundstückseigentümergemeinschaft etwaige Differenzbeträge, die - von welchem Familienmitglied auch immer -
nicht vollständig an die Gläubiger gezahlt werden, innerfamiliär (zunächst) aufgefangen werden, um Schulden bei dem
finanzierenden Kreditinstitut und anderer Gläubiger nicht entstehen zu lassen. Ferner geht die Kammer auch davon
aus, dass sich der Antragsteller und sein Vater innerfamiliär auch insoweit unterstützen, als möglicherweise
Bedarfslücken im Regelleistungsbereich entstehen. Etwas Gegenteiliges hat nicht einmal der Antragsteller selbst
behauptet. Im Übrigen verkennt der Antragsteller, dass vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen nicht dazu dienen, zu
Lasten anderer Beteiligter der Hauptsacheverfahren eine schnellere Entscheidung zu erlangen. Sie ist vielmehr nur
dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren
Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Dies ist - wie bereits
ausgeführt - hier weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insoweit ist es dem Antragsteller zuzumuten, den
Ausgang des Widerspruchs- und des sich gegebenenfalls anschließenden Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
3. Bei dieser Sachlage kommt es daher auch nicht darauf an, ob der Antragsgegner den ursprünglichen
Bewilligungsbescheid vom 24. Januar 2011 zu Recht nach Maßgabe des § 48 Abs. 1. S. 1 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) teilweise mit Wirkung für die
Zukunft aufgehoben hat. Die Kammer sieht sich indes in diesem Zusammenhang veranlasst darauf hinzuweisen, dass
die Ermittlung der in die Bedarfsberechnung einzustellenden Kosten der Unterkunft und Heizung – zumindest teilweise
– unzutreffend sein dürfte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. hierzu: Sozialgericht Neuruppin,
Urteil vom 18. August 2010, - S 26 AS 704/08 unter Bezugnahme auf: Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2010,
- B 4 AS 62/09 R, jeweils zitiert nach juris), der die Kammer folgt, ist nämlich allein entscheidend, zu welchem
Zeitpunkt ein aktueller tatsächlicher Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung besteht, ob also in den jeweiligen
Leistungsmonaten Rechnungen (die den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind) erteilt und fällig wurden,
deren Beträge dem Antragsteller (unter Berücksichtigung der Anzahl der Grundstücksnutzer ggf. anteilig) zu gewähren
gewesen wären. Der Antragsgegner hat nach Aktenlage insoweit teilweise zugunsten und teilweise zu Lasten des
Antragstellers Beträge im Rahmen einer Durchschnittsberechnung zugrunde gelegt, ohne den aktuellen tatsächlichen
Bedarf in jedem einzelnen Leistungsmonat zu berücksichtigen. Aus dieser (insoweit) unzutreffenden - den
Antragsteller begünstigenden - Leistungsgewährungspraxis kann dieser jedoch selbstredend keine Rechte herleiten.
Soweit allerdings aktuelle tatsächliche Bedarfspositionen unberücksichtigt geblieben sind, die höher sind als
diejenigen Beträge, die dem Antragsteller bislang (aufgrund der Durchschnittsberechnung nur anteilig) gewährt worden
sind, ergäben sich insoweit offene Bedarfspositionen, die zusätzlich zu gewähren wären. Diesen Aspekt wird der
Antragsgegner in dem laufenden Widerspruchsverfahren eingehend zu beleuchten haben. Dem Antragsteller ist es
jedoch – wie dargelegt – zuzumuten, den Ausgang dieses Widerspruchsverfahren abzuwarten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
4. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Rechtsmittelbelehrung:
( ...)
B. Richter am Sozialgericht