Urteil des SozG Neuruppin vom 24.06.1991

SozG Neuruppin: eintritt des versicherungsfalls, anerkennung, ärztliche untersuchung, belastung, berufskrankheit, zwang, monteur, kausalzusammenhang, wahrscheinlichkeit, einwirkung

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Gericht:
SG Neuruppin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 19 U 86/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 1 S 1 SGB 7, § 3 BKV
Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit (BK)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung wegen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 und Nr. 2110 der
Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1965 geborene Kläger war als Monteur, Schlosser und Schweißer vom 24.06.1991
bis zum 15.05.1999 bei der Firma G in Sch beschäftigt. Ab 19.07.1999 bis zum
31.06.2001 war er als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer bei der T GmbH in B
beschäftigt. Zuletzt war der Kläger vom 01.07.2001 bis zum 31.03.2002 bei der Firma R
GmbH in B ebenfalls als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer tätig. Vor dem Jahr 1991
war der Kläger bereits 6 Jahre im ehemaligen Jugoslawien berufstätig und übte dort die
vorgenannten Tätigkeiten aus. Seit dem 01.11.2002 ist der Kläger wegen einer
Wirbelsäulenerkrankung und der Notwendigkeit dauernder Behandlung arbeitsunfähig.
Am 08.04.2003 erstattete die AOK Brandenburg eine Anzeige wegen des Verdachts
einer BK, da der Kläger seit dem 01.11.2002 wegen lumbaler und sonstiger
Bandscheibenschäden arbeitsunfähig erkrankt und wegen der Erkrankung bereits vom
30.06.1999 bis zum 02.07.1999 krankgeschrieben gewesen war. Die Beklagte befragte
den Kläger zu den im Einzelnen ausgeübten Tätigkeiten mittels eines Fragebogens. Die
Beklagte holte Befundberichte und bildgebende Unterlagen von Dr. J, Facharzt für
Orthopädie, dem Klinikum U in Sch – hier wurde der Kläger vom 01.11.2002 bis
20.11.2002 stationär behandelt – sowie den ärztlichen Entlassungsbericht der K Klinik in
B – hier wurde der Kläger vom 03.12.2002 bis 24.12.2002 im Rahmen einer
Rehabilitationsmaßnahme stationär behandelt – ein.
Nach den arbeitstechnischen Ermittlungen ging der Technische Sachverständige vom
Präventionsbezirk der Beklagten, Dipl.-Ing. M, am 07.08.2003 und am 10.10.2003 davon
aus, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Annahme einer hinreichend
gefährdenden Belastung im Sinne der BK Nr. 2108 nicht erfüllt seien.
Mit Bescheid vom 18.12.2003 wurde das Vorliegen einer BK Nr. 2108 abgelehnt, weil die
arbeitstechnischen Voraussetzungen als nicht erfüllt angesehen wurden. Der hiergegen
eingereichte Widerspruch wurde am 27.07.2004 als unbegründet zurückgewiesen,
nachdem der Technische Sachverständige nochmals zur Überprüfung der Beurteilung
der arbeitstechnischen Bedingungen eingeschaltet worden war, am 12.05.2004 erneut
eine Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung vorgenommen hatte und es jedoch bei
der vorherigen Beurteilung verblieb. Die hiergegen erhobene Klage wurde beim
Sozialgericht Neuruppin unter dem Aktenzeichen S XX U 81/04 geführt und ist
inzwischen durch übereinstimmende Erledigungserklärung abgeschlossen. Der mit
Schreiben der Beklagten vom 21.02.2005 gestellte Antrag, die Erledigungserklärung für
das Klageverfahren aufzuheben, wurde als neue Klage unter dem Aktenzeichen S XX U
43/05 erfasst und nach richterlichem Hinweis mit Schreiben vom 27.05.2005
zurückgenommen.
Im Rahmen des Klageverfahrens unter dem Aktenzeichen S XX U 81/04 wurde die
zusätzliche Prüfung des Vorliegens einer BK nach Nr. 2110 beantragt. Diese Prüfung
ergab, dass im Einzelnen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108
und Nr. 2110 nicht erfüllt sind, jedoch unter Zusammenrechnung der anteiligen
Gefährdungswerte beider BK’en insgesamt von einer Gefährdung auszugehen ist. Eine
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Gefährdungswerte beider BK’en insgesamt von einer Gefährdung auszugehen ist. Eine
Zusammenfassung beider BK’en im Klageverfahren wurde unter Hinweis auf das Urteil
des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.07.2003 – L 7 U 12/02 – durch das Sozialgericht
abgelehnt.
Im Anschluss daran ergingen am 23.06.2005 zum einen der Bescheid über die
Ablehnung der Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 44 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der BK Nr. 2108 und zum anderen der Bescheid
über die Ablehnung der Anerkennung der BK Nr. 2110.
Der Kläger erhob gegen beide Bescheide Widerspruch und ging unter Verweis auf die
Stellungnahme des Prof. Dr. D, J Universität M, vom 14.06.2005 davon aus, dass eine
Kumulation der jeweiligen Belastungen der BK’en nach Nr. 2108 und 2110 zu erfolgen
hat. Die Beklagte hat dazu weitere interne Stellungnahmen eingeholt, u. a. von Herrn W,
Hauptverwaltung in Hannover. Dieser hatte am 30.08.2005 in Auswertung
unterschiedlicher Quellen empfohlen, der Auffassung des Prof. D zu folgen. Vor diesem
Hintergrund nahm der Technische Sachverständige der Beklagten am 16.09.2005
erneut zu den arbeitstechnischen Bedingungen Stellung und stellte fest, dass bei
Addition der Belastungen zu den BK’en Nr. 2108 und 2110 eine hinreichende
Gefährdung (mehr als 25 MNh) vorliegt.
Daraufhin hob die Beklagte beide Bescheide vom 23.06.2005 auf. Die Beklagte stellte
weitere, im Wesentlichen medizinische Ermittlungen an und veranlasste die
Begutachtung des Klägers. Sie holte ein radiologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. M
und Dr. R vom 02.08.2006, ein neurochirurgisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. M und
Dr. G vom 26.10.2006 sowie ein unfallchirurgisches Gutachten von Prof. Dr. E, Dipl.-Med.
C und Dr. M vom 13.09.2006 ein. Danach stelle sich das bestehende
Lendenwirbelsäulenleiden letztlich in Art und Ausmaß so dar, wie es mit
Wahrscheinlichkeit auch ohne die spezielle berufliche Situation festzustellen gewesen
wäre; unter medizinischen Gesichtspunkten könne keine Anerkennung der BK Nr. 2108
oder 2110 erfolgen.
Mit Bescheid vom 04.04.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK nach Nr.
2108 und 2110 und die Gewährung von Leistungen ab. Zwar geht die Beklagte nunmehr
in Kumulation der gefährdenden Einwirkungen von der Erfüllung der
haftungsbegründenden Kausalität aus, stellt aber fest, dass die medizinischen
Voraussetzungen zur Anerkennung der in Frage stehenden BK’en nicht vorliegen, ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen den vom Kläger ausgeübten beruflichen
Tätigkeiten und den geklagten Beschwerden nicht nachgewiesen werden konnte und ein
zwingender Grund zur Tätigkeitsaufgabe wegen der Wirbelsäulenerkrankung nicht vorlag.
Mit Schreiben vom 19.04.2007 erhob der Kläger dagegen Widerspruch und führte mit
weiterem Schreiben vom 18.05.2007 begründend aus, dass der Zwang zur Aufgabe der
Tätigkeit durchaus bestanden habe und der Zusammenhang zwischen den beruflichen
Tätigkeiten und der Krankheit hinreichend wahrscheinlich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück, da die medizinischen Voraussetzungen einer BK nach Nr. 2108 und
2110 nicht erfüllt seien und zusammenfassend mehr Tatsachen für ein anlagebedingtes
Leiden der gesamten Wirbelsäule sprechen, sodass die berufliche Belastung nicht als
wesentliche Ursache für die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule angesehen
werden könne.
Dagegen richtet sich die am 02.08.2007 erhobene Klage zum Sozialgericht Neuruppin.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid der Beklagten vom 04.04.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.07.2007 aufzuheben und dem Kläger
Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.
Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat ärztliche Unterlagen aus den zu den Aktenzeichen S XX RJ 240/04 und L
XX R 1461/06 geführten Verfahren entnommen, insbesondere das fachorthopädische
Gutachten des Dr. Z, Facharzt für Orthopädie, vom 29.08.2005 und das psychiatrische
Gutachten der Dres. A und D, Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie,
vom 31.07.2007. Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines
chirurgischen und sozialmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen Herrn Dr. B
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chirurgischen und sozialmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen Herrn Dr. B
vom 13.11.2008 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.02.2009.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das in der Gerichtsakte befindliche
Gutachten sowie auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. B Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich
gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) damit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 04.04.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.07.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner
Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV
und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass entgegen dem formulierten Klageantrag „dem
Kläger Leistungen nach § 3 der Berufskrankheitenverordnung zu gewähren“ das
Klagebegehren auf die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit,
einen daraus folgenden Entschädigungsanspruch sowie die Gewährung von Leistungen
nach § 3 BKV gerichtet ist. Die Beklagte lehnte mit dem angegriffenen
Widerspruchsbescheid vom 03.07.2007 einen Entschädigungsanspruch sowie die
Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV ab, weil die bei dem Kläger bestehende
Wirbelsäulenerkrankung keine BK nach Nr. 2108 und Nr. 2110 der Anlage zur BKV ist.
Ausweislich der Klagebegründung vom 01.08.2007 wandte sich der Kläger gerade gegen
die Ablehnung der Anerkennung als BK. § 3 BKV konkretisiert hingegen den aus § 14
Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) allgemein abzuleitenden Anspruch
auf Maßnahmen zur Verhütung von BK’en. Diese Vorschrift hat grundsätzlich eine
präventive Zielrichtung, nämlich die Vermeidung von Gesundheitsschäden vor Eintritt
des Versicherungsfalls. Daneben eröffnet die Vorschrift zusätzlichen präventiven
Handlungsspielraum bei bereits anerkannten BK’en (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung, Loseblatt-Kommentar, G § 3, Anmerkung 1).
Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein
Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII
begründenden Tätigkeit erleidet. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten
Berufskrankheiten gehören nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV
"bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben
oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer
Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können". Durch Nr. 2110 der Anlage zur BKV werden
"bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige,
vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können", erfasst.
Die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als einer solchen nach Nr. 2108
und 2110 der Anlage zur BKV setzt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule voraus, die durch langjähriges berufsbedingtes Heben oder Tragen
schwerer Lasten oder durch langjährige berufsbedingte Tätigkeiten in extremer
Rumpfbeugehaltung (arbeitstechnische Voraussetzungen) bzw. durch langjährige
Einwirkung von Ganzkörperschwingungen entstanden ist. Die Erkrankung muss den
Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben. Als
Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeit tatsächlich erfolgt
sein.
Der Kläger erfüllt die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK’en nach Nr. 2108 und
2110. Der Technische Sachverständige der Beklagten stellte in seiner Stellungnahme
vom 16.09.2005 zutreffend fest, dass bei Addition der Belastungen zu den BK’en Nr.
2108 und 2110 eine hinreichende Gefährdung (mehr als 25 MNh) vorliegt. Er ging bei der
Berechnung der erlittenen Dosis zur BK Nr. 2108 von einer Verhältniszahl von 0,5 (was
50 %, also 12,5 MNh entspricht) und bei der Berechnung zur BK Nr. 2110 von einer
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50 %, also 12,5 MNh entspricht) und bei der Berechnung zur BK Nr. 2110 von einer
Belastung von 77 % (was 19341000 Nh entspricht) aus.
Die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, eine Kombination der arbeitstechnischen
Voraussetzungen als Ursache bandscheibenbedingter Erkrankungen zu werten, stellte
sich bereits im zum Aktenzeichen S XX U 81/04 geführten Klageverfahren. Unter Hinweis
auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.07.2003 – L 7 U 12/02 – wurde eine
Zusammenfassung beider BK’en im Klageverfahren abgelehnt. Das Landessozialgericht
hatte in seinem Urteil am 28.07.2003 noch festgestellt, dass für das kumulative
Zusammenwirken von Belastungen im Rahmen der BK’en nach Nr. 2108 und 2110 zur
Zeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Im entschiedenen Fall
war diese Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich, denn das Gericht sah – das
Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen unterstellt – jedenfalls keinen
ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und
bandscheibenbedingter Erkrankung.
Hier hat der Kläger eine Stellungnahme des Prof. Dr. D vom Institut für Arbeits-, Sozial-
und Umweltmedizin der J Universität M vom 14.06.2005 vorgelegt. Prof. Dr. D konstatiert
darin, „dass sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch entsprechende Erfahrungen
im Bereich der Arbeitsmedizin und weiterer fachärztlicher Bereiche vorliegen, die eine
kumulative Behandlung der jeweiligen Belastungen nicht nur gestatten, sondern aus
Gründen der Gleichbehandlung auch geradezu erfordern.“. Er erwartet, „dass nach
Veröffentlichung der Empfehlungen der interdisziplinären „Konsensgruppe“ nunmehr
auch alle Berufsgenossenschaften diese Vorgehensweise übernehmen werden“.
Inzwischen hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 27.06.2006 – B 2 U 9/05 R
– ausgeführt:
(Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 14/90 - HV-Info 1990, 1906; Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2
U 16/01 R - SGb 2002, 496)
B 2 U 20/04 R
(vgl.
Brandenburg, BG 1993, 791, 794; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
Berufskrankheit, 7. Aufl 2003, 8.3.5.5.3.1, S 570; Dupuis/Hartung, BG 1994, 346, 348;
Schäfer/Hartung, ASUmed 34 <1999>, 143; Dupuis, ASUmed 36 <2001>, 422, 427;
Konsensempfehlungen "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
BKen der LWS", Trauma und Berufskrankheit 3/2005, 211 ff, 1.1.2;
Konietzko/Dupuis/Letzel, Handbuch der Arbeitsmedizin, Abschn IV, 3.5.2, S 5)
(Bekanntmachung vom 1. Juni 2005, BArbBl 7/2005, 43, 44)
(HVBG-Rdschr VB 065/2004 vom 26. Juli 2004)
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Der Kläger leidet jedenfalls auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der
Lendenwirbelsäule. Eine solche haben sowohl im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. E, Dipl.-
Med. C und Dr. M als auch im gerichtlichen Verfahren Dr. B festgestellt. Prof. Dr. E, Dipl.-
Med. C und Dr. M haben in ihrem Gutachten angegeben, dass bei dem Kläger eine
rechtsmediodorsale Bandscheibenprotusion in Höhe L4/L5 sowie eine
Spondylosteochondrose in Höhe LWK 5/SWK 1 mit breitbasiger Bandscheibenprotusion
besteht. Ausweislich des Gutachtens des Dr. B stellt sich der Zustand nach lumbaler
Bandscheibenoperation L5/S1 mit verbleibenden Restbeschwerden als
Gesundheitsschaden dar.
Unter Berücksichtigung aller zur Akte gelangten medizinischen Gutachten kann jedoch
nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Kausalzusammenhang zwischen der
belastenden Tätigkeit und der Erkrankung festgestellt werden, weil den für den
Zusammenhang sprechenden Umständen kein deutliches Übergewicht zukommt.
Das Bestehen einer bandscheibenbedingten Erkrankung und das Vorliegen der so
genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen indiziert keineswegs den notwendigen
Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und aufgetretener Erkrankung.
Für den Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und der
Erkrankung genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit
einer Verursachung. Hinreichend wahrscheinlich ist ein Zusammenhang dann, wenn die
beruflichen Belastungen die wesentliche Ursache der aufgetretenen Erkrankung im
Sinne der im Sozialrecht herrschenden Theorie von der wesentlichen Bedingung
darstellen und mehr für als gegen einen solchen Ursachenzusammenhang spricht
(ständige Rechtssprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 16/00R, SozR
3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.).
Dabei ist nach dem Merkblatt zu der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV zu berücksichtigen,
dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule eine multifaktorielle
Ätiologie haben, weit verbreitet sind und in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und
Berufsgruppen vorkommen. Bei der Kausalitätsbetrachtung sind bandscheibenbedingte
Erkrankungen der Lendenwirbelsäule von konkurrierenden vertebralen und
extravertebralen Ursachen abzugrenzen. Im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung ist eine
Gesamtschau aller möglichen Faktoren anzustellen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 19.03.2009 – L 31 U 454/08).
Dr. B stellte nach dem Ergebnis der gutachterlichen Untersuchung des Klägers am
07.11.2008 und nach neuerlicher konventioneller radiologischer Diagnostik sämtlicher
Wirbelsäulenabschnitte fest, dass eine Wirbelsäulenfehlhaltung und ein generalisierter
Verschleißprozess in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten vorliegt. In der Halswirbelsäule
waren degenerative Veränderungen im unteren Halswirbelsäulenabschnitt sowie eine
Fehlhaltung nicht zu übersehen. Auch im Brustwirbelsäulenabschnitt waren im mittleren
Bereich der Wirbelsäule osteochondrotische Veränderungen nachweisbar. Im Bereich der
Lendenwirbelsäule waren ebenfalls eine Fehlhaltung und ein Zustand nach lumbaler
Bandscheibenoperation mit Verkalkungsfiguren im Bereich des Bandscheibenfaches
L5/S1 zu sichern. Bei dem Kläger liegt ein generalisierter Verschleißprozess an
sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten vor, der sich nicht von cranial nach distal
richtungsweisend zunehmend darstellt. Entsprechend der durchgeführten radiologischen
Untersuchung trug der Kläger auch bei der Untersuchung subjektiv empfundene
Beschwerden im Bereich der gesamten Wirbelsäule vor mit Dominanz des
Lendenwirbelsäulenabschnittes. In diesem Zusammenhang weist Dr. B nachdrücklich
darauf hin, dass psychische Verhaltensfaktoren bei der bei dem Kläger vorliegenden
Symptomatik nicht zu übersehen waren und gegenüber den objektiv festzustellenden
Gesundheitsstörungen dominant erscheinen. So war auch im Rahmen des beim
Sozialgericht Neuruppin unter dem Aktenzeichen S XX RJ 240/04 geführten
Rechtsstreites durch Dr. Z festgestellt worden, dass beim Kläger eine erhebliche
psychogene Überlagerung im Sinne einer chronischen Schmerzkrankheit mit
somatoformer Schmerzstörung und Anpassungsstörung vorliegt. In seinem im
Rechtsstreit zum Aktenzeichen L XX R 1461/06 erstatteten Sachverständigengutachten
beschrieb auch Dr. A eine ausgeprägte Anpassungsstörung mit resignativ-verbitterter
Entwicklung und anhaltender somatoformer Schmerzstörung.
Dr. B weist weiter nachdrücklich darauf hin, dass die bei der Untersuchung vom Kläger
vorgetragenen Lähmungserscheinungen in beiden Beinen weder nach dem Ergebnis der
Untersuchung noch nach Kenntnis der bereits erstellten Sachverständigengutachten von
Dr. A und Dr. Z festzustellen waren. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass der
bei dem Kläger vorliegende allgemeine, durch degenerative Veränderungen der Hals-,
Brust- und Lendenwirbelsäule vorliegende Krankheitsprozess in der Wirbelsäule mit
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Brust- und Lendenwirbelsäule vorliegende Krankheitsprozess in der Wirbelsäule mit
nachweisbaren Osteochondrosen, Spondylosen und Spondylarthrosen und den daraus
resultierenden Funktionsausfällen trotz Nachweis arbeitstechnischer Voraussetzungen
aus medizinischer Sicht nicht geeignet ist, die Annahme einer BK nach Nr. 2108 und
2110 zu begründen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09.02.2009 fasst Dr. B noch einmal
zusammen, was maßgeblich gegen einen Kausalzusammenhang spricht, nämlich dass
bei dem Kläger gleichmäßig über alle Wirbelsäulenabschnitte verteilt degenerative
Veränderungen und eine Fehlhaltung der Wirbelsäule nachweisbar waren.
Die Kammer folgt der Beurteilung durch den Sachverständigen Herrn Dr. B und schließt
sich seinen Ausführungen an. Die Kammer hat keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit
der Feststellungen von Dr. B zu zweifeln. Das Gutachten ist in sich schlüssig,
widerspruchsfrei und nachvollziehbar begründet. Es beruht auf einer eingehenden
ambulanten Untersuchung des Klägers und einer Auswertung des Akteninhaltes. Auch
stehen die Feststellungen in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Prof. Dr. E,
Dipl.-Med. C und Dr. M, deren für die Beklagte erstattetes Gutachten im Wege des
Urkundenbeweises verwertet wird. Die Kammer ist nicht gehindert, ihre Überzeugung
auch auf diese Ausführungen zu stützen.
So wurde im Gutachten von Prof. Dr. E, Dipl.-Med. C und Dr. M vom 13.09.2006 nach
körperlicher und radiologischer Diagnostik festgestellt, dass nach medizinischen
Gesichtspunkten keine morphopathologisch nachweisbaren Korrelate festzustellen sind,
die für eine berufliche Belastung als wesentliche Ursache für die aufgetretenen
Bandscheibenveränderungen und Beschwerden sprechen würden. Insbesondere wurde
ausgeführt: „Abgrenzbare oder richtungsgebende degenerative Veränderungen, die auf
eine berufliche Exposition und über die nicht-exponierte Bevölkerung hinaus
zurückzuführen sind, können nicht objektiviert werden“. Insgesamt wird darauf
hingewiesen, dass das bei dem Kläger vorliegende Lendenwirbelsäulenleiden sich in
gleicher Art und in gleichem Ausmaß in der Weise darstellen würde, wie es auch ohne
spezielle berufliche Situation in der Normalpopulation zustande kommen könnte.
Auch von der medizinischen Fachliteratur wird das Kriterium eines einwirkungskonformen
Krankheitsbildes gefordert (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung, Loseblatt-Kommentar, M 2108, Anmerkung 5.2). Danach
muss der nach dem anzuwendenden BK-Tatbestand mit einer bestimmten Einwirkung
korrespondierende Wirbelsäulenabschnitt besonders betroffen sein. Die
Bandscheibenschäden im beruflich belasteten Abschnitt müssen sich vom
Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte deutlich abheben, wobei in der Regel
ein von oben nach unten in der Ausprägung zunehmender Befund erforderlich ist. Diese
Voraussetzung kann nach oben Gesagtem nicht festgestellt werden.
In der Zusammenschau überwiegen damit die gegen einen Kausalzusammenhang
zwischen der Belastung und dem Schaden sprechenden Argumente, sodass eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht angenommen werden kann.
Auch die weitere zum Tatbestand sowohl der BK Nr. 2108 als auch der BK Nr. 2110
gehörende Voraussetzung, dass der Versicherte jedwede belastende Tätigkeit dauerhaft
aufgegeben haben muss, liegt nicht vor. Der Kläger war erstmals vom 30.06.1999 bis
zum 02.07.1999 wegen eines Lumbagosyndroms krankgeschrieben. Es handelt sich
hierbei um eine sehr kurze, offensichtlich nicht länger behandlungsbedürftige
Arbeitsunfähigkeit. Bis zum Operationszeitpunkt im November 2002 wurde der Kläger
nicht wegen eines lumbalen Krankheitsgeschehens behandlungsbedürftig
krankgeschrieben. Der Kläger hat durchgehend von 1999 bis zum Jahre 2002 Tätigkeiten
als Monteur, Rohrschlosser und Schweißer verrichtet, ohne dass eine krankheitsbedingte
Unterlassung seiner beruflichen Tätigkeit dokumentiert ist, abgesehen von dem kurzen
Zeitraum vom 30.06.1999 bis zum 02.07.1999. Der Kläger trägt zwar vor, „wegen seiner
Krankheit wegen der anhaltenden Rückenschmerzen“ von der R GmbH zum 31.03.2002
gekündigt worden zu sein, jedoch ist dem Kündigungsschreiben vom 28.02.2002 ein
(solcher) Kündigungsgrund nicht zu entnehmen. Die Argumentation des Klägers
verwundert übrigens deshalb, weil der Kläger nach seinem eigenen Vortrag jedenfalls
noch innerhalb der einmonatigen Kündigungsfrist in der Lage war, die belastende
Tätigkeit weiter auszuführen. Richtig ist zwar, dass sich der Kläger ab dem 25.03.2002 in
Behandlung bei Dr. J befunden hat. Aber auch von Dr. J wurde zu diesem Zeitpunkt keine
Arbeitsunfähigkeit wegen der Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule
ausgestellt; dieses erfolgte erstmalig erst ab 21.11.2002. Ab 02.04.2002 bis zum
30.04.2002 bestand eine Arbeitsunfähigkeit allein wegen einer akuten
Belastungsreaktion. Zur Überzeugung der Kammer lässt sich damit zum Zeitpunkt der
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Belastungsreaktion. Zur Überzeugung der Kammer lässt sich damit zum Zeitpunkt der
Beendigung der belastenden Tätigkeit ein Zwang zur Aufgabe derselben nicht
feststellen.
Die dem Ergebnis in der Hauptsache folgende Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.
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