Urteil des SozG Neuruppin vom 24.07.2008

SozG Neuruppin: vorläufiger rechtsschutz, vollstreckung, hauptsache, aussetzung, vollziehung, erlass, entscheidungsbefugnis, verwaltung, gestaltung, rechtsnatur

Sozialgericht Neuruppin
Urteil vom 24.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Neuruppin S 13 AS 743/08
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 20 AS 1664/08 ER
Der Antrag auf Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens auf Aussetzung der Vollstreckung wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 24. Juli 2008 hat das Sozialgericht Neuruppin den Beklagten unter Abänderung der erlassenen
Bescheide verpflichtet bei der Leistungsgewährung des Arbeitslosengeldes II in den Zeiträumen vom 01. Januar 2005
bis 30. Juni 2005 und 01. April 2006 bis 30. September 2007 200,00 EUR mehr pro Monat an die Kläger zu zahlen.
Gleichzeitig mit der dagegen fristgemäß eingelegten Berufung hat der Beklagte gemäß § 199 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil vom 24. Juli 2008 durch einstweilige
Anordnung auszusetzen. Nachdem die Kläger auf Anfrage des Senates mit Schriftsatz vom 09. September 2008
erklärt hatten, aus dem Urteil vom 24. Juli 2008 vor einer Entscheidung des Senates über die Berufung nicht
vollstrecken zu wollen, hat der Beklagte den Antrag mit Schriftsatz vom 25. September 2008 zurückgenommen. Mit
Schriftsatz vom 04. November 2008 beantragten die Kläger, dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des
Anordnungsverfahrens aufzuerlegen. Sie hätten niemals Anlass gegeben, einen Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG zu
stellen. Die Kläger hätten von vornherein keine Chance gehabt, Kosten eines Aussetzungsverfahrens zu verhindern.
Der Beklagte ist der Auffassung, er habe keine Kosten zu erstatten, da die Kläger den Anspruch auf Aussetzung der
Vollstreckung dadurch anerkannt hätten, dass sie mitteilten, keine Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten.
II.
Der Antrag der Kläger ist nicht begründet. Eine Kostenentscheidung bezüglich des Verfahrens über den Antrag des
Beklagten, die Vollstreckung aus dem sozialgerichtlichen Urteil durch einstweilige Anordnung auszusetzen, findet
nicht statt. Der Senat gibt seine entgegenstehende Rechtsprechung auf.
Die Voraussetzungen einer isolierten Kostenentscheidung sind nicht erfüllt (a.A. Bayerisches LSG, Beschluss vom
16. Juli 1996 - L 1 An 90/95, NZS 1996, 592). Das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG stellt ein unselbständiges
Zwischen- oder Nebenverfahren im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens bzw. einer "Streitsache" dar, mit der Folge,
dass es einer gesonderten Kostenentscheidung nicht zugänglich ist (ebenso: Rohwer-Kahlmann, SGG, § 199 Rz. 19;
Zeihe, SGG, § 199 Rz. 11c).
Soweit ersichtlich hat sich einzig das Bayerische LSG in dem o.g. Beschluss aus dem Jahre 1996 in der Sache
umfassend mit der Frage beschäftigt, ob das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG einer isolierten Kostenentscheidung
zugänglich ist. Die Rechtsprechung – auch die des 20. Senats – ist dem in der Regel gefolgt (so auch das BSG in
SozR 3-1500 § 199 Nr 1).
Die Entscheidung des BayLSG knüpfte wiederum an die Rspr. des BSG zu den Grundsätzen einer Kostentscheidung
im Rahmen des durch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17. August 2001 (BGBl. I 2144) aufgehobenen § 97 Abs. 3
SGG an. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 6. September 1993 (NZS 1994, 142ff.) für eine isolierte
Kostenentscheidung gefordert, dass der jeweilige Antrag zu einem Verfahren geführt hat, das unabhängig vom
Verfahren der Hauptsache eigenständig einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch der Beteiligten gegeneinander
auszulösen vermag und eine entsprechende Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG rechtfertigt. Dies hat das BSG für
das Verfahren nach dem aufgehobenen § 97 Abs. 3 Satz 1 SGG bejaht: "Die Verfahren des § 97 Abs. 3 Satz 1 SGG
sind nach ihrem sachlichen Gehalt Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes und zählen damit zu demselben
Regelungsbereich wie die Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in entsprechender Anwendung des §
123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie setzen einen selbständigen Antrag voraus. Beendet werden sie,
von Fällen der anderweitigen Erledigung abgesehen, nur und erst mit einer speziell auf ihren Gegenstand (=
Anordnung der Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung oder Aussetzung einer angeordneten Vollziehung)
bezogenen Entscheidung des Gerichts. Ihre hierin begründete verfahrensrechtliche Eigenständigkeit wird durch § 97
Abs. 3 Satz 2 SGG bestätigt, wonach die verfahrensabschließende Entscheidung nur mit der Entscheidung in der
Hautpsache angefochten werden kann; ".
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann von einer Zugänglichkeit zu einer isolierten Kostenentscheidung bei
einem Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG nicht gesprochen werden.
Das Verfahren nach § 199 Satz 2 SGG hat zum Ziel, die Vollstreckung aus der mit der Berufung oder Beschwerde
angegriffenen erstinstanzlichen Entscheidung vorläufig auszusetzen. Es dient insbesondere nicht, wie § 86b Abs. 2
SGG, der vorläufigen Reglung eines Zustandes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung (Rohwer-Kahlmann, SGG,
§ 199 Rz. 19), die neben die Entscheidung in der Hauptsache tritt. Vielmehr beschränkt sich die Anordnung darauf,
eine von Gesetzes wegen angeordnete Wirkung des Urteils bzw. des Beschlusses – die Vollstreckbarkeit - zunächst
auszusetzen. Das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG entspricht damit strukturell dem § 570 Abs. 3 ZPO, der auch im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbar ist (Sodan/Ziekow, SGG, § 149 Rz. 11f.). Auch im Geltungsbereich der
ZPO wird ausdrücklich zwischen den einstweiligen Verfügungen und den vorläufigen Maßnahmen nach § 570 Abs. 3
ZPO unterschieden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 570 Rz. 5). Nach der std. Rspr. der
Verwaltungsgerichte kann das Beschwerdegericht auf Antrag oder von Amts wegen gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 570
Abs. 3 ZPO die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung aussetzen (OVG Berlin, NVwZ 2001, 1424, 1425;
VGH Mannheim, NVwZ 2000, 691, 692). Kosten dieses Verfahrens werden jedoch als solche des Rechtsstreits in der
Hauptsache angesehen, weshalb diesbezügliche Beschlüsse keine Kostenentscheidung enthalten (vgl.
Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., Rz, 1156).
Entsprechendes hat insbesondere nach der Neuregelung des einstweiligen Rechtsschutzes im SGG durch Einführung
der §§ 86a und 86b SGG im Rahmen des § 199 Abs. 2 SGG zu gelten. Das Rechtsschutzsystem des SGG entspricht
mit der Einführung dieser Vorschriften strukturell dem der VwGO. § 86b SGG bildet die Grundlage selbständiger –
antragsabhängiger - Verfahren, die der vorläufigen Gestaltung eines Rechtszustandes dienen und ist deshalb auch
einer Kostenentscheidung entsprechend § 193 SGG zugänglich. Anders das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG, das
einzig dazu dient, eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung des Berufungs-/Beschwerdegerichts zu treffen und
das auch von Amts wegen eingeleitet werden kann (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rz. 7 a.E.).
Gerade in diesen Fällen werden die Beteiligten allein aufgrund der Entscheidung des Vorsitzenden in ein Verfahren
hineingezogen, dessen Kostenfolge sich letztlich nur daran orientieren kann, wer in der Hauptsache obsiegt (vgl. zu §
707 ZPO: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO § 707 Rz. 19). Das Veranlassungsprinzip als im sozialgerichtlichen
Verfahren grundlegendes Kostenprinzip hilft hier nicht weiter. Den Beklagten, der dem Urteil wegen des
verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch ohne Vollstreckungsmaßnahmen
vorläufig Folge leisten wollte, der Kostenerstattung zu unterwerfen, kommt nicht in Betracht. Aber auch dem Kläger
die Erstattung seiner Kosten zu verweigern, wenn er noch nicht einmal beabsichtigte, vor einer Entscheidung des
LSG zu vollstrecken, ist ebenfalls unbillig.
Dies macht die unterschiedliche Rechtsnatur des Verfahrens nach § 199 Abs. 2 SGG gegenüber den Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG deutlich, bei denen der Kostenentscheidung regelmäßig
Veranlassungsprinzip und die Erfolgsaussichten des jeweiligen (einstweiligen) Verfahrens zugrunde gelegt werden
können.
Bestätigt wird diese Auffassung dadurch, dass auch die entsprechende Entscheidung des "judex a quo" nach § 175
Satz 3 SGG und § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine Kostenentscheidung nicht enthält (vgl. Frehse in Jansen, SGG, §
175 Rz. 6; zur VwGO. Kopp/Schenke, VwGO, § 149 Rz. 5; VG Berlin, NVwZ 1997, 514). Es ist nicht erklärbar, warum
diese bis zur Vorlage des Verfahrens beim Beschwerdegericht mögliche Aussetzungsentscheidung (vgl. dazu
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 175 Rz. 4) mit Eintritt der Entscheidungsbefugnis des
Beschwerdegerichts kostenerstattungsfähig werden sollte.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).