Urteil des SozG Neubrandenburg vom 29.03.2007

SozG Neubrandenburg: gleichbehandlung im unrecht, ddr, zugehörigkeit, industrie, landwirtschaft, reparatur, produktion, republik, direktor, versorgung

Sozialgericht Neubrandenburg
Urteil vom 29.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Neubrandenburg S 10 RA 334/03
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern L 7 R 109/07
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem nach
Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG verpflichtet ist, Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur Altersversorgung der
technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Entgelte festzustellen.
Der 1936 geborene Kläger absolvierte zunächst ein Studium an der Ingenieurschule für Landtechnik B, das er am 25.
Juli 1964 als Ingenieur für Landtechnik abschloss. Er arbeitete sodann in der MTS G und ab 08.11.1965 im
Bezirkskommitee für Landtechnik und materiell-technische Versorgung der Landwirtschaft N. Ab 05.03.1971 war er
zunächst als Abteilungsleiter und später als Direktor beim Kreisbetrieb für Landwirtschaft in A beschäftigt. Am
30.06.1978 wurde er zum Direktor des Kreisbetriebs für Landtechnik W berufen. Schließlich wurde er am 01.04.1982
zum Rat des Kreises W delegiert; vom selben Tage datiert eine Beitragsbestätigung zur freiwilligen zusätzlichen
Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates.
Am 08.01.2002 beantragte er die Überprüfung von Zusatzanwartschaften bei der Beklagten. Mit Bescheid vom
14.08.2003 lehnte die Beklagte die Feststellung von Beschäftigungszeiten als Zeit der Zugehörigkeit zum
Zusatzversorgungssystem der Altersversorgung der technischen Intelligenz unter Bezugnahme auf die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ab, da keine Versorgungszusage erteilt worden sei und keine
Beschäftigung ausgeübt wurde, die dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre.
Hiergegen legte der Kläger fristgerecht am 16.08.2003 Widerspruch ein. Er habe vom 01.07.1964 bis 31.03.1982
ununterbrochen in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Landtechnik gearbeitet. Insbesondere sei die
Maschinen-Ausleih-Station (MAS) als gleichgestellter Betrieb anerkannt. Er habe in einem Betrieb des
landtechnischen Kombinates (KLT) gearbeitet. Aus den MAS sei die MTS und schließlich die Kreisbetriebe für
Landtechnik entstanden. Diese Betriebe hätten neben Betrieben der materiell-technischen Versorgung (mtV) sowie
einem Berufsausbildungskombinat (BAK) das Kombinat gebildet. Vorgänger des KLT sei das Bezirkskommitee für
Landtechnik gewesen. Insgesamt habe es sich um landtechnische Produktionsbetriebe gehandelt. Der Kläger kenne
zudem mehrere frühere Kollegen, für die die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz
durch die Beklagte anerkannt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger
habe in der Zeit vom 01.07.1964 bis 31.03.1982 in einer MTS, dem Bezirkskommitee für Landtechnik und in
Kreisbetrieben für Landtechnik gearbeitet. Diese Betriebe seien weder volkseigene Produktionsbetriebe (Industrie oder
Bau), noch solchen im Sinne von § 1 Abs. 2 der zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die
zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz vom 24.05.1951 gleichgestellt.
Mit seiner am 02.11.2003 beim Sozialgericht Neubrandenburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter
verfolgt und zur Begründung unter anderem vorgebracht, die MAS hätten nur 2 bis 3 Jahre bestanden und bei
gleichbleibender Struktur nur den Namen geändert. Zudem seien die KfL unter den Registernummern 15489 (KfL W)
und 15510 (KfL A) geführt worden. Hiernach seien sie als volkseigene Produktionsbetriebe, nämlich als Reparatur-
und Montagebetriebe, Straßenfahrzeug- und Traktorenbau (15489) bzw. Landmaschinenbau, Herstellung von
Maschinen und Baugruppen sowie Einzelteilen und Ersatzteilen (15510) einzuordnen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 aufzuheben
und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit seiner Beschäftigung vom 01.07.1964 bis 31.08.1982 als Zeit der
Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) nebst den
entsprechenden Arbeitsentgelten festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Weder die MTS noch das Bezirkskommitee für Landtechnik oder die Kreisbetriebe für Landtechnik A. und W. seien
Produktionsbetriebe oder diesen gleichgestellte Betriebe im versorgungsrechtlichen Sinne gewesen. Für die Zeit vor
dem 01.03.1971 berücksichtige der Rentenversicherungsträger ohnehin den tatsächlich bezogenen Verdienst als
sogenannte Überentgelte gemäß § 256 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Zusatzversorgungsträger
würde hier keine höheren Entgelte feststellen. Insoweit entstünde für den Kläger bis zum 28.02.1971 kein Nachteil.
Bei dem KfL W. und A. habe es sich um Instandhaltungsbetriebe gehandelt. Beide seien in die entsprechende
Wirtschaftsgruppe 15489 eingetragen worden. Der KfL A. sei erst am 01.01.1985 in die Gruppe 15510
(Landmaschinenbau) umgetragen worden; diese Zeit sei nicht streitgegenständlich. Mit Blick auf etwaig einbezogene
Kollegen weist die Beklagte darauf hin, dass es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze verwiesen, § 136 Abs. 2 SGG, sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 14.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2003 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Beschäftigungszeiten vom 01. Juli 1964 bis zum 31. August
1982 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz nebst den erzielten Verdiensten.
MTS und Bezirkskommitee für Landtechnik waren keine volkseigenen Betriebe. Auch die volkseigenen Kreisbetriebe
für Landtechnik A. und W. waren dies, jedenfalls zur Zeit der Beschäftigung des Klägers dort, nicht. Entgegen der
Ansicht des Klägers reicht es nach der Regelung des Versorgungssystems der AVItech nicht aus, dass der
Betroffene in irgend einem volkseigenen Betrieb gearbeitet hat, es muss sich vielmehr um einen volkseigenen
Produktionsbetrieb (Industrie oder Bauwesen) gehandelt haben (BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R;
Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 41/01 R). Wie sich aus § 5 VO-AVItech und § 1 der 1. Durchführungsbestimmung
zur VO-AVItech (1. DB) vom 26. September 1950 (GBl. S. 1043) ableiten lässt, sind volkseigene Produktionsbetriebe
im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB nur die VEB, die organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der DDR
Planwirtschaft zugeordnet waren, deren Hauptzweck auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw.
Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen ist (BSG, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA
5/02 R). Der Begriff des Produktionsbetriebes erfasst damit nur solche Betriebe, die Sachgüter im Hauptzweck
industriell neu gefertigt haben. Dieses war weder beim VEB KfL W. noch beim VEB KfL A. zur Zeit der Beschäftigung
des Klägers der Fall. Vielmehr handelt es sich hier vornehmlich um Instandhaltungsbetriebe im Bereich der
Landwirtschaft.
Die Kammer stützt ihre Überzeugung dabei maßgeblich auf die Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR
(SVWZ).
Die SVWZ war die verbindliche Systematik für die Planung und statistische Abrechnung nach Wirtschaftsbereichen
und -zweigen. Die Zuordnung der selbständigen wirtschaftlichen Einheiten - Betriebe, Einrichtungen, Organisationen u.
a. - erfolgte dort unabhängig von der Unterstellung unter ein staats- oder wirtschaftsleitendes Organ und der
sozialökonomischen Struktur nach wirtschaftssystematischen Gruppierungsstufen entsprechend dem Schwerpunkt
der Produktion bzw. Leistung oder dem Hauptzweck der Einrichtung (vgl. Wolfgang Fritz: Kleines Lexikon der
amtlichen Erwerbstätigenstatistik in der DDR, HSR-TRANS 2 (2000) Version 15-01-2000, veröffentlicht unter
http://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/volume2.htm, Stichwort "Systematik der Volkswirtschaftszweige"; Systematik der
Volkswirtschaftszweige der Deutschen Demokratischen Republik, Ausgabe 1985, herausgegeben vom Ministerrat der
Deutschen Demokratischen Republik, Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, Seiten 3, 4). Die SVWZ war eine
dekadisch geschlüsselte fünfstellige Systematik, die vier Gruppierungsstufen aufwies. Mit der ersten Stufe wurde die
Volkswirtschaft der DDR in neun Wirtschaftsbereiche gegliedert:
1 Industrie
2 Bauwirtschaft
3 Land- und Forstwirtschaft
4 Verkehr, Post- und Fernmeldewesen
5 Handel
6 sonstige Zweige des produzierenden Bereichs
7 Wohnungs- und Kommunalwirtschaft, Vermittlungs-, Werbe-, Beratungs- und andere Büros, Geld- und Kreditwesen
8 Wissenschaft, Bildung, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen
9 staatliche Verwaltung, gesellschaftliche Organisationen.
Die weiteren Stufen bezeichneten die Untergliederungen in Wirtschaftssektor, Wirtschaftszweig und
Wirtschaftsgruppe, wobei die Wirtschaftsgruppe jeweils nach dem Betriebsinhalt konkret definiert war. Eine Änderung
der Zuordnung zu den Wirtschaftsgruppen-Nummern durfte nur erfolgen, wenn die Hauptproduktion des Betriebes
grundsätzlich umgestellt wurde (vgl. SVWZ 1985 Seite 4).
Nach Überzeugung der Kammer gab es in der DDR auch eine entsprechende Verwaltungspraxis, wie gerade das
Beispiel der KfL zeigt. Diese waren nämlich zum Teil der Wirtschaftsgruppe 15489, zum Teil aber auch der
Wirtschaftsgruppe 15510 zugeordnet. Diese unterschiedliche Zuordnung entspricht der Entwicklung der KfL in der
DDR, welche zunächst als Reparatur- und Instandhaltungs-/-setzungsbetriebe für den Bereich der Landwirtschaft
gegründet und entsprechend der Wirtschaftsgruppe 15489 (Reparatur- und Montagebetriebe des Straßenfahrzeug- und
Traktorenbaus) zugeordnet worden waren. Im Laufe der Zeit sind dann, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung
auch geschildert hat, zu den überwiegenden Instandsetzungsaufgaben Produktionsaufgaben hinzugekommen, was
jedoch nur bei einzelnen Betrieben eine völlige Umstrukturierung zur Folge hatte. Dem entspricht es, dass 1990 einige
Betriebe nunmehr der Wirtschaftsgruppe 15510 (Landmaschinenbau) zugeordnet waren (vgl. LSG Mecklenburg-
Vorpommern L 7 R 377/05, Urteil vom 24. Januar 2007 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Kammer misst daher der
Einordnung eines Betriebes in die SVWZ eine erhebliche Indizwirkung für den tatsächlichen Hauptzweck dieses
Betriebes bei (vgl. auch S 10 RA 188/03 SG Neubrandenburg, Urteil vom 07.12.2006) und gelangte so zu der
Überzeugung, dass es sich weder bei dem VEB KfL W. noch bei dem VEB KfL A. (während der Zeit der dortigen
Tätigkeit des Klägers) um volkseigene Produktionsbetriebe im Sinne der AVItech handelte.
Zudem handelt es sich bei den Beschäftigungsbetrieben des Klägers nicht um solche, die einem volkseigenen
Produktionsbetrieb (der Industrie und des Bauwesens) durch § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung
gleichgestellt gewesen wären. Die in dieser Vorschrift aufgelisteten Einrichtungen nennen weder ein Bezirkskommitee,
noch ein KfL oder eine MTS. Zwar waren MTS und KfL - wenn auch nicht rechtlich - insoweit Nachfolgebetriebe der
MAS, als in der DDR zunächst Anfang 1953 auf der Grundlage eines Ministerratsbeschlusses vom 19. Dezember
1952 damit begonnen wurde, die MAS in die MTS umzuwandeln. Ab 1959 wurden die MTS dann im Zuge der
Übergabe der landwirtschaftlichen Technik an die entstandenen LPG zum Teil in RTS umgewandelt. In Umsetzung
eines weiteren Beschlusses des Ministerrates vom 30. Januar 1964 entstanden dann aus den MTS/RTS die KfL. Eine
Auslegung der abstrakt-generellen Regelung des Versorgungsrechts hat sich aber strikt am Wortlaut zu orientieren.
Den Fachgerichten ist es versagt, im Wege einer Gesetzes- bzw. Rechtsanalogie weitere Betriebe oder Einrichtungen
den in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten gleichzustellen. Ein solches Analogieverbot ergibt sich zwangsläufig aus dem
Verbot der Neueinbeziehung (LSG M-V a.a.O. m.w.N.). Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der
Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung des Versorgungssystems in der DDR anknüpfen (BSG, B 4 RA 41/05
R, Urteil vom 07.09.2006).
Der Umstand, dass es bereits ab den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts keine MAS mehr gab, hat auch
nicht zur Folge, dass an ihre Stelle nunmehr die KfL als am 30. Juni 1990 gleichgestellte Betriebe getreten wären,
sondern dass die Gleichstellungsnorm am 30. Juni 1990 in Bezug auf MAS gegenstandslos geworden ist (vgl. zum
ähnlichen Fall der Konstruktionsbüros: BSG, Urteil vom 07. September 2006, B 4 RA 41/05 R).
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass ihm bekannte ehemalige Kollegen desselben Betriebes mit derselben
Ausbildung und Tätigkeit durch die Beklagte positiv beschieden worden seien, ergibt sich hieraus kein Anspruch für
den Kläger auf Überführung von Versorgungsanwartschaften. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1
Grundgesetz erstreckt sich nicht auf eine Gleichbehandlung im Unrecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.