Urteil des SozG Münster vom 19.07.2006

SozG Münster: einkommen aus erwerbstätigkeit, verordnung, einkünfte, anteil, verfügung, rückzahlung, begriff, sozialleistung, pauschal, rechtskraft

Sozialgericht Münster, S 3 AS 44/06
Datum:
19.07.2006
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 AS 44/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 29.03.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 07.03.2006 wird aufgehoben, soweit die
Bewilligung des Arbeitslosengeldes II für März bis Mai 2005 für mehr als
424,19 Euro aufgehoben wurde und der entsprechende Betrag erstattet
verlangt wurde. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat
die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1/20 zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger und die Klägerin wenden sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von
Leistungen zur Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II – ALG II)
ab 01.03.2005, die Erstattung für März bis Juni 2005 und sie wenden sich gegen die
Ablehnung der Leistung ab Juli 2005.
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Der Beklagte hatte ihnen für Januar bis Juni 2005 Leistungen in Höhe von 541,32 Euro
bewilligt. Er war von einem Bedarf von 1094,65 Euro ausgegangen und rechnete von
dem Einkommen der Klägerin 553,33 Euro an.
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Am 18.03.2005 erhielten sie 5090,35 Euro als Steuererstattung für das Jahr 2004 auf ihr
Konto vom Finanzamt überwiesen. Der Kläger gab an, dass er davon 4000 Euro
abgehoben habe, um private Schulden bei seiner Schwester abzuzahlen. Sie habe ihm
nach einem Unfall vor zwei Jahren diesen Betrag geliehen, damit er sich ein neues Auto
kaufen konnte. Vom Restbetrag habe er sein Konto ausgeglichen.
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Durch Bescheid vom 29.03.2005 hob der Beklagte die Bewilligung der Leistung mit
Wirkung zum 01.03.2005 auf. Er berief sich auf § 48 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch 10.
Buch (SGB X). Die zuviel erbrachte Leistung in Höhe von 1082,64 Euro forderte er
zurück. Aufgrund der Steuererstattung sei es offensichtlich, dass sie den
Lebensunterhalt bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes selbst sicherstellen
konnten. Durch Bescheid vom 22.07.2005 lehnte der Beklagte die Leistung ab Juli 2005
ab. Aufgrund der gezahlten Steuererstattung sei es ihm möglich, den Bedarf zumindest
in den nächsten 786 Tagen aus eigenen Kräften und Mitteln sicherzustellen.
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Gegen beide Bescheide wurde Widerspruch eingelegt. Es wurde wiederum
vorgetragen, dass das Geld dem Kläger und der Klägerin nicht zur Verfügung stand, da
damit Schulden beglichen worden seien. Im übrigen würde die Leistungsbewilligung zur
Befreiung von vielen Zahlungsverpflichtungen führen, wie zur Zahlung der
Rundfunkgebühren, Zahlung der Hundesteuer, der Praxisgebühr und der
Arzneimittelzuzahlungen. Auch wäre eine Reduzierung der Telefongrundgebühren
damit verbunden. Es ist eine Bestätigung von I. L. vom 19.03.2005 übersandt worden,
worin diese bestätigt, dass sie am 19.03.2005 vom Kläger 4000 Euro als Rückzahlung
für ein Darlehen erhalten habe.
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Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006
zurück. Er führte zur Begründung aus, dass die Steuererstattung Einkommen gemäß §
11 Abs. 1 SGB II sei. Bei der Steuererstattung handele es sich um eine einmalige
Einnahme. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 der ALG II – Verordnung seien einmalige
Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Nach Satz 2 dieser
Vorschrift sollten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zahl von
ganzen Tagen nicht erbracht werden, die sich unter Berücksichtigung der monatlichen
Einnahmen nach Abzug von Freibeträgen und Absetzbeträgen bei Teilung der
Gesamteinnahmen durch den ermittelten täglichen Bedarf einschließlich der zu
zahlenden Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der Kranken- und
Pflegeversicherung ergeben. Bei der Steuererstattung handele es sich um eine solche
einmalige Einnahme. Nach der sogenannten Zuflusstheorie seien Einkommen alle
Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und andere Leistungen, die jemand in
der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte, was sein Geld oder seine Geldwertmittel
vermehrt. Demnach sei die Steuererstattung als Zufluss in der Bedarfszeit des Monats
März 2005 Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II. Der Umfang der vom
Einkommen absetzbaren Kosten und Ausgaben sei in der abschließenden Aufzählung
in § 11 Abs. 2 SGB II i. V. mit den in § 3 der ALG II – Verordnung bestimmten
Pauschbeträgen und Absetzungsbeträgen normiert. Andere als die in diesen
Bestimmungen ausdrücklich geregelten Abzüge seien wegen des auschließlichen
Charakters der Norm nicht zulässig. Insbesondere seien Ausgaben, die zur Begleichung
von Schulden erfolgen, nicht absetzbar. Es widerspreche dem Gedanken einer
steuerfinanzierten Sozialleistung, wenn ein zur Verfügung stehendes Einkommen zur
Schuldentilgung verwandt werde und hierdurch die Allgemeinheit verpflichtet wäre,
laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren.
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Da die Steuererstattung nach Bewilligung der Leistung gezahlt worden sei, handele es
sich um eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.
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Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung wird vorgetragen, dass die
Steuererstattung lediglich in dem Monat der Zahlung als Einkommen angesehen
werden könne, in den Monaten danach sei es als Vermögen zu bewerten. Im
vorliegenden Fall könne sie jedoch überhaupt nicht berücksichtigt werden, da sie in
voller Höhe zur Rückzahlung eines fälligen Darlehens verwandt werden mußte. Im
übrigen betrage der Anteil der Kosten für Warmwasseraufbereitung nicht lediglich 18 %
wie vom Beklagten angenommen, sondern tatsächlich 28,85 %.
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Der Kläger und die Klägerin beantragen,
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den Bescheid vom 29.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
07.03.2006 aufzuheben und den Bescheid vom 22.07.2005 in der Fassung des
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Widerspruchsbescheides vom 07.03.2006 aufzuheben und den Beklagten zu
verurteilen, ihnen ab 01.07.2005 Leistungen in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
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Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Streit- und der
Leistungsakte des Beklagten (Nr. der Bedarfsgemeinschaft: XXXXX), die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Insoweit sind der Kläger und die Klägerin
durch die angefochtenen Bescheide beschwert.
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Dem Beklagten ist insoweit Recht zu geben, als in den Verhältnisses des Klägers und
der Klägerin seit Bewilligung der Leistung eine Änderung in den Verhältnissen
eingetreten ist, als am 18.03.2005 5090,35 Euro als Steuererstattung vom Finanzamt
überwiesen wurden. Hierbei handelt es sich um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.
Insoweit folgt das Gericht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum §
76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Danach ist Einkommen alles das, was
jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er in der
Bedarfszeit bereits hat. Gemäß § 11 SGB II gehören nämlich alle Einkünfte in Geld oder
Geldeswert zum Einkommen. Das heißt, dass als Einkommen alle eingehenden
Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und andere Leistungen gehören. Es
ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Leistungen zur
Grundsicherung nach dem SGB II bei dem Begriff des Einkommens an etwas anderes
gedacht hat als früher im Rahmen des BSHG.
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Von diesem Einkommen sind auch keine Schulden abzuziehen. Schulden können
lediglich Vermögen, aber nicht Einkommen mindern. Eine andere Betrachtungsweise
würde dazu führen, dass die Allgemeinheit als Steuerzahler zur Schuldentilgung
beitragen müsste. Einkünfte sind aber in erster Linie dazu da, den Lebensbedarf zu
decken. Im Rahmen des SGB II ist das Einkommen hierfür vorrangig zu verwenden.
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Die Kammer folgt jedoch nicht der Auffassung des Beklagten, dass die Berechnung
gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 der ALG II – Verordnung in der Fassung vom 20.10.2004
erfolgen muss. Sie ist der Auffassung, dass eine Steuererstattung auf einen
angemessenen Zeitraum aufgeteilt werden muss. Da sich die Steuererstattung auf ein
Jahr bezog, ist es entgegen dem Wortlaut der Verordnung nicht angemessen, den
Betrag auf eine tägliche Leistung umzurechnen. Insofern ist die Verordnung zu pauschal
und berücksichtigt die unterschiedlichen Möglichkeiten von Einkünften nicht. Das
Gericht hält es deshalb für angemessen, die Steuererstattung auch auf ein Jahr zu
verteilen und den entsprechenden Monatsbetrag als Einkommen zu berücksichtigen.
Das sind monatlich 424,19 Euro.
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Darüber hinaus ist die Klage abzuweisen. Abgesehen davon, dass der Beklagte die
Kosten für Unterkunft und Heizung durch bindenden Bescheid vom 08.12.2004
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unbeanstandet der Berechnung zugrundegelegt hat, ist auch nicht ersichtlich, inwiefern
es für den Kläger und die Klägerin günstiger sein soll und zu höheren Leistungen führen
könnte, wenn statt der üblichen 18 % 28 % als Anteil für die Bereitung des
Warmwassers an den Heizkosten berücksichtigt würde. Im Gegenteilt würde dies zu
geringeren Heizkosten führen.
Da die Klägerin ab 01.07. aufgrund der Änderung der Steuerklasse ein höheres
Einkommen erzielt hat, besteht ab Juli 2005 ein Anspruch auf Leistungen nicht mehr,
berücksichtigt man das Einkommen aus Erwerbstätigkeit und die zu berücksichtigende
Steuererstattung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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