Urteil des SozG Münster vom 19.01.2010

SozG Münster (aufschiebende wirkung, wirkung, ärztliche anordnung, anordnung, faires verfahren, pflege, prüfung, stellungnahme, sgg, antrag)

Sozialgericht Münster, S 6 P 201/09 ER
Datum:
19.01.2010
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 6 P 201/09 ER
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 02. Dezember
2009 gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 26. Oktober 2009
wird angeordnet. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
I.
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Die Antragstellerin - Trägerin einer Pflegeeinrichtung - begehrt im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage
gegen einen Maßnahmebescheid der Antragsgegner nach einer erfolgten
Qualitätsprüfung.
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Am 28. Juli 2009 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-
Lippe (MDK) in dem Pflegeheim der Antragstellerin eine Qualitätsprüfung
(Regelprüfung) gemäß den §§ 114 ff des Sozialgesetzbuchs - Elftes Buch - (SGB XI)
durch.
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In der zusammenfassenden Beurteilung des Prüfberichts vom 28. Juli 2009 heißt es
einleitend, dass die Heim- und Pflegedienstleitung an der Prüfung wegen Urlaubs nicht
habe teilnehmen können. In der Einrichtung seien derzeit 49 vollstationäre Pflegeplätze
belegt. Die häuslichen Gegebenenheiten entsprächen nicht mehr den aktuellen
Anforderungen. Deshalb entstehe zur Zeit gegenüber der Einrichtung einer neuer
Geländekomplex. Der pflegerische Umgang der Mitarbeiter mit den Bewohnern sei als
sehr umsichtig empfunden worden. Untersuchungen von fünf per Zufallsstichprobe
ausgewählter Bewohner hätten ergeben, dass der Pflegezustand im Bereich der
Körperpflege in einem Fall sehr gut, im Übrigen nicht ganz befriedigend gewesen sei.
Die individuelle Planung und Umsetzung des Pflegeprozesses sei den
Pflegedokumentationen nicht im erforderlichen Maße zu entnehmen. Vor allen Dingen
im Bereich der Kontrakturgefahr und bei bereits bestehenden Kontrakturen erfolge keine
systematische Risikoerfassung. Die Durchführung erforderlicher Maßnahmen sei
anhand der Pflegedokumentation nicht erkennbar. Die behandlungspflegerischen
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Leistungen würden von der Einrichtung überwiegend korrekt durchgeführt. Lediglich bei
einem Bewohner wäre die Kompressionswickel nicht fachgerecht angelegt worden.
Eine ärztliche Anordnung sei immer vorhanden. Die Kommunikation mit dem Arzt sei
überwiegend ersichtlich. Die Durchführung entspreche immer der ärztlichen Anordnung.
Die verordneten Medikamente seien nicht immer korrekt dokumentiert. Der Umgang mit
Medikamenten sei nicht sach- und fachgerecht. Im Rahmen der Qualitätsprüfung habe
ein sachgerechter Umgang bei den auf den Pflegebedürftigen bezogenen Aspekten
nicht in ausreichendem Umfang festgestellt werden können. Dies gelte insbesondere in
den Bereichen Mobilität mit Sturzrisiko und Dekubitusgefahr, Ernährung und
Flüssigkeitsversorgung, Urininkontinenz, Demenz sowie Körperpflege. Meist seien
diese Aspekte unzureichend in den Pflegedokumentationen dargestellt. Dem Prüfbericht
integriert ist ein ausführlicher Katalog von Empfehlungen zur Beseitigung von
Qualitätsdefiziten (S. 13 - 18 des Berichts). Als Frist zur Umsetzung der aufgeführten
Maßnahmen wurde überwiegend "ab sofort", teilweise bis Ende Oktober, Ende
November oder Ende Dezember 2009 angegeben.
Mit Schreiben vom 10. August 2009 übersandten die Antragsgegner der Antragstellerin
den Prüfbericht. Zugleich teilten sie ihre Absicht mit, einen Bescheid zu erteilen, mit dem
die Antragstellerin aufgefordert werden würde, die festgestellten Mängel binnen
angemessener Frist zu beseitigen. Der Bescheid werde sich an den im Prüfbericht auf
den Seiten 13 - 18 aufgelisteten Mängeln orientieren. Zur Abgabe einer Stellungnahme
wurde eine Frist bis zum 14. September 2009 eingeräumt.
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In einer ausführlichen, eingehenden Stellungnahme vom 11. September 2009 hat die
Heim- und Pflegedienstleitung der Antragstellerin den im Prüfbericht dargelegten
Qualitätsmängeln widersprochen. Die Feststellungen der Prüfer seien weitgehend
unzutreffend. In einigen wenigen Punkten - etwa bei der systematischen Begleitung in
der Eingewöhnungsphase oder bei dem Erfordernis eines Konzepts zur
Sterbebegleitung - wurde eine Nachbesserung zugesagt. Der Stellungnahme beigefügt
war u.a. ein Bericht über eine unangekündigte Stichprobenprüfung der kommunalen
Heimaufsicht vom 29. Juni 2009, der - nahezu - keine Beanstandungen enthält. In dem
Bericht heißt es zusammenfassend, dass ein "positiver Eindruck" gewonnen werden
konnte.
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Unter dem 26. Oktober 2009 erteilten die Antragsgegner sodann einen Bescheid über
die von der Antragstellerin zu treffenden Maßnahmen zur Beseitigung von
Qualitätsdefiziten. Vor der Auflistung der Maßnahmen führten die Antragsgegner aus,
dass zwischenzeitlich begonnene, erledigte oder nachgewiesene Maßnahmen in
diesem Bescheid teilweise dennoch aufgeführt würden. Hierdurch werde dokumentiert,
dass die auferlegten Maßnahmen eine Dauerwirkung hätten und permanent erfüllt sein
müssten. Anschließend stellten die Antragsgegner fest, dass die Pflege nach dem
Prinzip der Bezugspflege organisiert und durchgeführt werden müsse. Die
Personaleinsatzplanung habe sich daher am Versorgungs- und Pflegebedarf der
Bewohner zu orientieren, wobei eine personelle Kontinuität in der pflegerischen
Versorgung und sozialen Betreuung zu gewährleisten sei. Beim Einsatz von
Pflegehilfskräften sei nachweislich sicherzustellen, dass Pflegefachkräfte die fachliche
Überprüfung des Pflegebedarfs, die Anleitung der Hilfskräfte und Kontrolle der
geleisteten Arbeit gewährleisteten. Im Rahmen des Qualitätsmanagements seien die für
die stationäre Pflege relevanten Aussagen der Expertenstandards des DNQP zu
berücksichtigen. Der Expertenstandard "Förderung der Kontinenz" sei - sofern noch
nicht geschehen - zu implementieren und anzuwenden. Die Dienstplanung sei
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bewohnerorientiert nach den Notwendigkeiten einer ausreichenden und zweckmäßigen
Pflege von der verantwortlichen Pflegefachkraft vorzunehmen. Die Koordination mit
anderen an der Versorgung beteiligten Beschäftigten der Einrichtung sei vom Träger der
Einrichtung sicherzustellen. Dazu gehöre ein regelmäßiger Informationsaustausch -
auch professionsübergreifend - in Form von Dienstbesprechungen. Zu den elementaren
Bedürfnissen der Bewohner gehöre u. a. die soziale Betreuung. Das Angebot müsse
ausreichend sein. Für Bewohner mit vollständiger Immobilität und Bewohner mit
geronto-psychiatrischen Beeinträchtigungen müsse ein nahezu tägliches Angebot zur
Tagesstrukturierung erfolgen. Die Antragstellerin habe ein geeignetes
Pflegedokumentationssystem vorzuhalten. Die Pflegedokumentation sei sachgerecht
und kontinuierlich zu führen. Aus den Unterlagen der Pflegedokumentation müsse
jederzeit der aktuelle Verlauf und Stand des Pflegeprozesses ablesbar sein. Bei
Neuaufnahmen sei ab sofort gesetzes- und vertragskonform zu dokumentieren. Die
vorhandenen Dokumentationen seien sukzessiv zu vervollständigen. Ferner stellten die
Antragsgegner fest, dass die Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem jeweils
aktuellen Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse auch die Beachtung der
Hinweise auf den Seiten 14 - 18 des Prüfberichts impliziere. Ab sofort seien sämtliche
Pflegeleistungen adäquat zu erbringen. Die Erledigung der einzelnen Maßnahmen sei
fristgerecht nachzuweisen. Bis zum 28. Februar 2010 sei zu bestätigen, dass auch die
Auflagen ohne Fristsetzung erfüllt worden seien. Würden die festgestellten Mängel nicht
fristgerecht beseitigt, könnten die Antragsgegner den Versorgungsvertrag kündigen.
Auch könnten die vereinbarten Pflegevergütungen gekürzt werden, sofern die
Pflegeeinrichtung ihre gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen zu einer
qualitätsgerechten Leistungserbringung nicht einhielte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 25. November 2009 beim Sozialgericht
Münster (Az.: S 6 P 193/09) erhobene Klage der Antragstellerin.
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Mit ihrem Antrag vom 02. Dezember 2009 begehrt die Antragstellerin im Wege des
vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer
Anfechtungsklage. Mit einem weiteren Antrag vom 02. Dezember 2009 begehrt die
Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern
vorläufig untersagt werden soll, einen auf dem Prüfbericht beruhenden
Transparenzbericht im Internet zu veröffentlichen. Dieses Verfahren wird unter dem
Aktenzeichen S 6 P 202/09 ER geführt.
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Zur Begründung des hier streitigen Antrags auf Herstellung der aufschiebenden
Wirkung der Klage verweist die Antragstellerin auf ihre eingehende
Klagebegründungsschrift vom 02. Dezember 2009 im Hauptsacheverfahren. Der
angefochtene Bescheid sei in formeller, aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht
rechtswidrig. Bereits die der Qualitätsprüfung zugrundeliegenden Richtlinien seien
rechtswidrig, weil nicht alle der in § 114 a Abs. 7 Satz 2 SGB XI aufgeführten Verbände
bei der Beschlussfassung beteiligt worden seien. Die Antragstellerin sei nicht
ordnungsgemäß angehört worden. Die Antragsgegner hätten ihr Auswahlermessen
nicht ausgeübt. Die der Antragstellerin auferlegten Maßnahmen seien zu unbestimmt.
Die festgestellten Mängel lägen weitgehend nicht vor. Sollten die Antragsgegner auf der
Grundlage des Prüfberichts und des angefochtenen Bescheides einen
Transparenzbericht veröffentlichen, drohte der Antragstellerin ein erheblicher
Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Pflegeheimen. Zudem könnten, sofern die
aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet würde, die Antragsgegner unter
Umständen den Versorgungsvertrag kündigen oder die Pflegevergütungen kürzen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 25. November 2009 gegen den
Bescheid der Antragsgegner vom 26. Oktober 2009 anzuordnen.
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Die Antragsgegner beantragen,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie vertreten die Auffassung, den formellen und materiellen Einwendungen der
Antragstellerin könnten im Rahmen der im einstweiligen Anordnungsverfahren
gebotenen summarischen Prüfung nicht gefolgt werden. Der Bescheid sei formell
rechtmäßig zustande gekommen. Insbesondere sei die Antragstellerin ordnungsgemäß
angehört worden. Im Rahmen einer Nachbesprechung am 20. Oktober 2009 sei der
Maßnahmenkatalog des MDK detailliert besprochen und konsensual abgestimmt
worden. Dass die Pflegeeinrichtungen die von ihr abverlangten Maßnahmen vornehmen
müssten, auch wenn Klage eingereicht worden sei, entspreche der Intention des
Gesetzgebers. Die Qualität der Pflege in den Pflegeeinrichtungen habe eine sehr große
Bedeutung. Die zeitnahe Beseitigung von Mängeln sei erforderlich. Die
Pflegeeinrichtungen hätten im Übrigen auch die Möglichkeit, Wiederholungsprüfungen
zu beantragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten einschließlich der Streitakten S 6 P 202/09 ER und S 6 P 193/09 sowie
auf die Verwaltungsakten der Antragsgegner Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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Die Statthaftigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage
folgt aus § 86 a Abs. 2 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 86 b
Abs. 1 Nr. 2 SGG. Bei dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegner vom 26.
Oktober 2009 handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den nach der gemäß §
115 Abs. 2 Satz 3 SGB XI entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 73 Abs. 2 SGB
XI der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ohne Durchführung eines Vorverfahrens
gegeben ist. § 73 Abs. 2 Satz 2,2. Halbsatz SGB XI bestimmt ausdrücklich, dass die
Klage keine aufschiebende Wirkung hat.
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Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in
den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die hiernach zu treffende
Entscheidung erfolgt aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private
Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche
Interesse an einer zeitnahen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Ein wichtiges
Kriterium dieser Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in dem
Hauptsacheverfahren, d. h. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden
Verwaltungsakts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 86
b Rdnr. 12 e).
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Bei dieser Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass in einem Falle einer
gesetzlichen Sofortvollziehungsanordnung - wie er hier vorliegt - besondere Umstände
vorliegen müssen, um von einer gesetzlichen Anordnung des Vollziehungsinteresses
abzuweichen. Deshalb dürften lediglich geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache
regelmäßig bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug nicht für eine
Anordnung der aufschiebenden Wirkung genügen.
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Die nach diesem Maßstab zu treffende Abwägungsentscheidung fällt zu Gunsten der
Antragstellerin aus, weil sie ein großes Aussetzungsinteresse hat und nach der im
einweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und
Rechtslage der Klage im Hauptsacheverfahren große Erfolgsaussichten beizumessen
sind.
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Das Ausmaß der Intensität der der Antragstellerin drohenden Rechtsverletzung ist
erheblich. Mit dem angefochtenen Bescheid haben die Antragsgegner der
Antragstellerin für den Fall, dass die festgestellten Mängel nicht fristgemäß beseitigt
würden, bereits die Kürzung der vereinbarten Pflegevergütungen und die Kündigung
des Versorgungsvertrages angedroht.
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Des Weiteren spricht nach Auffassung der Kammer sehr viel dafür, dass der Bescheid
vom 26. Oktober 2009 rechtswidrig ist. Dabei kann dahinstehen, ob die von der
Antragstellerin gerügte unzureichende Beteiligung der Träger- und Berufsverbände bei
der Verabschiedung der der Qualitätsprüfung zugrundeliegenden Richtlinien die
Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides zur Folge haben kann. Unerörtert
bleiben kann auch, ob die Rechtswidrigkeit aufgrund einer möglicherweise
unzureichenden Anhörung der Antragstellerin vor Erteilung des Bescheides
anzunehmen ist. Insoweit ist immerhin hervorzuheben, dass in § 115 Abs. 2 Satz 1 SGB
XI die bereits allgemein aus § 24 SGB X folgende Anhörungspflicht besonders geregelt
worden ist. Dementsprechend sind nach Klie (Lehr- und Praxiskommentar, SGB XI, 3.
Aufl. 2009, Rdnr. 6 zu § 115) vor Erteilung eines Bescheides in einer Anhörung mit dem
Einrichtungsträger die Maßnahmen zu beraten, die in sinnvoller Weise zur Abstellung
der festgestellten Mängel getroffen werden könnten. Unentschieden mag auch bleiben,
ob die Rechtswidrigkeit daraus folgt, dass die Antragsgegner ihr durch § 115 Abs. 2
Satz 1 SGB XI eingeräumtes Auswahlermessen nicht erkennbar ausgeübt haben.
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Die größten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides folgen nach
Auffassung der Kammer vielmehr daraus, dass die Antragsgegner auf der Grundlage
einer unsicheren Tatsachenfeststellung entschieden haben und dass des Weiteren die
der Antragstellerin aufgegebenen Maßnahmen zu unbestimmt sind.
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Zwar lässt der von zwei Gutachterinnen des MDK auf der Grundlage einer eintägigen
Prüfung - in Abwesenheit der Heim- und Pflegedienstleitung - erstattete Prüfbericht vom
28. Juli 2009 nach kursorischer Prüfung keine offenbaren Unrichtigkeiten erkennen.
Angesichts der gegen den Bericht von der Antragstellerin unter Beifügung von Belegen
und Unterlagen - u. a. eines aktuellen Berichts der Heimaufsicht, der wesentliche
Beanstandungen hinsichtlich der Pflegequalität nicht enthält - vorgelegten sehr
eingehenden, ausführlichen Stellungnahme vom 11. September 2009 kann jedoch ohne
weitere Sachverhaltsaufklärung von einer gesicherten Tatsachenfeststellung als
Grundlage für einen so einschneidenden Bescheid, wie der angefochtene
Maßnahmebescheid ihn darstellt, keine Rede sein. Der ohne Einholung zumindest einer
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ergänzenden substantiellen Stellungnahme des MDK zu den keineswegs von der Hand
zu weisenden Einwendungen der Antragstellerin erteilte Bescheid erscheint geradezu
als eine Maßnahme "aufs Geratewohl" und "ins Blaue" hinein. Ein derartiges Vorgehen
entspricht nicht den Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches, faires Verfahren.
Der angefochtene Bescheid dürfte ferner nicht den Anforderungen an die gemäß § 33
Abs. 1 SGB X gebotene hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts genügen.
Bei der inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsakts handelt es sich um eine
Voraussetzung seiner materiellen Rechtmäßigkeit. Aus dem Verfügungssatz muss für
die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will.
Der Adressat des Verwaltungsakts muss sein Verhalten danach ausrichten können. Ein
Verwaltungsakt ist somit hinreichend bestimmt, wenn für den verständigen Beteiligten
der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche
subjektive Bewertung nicht möglich ist (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl.
2008, Rdnr. 3 zu § 33).
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Diesen Anforderungen wird der Bescheid vom 26. Oktober 2009 nicht gerecht.
"Verfügungssatz" dieses Bescheides sind die dort beschriebenen zahlreichen
Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten. Die getroffenen
Handlungsanweisungen sind keinesweg eindeutig. Dem Adressaten dieses
Bescheides kann nicht ohne Weiteres klar sein, was von ihm erwartet wird. Die offenbar
auf der Basis von Textbausteinen formulierten Maßnahmen enthalten durchweg nur
allgemeine Anforderungen, die dem Gesetz oder allgemeinen fachlichen Standards
entnommen werden können. So beginnt der Maßnahmekatalog mit der Floskel, dass die
Pflege nach den Prinzip der Bezugspflege organisiert und durchgeführt werden müsse.
Die Personaleinsatzplanung habe sich daher am Versorgungs- und Pflegebedarf der
Bewohner zu orientieren, wobei eine personelle Kontinuität in der pflegerischen
Versorgung und sozialen Betreuung zu gewährleisten sei. Am Ende des umfassenden
Katalogs heißt es, dass "ab sofort sämtliche Pflegeleistungen adäquat zu erbringen"
seien. Konkrete Handlungsmaßnahmen - etwa bezogen auf bestimmte Bewohner der
Einrichtung - werden nicht festgelegt. Vielmehr unterstellen die unterschiedslos auf alle
Bewohner bezüglichen, abstrakt formulierten, nahezu alle Qualitätsbereiche
betreffenden "Maßnahmen" - offenbar zu Unrecht - dass eine sachgerechte Pflege in der
Einrichtung der Antragstellerin nahezu zur Gänze nicht erfolgt. Träfe dies zu, was
allerdings allein wegen des aktuellen, positiven Berichts der Heimaufsicht, aber auch
wegen der Feststellungen des MDK im Prüfbericht, auszuschließen ist, wären die
Antragsgegner sicherlich verpflichtet, den Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin
gemäß § 74 Abs. 2 SGB XI fristlos zu kündigen. Das Pflegeheim müsste geschlossen
werden. Für einen Maßnahmebescheid gemäß § 115 Abs. 2 SGB XI wäre dann kein
Raum.
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Die Kammer verkennt nicht die große Bedeutung, die der Qualitätsprüfung von
Pflegeeinrichtungen und der durch Maßnahmebescheide bezweckten - im Interesse der
pflegebedürftigen Menschen liegenden - Verbesserung der Pflegequalität zukommt. Das
insoweit bestehende grundsätzlich durchaus erhebliche Vollziehungsinteresse muss
allerdings zurückstehen, wenn der angefochtene Bescheid - wie hier - mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu einer intensiven Rechtsverletzung führt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Da der bisherige Sach- und Streitstand für die
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war unter
Berücksichtigung der Verfahrensart des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des
Auffangwertes anzusetzen.
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