Urteil des SozG Münster vom 12.11.2003

SozG Münster (Verfügung, Arbeitsvermittlung, Rente, Arbeitsfähigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Befragung, Krankenkasse, Koch, Krankengeld, Arbeitsamt)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Münster, S 3 (2) AL 74/01
12.11.2003
Sozialgericht Münster
3. Kammer
Urteil
S 3 (2) AL 74/01
Arbeitslosenversicherung
nicht rechtskräftig
Der Bescheid vom 27.04.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.06.2001 wird aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 09. - 26.02.2001
Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Die Beklagte hat die
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Berufung wird
zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 09. bis
26.02.2001.
Ihm war auf seinen Antrag ab 05.06.2000 Arbeitslosengeld für die Dauer von 240 Tagen
bewilligt worden. Er war zuletzt bis zum 30.06.1999 als Koch tätig gewesen. Danach hatte
er Krankengeld bezogen bis 04.06.2000. Die Beklagte zahlte Arbeitslosengeld bis
31.01.2001. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch ein Restanspruch von 49 Tagen. Zuvor
hatte der Kläger die Leistung während der Dauer von 6 Wochen bei Arbeitsunfähigkeit
erhalten. Bis zum 08.02.2001 bezog der Kläger dann wieder Krankengeld. Am 05.02.2001
meldete er sich wieder arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung des
Arbeitslosengeldes. Er gab an, zunächst mal bis zum 19.02.2001 krankgeschrieben zu
sein. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MdK) habe ihn aber gesund
geschrieben. Auf seinen erneuten Antrag vom 27.02.2001 bewilligte die Beklagte
Arbeitslosengeld ab 27.02.2001. Der Kläger hatte sich nochmals an die AOK gewandt und
überreichte ein Schreiben vom 30.03.2001 der AOK, wonach der MdK festgestellt habe,
dass es bei der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit zum 08.02.2001 bleibe. Das Gutachten
war beigefügt. Danach waren dem Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in
wechselnder Körperhaltung (Sitzen und Stehen) vollschichtig zumutbar. Schwere
körperliche Tätigkeiten sowie Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Knien erfordern,
seien ihm nicht zuzumuten, ebenso wenig wie Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten. Der
Antrag des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurde von der LVA
Westfalen durch Bescheid vom 23.04.2001 abgelehnt.
Durch Bescheid vom 27.04.2001 lehnte die Beklagte den Antrag vom 05.02.2001 ab. Der
Kläger habe aufgrund seiner Erklärung, dass er weiter arbeitsunfähig krankgeschrieben sei
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und auch nicht in der Lage sei zu arbeiten, der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung
gestanden und damit keinen Leistungsanspruch.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass ab
09.02.2001 Arbeitsfähigkeit bestanden habe. Die Beklagte dürfe sich deshalb nicht auf eine
bestehende Arbeitsunfähigkeit berufen.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 11.06.2001 zurück.
Zur Begründung führte sie aus, dass der Arbeitslose sich der Vermittlungstätigkeit des
Arbeitsamtes aktuell zur Verfügung halten müsse. Die Arbeitsbereitschaft sei ein
subjektives Tatbestandmerkmal. Sie entziehe sich mithin der unmittelbaren Feststellung
und lasse sich allein aus den objekti- ven Gegebenheiten ableiten. Als arbeitsbereit könne
nur derjenige angesehen werden, dessen Bereitschaft durch objektive Umstände in einer
Weise glaubhaft gemacht sei, die keinem vernünftigen Zweifel unterliegen. In diesem Sinne
sei der Kläger nicht verfügbar gewesen, denn am 05.02.2001 habe er gegenüber seiner
Arbeitsvermittlerin angegeben, dass er noch laufend arbeitsunfähig sei. Auch am
22.02.2001 habe er erklärt, weiterhin nicht in der Lage zu sein, eine Beschäftigung
aufzunehmen. Er habe einen Rentenantrag gestellt und Widerspruch gegen die
Feststellung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse erhoben. Durch diese
Erklärungen habe er klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht arbeitsfähig und seiner
Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit sei. Für die Gewährung von Leistungen genüge
nicht nur die Arbeitsfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne, sondern es müsse
auch die Bereitschaft, sich dem Arbeitsmarkt entsprechend zur Verfügung zu stellen,
vorhanden sein. Diese entsprechende Verfügbarkeit sei zum Zeitpunkt der
Arbeitslosmeldung nicht vorhanden gewesen und könne nachträglich auch nicht fingiert
werden.
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Kläger bei
der Vermittlerin Frau I. erklärt habe, dass er wegen seiner Knieverletzung jedenfalls nicht
mehr ausschließlich im Stehen arbeiten könne und somit nicht mehr als Koch einsetzbar
sei. Er habe aber deutlich gemacht, dass er zur Ausübung einer sitzenden Tätigkeit
durchaus in der Lage sei. Er habe darum gebeten, eine durch das Arbeitsamt geförderte
Umschulungsmaßnahme zu bewilligen, mit dem Ziel einen Beruf zu erlernen, den man im
Sitzen ausüben könne. Es sei auch über mögliche Alternativen gesprochen worden wie die
Arbeit als Pförtner. Frau I habe ihm geraten, einen Rentenantrag zu stellen. Frau I habe
aber gesagt, dass er zur Krankenkasse gehen müsse, solange sein Hausarzt ihn nicht
gesundgeschrieben habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 27.04.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
11.06.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 09.02.2001
bis einschließlich 26.02.2001 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
Ergänzend führt sie aus, dass der Kläger sich nicht im Rahmen des vom MdK festgestellten
Leistungsvermögen zur Verfügung gestellt habe, sondern auf die fortbestehende
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Arbeitsunfähigkeit verwiesen habe. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger in dem
fraglichen Zeitraum objektiv arbeitsfähig gewesen sei. Entscheidend sei, dass der Kläger
gegenüber der Arbeitsvermittlung bis zum 27.02.2001 nicht seine entsprechende subjektive
Arbeitsbereitschaft erklärt habe.
Die Arbeitsvermittlerinnen I und X sind als Zeuginnen vernommen worden. Wegen der
Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Streitakte und
der Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nummer 236143), die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide
beschwert, da diese rechtswidrig sind. Zu Unrecht hat die Beklagte die Bewilligung des
Arbeitslosengeldes ab 09.02.2001 abgelehnt.
Von den Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld ist im
vorliegenden Fall allein problematisch die Frage der subjektiven Verfügbarkeit. Nach der
Auffassung des Gerichts ist auch für die streitige Zeit die subjektive Verfügbarkeit des
Klägers zu unterstellen. Der Kläger hat zwar erklärt, dass er von seinem behandelnden Arzt
weiterhin arbeitsunfähig geschrieben sei. Er hat gegenüber den Vermittlerinnen aber auch
erklärt, dass der MdK ihn für arbeitsfähig halte. Nach den Aussagen der Zeuginnen lässt
sich zwar nicht feststellen, dass der Kläger sich im Rahmen des vom MdK angegebenen
Restleistungsvermögen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat und gesagt hat,
dass er z. B. sitzende Tätigkeiten als Pförtner noch ausüben könne. Es lässt sich aber auch
nicht feststellen, dass der Kläger tatsächlich ernsthaft jede Arbeitsbereitschaft abgelehnt
hat. Die Zeuginnen haben den Kläger gar nicht danach befragt, welche Tätigkeiten er nach
Ansicht des MdK denn noch ausüben könne und ob er dazu bereit sei. Schon aufgrund der
Tatsache, dass der Kläger die unterschiedlichen Auffassungen des MdK und des
behandelnden Arztes geäußert hat und gesagt hat, dass er eine BU-Rente beantragen
wolle, hätte die Arbeitsvermittlerin es nicht dabei bewenden lassen dürfen, dass der Kläger
sich auf die Meinung seines Hausarztes beruft. Sie hätte vielmehr nachfragen müssen,
welche Leistungseinschränkungen er selber sieht und hätte ihn darauf hinweisen müssen,
dass er nur dann der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, wenn er sich im Rahmen des
Restleistungsvermögens der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt. Dass er selber von
einem solchen Restleistungsvermögen ausging, ergab sich schon daraus, dass er angab
eine BU-Rente beantragen zu wollen und nicht eine EU-Rente. Da der Kläger lediglich
einen Antrag auf BU-Rente stellen wollte, kann auch unterstellt werden, dass er sich im
Rahmen des von ihm selber angenommen Restleistungsvermögens der Arbeitsvermittlung
zur Verfügung gestellt hätte, wenn er denn danach befragt worden wäre. In Anwendung der
Grundsätze, die im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches entwickelt
wurden, ist im vorliegenden Fall die subjektive Verfügbarkeit als erfüllt anzusehen, denn -
wie bereits oben ausgeführt - ist davon auszugehen, dass bei einer entsprechenden
Befragung und Aufklärung des Klägers durch die Arbeitsvermittlern der Kläger seine
Arbeitsbereitschaft entsprechend seines Leistungsvermögens erklärt hätte. Zwar kann nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich die fehlende Verfügbarkeit im
Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht fingiert werden; dies kann
nach Auffassung des Gerichts jedoch nur für die objektive Verfügbarkeit gelten und nur
eingeschränkt für die subjektive Verfügbarkeit, jedenfalls dann, wenn der Arbeitslose
darauf hinweist, dass die Ärzte bezüglich seiner Arbeitsfähigkeit unterschiedlicher Ansicht
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sind. Unterbleibt in einem solchen Fall die gezielte Befragung des Arbeitslosen zu seinem
noch bestehenden Restleistungsvermögen und seiner Arbeitsbereitschaft in diesem
Rahmen, handelt es ich um ein pflichtwidriges Verhalten des Leistungsträgers, auf dem
auch die fehlende Äußerung der subjektiven Verfügbarkeit beruht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.