Urteil des SozG Münster vom 23.06.2006

SozG Münster: unterkunftskosten, schutz der wohnung, vermögensbildung, lebensversicherung, vermieter, einfamilienhaus, leistungsanspruch, pflegebedürftiger, behinderter, sozialhilfe

Sozialgericht Münster, S 5 AS 8/05
Datum:
23.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Münster
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 5 AS 8/05
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand: Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob Tilgungsleistungen bei der
Bedarfsberechnung nach dem SGB II zu berücksichtigen sind.
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Die Bedarfsgemeinschaft, Kläger zu 1) bis 3), bewohnen ein Einfamilienhaus. Die
Hausschulden belaufen sich auf ca. 70.000,00 EUR. Die Schulden sind gesichert durch
eine Lebensversicherung, deren Auszahlungsleistung an die darlehensgebende Bank
abgetreten ist. Der Monatsbeitrag zur Lebensversicherung beträgt 150,00 EUR.
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Mit Bescheid vom 20.05.2005 bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat Juni
2005 in Höhe von 418,00 EUR. Hierbei hatte die Beklagte der Bedarfsberechnung als
Kosten der Unterkunft zu Grunde gelegt: Zu berücksichtigende Miete 488,79 EUR,
Nebenkosten 24,00 EUR, zu berücksichtigende Heizpauschale 63,00 EUR,
Bereinigung der Heizpauschale 11,34 EUR und hieraus Kosten in Höhe von insgesamt
564,45 EUR errechnet. Bei einem 3-Personen-Haushalt errechnete sich pro Person ein
Unterkunftskostenanteil von 188,15 EUR. Die Kläger machten im
Widerspruchsverfahren geltend, die Tilgung für das von der Bedarfsgemeinschaft
bewohnte Einfamilienhaus müsse als Teil der Unterkunftskosten Berücksichtigung
finden. Hier gehe es nicht um Vermögensbildung. Vielmehr sei die Tilgung ein Teil der
Unterkunftskosten. Es sei doch selbstverständlich, dass das Objekt nicht gehalten
werden könne, wenn nur noch Zinsen gezahlt würden. Die Tilgungsleistungen könnten
aus dem geringen der Familie noch verbleibenden Einkommen nicht bestritten werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Sie legte dar, Tilgungsleistungen zählten nicht zu den Kosten der
Unterkunft. Sie dienten der Entschuldung des Eigenheims und erhöhten dadurch das
Vermögen. Ein Rechtsanspruch auf Übernahme vermögensbildender Beträge in Form
von Tilgungsleistungen sei aus dem SGB II nicht herzuleiten.
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Im Klageverfahren begehren die Kläger auch weiterhin als Berücksichtigung bei den
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Unterkunftskosten den Monatsbeitrag zur Lebensversicherung, der eine Aufwendung für
die Kredittilgung sei. Es handele sich um eine äußerst geringe Aufwendung. Die
Gesamtkosten seien angemessen. Ganz offensichtlich gehe es nicht um die Bildung von
Vermögen, sondern um einen Teil der überaus angemessenen Unterkunftskosten. Zwar
habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung Aufwendungen für die
Kredittilgung nicht als berücksichtigungsfähige Aufwendungen anerkannt, weil es nicht
Aufgabe der Sozialhilfe sei, Vermögen zu bilden. Dieses Argument überzeuge nicht,
wenn die Aufwendungen zumindest die Kosten für eine angemietete Unterkunft nicht
überschritten und wenn das selbstgenutzte Eigenheim nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
nicht als Vermögen zu verwerten sei. Auch durch Mietzahlungen für in Mietwohnungen
lebende Hilfebedürftige trage die Sozialleistung zur Vermögensbildung (hier der
Vermieter) bei. Außerdem werde nicht berücksichtigt, dass durch Abnutzung ohne
Erhaltungsaufwand und durch kalkulatorische Abschreibung auch bei selbstgenutzten
Eigenheimen ein Vermögensverbrauch stattfinde. Dadurch, dass bei den
Unterkunftskosten im Wesentlichen nur die Zinsbelastungen berücksichtigt würden,
würden sie schlechter gestellt, als wären sie als Familie Mieter einer adäquaten
Wohnung. Unter Hinweis auf den Mietspiegel für Münster 2005 wird dargelegt, dass
angemessene Mietkosten hier bei 592,00 EUR zu Grunde zu legen seien.
Zumindest sei der Monatsbeitrag zur Lebensversicherung in Höhe von 150,00 EUR
darlehensweise zu gewähren.
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Unter dem 09.12.2005 hat die Beklagte ausgeführt, den Klägern sei mit Bescheid vom
20.05.2005 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.05.2005 bis 30.11.2005 bewilligt
worden. Der Bescheid vom 20.05.2005 werde mit Wirkung vom 01.05.2005 teilweise
insoweit aufgehoben, als Unterkunftskosten zu niedrig festgesetzt worden seien. Es
wurde nunmehr ein Unterkunftskostenbetrag von 488,79 EUR berücksichtigt nach
korrigierter Rentabilitätsberechnung unter zuvor von den Klägern erfolgten Nachweis
höherer Kosten.
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Die Kläger beantragen schrifsätzlich,
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den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 27.06.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
die den Klägern bewilligten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach
dem SGB II mit der Maßgabe neu zu berechnen, dass die Tilgungsleistungen für das
noch nicht bezahlte von der Bedarfsgemeinschaft bewohnte Einfamilienhaus als
Aufwendungen für Unterkunft zu berücksichtigen seien.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, Tilgungsraten für die Finanzierung des Eigenheims
bzw. die absichernde Lebensversicherung seien nicht zu berücksichtigen. Wegen des
Bedarfsdeckungsgrundsatzes dürften Sozialleistungen nicht zur Schuldentilgung
verwandt werden und die Sozialhilfe diene nicht der Vermögensbildung. Auch eine
darlehensweise Gewährung analog § 22 Abs. 5 SGB II komme nicht in Betracht, da
dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Auch nach der rechtskräftigen
Entscheidung des Sozialgerichts Detmold vertrete sie die Auffassung, Tilgungsraten für
ein selbstgenutztes Wohneigentum seien nicht als Kosten der Unterkunft gemäß § 22
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SGB II zu übernehmen. Das SGB II habe lediglich Regelungen für den passiven
Vermögensschutz eingebaut. Ziel sei es, schon vorhandenes Vermögen in gesetzlich
geregelter Höhe zu erhalten, nicht dagegen, mit Hilfe von Leistungen Vermögen
aufzubauen. So sei Schutzzweck des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II auch nicht die Immobilie
als Vermögensgegenstand, sondern allein der Schutz der Wohnung in i.S.d. Erfüllung
des Grundbedürfnisses "Wohnen". In diesem Zusammenhang sei auf § 12 Abs. 3 Nr. 5
SGB II hinzuweisen, der Vermögen, das nachweislich der baldigen Beschaffung oder
Erhaltung eines Hausgrundstücks diene, nur dann priviligiere, wenn es Wohnzwecken
behinderter oder pflegebedürftiger Menschen dienen solle. Wenn aber schon
Vermögen, das nur der Beschaffung von Wohnraum und nicht noch zusätzlich dem
besonderen Schutzzweck der Deckung des besonderen Wohnbedarfes Behinderter
oder pflegebedürftiger Menschen diene, nicht dem Schutz unterliege, könne erst Recht
nicht mit Hilfe von steuerfinanzierten Mitteln solches Vermögen erst aufgebaut werden.
Hinsichtlich der gesetzgeberischen Regelungen seien trotz zahlreicher inzwischen
erfolgter Änderungen hinsichtlich der Tilgungsraten als Kosten der Unterkunft keine
Änderungen vorgenommen worden. Auch die Tatsache, dass mit der Zahlung von
Mietkosten an den Vermieter bei diesem seitens des Hilfeträgers zur Vermögensbildung
beigetragen werde, könne zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage führen.
Das Gericht hat die die Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten
beigezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die beigezogene Akte sowie auf die im Streitverfahren gewechselten vorbereitenden
Schriftsätze. Diese sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Die Kläger werden durch den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2005 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2005, diese in der Fassung des Bescheides
vom 09.12.2005 nicht beschwert, da diese nicht rechtswidrig sind.
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Zu Recht hat die Beklagte bei der Bedarfsberechnung der Kläger die Unterkunftskosten
zu Grunde gelegt ohne Berücksichtigung von Tilgungsleistungen für das selbst genutzte
Einfamilienhaus. Ein dahingehender Anspruch der Kläger besteht nicht.
Tilgungsleistungen zur Abzahlung selbst genutzten Wohneigentums sind in der Regel
nicht als Kosten für die Unterkunft zu werten, weil die Schuldentilgung der
Vermögensbildung dient und es mit dem Zweck der steuerfinanzierten Leistungen zur
Grundsicherung nicht vereinbar ist, den Vermögensaufbau der Hilfeempfänger zu
finanzieren. Das Gericht folgt insoweit der rechtlichen Einschätzung der Beklagten, wie
sie insbesondere mit detaillierter Begründung im Schriftsatz vom 18.05.2006 dargelegt
wurde, und denen sich das Gericht anschließt. Die gegenteilig vertretene
Rechtsauffassung überzeugt nicht. Insbesondere der Verweis darauf, dass mittelbar
durch Mietzinszahlungen auch das Vermögen der Vermieter durch staatliche Leistungen
vermehrt werde, berücksichtigt nicht, dass es sich hierbei um einen vollkommen
anderen Lebenssachverhalt handelt. Der Vermieter erwirtschaftet durch Vermietung
Erträge des in seinem Eigentum stehenden Vermögens. Wäre er selbst
Leistungsbezieher nach dem SGB II, würden diese Erträge auf seinen
Leistungsanspruch angerechnet. Mittelbar erwirtschaften auch alle Händler und
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Einzelhändler, Handwerker und sonstige Personen, die gegen Geldleistung Ware an
Bezieher von SGB II-Empfängern veräußern oder diesen gegenüber Dienstleistungen
bzw. Werkleistungen erbringen, Erträge, ohne dass dieser Aspekt in irgendeiner Weise
relevant geworden wäre oder wäre für die Bemessung der Leistungen nach dem SGB II,
insbesondere für die Bemessung der Regelleistungen und deren Höhe. Hier ist vielmehr
maßgebend gewesen der Bedarfsdeckungsgrundsatz verbunden mit dem Ziel, durch
die Leistungsgewährung nach dem SGB II das Existenzminimum zu sichern. Es ist auch
kein Grund erkennbar, warum Leistungsbeziehern, die selbstgenutztes Wohneigentum
besitzen, Leistungen durch Gewährung von Unterkunftskosten gewährt werden sollten,
die der Vermögensbildung dienen, während Leistungsempfänger, die in
Mietwohnungen wohnen, keine Leistungen erhalten, die der Vermögensbildung im
Sinne von Anschaffung von Wohneigentum dienen. Mieter, die die allgemein für
angemessen gehaltenen Unterkunftskosten durch ihre tatsächlichen Unterkunftskosten
der Höhe nach unterschreiten, erhalten auch nicht etwa den Differenzbetrag zu den für
angemessen gehaltenen Unterkunftskosten, da dieses vom Gesetz nicht vorgesehen ist.
Wieso Bewohner eines selbst genutzten Hausgrundstücks hier anders behandelt
werden sollten und diesen die Unterkunftskosten zumindest in der für allgemein für
angemessen gehaltenen Höhe gezahlt werden sollten, ist nicht erkennbar. § 12 Abs. 3
Ziff. 4 SGB II sieht lediglich vor, dass als Vermögen ein selbstgenutztes Hausgrundstück
von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung nicht zu
berücksichtigen sind. Vermögen ist aber das bereits vorhandene Vermögen, nicht das
zu bildende Vermögen.
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonderen Härte oder das Vorliegen eines
besonderen Einzelfalls, wie sie z.B. in der Entscheidung des SG Detmold vom
16.02.2006 zum Aktenzeichen S 8 AS 37/05 angeführt werden, in der Entscheidung des
Bayerischen LSG vom 21.04.2006 zum Az.: L 7 AS 1/05 angesprochen werden, sieht
das Gericht zudem nicht. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Kläger Leistungen
beziehen, bei denen für den Kläger zu 1) ein monatlicher Höchstbetrag nach § 24 Abs. 3
SGB II von 380,00 EUR als Leistungsanspruch Berücksichtigung fand. Der Kläger und
seine Familie stehen damit deutlich günstiger als jene Leistungsempfänger, denen
neben den Unterkunftskosten lediglich die Regelleistungen bewilligt werden bzw. der
Berechnung zu Grunde gelegt werden.
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Die darlehensweise Gewährung von monatlich 150,00 EUR ist nicht Streitgegenstand.
Hierüber hat die Beklagte bislang nicht entschieden. Selbst wenn, wie die Kläger
meinen, eine analoge Anwendung des § 22 Abs. 5 SGB II in Betracht käme, steht die
darlehensweise Gewährung im Ermessen der Beklagten. Dadurch, dass die Beklagte
diesbezüglich im Verwaltungsverfahren und den angefochtenen Bescheiden keine
Regelung getroffen hat, kann eine solche darlehensweise Gewährung nicht als Minus
zur Leistungsgewährung im Sinne der Zuschussleistungen gesehen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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Das Gericht hat die Berufung - vorsorglich - gemäß § 144 Abs. 2 Ziffn. 1 und 2 SGG
zugelassen, da nicht feststeht, hier jedoch nicht entscheidungserheblich ist, ob
Streitgegenstand lediglich eine Zahlung von weiteren 150,00 EUR Tilgungsleistungen
allein für den Monat Juni 2005 ist, wie der Wortlaut des Bescheides vom 20.05.2005
vermuten lässt, oder aber ob mit der Beklagten davon auszugehen ist, dass durch den
angefochtenen Bescheid Leistungen bewilligt wurden für den Zeitraum Juni 2005 bis
Oktober 2005.
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