Urteil des SozG Münster vom 31.10.2002

SozG Münster (Medizinische Rehabilitation, Rechtskräftiges Urteil, Gesetzlicher Vertreter, Krankenversicherung, Versorgung, Firma, Poliklinik, Zubehör, Gebrauchsgegenstand, Autismus)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Münster, S 8 (11) KR 152/01
31.10.2002
Sozialgericht Münster
8. Kammer
Gerichtsbescheid
S 8 (11) KR 152/01
Krankenversicherung
rechtskräftig
Der Bescheid der Beklagten vom 02.04.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.06.2001 wird aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, an den Kläger einen "Toni-Cross" -Fahrradanhänger
nach Maßgabe des Kostenvoranschlages der Firma Sanimed GmbH in
Ibbenbüren vom 08.03.2001 als Hillfsmittel zu erbringen. Die Beklagte
trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostentragung für die Versorgung des Klägers mit einem sog. Toni-Cross-
Fahrradanhänger auf Kosten der Beklagten.
Der Kläger ist am 00.00.1996 geboren und über seine Eltern bei der Beklagten gesetzlich
krankenversichert. Es handelt sich bei ihm um eine Frühgeburt in der 25./26.
Schwangerschaftswoche mit vielfältigen postnatalen Komplikationen. Bereits pränatal war
ein Zustand der Distrophie, also der Ernährungsunterversorgung, eingetreten. Im übrigen
bestand ein Atemnotsyndrom und bronchpulmonale Displasie, darüber hinaus eine
intercerebrale Blutung 3. Grades rechtsseitig, eine Dünndarmperforation, ein Eetinopatia
prematorum Grad 2, Nekrosen im Bereich der Endglieder der Finger III und IV der rechten
Hand, verblieben ist darüber hinaus eine distal betonte, hypertone zentrale
Koordinationsstörung und Bewegungsstörung, sekundäre Knick-Senk-Fußstellung
beiderseits im aktiven Stehen, eine deutliche psychomentale Retadierung mit Zustand
mittelgradiger Intelligenzminderung, eine erhebliche Störung der expressiven
Sprachentwicklung mit sekundärer Kommunikationsstörung, die Diagnose eines Autismus
sowie damit einhergehende Störung des sozialen und emotionalen Verhaltens und
schließlich eine chronische Ernährungsstörung mit Teilsondenernährung über sog. PEG-
Sonde seit November 1998, seitdem weiter fortgesetzt. Die schweren
Entwicklungsstörungen gehen zurück auf negative Einflüsse der Gehirnentwicklung durch
die Komplikationen nach Frühgeburtlichkeit. Die Entwicklungsstörungen im Bereich der
Motorik wurden ab dem ersten Lebensjahr deutlich, Folgekomplikationen bei Sprache,
Kommunikation und geistiger Entwicklung sind darüber hinaus in der Folgezeit manifest
geworden.
Bei dem Kläger ist von der bei der Beklagten angesiedelten gesetzlichen Pflegekasse im
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Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Pflegestufe II anerkannt und auch
aufgrund Nachbegutachtung im Jahre 2001 für weitere zwei Jahre bestätigt worden,
Bescheid der Pflegekasse der Beklagten vom 12.06.2001. Darüber hinaus ist beim Kläger
seit Antragstellung im Februar 1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 im Sinne des
damals geltenden Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) bzw. nach dem seit 01.07.2001
anzuwendenden Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) festgestellt. Anerkannt waren
zudem durch Bescheid vom 19.05.1998 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Hilflosigkeit, Merkzeichen "H", darüber hinaus die Merkzeichen wegen erheblicher
Gehbehinderung und Notwendigkeit ständiger Begleitung, "G", "B", durch teilweise
abhelfenden Bescheid vom 22.06.1998 und schließlich durch Bescheid des
Versorgungsamtes Münster vom 19.04.2000 die gesundheitlichen Voraussetzungen für das
Merkzeichen "aG", Nachteilsausgleich für außergewöhnliche Gehbehinderung.
Vor dem Hintergrund der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers
stellte die Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie der Westf. Wilhelms Universität in
Münster am 14.02.2001 eine Verordnung über die Versorgung des Klägers mit einem
Fahrradanhänger Toni-Cross mit Zubehör, Grundausstattung der Firma Meyra zum
Zwecke, der Mobilisation, Förderung der gesamten psychomotorischen Entwicklung und
Förderung des Muskelaufbau, aus. Als Diagnose wurde ein Zustand nach Frühgeburt und
Atemnotsyndrom und bronchepulmonaler Displasie sowie deutliche psychomotorische
Retatierung beim Kläger bescheinigt. Vorgelegt wurde dazu auch ein Kostenvoranschlag
der Firma Sanimed aus Ibbenbüren vom 08.03.2001, wonach die Ausstattung mit dem
Toni-Cross-Fahrradanhänger mini der Firma Meyra als Grundmodell mit Haltegurt,
Fußschalen, Einkaufskorb und Ramenprotektoren zu einem Endpreis von 2.520,- DM
angeboten wurde.
Mit Schreiben vom 02.04.2001, ohne Rechtsmittelbelehrung, lehnte die Beklagte die
Übernahme der Versorgung des Klägers mit diesem Hilfsmittel ab. Sie führte aus, bei dem
beantragten Fahrradanhänger handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des
täglichen Lebens. Diese würden in unterschiedlicher Form und Ausstattung unter
Berücksichtigung jeweiliger Wünsche und Bedürfnisse der Abnehmer zur Verfügung
gestellt. Sie seien nur eine passive Mitfahrgelegenheit für Kinder mit Behinderungen, daher
sei eine Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegeben.
Mit dem vom 08.04.2001 datierenden Widerspruch des Vaters des Klägers wurde auf die
Einschätzung der behandelnden Ergotherapeutin, des Kinderarztes und der
Sozialarbeiterin der Unikliniken Münster Bezug genommen. Dazu legte der Vater des
Klägers, gesetzlicher Vertreter, noch eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden
Kinderarztes Dr. C aus Münster vom 10.04.2001 vor. Dieser befürwortet die Versorgung
des Klägers mit dem Toni-Cross-Fahrradanhänger auch aus dem Grunde, dass es sich um
ein behindertengerecht ausgestattetes Therapiewerkzeug handele, welches geeignet sei,
eine zur Zeit bestehende therapeutische Lücke vor allem im familiären Umfeld hinsichtlich
motorischem Training, Wahrnehmungstraining und psychosozialer Stabilisierung des
Klägers zu stützen.
Nach Überprüfung erteilte die Beklagte einen abschlägigen Widerspruchsbescheid vom
22.06.2001.
Dagegen richtet sich die am 09.07.2001 bei dem Sozialgericht Münster anhängig gemachte
Klage. Zur Begründung bezieht sich der Kläger erneut auf den Inhalt des befürwortenden
Schreibens des behandelnden Kinderarztes Dr. C vom April 2001. Darüber hinaus weist er
auf Rechtsprechung u. a. des Bundessozialgerichts (BSG) bezüglich der
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Verordnungsfähigkeit von Therapiedreirädern hin. Auch bei dem Fahrradanhänger Toni-
Cross könne er mittreten, das diene insgesamt seiner sozialen Integration und auch einer
erfolgreichen ärztlichen Therapie. Schließlich verweist er auf die verzögerte Entwicklung
der Bewegungsabläufe, die noch im Jahre 2002 erforderliche Hilfestellung bei längeren
Wegstrecken, Transport im Kinderwagen und die Möglichkeit, mit der gesamten Familie
Außenaktivitäten ohne Nutzung eines sog. Reha-Buggy auch per Fahrrad im Rahmen der
Freizeitgestaltung und der sozialen Kontakte durch den Fahrradanhänger wahrzunehmen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2001 und des
Widerspruchsbescheides vom 22.06.2001 zu verurteilen, ihm das Hilfsmittel Toni-Cross-
Fahrradanhänger" zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im wesentlichen auf das Hilfsmittelverzeichnis im Sinne von § 128 Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Darin sei der Toni-Cross-Fahrradanhänger als
Mobilitätshilfe nicht aufgeführt. Es handele sich um einen Gebrauchsgegenstand, der den
Freizeitgegenständen zuzuordnen sei. Im übrigen sei der Anhänger allein auch nicht
geeignet, die medizinische Rehabilitation sicherzustellen. Des weiteren bezieht sich die
Beklagte noch auf das Ergebnis eines in ihrem Auftrag veranlassten Gutachtens des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Münster, Dr. C1, vom
22.02.2002 und verbleibt abschließend dabei, dass auch unter dem Gesichtspunkt der
sozialen Kommunikation und Integration kein Grundbedürfnis erkennbar sei, dem Kläger
das Fahrradfahren zusammen auf einem Rad mit einem Erwachsenen zu ermöglichen,
zumal bei passivem Fahrradfahren Förderung der Mobilität und der Muskelkraft
vergleichsweise eher durch Krankengymnastik und Ergotherapie zu gewährleisten seien.
Das Gericht hat von der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde, Sozialpädiatrisches
Zentrum, des Universitätsklinikums Münster einen Befund und Behandlungsbericht
betreffend die Behandlung des Klägers dort seit Januar 1997 von Dr. G vom 11.12.2001
beigezogen. Darüber hinaus hat das Gericht einen Befundbericht und einen
kinderpsychiatrischen Bericht von der Dipl.-Psychologin Frau Dr. I, Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, ebenfalls
Universitätsklinikum Münster, vom 09.01.2002 bzw. 31.01.2002 eingeholt. Beigezogen
wurde darüber hinaus von der bei der Beklagten angesiedelten Pflegekasse die Vorgänge
betreffend die Anerkennung der Pflegestufe II nach dem SGB XI einschließlich sämtlicher
dort vorliegender Pflegegutachten und schließlich die Verwaltungsakte des
Versorgungsamtes Münster betreffend den Kläger nach dem
Schwerbehindertengesetz/SGB IX.
Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines kinder-jugend-
medizinischen Sachverständigengutachtens von Priv.-Doz. Dr. C2 vom St. G1-Hospital in
Münster vom 18.06.2002, basierend auf einer Untersuchung des Klägers dort am
17.05.2002. Wegen der Einzelheiten dieses aktenkundigen und den Beteiligten bekannten
Gutachtens wird auf die Gerichtsakte im einzelnen verwiesen. Schließlich sind den
Beteiligten vom Gericht noch Kopien sozialgerichtlicher Entscheidungen, im wesentlichen
rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts (SG) Kassel vom 09.07.1997, S 12 KR 86/97, und
eine Ablichtung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW)
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vom 04.12.2001, L 5 KR 17/01, zur Verfügung gestellt worden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt dieser Gerichtsakte, der
beigezogenen SchwbG-Akten, der Akten der Pflegekasse und schließlich der
Verwaltungsakten der Beklagten in vollem Umfang verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid ohne Hinzuziehung der
ehrenamtlichen Richter entscheiden, da die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform
hinreichend angehört und nach angemessener Fristsetzung sich auch noch ausdrücklich
geäußert haben.
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die angefochtene Entscheidung
der Beklagten, Ablehnungsbescheid vom 02.04.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.06.2001, ist wie geschehen abzuändern gewesen. Der
Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts nämlich einen Anspruch auf Kostentragung
durch die Beklagte für die Versorgung mit dem beantragten Toni-Cross-Fahrradanhänger
nebst erforderlichem Zubehör nach Kostenvoranschlag der Firma Sanimed aus Ibbenbüren
vom März 2001 als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V.
Hilfsmittel sind gemäß § 33 SGB V die Sachmittel im Sinne der gesetzlichen
Krankenversicherung, die im einzelnen erforderlich sind, um den Erfolg einer
Krankenbehandlung zu sichern bzw. eine Behinderung auszugleichen. Danach wird
verlangt, dass ein entsprechendes Hilfsmittel auch erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn
sein Einsatz zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt
wird. Zu diesen körperlichen Grundfunktionen gehören etwa das Gehen, Stehen,
Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme und
Nahrungsausscheidung sowie elementare Körperpflege, selbständiges Wohnen und im
übrigen erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums
sowie das Erlernen lebensnotwendigen Grundwissens. Maßstab ist demnach der gesunde
Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch
medizinische Rehabilitation bzw. eben auch mit Hilfe des von der gesetzlichen
Krankenkasse zu liefernden Hilfsmittels wieder aufschließen soll.
Ausgehend von diesen Merkmalen ist zur Überzeugung des Gerichts der Toni-Cross-
Fahrradanhänger nebst erforderlichem Zubehör für den Kläger in diesem Einzelfall als
Hilfsmittel anzuerkennen gewesen. Entscheidend ist dabei das Grundbedürfnis auf freie
Bewegung, was auch die Bewegung im Nahbereich der eigenen Wohnung mit umfasst,
vgl. z. B. Urteil des LSG NRW vom 23.04.2001, L 16 KR 131/00, darüber hinaus auch
Entscheidung des LSG NRW vom 04.12.2001, L 5 KR 17/01, jeweils m. w. Nachweisen.
Das Gericht ist sich bei seiner Entscheidungsfindung bewusst, dass es nicht Aufgabe der
gesetzlichen Krankenkassen sein kann, jede individuell gewünschte Art von Fortbewegung
oder Freizeitgestaltung zu ermöglichen oder durch Kostenübernahme bzw.
Zuschussleistungen mit zu finanzieren. Allerdings ist ganz ausschlaggebend mit der von
der Kammer als zutreffend und überzeugend festgehaltenen Entscheidung des BSG vom
13.05.1998, B 8 Kn 13/97 R, festzuhalten, dass abhängig von den jeweils individuellen
Fallvoraussetzungen sehr wohl auch ein Anspruch auf Kostenübernahme für bestimmte
Formen der Fahrradversorgung für Kinder als Hilfsmittel der gesetzlichen
Krankenversicherung im Einzelfall begründet sein kann. Das Gericht geht davon aus, dass
durch ein entsprechend geeignetes Hilfsmittel ein auszugleichendes Grundbedürfnis der
aktiven Fortbewegung eines Versicherten außerhalb des häuslichen Bereiches gefördert
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wird. Danach ist im Einzelfall u. a. auch die Durchführung von Tandemfahrten als
entsprechendes Grundbedürfnis anzuerkennen gewesen. Die Fahrten mit dem Toni-Cross-
Fahrradanhänger unter aktiver Fahrleistung eines Erwachsenen, also regelmäßig eines der
Elternteile des Klägers, stellen nicht zuletzt im Hinblick auf die eigenen
Bewegungsbedürfnisse des Klägers eine anzuerkennende und zu unterstützende
Familienaktivität auch im Sinne sozialer Miteingliederung des Klägers dar. Das Bedürfnis
auf Bewegung außerhalb des eigentlichen Bereichs der häuslichen, elterlichen Wohnung,
in gemeinsamer Aktivität mit einem der Elternteile unter Berücksichtigung der erforderlichen
Sicherungsmaßnahmen des im Straßenverkehr allein keinesfalls bewegungssicheren
Klägers ist als Hilfsmittelleistung von der Beklagten als Träger der gesetzlichen
Krankenversicherung gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V in diesem Einzelfall zu übernehmen.
Dabei ist der Toni-Cross-Fahrradanhänger nach dem Ergebnis der gerichtlichen
Überprüfung von Amts wegen, ausgehend von den umfangreichen dokumentierten
fachärztlichen und medizinischen Befunden und Berichten aus einem Zeitraum von mehr
als vier Jahren, auch als medizinisch indiziert anzusehen. Sowohl der aussagekräftige
Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Versorgungsamtes Münster in der
Schwerbehindertenangelegenheit des Klägers als auch die anschaulichen Ergebnisse der
einzelnen Pflegebegutachtungen nach dem SGB XI sowie überzeugende Schilderungen in
den beigezogenen zeitnahen Berichten der einzelnen Spezialabteilungen des
Universitätsklinikums Münster, die seit Jahren in medizinischer Hinsicht die Versorgung
des Klägers mit bewirken, ebenso wie auch die Bescheinigung des behandelnden
Kinderarztes vom April 2001 bedingen nach alledem, dass eine Verbesserung der
koordinativen und sensomotorischen Fähigkeiten des Klägers dringend angezeigt ist. Als
Hilfsmittel dafür ist zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des Ergebnisses
der Beweiserhebung von Amts wegen in Gestalt des Gutachtens des Kinderfacharztes
Priv.-Doz. Dr. C2 vom St. G1-Hospital Münster vom 18.06.2002 gerade auch der Toni-
Cross-Fahrradanhänger als geeignet und notwendig anzusehen. Nach den
Einschätzungen des Priv.-Doz. Dr. C2 in seinem Sachverständigengutachten vom Juni
2002 aufgrund Untersuchung des Klägers im Mai 2002, ist jede therapeutische Maßnahme
zu unterstützen, die die Situation des Klägers sinnvoll verbessert. Der Toni-Cross-
Fahrradanhänger ist dabei nicht als Gebrauchsgegenstand im Sinne eines normalen
Kinderfahrrades zu sehen, sondern nach Darstellung des Priv.-Doz. Dr. C2 sehr deutlich
als Therapiewerkzeug anzuerkennen. Diesbezüglich ist im übrigen auch nach eigener
Überzeugung des Gerichts zutreffend festzuhalten, dass zum Transfer eines mittlerweile
mehr als sechsjährigen Kindes ein Reha-Buggy bei Wegstrecken oberhalb von 100 bis 200
m schon rein praktisch-tatsächlich ernsthaft nicht mehr ausreichend sein kann, um den
notwendigen körperlichen und geistigen Freiraum in der kindlichen Entwicklung im
Vergleich etwa zu gesunden Kindern ab Beginn des Grundschulalters/Ende des
Kindergartenalters, überhaupt zu gewährleisten.
Das Gericht schließt sich den Einschätzungen in dem nachvollziehbaren, in sich
überzeugenden und daher insgesamt als zutreffend anzusehenden Gutachten des Priv.-
Doz. Dr. C2 an. Dagegen vermögen die Einschätzungen in dem vom MDK durch Dr. C1 im
April 2002 für die Beklagte erstellten Gutachten nicht zu überzeugen. Insbesondere der
Ansatz des Dr. C1, hier eine Ersatzversorgung des Klägers mit einem Reha-Buggy als
hinreichend zu beurteilen, ist nach dem soeben Ausgeführten für das Gericht nicht
nachvollziehbar und das Gutachten im übrigen auch nicht geeignet, eine andere
Bewertung herbeizuführen.
Maßgeblich ist für die hier mit im Mittelpunkt stehende Verbesserung der Mobilität und
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Stärkung der Eigenentwicklung des Klägers bei den bestehenden Entwicklungsdefiziten
und Verzögerungen schließlich auch der Umstand des bereits diagnostizierten Autismus zu
berücksichtigen gewesen. Insoweit geht das Gericht mit dem rechtskräftigen Urteil des SG
Kassel vom 09.07.1997, S 12 KR 86/97, davon aus, dass die bei Autisten verminderte und
schwer erreichbare Interaktion mit der Umwelt durch geeignete Hilfsmittelversorgung im
Sinne einer Hilfe zur Lebensbetätigung und zur Förderung der geistigen und auch der
motorischen Entwicklung positiv aktivierend wirkt. Insoweit ist es als zutreffend anzusehen,
dass auch die Nutzung eines Hilfsmittels zusammen mit einer erwachsenen Begleitperson
ein Mindestmaß der Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben eröffnet und
auch ein autistisch verhaltensgestörtes Kind oberhalb des 6. Lebensjahres zu einer
solchen Erschließung ohne entsprechende Hilfsmittelversorgung nicht in der Lage wäre.
Da hier im konkreten Einzelfall des Klägers, gestützt auf den gesicherten Befund eines
Autismus mit erheblichen gesamtkörperlichen Entwicklungsverzögerungen und
hinzukommenden weiteren gravierenden Erkrankungen, das Grundbedürfnis auf freie
Bewegung auch im Zusammenwirken mit dem elterlichen Bemühungen im Ergebnis
notwendig und erforderlich in Form eines Toni-Cross-Fahrradanhängers weiter zu fördern
ist, war der Klage im tenoriertem Umfang insgesamt mit der Kostenfolge aus den §§ 183,
193 SGG stattzugeben.