Urteil des SozG Münster vom 23.02.2005

SozG Münster: meldung, minderung, beendigung, unverzüglich, zivilrecht, meldepflicht, kündigung, obliegenheit, arbeitslosigkeit, medien

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Münster, S 5 AL 209/04
23.02.2005
Sozialgericht Münster
5. Kammer
Gerichtsbescheid
S 5 AL 209/04
Landessozialgericht NRW, L 12 AL 27/05
Arbeitslosenversicherung
nicht rechtskräftig
Der Bescheid vom 01.04.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 wird aufgehoben. Die
Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist die Kürzung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter
Arbeitssuchendmeldung.
Der am 00.00.1974 geborene Kläger stand seit dem 06.10.2003 bei der Firma H in F als
Maurer in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Arbeitsvertrag war abgeschlossen worden
am 01.10.2003 und befristet bis zum 05.04.2004. Mit Wirkung zum 06.04.2004 meldete sich
der Kläger bei der Beklagten am 25.03.2004 arbeitslos und beantragte die Gewährung von
Arbeitslosengeld. Mit Schreiben vom 01.04.2004 teilte die Beklagte dem Kläger ergänzend
zu dem ihm noch gesondert zugehenden Bewilligungs/Änderungsbescheid mit, er sei
seiner Pflicht, sich unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden, sobald der
Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses bekannt sei, nicht
rechtzeitig nachgekommen. Spätestens am 07.01.2004 habe er sich arbeitssuchend
melden müssen, tatsächlich habe er sich erst am 25.03.2004 gemeldet, mithin 79 Tage zu
spät. Der Anspruch auf Leistungen mindere sich gemäß § 140 SGB III um 35,- EUR für
jeden Tag der verspäteten Meldung, längstens jedoch für 30 Tage. In seinem Falle
errechne sich ein Minderungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.050,- EUR. Die Minderung
erfolge, indem dieser Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde, d.h.,
dem Kläger werde bis zur vollständigen Minderung des Betrages nur die Hälfte der ohne
die Minderung zustehenden Leistung ausgezahlt. Die Höhe des Abzugs von der täglichen
Leistung betrage 17,39 EUR. Die Anrechnung beginne am 06.04.2004 und ende
voraussichtlich mit Ablauf des 05.06.2004. Dem Kläger wurde sodann ab 06.04.2004
Arbeitslosengeld bewilligt. Der Kläger, der ab 24.05.2004 wieder als Maurer in einem
Arbeitsverhältnis steht, legte gegen die Entscheidung der Beklagten zum 01.04.2004
Widerspruch ein mit der Begründung, er habe sich laut § 37 b frühestens nach drei
Monaten melden müssen und das habe er eingehalten. Mit Widerspruchsbescheid vom
11.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Sie
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legte unter anderem dar, die Pflicht zur persönlichen Meldung nach § 37 b SGB III beginne
grundsätzlich am Tag der Kenntnisnahme von der Beendigung des
Versicherungspflichtverhältnisses. Bei Arbeitsverhältnissen, die länger als drei Monate
befristet seien, entstehe die Meldepflicht spätestens drei Monate vor dem Ende der
Befristung. Zum Vorbringen des Klägers sei festzustellen, dass § 37 b Satz 2 SGB III im
Zusammenhang mit dessen Satz 1 zu sehen sei. Nach Satz 1 bestehe eine Pflicht zur
Meldung unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts. Dies würde bei einem
befristeten Arbeitsvertrag dazu führen, dass eine Arbeitssuchendmeldung direkt bei
Abschluss des Vertrages erforderlich wäre. Hinsichtlich solcher befristeter Verträge, die
länger als drei Monate andauerten, bestimme Satz 2 des § 37 b SGB III, dass eine
Arbeitssuchendmeldung nicht bei Abschluss des Vertrages, sondern frühestens drei
Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe. Im Zusammenhang mit der Pflicht zur
unverzüglichen Meldung aus Satz 1 führe dieses dazu, dass die Meldung zwar zum einen
frühestens, zum anderen aber auch spätestens drei Monate vor Beendigung des befristeten
Arbeitsverhältnisses zu erfolgen habe. Diese Auslegung entspreche auch der Intention des
Gesetzgebers. Zweck der Pflicht zur frühzeitigen Meldung sei es, frühzeitige
Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zu ermöglichen. Würde man den Satz 2
des § 37 b SGB III isoliert betrachten und lediglich auf die Meldung frühestens drei Monate
vor Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses abstellen, würde dieses dazu führen,
dass in allen Fällen von befristeten Arbeitsverhältnissen über drei Monate Dauer eine
Minderung nie eingreifen könne, in diesen Fällen vielmehr die Pflicht zur unverzüglichen
Meldung vollends ausgehebelt wäre. Dieses widerspräche aber dem Zweck des Gesetzes
und könne daher nicht richtig sein.
Im Klageverfahren macht der Kläger geltend, aus dem Gesetzestext zu § 37 b SGB III
könne er nicht ersehen, welche Vorschrift er außer Acht gelassen habe. Er habe sich
frühestens drei Monate vor Ablauf des befristeten Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos
zu melden, was am 25.03.2004 erfolgt sei. Sofern durch den Gesetzgeber eine andere
Interpretation gemeint sei, habe er davon keine Kenntnis erhalten können, da er sich
zeitweise beruflich in der Schweiz aufgehalten habe. Dort sei er auf dieses neue Gesetz
nicht hingewiesen worden und auch nicht auf die Tatsache, dass der Gesetzestext nicht
wörtlich genommen werden dürfe. Ein Urteil, was den Tatbestand beinhalte, habe er in der
Zeitung gelesen. Der Kläger legt einen schriftlichen Zeitungsausschnitt bei, auf den Bezug
genommen wird.
Einen schriftsätzlichen Klageantrag formuliert der Kläger nicht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid macht die Beklagte
geltend, der Kläger habe die Obliegenheit, sich drei Monate vor Ablauf des befristeten
Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend zu melden, verletzt. Zwar sei § 37 b Abs. 1 SGB III
grundsätzlich auch auf befristete Arbeitsverhältnisse anzuwenden, allerdings sehe § 37 b
Abs. 2 SGB III einschränkend vor, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die
Meldung jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe.
Ausgehend vom Beendigungszeitraum 05.04.2004 hätte sich der Kläger bis 06.01.2004
melden müssen. Er habe jedoch erst am 25.03.2004 vorgesprochen und damit nicht
unverzüglich im Sinne der §§ 37 b, 140 SGB III. Vom Gesetzgeber sei in § 37 b Abs. 1/2
SGB III auch eine eindeutige Regelung für die Fälle befristeter Arbeitsverhältnisse getroffen
worden. So werde in der Kommentierung von Hauck/Noftz zu § 37 b SGB III (Randziff. 5)
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die Unterscheidung getroffen, ob es sich um einen Fall der Kündigung oder eines
Auflösungsvertrages (dann: Verpflichtung zur sofortigen Arbeitssuchendmeldung nach
Kenntnis über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses) oder ob es sich um ein
befristetes Arbeitsverhältnis handele (dann: Verpflichtung zur Meldung spätestens drei
Monate vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses). Für diese Auslegung spreche die
in § 37 b Satz 2 SGB III gewählte Formulierung "jedoch", die eine Ausnahme von der
grundsätzlichen Verpflichtung zur unverzüglichen persönlichen Meldung für alle Personen,
deren Pflichtverhältnis ende, darstelle.
Das Gericht hat die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf
die beigezogene Akte. Diese ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Kläger wird durch den Bescheid der Beklagten vom 01.04.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 beschwert, da dieser rechtswidrig ist (§ 54 Abs.
2 SGG).
Bei der Mitteilung der Beklagten vom 11.04.2004 handelt es sich um einen Verwaltungsakt.
Zwar hat die Beklagte diese Mitteilung lediglich als formloses Schreiben verfasst und ohne
Rechtsmittelbelehrung an den Kläger abgesandt in Ergänzung zu dem gesondert
zugehenden Bewilligungsbescheid. Gleichwohl erfüllt das Schreiben die Voraussetzungen
des § 31 SGB X. Gemäß § 31 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung
oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf
dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach
außen gerichtet ist. Die Beklagte hat in dem Schreiben vom 01.04.2004 die Dauer und die
Höhe der Minderung des Leistungsanspruchs des Klägers beruhend auf den §§ 140, 37 b
SGB III sowie die Durchführung der Minderung der Anrechnung auf die halbe Leistung
beim Leistungsanspruch des Klägers geregelt. Es handelt sich nicht nur um eine
Erläuterung zu dem später ergangenen Bewilligungsbescheid. Der Entscheidung der
Beklagten vom 01.04.2004 kommt ein selbständiger, und zwar weitergehender
Regelungscharakter als dem Bewilligungsbescheid dadurch zu, dass die Kürzung des
Minderungsbetrages insgesamt bestimmt wird, die Höhe des täglichen
Minderungsbetrages und die Durchführung der Minderung. Der weitere Bescheid über die
Bewilligung des Arbeitslosengeldes erging u.a. in Ausführung des Bescheides vom
01.04.2004.
Das Arbeitslosengeld des Klägers wurde jedoch zu Unrecht gemindert, da die
Voraussetzungen der §§ 140, 37b SGB III nicht erfüllt sind. Hat sich der Arbeitslose
entgegen § 37b SGB III nicht unverzüglich arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich das
Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen aufgrund des Anspruches zusteht, der nach der
Pflichtverletzung entstanden ist (§ 140 SGB III). Gemäß § 37b SGB III sind Personen, deren
Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des
Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden
(Satz 1). Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch frühestens
drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen (Satz 2). Die Pflicht zur Meldung besteht
unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses
gerichtlich geltend gemacht wird (Satz 3). Die Pflicht zur Meldung gilt nicht bei einem
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befristeten Ausbildungsverhältnis (Satz 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Voraussetzung für eine Anspruchsminderung ist gemäß § 140 SGB III, dass eine
unverzügliche Meldung nicht erfolgt ist. Was unter einer unverzüglichen Meldung zu
verstehen ist, wird vom Gesetzgeber nicht definiert. Gemäß § 121 BGB bedeutet
unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern. Verschulden bedeutet Vorsatz oder Fahrlässigkeit.
Die Legaldefinition des § 121 BGB gilt nach allgemeiner Auffassung nicht nur im Zivilrecht,
sondern auch entsprechend im öffentlichen Recht. Auch § 37 b SGB III verwendet den
Begriff der unverzüglichen Meldung. Danach hat die Meldung ohne schuldhaftes Zögern zu
erfolgen, d.h., eine verspätete Meldung ist schuldhaft, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig
herbeigeführt wurde. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer
Acht lässt. Die Sorgfaltspflichtverletzung setzt ein objektiv pflichtwidriges Handeln voraus.
Subjektiv muss jedoch auch hinzukommen, dass diese objektive Pflichtwidrigkeit
vorhersehbar und unvermeidbar gewesen ist.
Dahin stehen kann, ob im vorliegenden Fall tatsächlich eine objektive Pflichtwidrigkeit des
Klägers darin zu sehen ist, dass er sich trotz Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages
am 01.10.2003 mit Befristung bis zum 05.04.2004 erst bei der Beklagten am 25.03.2004 mit
Wirkung zum 06.04.2004 arbeitslos gemeldet hat. Denn selbst wenn die in der
Arbeitslosmeldung enthaltene Arbeitssuchendmeldung erst am 25.03.2004 verspätet
gewesen wäre, trifft den Kläger an der etwaigen Pflichtwidrigkeit subjektiv kein
Verschulden. Diese etwaige Pflichtwidrigkeit ist für den Kläger nämlich weder vorhersehbar
noch vermeidbar gewesen.
Wie sich dem Vorbringen des Klägers im Widerspruchs- und im Klageverfahren entnehmen
lässt, kann er selber nicht erkennen, welche Vorschrift er bei seiner Meldung erst am
25.03.2004 außer Acht gelassen haben solle. Er habe sich frühestens drei Monate vor
Ablauf des befristeten Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos zu melden gehabt und das
sei durch ihn erfolgt. Sofern durch den Gesetzgeber eine andere Interpretation gemeint
gewesen sei im Rahmen des § 37 b SGB III habe er davon keine Kenntnis erhalten. Diese
Einlassung ist nicht zu widerlegen. Für den Kläger spricht auch, dass er sich unverzüglich
nach Kenntnisnahme, das befristete Arbeitsverhältnis werde nicht verlängert, bei der
Beklagten arbeitslos gemeldet hat. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers
nämlich vom 25.03.2004 war zwar einerseits das Arbeitsverhältnis bereits bei Abschluss
des Arbeitsvertrages bis zum 05.04.2004 befristet, andererseits jedoch hatte der
Arbeitgeber auch angegeben, das Arbeitsverhältnis sei durch den Arbeitgeber am
24.03.2004 zum 05.04.2004 gekündigt worden. Ausweislich des Vermerks der Beklagten
vom 11.08.2004 über ein Telefonat mit der Arbeitgeberfirma lag eine Kündigung im
rechtlichen Sinne gar nicht vor. Insoweit sei die Eintragung in der Arbeitsbescheinigung
falsch. Man habe dem Kläger nur irgendwann mitgeteilt, dass eine Verlängerung nicht
erfolge. Ganz offensichtlich erfolgte diese Mitteilung unter dem 24.03.2004, was vom
Arbeitgeber als Kündigung, nicht jedoch im rechtlichen Sinne, in der Arbeitsbescheinigung
bezeichnet worden war. Unmittelbar nach dem 24.03.2004 erfolgte die Arbeitslosmeldung
am 25.03.2004. Ging der Kläger mithin mangels anderweitiger Kenntnis davon aus, sich
frühestens drei Monate vor Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten
arbeitssuchend melden zu müssen, so hat er aus seiner subjektiven Sicht diese zeitliche
Vorgabe eingehalten. Mehr konnte vom Kläger nicht verlangt werden.
Zwar wird im Zivilrecht hinsichtlich des Verschuldens im Rahmen des § 121 BGB ein
strenger Maßstab angelegt. Danach darf im allgemeinen Rechtsverkehr jeder darauf
vertrauen, dass die anderen am Zivilrechtsverhältnis Beteiligten die für die Erfüllung ihrer
Pflichten erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf
kann nicht allein damit entkräftet werden, dass sich der Verpflichtete auf Unkenntnis beruft.
Dieser zivilrechtliche Maßstab soll nach Auffassung des Landessozialgerichts Baden-
Württemberg (Urteil vom 09.06.2004 zum Az.: L 3 AL 1267/04 - anhängig vor dem BSG
unter dem Az.: B 11 AL 47/04 R -) auch im Sozialversicherungsrecht Anwendung finden.
Für die Verletzung der Obliegenheit aus § 37 b SGB III sei es unerheblich, ob dem
Versicherten die Pflicht zur Meldung bekannt gewesen sei. Zur Begründung wird unter
anderem ausgeführt, auch im Arbeitsförderungsrecht gelte der Grundsatz, dass im
allgemeinen zu erwarten stehe, dass der Versicherte seine Rechtspflichten kenne und
Unkenntnis hierüber Pflichtverstöße nicht entschuldige. Dem ist jedoch entgegen zu halten,
dass auch der Schuldner im Zivilrecht für einen Rechtsirrtum nur dann einstehen muss,
wenn er fahrlässig gehandelt hat. Es gilt ein strenger Sorgfaltsmaßstab. Der Schuldner
muss im Zivilrecht die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen
und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten. Tut er dieses, so liegt auch
im Zivilrecht ein unverschuldeter Rechtsirrtum vor. Diese zivilrechtlichen Grundsätze sind
jedoch nicht ohne weiteres auf die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen
Arbeitssuchenden bzw. Arbeitslosen und Bundesagentur für Arbeit zu übertragen. Im
Zivilrecht bestimmen und entscheiden die Beteiligten selbst, ob und mit wem sie
rechtsgeschäftliche Beziehungen eingehen wollen und ob und in welcher Form sie diese
wieder beenden wollen. Soll ein Vertragsverhältnis durch Anfechtung wieder rückgängig
gemacht werden, so kann von dem Anfechtungsberechtigten erwartet werden, dass er sich
umfassend informiert, ob und wann er innerhalb einer bestimmten Frist die
Anfechtungserklärung abgeben muss. Anders ist es im Subordinationsverhältnis wie im
vorliegenden Fall, wo den Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet,
Verpflichtungen hoheitlich auferlegt werden, die ganz allgemein bestehen und die erst zu
einem späteren, noch nicht konkret feststehenden Zeitraum, nämlich wenn der konkrete
Einzelfall eingetreten ist, umzusetzen sind. Tritt dieser Einzelfall ein und endet ein
befristetes Arbeitsverhältnis, so besteht für den Arbeitnehmer nur dann Veranlassung,
fachkundigen Rat einzuholen, wenn ihm überhaupt bewusst ist, dass für ihn
Beratungsbedarf hinsichtlich seiner Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung besteht. Im
vorliegenden Fall ging der Kläger davon aus, sich frühestens drei Monate vor Ablauf des
befristeten Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend melden zu müssen. Dieses hat er getan.
Aus seiner Sicht bestand für ihn keine Veranlassung, sich anderweitig zu informieren und
entsprechenden Rechtsrat einzuholen. Dieses gilt erst recht, berücksichtigt man, dass die
Vorschriften der §§ 37 b und 140 SGB III erst mit Wirkung zum 01.07.2003 in Kraft getreten
sind. Damit wurde erstmals eine Regelung in Kraft gesetzt, die den zukünftigen
Arbeitslosen die Obliegenheit auferlegt, sich bereits vor Eintritt der Beschäftigungslosigkeit
bei der Beklagten melden zu sollen. Damit wurde die bisherige Rechtslage, die in der
Bevölkerung allgemein bekannt war, sich mit Eintritt der Beschäftigungslosigkeit bei der
Agentur für Arbeit arbeitslos melden zu müssen, um Leistungen erhalten zu können,
durchbrochen. Zwar wurde in den Medien über die Neuregelungen hinsichtlich der §§ 37 b,
140 SGB III berichtet. Unabhängig davon, dass niemand verpflichtet ist, fernzusehen oder
die Zeitung zu lesen und eine solche Verpflichtung in den §§ 37 b, 140 SGB III auch nicht
postuliert wird, ist es, selbst wenn der Kläger irgendwann einmal in Funk oder Fernsehen
über diese Vorschriften etwas gehört haben sollte, ihm nicht vorzuwerfen, wenn ihm diese
Informationen zum Zeitpunkt drei Monate vor Ablauf des befristeten
Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr bewusst waren und er für sich keinen konkreten
Beratungsbedarf gesehen hat. Angesichts der Fülle von Informationen über
wünschenswerte Gesetzesänderungen, geplante Gesetzesänderungen, wieder
aufgehobene Gesetzesänderungen würde es in der Regel eine unzumutbare
Überforderung des Arbeitnehmers bedeuten, wollte man hieran den
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Vermeidbarkeitsmaßstab der Pflichtverletzung anknüpfen. Dieses gilt umso mehr,
berücksichtigt man, dass die Auslegung, wann eine unverzügliche Meldepflicht im Falle
befristeter Arbeitsverhältnisse entsteht, umstritten ist. Der Gesetzeswortlaut gibt für die
Auslegung nichts her. Durch die Formulierung im Gesetz "frühestens" kommt zum
Ausdruck, dass auch eine spätere Meldung möglich sein muss. Wann diese spätestens zu
erfolgen hat, regelt der Gesetzgeber jedoch nicht. Die vom Gesetzgeber in der Begründung
zur Einführung des § 37 b SGB III gemachten Ausführungen geben keinen Aufschluss
darüber, wann die Meldung spätestens zu erfolgen hat im Falle befristeter
Arbeitsverhältnisse. In der Drucksache 15/25 ist lediglich ausgeführt: "Bei befristeten
Arbeitsverhältnissen soll die Meldung jedoch nicht früher als drei Monate vor Ablauf des
Arbeitsverhältnisses erfolgen." Welche Pflicht konkret der Gesetzgeber normieren wollte,
lässt sich zwar durch Gesetzesinterpretation ermitteln. Hier spricht vieles für die Auslegung
der Beklagten, da andernfalls man zu dem Ergebnis gelangen könnte, bei befristeten
Arbeitsverträgen entstünde eine Meldepflicht nach § 37 b SGB III spätestens mit dem
Eintritt der Arbeitslosigkeit. Ein solches Ergebnis würde mit den gesetzgeberischen Zielen
nicht in Einklang stehen, die Eingliederung von Arbeitssuchenden beschleunigen und
damit Arbeitslosigkeit und damit Entgeltersatzleistungen möglichst zu vermeiden bzw. die
Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Dieses Ziel gilt für Arbeitnehmer in befristeten
Beschäftigungsverhältnissen gleichermaßen wie für jene, deren Arbeitsverhältnis durch
den Arbeitgeber gekündigt wird. Dafür, dass sich Arbeitnehmer, die in einem befristeten
Arbeitsverhältnis stehen, nach dem gesetzgeberischen Willen erst später hätten
arbeitssuchend melden sollen als jene, deren Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist, ist
kein Anhaltspunkt zu erkennen. Gleichwohl ändert dieses nichts daran, dass es sich
lediglich um eine Gesetzesinterpretation handelt und dass über diese
Gesetzesinterpretation zum einen in den Medien keineswegs eindeutig berichtet wurde und
zum anderen in der Rechtsprechung durchaus Streit besteht, wie der Gesetzeswortlaut zu
verstehen ist. Es kann dem Kläger nicht als schuldhaft verspätete Arbeitssuchendmeldung
vorgeworfen werden, wenn er das Gesetz gar nicht oder falsch auslegt. Eine gefestigte
Rechtsprechung zur Interpretation des § 37 b SGB III in Verbindung mit § 140 SGB III gibt
es bislang nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.