Urteil des SozG München vom 06.05.2010

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Sozialgericht München
Urteil vom 06.05.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 EG 7/09
I. Der Bescheid vom 09.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2008 wird aufgehoben. II. Der
Beklagte hat dem Kläger den zurückerstatteten Betrag von EUR 669,86 wieder auszuzahlen. III. Der Beklagte hat
dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Elterngeldes. Der als selbstständiger Versicherungsmakler tätige
Kläger beantragte am 27.06.2007 beim Beklagten die Zahlung von Elterngeld wegen Erziehung seines am
XX.XX.2007 geborenen Sohnes T. S. für die Lebensmonate 13 und 14. Eine Bescheinigung vom 11.10.2007
erläuterte, dass der Kläger in der Freistellungsphase durchschnittlich 15 bis 20 Stunden pro Woche arbeite und durch
einen fachkundigen Kollegen vertreten werde. Die Minderung betrage monatlich circa 2000 Euro. Mit vorläufigem
Bescheid vom 09.11.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 18.03.2008 bis 17.05.2008 ein
Elterngeld in Höhe von monatlich EUR 634,93. Nach Vorlage von Unterlagen über die tatsächlich erzielten Einkünfte
erließ die Beklagte am 09.10.2008 einen Bescheid mit der endgültigen Entscheidung. Das Elterngeld wurde nunmehr
mit monatlich EUR 300,00 festgesetzt und eine Überzahlung von EUR 669,86 geltend gemacht. Zur Begründung
wurde dargestellt, dass der Kläger nach der Höhe der nunmehr feststehenden Einkünfte im Kalenderjahr 2006 ein
durchschnittliches monatli-ches Nettoerwerbseinkommen von EUR 3219,96 erzielt habe. Daraus errechne sich ein
Elterngeld von EUR 2157,37. Dieser Betrag übersteige den Höchstbetrag von EUR 1800,00 und sei deshalb auf
diesen Höchstbetrag zu kürzen. In einer Anlage zum Be-scheid wurde berechnet, das der Kläger im
Bemessungszeitraum durchschnittlich monat-lich EUR 3219,96 und im Bezugszeitraum aus Teilzeitarbeit monatlich
EUR 2507,98 ver-dient habe. Die Differenz des Teilzeitentgelts zum Maximalbetrag des Einkommens im
Bemessungszeitraum mit EUR 2700,00 wurde mit EUR 192,02 ermittelt und dieser Betrag auf das Mindestelterngeld
von EUR 300,00 angehoben. Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger mit dem Hinweis, die angegebenen
Einnahmen beträfen den Februar 2008 und nicht den April. Aus den vorgelegten Unterlagen sei ersichtlich, dass die
Provisionen immer zeitlich versetzt zur Auszahlung kämen. Der Kläger habe im Elterngeldzeitraum keine Einnahmen
erzielt. Als einziger nennenswerter Zufluss im Bezugszeitraum des Elterngeldes 18.03.2008 bis 17.05.2008 ergab sich
aus vorgelegten Kontoauszügen eine Gutschrift vom 09.04.2008 über EUR 14.353,95. Der Beklagte wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2008 zurück. Er verwies auf das steuerliche Zuflussprinzip nach §
11 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach allein die Einnahmen entscheidend seien und nicht, wann die
Arbeitsleistung er-bracht worden sei. Auch wenn die Einnahme in Höhe von EUR 14.353,95 die Tätigkeit des Klägers
im Februar 2008 betreffe, sei doch die Zahlung und somit der Zufluss am 09.04.2008 und damit eindeutig im
Bezugszeitraum des Elterngeldes erfolgt. Dieser Betrag sei somit als Einnahme zu berücksichtigen und auf das
Elterngeld anzurechnen. Die Klage hält am Begehren eines unveränderten Elterngeldes vom 18.03.2008 bis
17.05.2008 in Höhe von monatlich EUR 634,93 fest. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend
vorgetragen, die "Jahrescourtagen" würden jeweils im Januar von den Versicherungsgesellschaften für die
Versicherungsmakler gebucht und frühestens im Februar/März an diese ausbezahlt. Zwischen Abrechnung und
Auszahlung lägen vier bis sechs Wochen. Der Kläger hat ausdrücklich erklärt, in der Zeit des Elterngeldbezuges keine
Arbeitsleistung erbracht zu haben.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.12.2008 und die Verurteilung des Beklagten zur Wiederauszahlung des zurückgezahlten Betrages.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten des Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte
sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht
beim zuständigen Gericht erhoben und ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auch statthaft. Die
zulässige Klage ist auch in der Sache begründet. Der Beklagte hatte § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetzes (BEEG) anzuwenden, wonach Anspruch auf Elterngeld nur hat, wer keine oder keine volle
Erwerbstätigkeit ausübt. Nach Abs. 6 S. 1 der Vorschrift ist eine Person nicht oder nicht voll erwerbstätig, wenn ihre
wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats nicht übersteigt. Diese Voraussetzung ist
beim Kläger in den Lebensmonaten 13 und 14 seines Sohnes erfüllt. Der Beklagte kam nur deswegen zu einem
anderen Ergebnis, weil er den Zufluss von Er-trägen aus einer vor der Phase der Kindererziehung ausgeübten
Tätigkeit mit dieser Tätigkeit gleichsetzt. Die Worte "kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt" in der Vorschrift
des § 2 Abs. 1 S. 1 BEEG bzw. "ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das
nach Abs. 1 berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt" in § 2 Abs. 3
S. 1 BEEG müssen jedoch dahingehend ausgelegt werden, das der reine Zufluss von Einkommen aus einer aktuell
nicht ausgeübten Tätigkeit außer Betracht bleibt. Ein selbstständig oder freiberuflich tätiger Elternteil könnte sonst
mindestens für kürzere Bezugszeiträume zwischen einem und etwa drei Monaten niemals Elterngeld erlangen. Der
selbstständige Handwerksmeister, Schriftsteller oder Bauunternehmer, die Architektin, Rechtsanwältin, Ärztin,
Psychotherapeutin, Publizistin oder Bildhauerin können es schlechthin nicht verhindern, dass auch Wochen und
Monate nach der unstreitigen Stilllegung jeder beruflichen Tätigkeit noch Kaufpreise, Vergütungen und Honorare auf
ihrem Konto oder in bar eintreffen. Beispiels-weise der ins System der gesetzlichen Krankenversicherung
einbezogene oder für das Sozialgericht als Gutachter tätige Arzt hat keinen Einfluss auf den Zeitpunkt seiner
Bezahlung. Ein Versuch, die Zahlung zu beschleunigen oder zu verzögern, würde als unzulässige Manipulation
öffentlich-rechtlicher Verfahrenshandlungen zurückgewiesen werden. Nach alledem muss für den Anspruch auf
Elterngeld genügen, dass der Kläger im geltend gemachten Zeitraum jede Berufstätigkeit eingestellt hat. In dieser Zeit
noch zugeflossene Gelder sind nicht schädlich, weil er eine Tätigkeit nicht ausgeübt hat und der Zusammenhang der
Zahlungen mit einer vorher ausgeübten Tätigkeit außer Betracht zu bleiben hat. Der Kläger hat das Anliegen des
Gesetzgebers erfüllt, seine zeitliche Inanspruchnahme vom Beruf auf die Kindererziehung zu verlagern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gegen dieses Urteil war die Berufung
zuzulassen, weil die Auslegung der zitierten Vorschriften von grundsätzlicher Bedeutung ist.