Urteil des SozG München vom 25.10.2001

SozG München: ärztliche untersuchung, krankenversicherung, gesetzlicher vertreter, auto, transport, bezirk, behinderung, ausstattung, versorgung, muskelatrophie

Sozialgericht München
Urteil vom 25.10.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 2 KR 252/97
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10. Juni 1997 verurteilt, den Klägern 33.000,- DM gemäß Anlage zur Rechnung vom 18. April 1997 des
Autohauses G. in M. für zusätzliche Klimatisierung, elektrisch einstellbare Liegefläche für zwei Personen, Erweiterung
der elektrischen Anlagen und schnellen Zugang zur Liegefläche zu erstatten. II. Die Beklagte hat den Klägern die
notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob den Klägern ein Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenübernahme für
behindertengerechte Zurichtungen an einem Kraftfahrzeug zusteht. Die 1977 geborene Klägerin zu 1) und der am 1979
geborene Kläger zu 2) sind familienversichert über den Vater H. W ... Beide Kläger leiden an einer spinalen
Muskelatrophie Typ Werding-Hoffmann. Die Klägerin zu 1) ist darüberhinaus noch erblindet. Sie befinden sich seit
Jahren in der Behandlung des Dr. von Hauner schen Kinderspitals der Ludwig-Maximilians-Universitiät München.
Beide Kläger haben im Regelschulsystem ihr Abitur erworben und studieren Jura bzw. Informatik. Ausweislich der
Feststellungen der behandelnden Ärzte des von Hauner schen Kinderspitals und des gerichtlichen Sachverständigen
Prof. Dr. Dr. hc. H.V.in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 13.5.2001 leiden beide Kläger an der
lebensbedrohlichen Krankheit. Das Krankheitsbild der spinalen Muskelatrophie zählt zu den Erkrankungen des
Motoneurons und führt nach der Mukoviszidose als congeniale Erkrankung am zweithäufigsten zum Tode. Das
Krankheitsbild bildet sich unterschiedlich aus. Die Erkrankung kann einzelne Muskelgruppen, aber auch mehr oder
weniger dem Körperstamm nahe Muskelgruppen erfassen. Nach dem Krankheitsverlauf liegt bei beiden Klägern der
Typ II der spinalen Muskelatrophie vor, der durch einen chronischen Verlauf gekennzeichnet ist. Die Kläger können
nicht stehen, laufen, im Sitzen wird die schlaffe Körperhaltung offenkundig. Da auch die Zwischenrippenmuskeln
betroffen sind, führt dies zu einer zunehmenden Beeinträchtigung der Atmung und Atemfunktion, da diese als
Atemhilfsmuskulatur bei der Erweiterung des Brustkorbs notwendig sind. Beim Kläger zu 2) hat zur Sicherstellung der
Beatmung im Februar 2001 ein Luftröhrenschnitt vorgenommen werden müssen. Die Kläger sind vollkommen auf
fremde Hilfe angewiesen, da schwerste Einschränkungen der Grob- und Feinmotorik, der Körperbewegung, der
Atmung, der Selbstversorgung, vorliegen. Beide Kläger sind ständig durch Aspiration lebensbedroht und können
selbständig Nahrung zu sich nehmen. Sie müssen beide ständig Atemhilfe erhalten und erhalten können und ständig
monitorisiert werden. Prof. V.bezeichnet beide Kläger im Prinzip als "Intensivpatienten". Für die Krankheit der
spinalen Muskelatrophie nach Werding-Hoffmann existieren keine kausal wirksamen Behandlungsmethoden.
Der Vater der Kläger hat beim überörtlichen Sozialhilfeträger dem Bezirk Oberbayern Eingliederungshilfe für
Behinderte für die Kläger mehrfach beantragt und gewährt bekommen. Mit Bescheid vom 21.3.1997 (Bl. 520 der
beigezogenen Akte des überörtlichen Sozialhilfeträgers, Bezirk Oberbayern) hat der Bezirk dem Vater der Kläger für
seine beiden Kinder Eingliederungshilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges Chevreolet Van G 20 Diesel mit
Umbauten zu einem Preis von 95.500,- DM bewilligt. Der Bescheid war begründet mit den Rechtsvorschriften des §
40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG i.V.m. §§ 8 und 9 der Eingliederungshilfe-Verordnung nach § 47 BSHG. Die Hilfe werde
gewährt, da die Kläger wegen Art und Schwere der Behinderung und zum Zwecke ihrer Eingliederung auf die
regelmäßige tägliche Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sind. Der Vater und Stammversicherte bei der
Beklagten hat für seine familienversicherten Kinder und Kläger zu 1) und 2) am 5.3.1997 Antrag bei der Beklagten auf
Kostenübernahme für medizinisch bedingte Zusätze beim Autotransport gestellt. Er hat in dem Antrag festgestellt,
daß es sich nicht um die Finanzierung bzw. Teilfinanzierung eines Behindertenfahrzeugs handle, sondern es sich um
zwingende medizinische Notwendigkeiten handle und darüber hinaus der Autotransport der Kläger zur
Aufrechterhaltung der Pflege und medizinischen Behandlung erforderlich sei. Prof. Dr. Dr. H., Direktor der Klinik Dr.
von Hauner sches Kinderspital hat am 29.3.1996 eine ärztliche Bescheinigung ausgestellt und festgestellt, daß die
beiden Kläger sehr häufig zusammen mit dem Auto transportiert werden müssen. Durch eine Vielzahl von
Betreuungsmaßnahmen (ärztliche Untersuchung, krankengymnastische Anwendungen, Orthopädietermine, stationäre
Immuntherapie usw.) ergebe sich allein aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit der täglichen Beförderung. Die
Beförderung mit dem Auto über längere Strecken ergebe sich für die Kläger zusätzlich, da eine Erholung bzw. Kur
(möglichst Seeaufenthalt) zweimal im Jahr stattfinden sollte. Die Besonderheit bestehe darin, daß die Krankheit einen
Transport im Auto nur im Liegen ermögliche. Zusätzlich sei eine Behandlung mittels Beatmungsgeräten im Bedarfsfall
zu ermöglichen (entsprechende Klimaanlage), wobei der Transport nur mit einem Fahrer (ohne zusätzliche
Begleitperson) weitere Anforderungen an das Auto stelle (Automatik, da eine Hand zum Nachregeln der Atmung "frei"
bleiben müsse). Aus medizinischer Sicht sei die Zusatzausstattung des Fahrzeugs dringend notwendig, da die
Muskelschwäche bei beiden Klägern die Atemmuskulatur schwächen würde und zu Atem- und Kreislaufproblemen
führen könne. Besonders beim Kläger zu 2) bestehe dann eine lebensbedrohliche Gefahr, da er zusätzlich an Infekten
der Atemorgane und Allergien erkrankt sei und dann ein schnellerer und sicherer Transport jederzeit in die Klinik
notfalls möglich sein sollte. Dabei müsse der Liegebereich vom Fahrer aus (ohne auszusteigen) schnell erreichbar
sein (Notfall) und durch eine Lederpolsterung die Gefahr eines zusätzlichen Allergieanfalls verringert werden. Es sei
daher nötig, durch Bereitstellung eines besonders klimatisierten Wagens mit Liegeflächen und zusätzlichen
Transportmöglichkeiten für Rollstühle, einen schnellen und sicheren Transport auch durch die Mutter allein zu
ermöglichen. Das ärztliche Attest wurde durch ein weiteres ärztliches Attest des Dr. H. vom 25.6.1996 untermauert. In
den Akten der Beklagten findet sich ein Angebot der Firma Opel H. in 80032 München vom 1.4.1996 über einen
Vorführwagen Chevrolet Van G 20 Diesel mit Umbau von Starcraft für den Transport von zwei Personen in
Liegeposition mit einer Ausstattung Automatik, Lederpolsterung, geregelter Klimaanlage im Liegebereich, Stauraum
für zwei Rollstühle für DM 86.098,-. Mit Schreiben vom 13.3.1997 hat die Beklagte den Antrag des Vaters der Kläger
abgelehnt und festgestellt, daß es sich bei medizinisch bedingten Zusätzen beim Autotransport nicht um ein
Hilfsmittel im Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung handeln würde. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts diene die Sonderausstattung eines Pkw bzw. die zusätzlichen Behinderungseinrichtungen für
Kraftfahrzeuge der Ausübung einer körperlichen Funktion. Demzufolge seien solche Hilfen keine Hilfsmittel im Sinne
der gesetzlichen Krankenversicherung. Der örtliche Sozialhilfeträger habe bereits seine Zuständigkeit anerkannt,
weshalb die Beklagte keine Kostenbeteiligung leisten könne. Das Schreiben war mit einer Rechtsmittelbelehrung für
einen Widerspruch versehen. In seiner schriftlichen Begründung zum mündlichen Widerspruch vom 4.4.1997 hat der
Vater der Kläger ausgeführt, daß es sich nicht um eine Hilfe zur Kfz-Finanzierung handeln würde. Der Pkw sei zur
Aufrechterhaltung zur medizinischen Versorgung unbedingt notwendig und zwar an vier bis fünf Terminen je Woche,
um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern und Behinderungen (im vorliegenden Fall die akute Lebensgefahr
durch Aussetzung der Atmung) auszuschließen. Der Vater der Kläger hat ein Schreiben des Bayerischen
Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit vom 5.4.1994 anläßlich einer
Eingabe in einer Sozialhilfesache vorgelegt. Aufgrund eines mündlichen Hinweises vom 17.4.1997 eines Mitarbeiters
der Beklagten (vgl. Aktenvermerk Bl. 29 der Beklagtenakte) hat der Kläger eine Anlage zur Rechnungsstellung vom
18.4.1997 (Bestätigung zur Vorlage bei der Krankenkasse) der Firma G. US-CARS GmbH in 81825 München,
vorgelegt. Danach entstünden folgende Kostenanteile für spezielle Zusätze und Erweiterungen: Eine zusätzliche
Klimatisierung im Umfang von DM 8.000,-, eine elektrisch einstellbare Liegefläche für zwei Personen in Höhe von DM
10.000,-, die Erweiterung der elektrischen Anlagen zum Betrieb verschiedener Zusatzeinrichtungen in Höhe von DM
5.000,- und die Änderung der Karosserie zur Ermöglichung eines schnellen Zugangs zur Liegefläche von der
Fahrerseite im Gegenwert von DM 10.000,-. Die Rechnung vom 18.4.1997 umfaßte den Gesamtbetrag von DM
94.500,-. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.7.1997 hat die Beklagte den Widerspruch des Vaters der Kläger
zurückgewiesen. Die Beklagte hat festgestellt, daß gemäß § 33 Abs. 1 SGB V Versicherte Anspruch auf Hilfsmittel
haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung
auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Das
Bundessozialgericht habe mit Urteilen aus den Jahren 1978 und 1981 festgestellt, daß zusätzliche
Behinderteneinrichtungen und behindertengerechte Sonderaustattungen an einem Pkw keine Hilfsmittel im Sinne der
gesetzlichen Krankenversicherung sind.
Hiergegen hat der nunmehr Bevollmächtigte namens der Kläger am 7. Juli 1997, eingegangen bei Gericht am 8. Juli
1997, Klage zum Sozialgericht München eingereicht und eine Vollmacht des Vaters vom 7.7.1997 beigefügt. Der
Vater sei bevollmächtigt für die Klägerin zu 1) und gesetzlicher Vertreter des Klägers zu 2). Zur Begründung wurde
ausgeführt, daß die mit der Klage begehrten Leistungen Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung
seien, da erst durch die Zusatzausstattung es den Klägern überhaupt ermöglicht werde, einen Pkw zu benutzen. Die
Benutzung eines Pkws ist zu jeder Art der Fortbewegung der Kläger erforderlich, so daß der Einsatz der Hilfsmittel zur
Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse auf Fortbewegung benötigt werde, wie das Bundessozialgericht in
seiner Entscheidung veröffentlicht unter SozR 3-2500, § 33 Nr. 3 festgestellt habe. Mit Schriftsatz vom 6.8.1997 hat
der Bevollmächtigte eine Vollmacht der schreibunfähigen Klägerin zu 1) vom 2.8.1997 vorgelegt. Zur Vorbereitung der
Beweiserhebung hat das Sozialgericht einen Befundbericht des Prof. J. vom Hauner schen Kinderhospital eingeholt.
Mit Beschluss vom 2.2.1998 hat das Sozialgericht die Pflegekasse beigeladen. Der Bevollmächtigte hat mit
Schriftsatz vom 18.3.1998 die soziale und rechtliche Situation erläutert und den Kraftfahrzeugschein des Pkws
vorgelegt, an dem die behindertengerechten Zusatzeinrichtungen ausgeführt worden sind. Der Pkw ist unter dem
amtlichen Kennzeichen M - seit 1.8.1997 auf den Kläger zu 2) zugelassen. Der Bezirk Oberbayern hat mit Schreiben
vom 22.8.1998 dem Sozialgericht die Sozialhilfeakten zur Beweiserhebung zur Verfügung gestellt. Mit
Beweisanordnung vom 28.4.1998 hat das Sozialgericht Herrn Prof. Dr. H. V. zum gerichtlichen Sachverständigen
ernannt, der erst aufgrund mehrfacher Mahnung durch das Sozialgericht am 13.5.2001 sein gerichtliches
Sachverständigengutachten erstellt hat. Er hat festgestellt, daß eine Reihe von Stellungnahmen von den Klägern
angefordert werden mußten und die Äußerung der Kläger erst 2001 eingegangen seien. Deswegen habe sich die
Stellung des Gutachtens verzögert. Dem Sachverständigen wurde eine Darstellung der Lebenssituation der
klägerischen Familie vorgelegt (Bl. 167 - 170 der Gerichtsakte) und eine Beschreibung der
Ausstattungsnotwendigkeiten des Pkw (Bl. 171 der Gerichtsakte) zugeleitet. Weiter wurde vorgelegt, eine Aufstellung
der Einsätze mit dem Auto und der entsprechenden Fahreinsätze für die Klägerin zu 1) den Kläger zu 2) (Bl. 172 und
173 der Gerichtsakte). Der Sachverständige stellt fest, daß die technische Ausstattung des Pkw im Prinzip einem
Intensiv-Krankentransport-Fahrzeug im weitesten Sinn (Rettungsfahrzeug) entspreche. Dabei sei festzustellen, daß
mit dem Fahrzeug beide Kläger gleichzeitig transportiert werden können, Transportpersonal außerhalb der Familie
eingespart werde und so auch verhindert werde, daß jeweils ein Krankentransportfahrzeug mit der Ausstattung eines
Intensiv-Rettungswagens für die Kläger angefordert werden müsse. Die beantragte Zusatzausstattung des Pkw dient
dem Erhalt von Körperfunktionen und sei erforderlich, um vitale Funktionen in jeglicher Lebenssituation zuhause und
außer Haus erhalten zu können. Die spezielle Ausstattung des Pkw sei dazu geeignet und unverzichtbar, um in jeder
Situation des täglichen Lebens bei beiden Klägern die vorhandenen lebensbedrohlichen Behinderungen auszugleichen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25.10.2001 hat der Bevollmächtigte der Kläger
beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.3.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10.6.1997 zu verurteilen, den Klägern DM 33.000,- gemäß Anlage zur Rechnung vom 18.4.1997 des Autohauses G. in
M. für zusätzliche Klimatisierung, elektrisch einstellbare Liegefläche für zwei Personen, Erweiterung der elektrischen
Anlagen und schneller Zugang zur Liegefläche zu erstatten. Die Beklagtenvertreterin beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Vertreterin der Beigeladenen beantragt, die Klage ebenfalls abzuweisen. Die Beklagte hält dem Anspruch der
Kläger entgegen, daß keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden wären, die eine andere Beurteilung als im
Widerspruchsbescheid vom 10.6.1997 begründen könnten. Der Hinweis des Sachverständigen, daß das am 1.7.2001
in Kraft getretene SGB IX gelten würde, sei nicht zielführend. Kauf und Benutzung des Autos erfolgten bereits im Jahr
1997. Für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen sei das damals geltende Recht maßgeblich gewesen. Das Auto
und seine Umrichtung gehören nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Auto sei
darüberhinaus Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Zusatzausstattungen dienten nicht der Ausübung
einer körperlichen Funktion, sondern in der Regel der Eingliederung eines Behinderten und würden damit in den
Leistungsbereich der Sozialhilfe fallen. Im übrigen verweise die Beklagte weiter auf den Bewilligungsbescheid des
Bezirks Oberbayern, der Einwilligungshilfe für Behinderte bewilligt hätte. Durch das Inkrafttreten des SGB IX sei die
Zuständigkeit und der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung für den Bereich der Hilfsmittel nicht
erweitert worden. Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben den Akten des
Sozialgerichts München sowie die Beklagtenakten und vier Bände Akten des überörtlichen Sozialhilfeträgers Bezirk
Oberbayern - Sozialverwaltung - für die Kläger zu 1) und zu 2), Az.: und. Auf den gesamten Akteninhalt, auf die
ärztlichen Stellungnahmen, Gutachten und Befundberichte und auf die gewchselten Schriftsätze wird in vollem
Umfang Bezug genommen (§ 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die zum sachlich (§ 51 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und örtlich (§ 57 SGG) zuständigen Sozialgericht
München form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und erweist sich in vollem Umfang als begründet. Die
Kläger sind familienversicherte Mitglieder bei dem Beklagten. Sie können deshalb entweder über den
Stammversicherten Vater, von dem hier das familienversicherte Recht abgeleitet ist oder in eigenem Namen
Ansprüche geltend machen. Daran ändert auch nicht die Tatsache, daß das sozialgerichtlich vorgeschriebene
Verwaltungs- und Vorverfahren durch den Vater H. W. abgewickelt wurde. Die Kläger sind deshalb aktiv legitimiert.
Der Kläger zu 2) ist jetzt volljährig. Die Vollmacht auf den Vater wird gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG unterstellt. Eine
notwendige Beiladung des überörtlichen Sozialhilfeträgers Bezirk Oberbayern konnte unterbleiben, da er nachrangig
leistungspflichtig ist und lediglich ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte geltend gemacht hat (so auch Meyer-
Ladewig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage, § 75 Rdnr. 11 c). Die notwendige Beiladung der
Pflegekasse erfolgte im Hinblick auf § 75 Abs. 2 SGG, da die beantragten Zusatzeinrichtungen des Pkw auch als
Pflegehilfsmittel in Betracht kommen konnten. Der Bescheid der Beklagten vom 13.3.1997 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.6.1997 war rechtswidrig und aufzuheben und die Beklagte gemäß § 13 Abs. 3 SGB
V zur Zahlung von DM 33.000,- gemäß Anlage zur Rechnung vom 18.4.1997 des Autohauses Geiger in München für
zusätzliche Klimatisierung, elektrisch einstellbare Liegefläche für zwei Personen, Erweiterung der elektrischen
Anlagen und schnellen Zugang zur Liegefläche zu verurteilen. Gemäß §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
und § 72 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - SGB V - hat die Beklagte die im einzelnen genannten Leistungen
unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Wege der Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit diese
Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Kläger zuzurechnen sind. Diese Leistungen müssen ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen. Anspruch auf
Versorgung mit einem Hilfsmittel besteht, wenn es notwendig ist, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern
oder eine Behinderung auszugleichen und soweit nicht die Hilfsmittel als allgemeine Gegenstände des täglichen
Lebens anzusehen sind oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Im übrigen könnte
die Beklagte den Klägern ein erforderliches Hilfsmittel auch leihweise überlassen (§§ 33 Abs. 5 Satz 1 SGB V).
Unstrittig ist nach Auffassung des Gerichts, daß die Zusatzgerätschaften, die allein streitgegenständlich sind und
nicht die Versorgung der Kläger mit einem Pkw, keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Diese
werden gerade nicht von einer Vielzahl von Menschen benötigt und sind im täglichen Leben nicht über den
allgemeinen Vertriebsweg des Pkw-Handels zu erhalten. Die streitgegenständlichen Ausstattungsgegenstände sind
keine serienmäßigen Bestandteile eines Kraftfahrzeugs. Als maßgebliches Kriterium für die Leistungspflicht der
Beklagten im Sinne von § 33 SGB V ist im vorliegenden Rechtsstreit neben der Eignung des Hilfsmittels zum
Ausgleich eines Funktionsdefizits dessen Notwendigkeit zur wesentlichen Verbesserung der momentanen
Lebensbetätigungen zu sehen. Dies hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 8.6.1994 USK 9436 als
weiteren Prüfungsmaßstab für ein Hilfsmittel festgestellt. Die Zusatzeinrichtungen sind erforderlich im Sinne des § 33
SGB V. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählt das Bundessozialgericht in der o.a. Entscheidung einen
gewissen körperlichen und geistigen Freiraum, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfaßt. Das
Sozialgericht zieht zur Beurteilung dieser Frage die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. H.V.
heran, der als Leiter des Kinderzentrums München, einer Einrichtung des Bezirks Oberbayern für Behinderte und
mehrfach Behinderte Kinder die uneingeschränkte fachliche Kompetenz besitzt, sich zu dieser Frage zu äußern. Prof.
H.V. führt in eindrucksvoller Weise aus, welche Defizite die Kläger von gesundheitlicher Sicht, aber auch in Hinsicht
auf den eingeschränkten Freiraum im täglichen Leben besitzen. Der Gutachter hat ausgehend von der Beschreibung
des Krankheitsbildes, dessen Folgen und dessen wenig einer Heilung zugänglichen Behandlungsmöglichkeiten
überzeugend dargestellt, daß beide Patienten speziell bei Kfz-Transporten liegend transportiert werden müssen,
klimatisierte Luft zur Vermeidung von Infekten der Atemwege beim Transport erhalten müssen, jederzeit beatmet
werden können und von einer Begleitperson überwacht werden müssen. Ausweislich der vorgelegten Aufstellung in
der Anlage zum gerichtlichen Sachverständigengutachten, an deren Wahrheitsgehalt kein Zweifel besteht, müssen
beide Kläger täglich zur medizinischen Behandlung an die Universität mit einer Fahrzeit von zweieinhalb Stunden und
einer Strecke von 50 km durch die Mutter der Kläger transportiert werden. Darüberhinaus werden in unregelmäßigen
täglichen Abständen sowohl für die Klägerin zu 1) und für den Kläger zu 2) in unterschiedlicher Intensität und
unterschiedlichem Zeitaufwand Transporte zu Hilfsmittelerbringern, Ärzten anderer Fachrichtungen und
Rehabilitationseinrichtungen notwendig. Das Sozialgericht sieht allein durch die Transportnotwendigkeiten zu diesen
Einrichtungen den Hilfsmittelbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung für erfüllt an.
Im übrigen sieht das Sozialgericht die streitgegenständlichen Zusatzeinrichtungen zum Pkw nicht nur als
Ausgleichsinstrumente der Folgen und der Auswirkungen einer Behinderung, die bei den Klägern unstreitig vorliegen,
sondern auch als geeignete Hilfsmittel, die verschiedenen Lebensbereiche insbesondere auf beruflichen,
wirtschaftlichen oder privatem Gebiet eröffnen (BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 17). Auch hierfür sind in der zitierten
Aufstellung Fahrten und Fahrtziele aufgeführt. Das Sozialgericht weist aber auch darauf hin, daß nach § 33 Abs. 1
Satz 1 SGB V die Erforderlichkeit der Zusatzeinrichtungen als Hilfsmittel im Einzelfall zu prüfen sind. Diesbezüglich
führt der gerichtliche Sachverständige aus, daß das Krankheitsbild so selten und schwerwiegend ist, und eine
differenzierte begleitende "Rettungsbehandlung und Rettungsaktivität" erfordert, die für die Kläger erforderlich ist, um
grundlegende Lebensfunktionen zu bewältigen. Die Kläger erhalten durch die allein streitgegenständliche
Zusatzeinrichtung des Pkw den notwendigen Freiraum, um Ärzte und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens
aufzusuchen und damit eine stationäre Unterbringung oder einen erheblich teuren Hausbesuch eines Arztes zu
vermeiden. Auch der vom Sachverständigen ins Feld geführte Vergleich zu einem voll ausgestatteten
Rettungsfahrzeug, dessen Einsatz bei jedem Transport notwendig wäre, spricht für die Zuerkennung der
Zusatzausstattung als Hilfsmittel an die Kläger. Es ist im Lichte des Wirtschaftlichkeitsgebotes gemäß § 12 Abs. 1
SGB V nicht vertretbar, bei Vorliegen einer kostengünstigeren Transportmöglichkeit, die nur durch den unermüdlichen
und aufopferungsvollen persönlichen Einsatz der Eltern in Verbindung mit dem Pkw und den Zusatzeinrichtungen
erbracht werden kann, die Kläger auf den teuren Einsatz der Notfallmedizin durch qualifizierte
Rettungstransporteinrichtungen zu verweisen. Dieser Einsatz ist von Gesetzes wegen nicht der eigenen Vorsorge
gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V der Kläger zuzuordnen, sondern wäre durch die Beklagte im Wege der Sachleistung
zu erbringen. Aus dieser Argumentation heraus ergibt sich, daß die Kläger ein hohes wirtschaftliches
Verantwortungsbewußtsein hegen, um die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht über Gebühr in
Anspruch nehmen zu müssen. Die Kläger haben einen Anspruch auf Versorgung mit der zusatzgerechten
Behindertenausrüstung im beantragten Umfang als Hilfsmittel durch die Beklagte. Das Urteil des
Bundessozialgerichts vom 6.8.1998, Az.: B 3 KR 3/97 R ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da es sich nicht
um die behindertengerechte Ausstattung eines Kfz handelt. Die Kläger sind gerade nicht in der Lage, aufgrund der
streitgegenständlichen Einrichtungsausstattung das Kfz selbst zu führen. Da der Anspruch dem Grunde nach als
Sachleistungsanspruch ausgestaltet ist, der Vater der Kläger die behindertengerechte Einrichtungen im Jahre 1997
hat vornehmen lassen, hat die Beklagte die Kosten gemäß § 13 Abs. 3 SGB V zu erstatten. Eine Prüfung des § 33
Abs. 5 SGB V braucht wegen der Ablehnung durch die Beklagte nicht zu erfolgen. Der Kostenerstattungsanspruch
ergibt sich aus der Höhe der getätigten Aufwendungen. Entstanden ist die durch Anlage zur Rechnung belegte
Summe von DM 33.000,-. Weiter läßt sich der Anspruch gegen die Beklagte auf § 20 i.V.m. § 12 Nr. 7 und §§ 1 und 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rehabilitationsangleichungsgesetzes - RehaAnglG - stützen. Im vorliegenden Rechtsstreit
kommt, nachdem die behindertengerechten Zusatzausstattungsgegenstände im Jahre 1997 beschafft wurden, nicht
das 9. Buch des Sozialgesetzbuchs - SGB IX - zur Anwendung. Der vorliegende Fall ist als alter Fall zu beurteilen, da
der Beschaffungsvorgang zum Zeitpunkt der Geltung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes abgeschlossen wurde
und der Anspruch somit mit der Beschaffung entstanden ist [Art. 67 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Neunntes Buch
SGB IX vom 19.6.01 (BGBl. I S. 1056 ff)]. Die Beklagte ist Rehabilitationsträger im Sinne des
Rehabilitationsangleichungsgesetzes (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RehaAnglG), die behindertengerechte
Zusatzausstattung ist sonstige Leistung im Sinne von § 20 RehaAnglG. Danach hat die Beklagte sonstige Leistungen
als ergänzende Leistungen nach § 12 Nr. 7 RehaAnglG zu erbringen, die unter Berücksichtigung von Art und Schwere
der Behinderung erforderlich sind, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern. Dies gilt gerade im
Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes. Diese Bestimmung ist durch das Verfassungsreformgesetz vom
27. Oktober 1994 BGBl. I S. 3146 in das Grundgesetz aufgenommen worden und schreibt vor, daß niemand wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Kläger sind schwerstbehindert und wohl lebenslang auf Hilfe
angewiesen. Die Zusatzausrüstung zum Pkw kann als sonstige Leistung im Sinne von § 20 RehaAnglG qualifiziert
werden. Hinsichtlich der Erforderlichkeit zur Erreichung des Rehabilitationszieles wird auf die Ausführungen des
gerichtlichen Sachverständigen Prof. H.V. Bezug genommen. Im übrigen verkennt die Beklagte durch ihren Verweis
auf den Bewilligungsbescheid des Bezirks Oberbayern den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1
Bundessozialhilfegesetz - BSHG -). Diese Bewilligung führt zu keinem Leistungsausschluß gegenüber der Beklagten.
Eine Leistungspflicht der Beigeladenen besteht nicht. Zwar können die Einrichtungsgegenstände am Pkw geeignet
sein, den Klägern eine selbständigere Lebensführung zu ermöglichen. Wie bereits festgestelt, besteht aber die
Zuständigkeit der Beklagten, sodass eine Inanspruchnahme der Beigeladenen aus dem Grundsatz der Subsidiarität
der Leistungen der Pflegekasse gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ausscheidet. Der Klage war deshalb
vollumfänglich stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.