Urteil des SozG München vom 11.12.2007

SozG München: zweigpraxis, versorgung, genehmigung, job sharing, vorrang, filialpraxis, verwaltungsakt, gemeinschaftspraxis, konkurrenz, zugang

Sozialgericht München
Urteil vom 11.12.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 28 KA 781/07
Bayerisches Landessozialgericht L 12 KA 3/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Genehmigung einer Filiale der Beigeladenen (Gemeinschaftspraxis B./Dr. T. in
Kooperation mit Dr. K.) in R.
Die Kläger sind als Orthopäden in R., die Beigeladenen ebenfalls als Orthopäden in N. zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Auf Antrag erteilte die Beklagte den Beigeladenen mit Bescheid vom 31.1.2007 die
Genehmigung zur Eröffnung einer Filiale/Zweigpraxis in R ... Durch die Zweigpraxis würde die Versorgung in R.
verbessert, da die Beigeladenen zusätzliche Leistungen wie operative sowie andere neuraltherapeutische Verfahren
anböten. Zudem könnten Wartezeiten, insbesondere bei Notfällen verkürzt werden. Gegen die Genehmigung legten
die Kläger zunächst Widerspruch und nach dessen Zurückweisung (Widerspruchsbescheid vom 23.5.2007) Klage
beim Sozialgericht München ein mit der Begründung, R. sei bereits überversorgt und benötige keine weiteren
Orthopäden. Der Bescheid sei bereits in formeller Hinsicht wegen Begründungsmangel rechtswidrig, da relevante
Daten unter Berufung auf den Datenschutz nicht offen gelegt worden wären. Darüber hinaus sei der Bescheid auch in
materieller Hinsicht rechtswidrig. Weder sei das Benehmen mit den Krankenkassen hergestellt worden, noch die
Versorgung der Patienten durch die Zweigpraxis verbessert, da Regenstauf bereits überversorgt sei und ein
umfassendes Leistungsangebot durch die Kläger erfolge. Wartezeiten träten nicht auf, vielmehr werde die Versorgung
der Patienten der Beigeladenen nach Filialeröffnung am Vertragsarztsitz verschlechtert. Zudem würde die gerechte
und leistungsproportionale Vergütung der Orthopäden durch die erbrachten Mehrleistungen geschmälert.
Die Kläger seien auch anfechtungsberechtigt, da § 24 Abs. 3 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) drittschützende
Wirkung entfalte. Bei einer Tätigkeit aufgrund einer Filialgenehmigung handle es sich um eine Ausweitung der
vertragsärztlichen Tätigkeit und es bestünde somit eine enge Bindung an die Zulassung. Die Besonderheit hier sei
außerdem, dass die Stammpraxis und die Zweigpraxis in unterschiedlichen Planungsbereichen lägen. Ein Eingriff in
Art. 12 Grundgesetz (GG) liege vor, da es einen Vorrang der niedergelassenen Ärzte im von der Zweigpraxis
betroffenen Planungsbereich gäbe. Dies ergäbe sich daraus, dass durch die Tätigkeit in der Zweigpraxis der
Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit betroffen sei, wodurch eine konkurrierende Tätigkeit zu bereits im
Planungsbereich niedergelassenen Ärzten bestünde. Auch die Neufassung des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV setze eine
Bedarfslücke voraus, die es zu schließen gelte. Dadurch sei zumindest eine Bedarfsplanung minderer Güte
durchzuführen, womit der Drittschutz zu bejahen sei.
Die Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 31.1.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.5.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über die Erteilung der
Genehmigung einer Filiale für die Gemeinschaftspraxis W.B. und Dr. med. B. T. unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Vertreter der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verneint die drittschützende Wirkung des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, da Filialgenehmigungen keine
statusbegründenden Entscheidungen wie z.B. Ermächtigungen oder Sonderbedarfszulassungen seien. Es bestünde
kein Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen bereits niedergelassenen Ärzten und Ärzten, die aufgrund einer
Filialgenehmigung tätig seien, da § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV keine Bedarfsprüfung im engeren Sinne vorsehe. Die
Filialgenehmigung diene vielmehr der Verbesserung der Patientenversorgung, nicht aber dem Schutz bestehender
Praxen vor Konkurrenz.
Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen beantragt ebenfalls, die Klage abzuweisen.
Die Argumente sind im Wesentlichen die gleichen wie die der Beklagten. Zudem weisen die Beigeladenen darauf hin,
dass im Vergütungsbereich keine Veränderung eintrete, da eine Ausweitung des Honorarvolumens zu Lasten der
Gesamtvergütung durch die Tätigkeit in einer Filialpraxis nicht zulässig sei. Eine Verbesserung der
Patientenversorgung bestünde in verkürzten Wartezeiten, einer Rund-um-die-Uhr-Notfallversorgung, operativer
Orthopädie inklusive Endoprothetik, insbesondere der großen Gelenke und durch Akupunktur. Maßgeblich für die
Filialgenehmigung sei zudem die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, ein Benehmen mit
den Krankenkassen sei daher nicht herzustellen. Außerdem seien bedarfsplanerische Gesichtspunkte nicht zu
berücksichtigen.
Das Sozialgericht München hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die
beigezogenen Akten und die Prozessakte des Sozialgerichts München sowie die Sitzungsniederschrift Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zum zuständigen Sozialgericht München (§§ 51, 57 a Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erhobene kombinierte
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten
ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
Eine Anfechtungsklage setzt nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG voraus, dass eine Verletzung von Rechten des Klägers
durch den angefochtenen Verwaltungsakt möglich erscheint. Im Fall der defensiven Konkurrentenklage, wie sie hier
vorliegt, kann der Kläger durch einen Verwaltungsakt nur mittelbar bzw. nur durch dessen wirtschaftliche
Auswirkungen betroffen sein. Dies reicht im Regelfall für eine rechtliche Betroffenheit und damit auf die Annahme
einer Anfechtungsberechtigung nicht aus, denn die Rechtsordnung gewährt bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten
grundsätzlich keinen Schutz vor Konkurrenz (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 7.2.2007, B 6 KA 8/06 R). Die
Auslegungsfrage, ob den entsprechenden Regelungen drittschützende Wirkung entnommen werden kann, ist
allerdings keine Frage der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs, sondern eine Frage der Begründetheit.
Die Klage ist daher wegen Vorliegens der Prozessvoraussetzungen zulässig, die Erteilung der Filialgenehmigung an
die Beigeladenen zu 1. und 2. verletzt die Kläger aber mangels Drittschutz nicht in eigenen Rechten und ist daher
unbegründet. Ein Drittschutz bei defensiven Konkurrentenklagen kann nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 17. August 2004, 1 BvG 378/00) nur dann angenommen werden,
wenn der Status des anfechtenden Vertragsarztes Vorrang vor demjenigen durch den Verwaltungsakt Begünstigten
hat und der Anfechtende im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen wie der Begünstigte anbietet. Es
muss mithin ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen den beteiligten Ärzten vorliegen, nicht ausreichend sind rein
wirtschaftliche Gründe und Reflexwirkungen. Ein solches Vorrang-Nachrang-Verhältnis hat das BVerfG zwischen
einem niedergelassenen Arzt und einem ermächtigten Krankenhausarzt angenommen. Zur Begründung wurde im
Wesentlichen darauf verwiesen, dass die Begrenzung der Arztzahlen nach dem Willen des Gesetzgebers der
Kostenreduzierung und damit einer Stabilisierung des Systems insgesamt diene. Der einzelne Vertragsarzt solle
innerhalb des geschlossenen Systems nur einer für ihn noch tragbaren Konkurrenz ausgesetzt sein, dies erhalte
gleichzeitig eine leistungsfähige Ärzteschaft. Drängen Krankenhausärzte über Ermächtigungen in das System, werden
Vertragsärzte weniger in Anspruch genommen. Je mehr Ärzte Leistungen erbringen und abrechnen, desto mehr
sinken die Punktwerte ab. Überträgt man diese Argumentation des BVerfG auf die Erteilung von Filialgenehmigungen,
ergibt sich, dass im Verhältnis zwischen Filiale und (bereits bestehender) Praxis des niedergelassenen Vertragsarztes
ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis nicht besteht. Die Zweigpraxis eröffnet keinen (neuen) Zugang zur vertragsärztlichen
Versorgung im Sinne einer Statusgewährung, wie dies z.B. bei Ermächtigungen der Fall ist, sondern sie erweitert
lediglich die Orte, an denen die Leistungen des bereits niedergelassenen Arztes erbracht werden dürfen. Eine
Ausweitung des budgetierten Honorarvolumens ist durch die Filialgenehmigung ausdrücklich nicht zulässig. Auch
unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Problematik zum Drittschutz bei
Anfechtung einer Dialyse-Genehmigung ergibt sich keine andere Auslegung. Das BSG verweist in seiner
Entscheidung (BSG, Urteil vom 7.2.2007, B 6 KA 8/06 R) darauf, dass bloßen Abrechnungsgenehmigungen keine
erhebliche Grundrechtsrelevanz zukommt. Sie beträfen nur die durch die Erweiterung des durch die
Facharztqualifikation eröffneten Kernbereichs ärztlicher Tätigkeit, nicht diesen Kern selbst und den ihm
zugrundeliegenden Basis-Status. Auch die Eröffnung einer Zweigpraxis verändert nur den Kernbereich ärztlicher
Tätigkeit, indem er auch außerhalb der Stammpraxis eine Leistungserbringung ermöglicht, erweitert aber nicht den
zugrundeliegenden Basisstatus. Vielmehr sind die die Filialpraxis eröffnende niedergelassenen Ärzte bereits
Marktteilnehmer, wenn auch nicht in dem Planungsbereich, in dem die Kläger zugelassen sind und die Filialpraxis
eröffnet werden soll. Allerdings war es den Patienten auch bisher unbenommen, unabhängig von ihrem Wohnort die
Stammpraxis der Beigeladenen aufzusuchen und sich dort behandeln zu lassen. Die Versicherten sind nicht an einen
Vertragsarzt in dem ihrem Wohnort entsprechenden Planungsbereich gebunden. Mit der Genehmigung einer
Zweigpraxis wird der (örtliche) Leistungsbereich eines sich schon im System der vertragsärztlichen Versorgung
befindlichen Arztes erweitert. Hinsichtlich der Genehmigung der Filiale tritt im Vergütungsbereich keine Veränderung
der bisherigen Situation ein, denn den Ärzten war es bisher schon erlaubt, die nunmehr in der Filialpraxis erbrachten
Leistungen in der Stammpraxis zu erbringen. Bei der Praxis der Beigeladenen handelt es sich um eine
Leistungen in der Stammpraxis zu erbringen. Bei der Praxis der Beigeladenen handelt es sich um eine
Gemeinschaftspraxis im Job- Sharing mit einem entsprechenden Honorarbudget. An diesem Honorarbudget ändert
sich auch durch die Begründung einer genehmigten Filiale nichts. Insoweit geht das Argument der Kläger, durch die
Eröffnung der Filialpraxis sei die Gesamtvergütung der Orthopäden betroffen, ins Leere, da auch mit Hilfe der
genehmigten Filiale keine Ausweitung des Honorarvolumens zu Lasten der Gesamtvergütung erreicht werden kann,
die nicht auch am Stammsitz hätte erreicht werden können.
Eine Drittbetroffenheit ergibt sich auch nicht daraus, dass § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV für die Erteilung einer
Filialgenehmigung eine Verbesserung der Patientenversorgung fordert, denn dabei handelt es sich nicht um eine
Bedarfsprüfung, die drittschützende Wirkung entfalten könnte. Nach bisherigem Recht war für die Eröffnung einer
Zweigpraxis eine Bedarfsprüfung erforderlich (vg. § 15a BMV-Ärzte:" ...zur Sicherung einer ausreichenden Versorgung
..."). Durch das Vertragsarztänderungsgesetz hat sich die Rechtslage zum 1.1.2007 geändert, nunmehr ist lediglich
eine "Verbesserung der Patientenversorgung" notwendig. Der erste Arbeitsentwurf zum
Vertragsarztrechtsänderungsgesetz hatte noch vorgesehen, eine Filialgenehmigung davon abhängig zu machen, dass
"dies für die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten notwendig" sei. Diese Formulierung, die eine
Bedarfsprüfung beinhaltet, wurde aber in den entgültigen Gesetzestext nicht übernommen, was darauf hindeutet, dass
der Gesetzgeber die Eröffnung von Filialpraxen erleichtern und gerade keine Bedarfsprüfung mehr verlangen wollte
(a.A. SG Magdeburg, Urteil vom 12.3.2007, S 12 KA 701/06, das in der Neufassung der Ärzte-ZV nur eine
Abschwächung der bisherigen (harten) Bedarfsprüfung sieht). Da mit der Genehmigung der Zweigpraxis kein neuer
Zugang zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung geschaffen, sondern nur der Leistungsbereich des bereits an
der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes erweitert wird, liegt kein Vorrang-Nachrang-Verhältnis vor.
Mangels drittschützender Wirkung des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV fehlt es den Klägern damit bereits an der
Anfechtungsberechtigung. Das Gericht hatte daher nicht mehr zu prüfen, inwieweit durch die von den Beigeladenen
angebotenen Leistungen tatsächlich eine Verbesserung der Patientenversorgung eintritt.
Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 VwGO.