Urteil des SozG München vom 01.08.2007

SozG München: zumutbare arbeit, sanktion, vereitelung, minderung, eingliederung, ausbildung, eltern

Sozialgericht München
Gerichtsbescheid vom 01.08.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 22 AS 1028/05
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der zweimaligen Absenkung von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende.
Der 1967 geborene Kläger ist ledig und lebte im streitigen Zeitraum bei seinen Eltern. Er erhält seit 01.01.2005
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende.
Mit Bescheid vom 19.08.2005 setzte die Beklagte die dem Kläger zustehenden Leistungen für den Monat September
2005 auf 241,50 EUR monatlich fest, weil der Kläger sich geweigert habe, die ihm angebotene
Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben. Eine entsprechende Kürzung der Regelleistung um 30 % nahm sie mit
Bescheid vom 08.09.2005 auch für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis 30.11.2005 vor.
Mit Bescheid vom 29.09.2005 setzte die Beklagte die monatlichen Leistungen für die Zeit vom 01.10.2005 bis
31.12.2005 jeweils um (weitere) 30 % der Regelleistung herab, da der Kläger entgegen seiner Verpflichtung aus dem
von der Beklagten zwischenzeitlich erlassenen Eingliederungsbescheid vom 19.08.2005 keine ordnungsgemäßen
Bewerbungen vorgelegt habe.
Dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.09.2005 half die Beklagte hinsichtlich der (weiteren) Absenkung für
Oktober 2005 mit dem Widerspruchsbescheid vom 16.11.2005 teilweise ab; im Übrigen wies sie die Widersprüche
gegen die genannten Bescheide zurück.
Hiergegen richtet sich die beim Sozialgericht München (SG) am 16.12.2005 eingegangene Klage, zu deren
Begründung der Kläger insbesondere hat vortragen lassen, gegen die gesetzliche Pflicht, eine
Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, bestünden aus seiner Sicht verfassungsrechtliche Bedenken. Die vom
Kläger vorgelegten Bewerbungen seien bezogen auf die Stellen, die für ihn relevant seien, nicht zu beanstanden.
Mit Beschluss vom 01.12.2006 hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) wegen fehlender
Erfolgsaussicht abgelehnt. Unter Aufhebung dieser Entscheidung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) dem
Kläger mit Beschluss vom 25.04.2007 PKH bewilligt, da bei Anlegung eines eher "klägerfreundlichen" Maßstabes die
Voraussetzungen hierfür gegeben seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Bescheide der Beklagten vom 19.08.2005, 08.09.2005 und 29.09.2005, jeweils in der Gestalt des
Widerspruchsbeschei des vom 16.11.2005, teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die
Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ungekürzt in Höhe von
345,00 EUR monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dem SG lagen die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände) bei seiner Entscheidung vor. Hinsichtlich der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den ausführlichen Beschluss des Bayerischen LSG vom
25.04.2007 (L 7 B 32/07 AS PKH) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art
aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht
in seinen Rechten.
Gem. § 31 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen
Bescheide geltenden Fassung wird das Arbeitslosengeld II (unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II) in einer
ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II maßgebenden
Regelleistung abgesenkt, wenn
1. der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert,
a) eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, b) in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte
Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühun gen nachzuweisen, c) eine zumutbare
Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen oder fortzuführen, oder d) zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3
Satz 2 SGB II auszuführen,
2. der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur
Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat.
Dies gilt nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Bei
wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 1 oder Absatz 2 wird das Arbeitslosengeld II gem. § 31 Abs. 3 SGB II
zusätzlich um jeweils den Prozentsatz der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung gemindert, um den es in der
ersten Stufe gemindert wurde. Hierbei können auch die Leistungen nach den §§ 21 bis 23 SGB II betroffen sein. Bei
einer Minderung der Regelleistung um mehr als 30 % kann der zuständige Träger in angemessenem Umfang
ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der zuständige Träger soll Leistungen nach Satz 3
erbringen, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft lebt. Der erwerbsfähige
Hilfebedürftige ist vorher über die Rechtsfolgen nach den Sätzen 1 bis 4 zu belehren. Absenkung und Wegfall treten
gem. § 31 Abs. 6 SGB II mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes,
der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Absenkung und Wegfall dauern drei Monate.
Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum
Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches. Über die Rechtsfolgen nach den Sätzen 1 bis 3 ist der
erwerbsfähige Hilfebedürftige vorher zu belehren. Nach diesen Grundsätzen sind die streitgegenständlichen Bescheide
rechtlich nicht zu beanstanden. Die mit Bescheiden vom 19.08.2005 und vom 08.09.2005 vorgenommene Absenkung
ist gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a SGB II rechtmäßig. Der Kläger hat sich trotz vorheriger Belehrung ohne
wichtigen Grund geweigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Die Regelung unterliegt
aus der Sicht der Kammer - trotz der im Beschluss des Bayerischen LSG vom 25.04.2007 skizzierten
Gegenargumente - keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Auf den richterlichen Hinweis vom
29.08.2006 wird insoweit nochmals Bezug genommen. Auch die mit Bescheid vom 29.09.2005 vorgenommene
weitere Absenkung ist rechtlich aus der Sicht der Kammer nicht zu beanstanden. Es kann dahinstehen, ob diese
Sanktion auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b SGB II gestützt werden kann, weil jedenfalls die Voraussetzungen
von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c SGB II vorliegen. Die Weigerung, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, kann
bezogen auf diesen Tatbestand auch in einem auf Vereitelung einer Einstellung angelegten Bewerbungsverhalten
liegen (siehe Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2005, § 31 Rn. 17, m.w.N.). Ein solches liegt hier
unzweifelhaft vor, weil die "Bewerbungen" des Klägers für jeden potentiellen Arbeitgeber deutlich erkennen lassen,
dass der Kläger nicht ernsthaft an einer Arbeitsaufnahme interessiert ist. Eine Einschränkung des § 31 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 Buchst. c SGB II auf von der Bundesagentur für Arbeit angebotene Arbeitsstellen, wie im Beschluss des
Bayerischen LSG vom 25.04.2007 diskutiert, vermag die Kammer der Vorschrift nicht zu entnehmen. Das vom Senat
insoweit angeführte Argument, unzureichende Eigenbemühungen seien bereits über § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst.
b SGB II sanktionierbar, erscheint vielmehr gerade dann zweifelhaft, wenn man mit dem Senat diese Vorschrift
restriktiv dahingehend auslegt, dass sie bei Verstößen gegen "Eingliederungsverwaltungsakte" gem. § 15 Abs. 1 Satz
6 SGB II nicht anwendbar sei. Vielmehr führte diese Position zu dem Ergebnis, dass derjenige, der sich kategorisch
weigert, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen (wie der Kläger), faktisch in geringerem Umfang zu
Eigenbemühungen verpflichtet wäre, als derjenige, der sich einer solchen Vereinbarung nicht verschließt.
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diese Konsequenz gewollt hat, sieht die Kammer nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.