Urteil des SozG München vom 16.08.2007

SozG München: republik, wesentlicher nachteil, arbeitssuche, freizügigkeitsgesetz, aufenthalt, unionsbürger, erlass, genehmigung, arbeitsmarkt, litauen

Sozialgericht München
Beschluss vom 16.08.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 48 AS 1319/07 ER
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und unter
dem Vorbehalt des Weiterbestehens der Hilfebedürftigkeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II in gesetzlicher Höhe beginnend mit dem 11.07.2007 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren
Leistungsantrag vom 06.03.2007, längstens jedoch für einen Zeitraum von sechs Monaten zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten des Anordnungsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die 1972 geborene Antragstellerin ist litauische Staatsangehörige. Nach ihrer eidesstattlichen Erklärung vom
03.04.2007 kam sie im Jahre 2004 in die BRD. In Litauen habe sie Rechtswissenschaften studiert und
abgeschlossen. Die Überprüfung und möglicherweise Anerkennung müsse sie erst vornehmen. Sie sei in die BRD
gekommen, um Arbeit zu finden. Ein Jahr habe sie bei der Firma S. gearbeitet (zur Arbeitsbestätigung vgl. Blatt 41
der Behördenakte). Nach telefonischer Auskunft der Agentur für Arbeit München war ihr hierfür, d.h. für die Zeit vom
28.07.2005 bis 27.07.2006, eine Arbeitserlaubnis erteilt worden.
Ausweislich der Bescheinigung der Landeshauptstadt München vom 03.04.2007 ist die Antragstellerin
Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU
zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Die Aufnahme einer (unselbständigen)
Beschäftigung ist ihr nur nach Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 284 Abs. 1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB III) gestattet. Nach einer weiteren Bescheinigung der Landeshauptstadt München vom
04.04.2007 hat die Antragstellerin seit ihrer Ersteinreise am 10.11.2004 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im
Bundesgebiet. Aufenthaltszweck ist nach ihren eigenen Angaben die Arbeitssuche.
Mit Bescheid vom 18.04.2007 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Arbeitslosengeld II vom
06.03.2007 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Der dagegen erhobene Widerspruch der Antragstellerin
blieb im Wesentlichen ohne Erfolg (vgl. Widerspruchsbescheid vom 16.07.2007).
Am 11.07.2007 erhob die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht München und ersuchte dieses um einstweiligen
Rechtsschutz. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu
verpflichten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein
Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da es ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine
Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt
zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage,
§ 86b Rdnrn. 26 ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 37 ff.)
und des Weiteren auf der Begründetheitsebene die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123
Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des
Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung), wobei die diesbezüglichen Anforderungen jedoch umso niedriger sind, je schwerer die mit der
Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre
Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.;
Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rdnrn. 12, 95, 99
ff.; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnrn. 15 f., 24 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war stattzugeben, da
nach der im Verfahren der einstweiligen Anordnung allein möglichen und zulässigen summarischen Prüfung der
Sachlage sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund zu bejahen sind.
Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts einschließlich angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung. Erwerbsfähige Hilfebedürftige
im Sinne des SGB II sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3.
hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch land haben. Die Antragstellerin
ist 35 Jahre alt, hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist auch
erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II.
Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit
außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein. Im Sinne von Absatz 1 können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer
Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.
Letzteres ist bei der Antragstellerin der Fall. Da die Antragstellerin litauische Staatsangehörige ist, gilt für sie mit
Wirkung vom 01.01.2005 § 284 SGB III, der durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.7.2004 (BGBl. I 1950) eingeführt
worden ist. Nach § 284 Abs. 1 SGB III dürfen Staatsangehörige der Staaten, die nach dem Vertrag vom 16. April 2003
über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der
Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der
Slowakischen Republik zur Europäischen Union (BGBl. 2003 II S. 1408) der Europäischen Union beigetreten sind, und
deren freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Bundesagentur für
Arbeit ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen, soweit
nach Maßgabe des EU-Beitrittsvertrages abweichende Regelungen als Übergangsregelungen der
Arbeitnehmerfreizügigkeit Anwendung finden. Die Genehmigung wird befristet als Arbeitserlaubnis-EU erteilt, wenn
nicht Anspruch auf eine unbefristete Erteilung als Arbeitsberechtigung-EU besteht (§ 284 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Die
Erteilung der Arbeitsberechtigung-EU bestimmt sich nach § 12a Arbeitsgenehmigungsverordnung (§ 284 Abs. 5 SGB
III).
Nach § 12a Abs. 1 Satz 1 Arbeitsgenehmigungsverordnung wird Staatsangehörigen derjenigen Staaten, die nach dem
Vertrag vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern,
der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der
Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (BGBl. 2003 II S. 1408) (EU-
Beitrittsvertrag) der Europäischen Union beigetreten sind, sofern sie am 1. Mai 2004 oder später für einen
ununterbrochenen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten im Bundesgebiet zum Arbeitsmarkt zugelassen waren,
abweichend von § 286 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch eine Arbeitsberechtigung erteilt.
Vorliegend war die Antragstellerin genau für zwölf Monate (vom 28.07.2005 bis 27.07.2006) im Bundesgebiet zum
Arbeitsmarkt zugelassen. Sie hat mithin Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung-EU und ist aufgrund dieses
Anspruchs, der über die gesetzgeberisch eingeräumte abstrakt-generelle Möglichkeit der Erteilung einer
Beschäftigungserlaubnis hinausreicht, als erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II anzusehen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Anspruch der Antragstellerin auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2
SGB II ausgeschlossen. Danach sind von den Leistungen nach dem SGB II Ausländer ausgenommen, deren
Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Nach der Beschlussempfehlung und dem Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38/EG umgesetzt. Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie
2004/38/EG genießt vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener
Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates
aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen des Mitgliedstaates.
Abweichend von Absatz 1 ist nach Absatz 2 dieser Norm der Aufnahmestaat jedoch nicht verpflichtet, anderen
Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren
Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthaltes oder gegebenenfalls während des längeren
Aufenthaltes nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b einen Anspruch u.a. auf Sozialhilfe zu gewähren. Nach Art. 14 Abs. 4
Buchstabe b darf unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen
auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des
Aufnahmemitgliedstaates eingereist sind, um Arbeit zu suchen. Aus diesen Regelungen hat der Ausschuss für Arbeit
und Soziales gefolgert, dass im nationalen Recht Personen und ihre Familienangehörigen vom Bezug sozialer
Leistungen ausgeschlossen werden können, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein auf den Zweck der Arbeitssuche
gründet.
Der Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II lehnt sich insoweit eng an das Freizügigkeitsgesetz/EU an. Nur in den
Fällen, in denen sich das Aufenthaltsrecht ausschließlich auf den Grund der Arbeitssuche stützt, sind EU-Bürger vom
Leistungsbezug ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen sind EU-Bürger, bei denen ein anderer Grund nach § 2
Freizügigkeitsgesetz/EU eingreift. Nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU haben freizügigkeitsberechtigte
Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.
Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind u.a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche
oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU).
Die Antragstellerin ist im Jahr 2004 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um hier Arbeit zu suchen. Ihr
Aufenthaltsrecht stützte sich also zunächst auf den Grund der Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 2
Freizügigkeitsgesetz/EU). Durch die Aufnahme einer Beschäftigung in der Zeit vom 28.07.2005 bis 27.07.2006 erwarb
sie jedoch ein Recht auf Aufenthalt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 Freizügigkeitsgesetz/EU, das bei
europarechtskonformer Auslegung der Norm nach wie vor besteht und nicht mit dem Verlust des Arbeitsplatzes
endete. So unterscheidet der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zwischen Angehörigen der
Mitgliedstaaten, die im Aufnahmemitgliedstaat, in dem sie eine Beschäftigung suchen, noch kein Arbeitsverhältnis
eingegangen sind, und denen, die dort bereits arbeiten oder die dort gearbeitet haben, aber nicht mehr in einem
Arbeitsverhältnis stehen und gleichwohl als Arbeitnehmer gelten (vgl. Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache
39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnrn. 32 und 33). Letzteres, d.h. das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft über
das Ende eines Arbeitsverhältnisses hinaus, ist jedenfalls beim Fortbestehen einer hinreichend engen Verbindung mit
dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates anzunehmen. Vorliegend ist nach Auffassung des Gerichts eine
derart enge Verbindung der Antragstellerin mit dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland zu bejahen, da die
Antragstellerin ihre Beschäftigung über einen Zeitraum von zwölf Monaten ausgeübt hat und das Ende der
Beschäftigung erst etwas mehr als ein Jahr zurückliegt. Darüber hinaus wird das Bestehen einer hinreichend engen
Verbindung durch den Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Arbeitsberechtigung-EU dokumentiert (s.o.).
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II greift daher nicht ein. Die Frage, ob der Anwendungsbereich
des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II richtlinienkonform dahin auszulegen ist, dass von der Regelung nur diejenigen
Ausländer betroffen sind, die erstmals in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und dort unmittelbar mit dem
Zuzug Sozialleistungen in Anspruch nehmen (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.07.2007, Az.: L 6
AS 444/07 ER) bedarf für die Frage nach dem Bestehen eines Anordnungsanspruchs keiner Entscheidung mehr.
Für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht besteht darüber hinaus ein Anordnungsgrund.
Das vorläufige Rechtsschutzverfahren bezweckt, die Entscheidung bis zum Ausspruch in der Hauptsache offen zu
halten und drohenden Beeinträchtigungen des zu sichernden Hauptsacheanspruchs vorzubeugen (Krodel, NZS 2002,
180, 181). Darüber hinaus soll mit dem Eilverfahren die Verletzung von Rechten des Antragstellers während des
Interimszeitraums bis zur Hauptsacheentscheidung vermieden werden (BVerfG, NJW 1989, 827). Angesichts dessen
ist ein wesentlicher Nachteil im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG anzunehmen, wenn bei einem Abwarten der
Hauptsacheentscheidung eine erhebliche, d.h. über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten oder
sonstigen Rechten droht oder die Gefahr des Verlustes des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Rechtes
während des Interimszeitraums bis zur Hauptsacheentscheidung besteht (Krodel, a.a.O., Seite 182;
Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., V Rdnr. 38).
Gemessen hieran erscheint der Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall für die Zeit ab
Antragstellung bei Gericht nötig. Denn die aktuelle Hilfebedürftigkeit ließe sich durch eine Nachzahlung von
Arbeitslosengeld II nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr beheben. Zudem bestände ohne vorläufige
Gewährung von Arbeitslosengeld II keine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen
Pflegeversicherung, da gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V und § 20 Abs. 1 Nr. 2a SGB XI der Versicherungsschutz den
tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld II voraus setzt.
Für die Zukunft ist die einstweilige Regelung auf einen engen Zeitraum zu begrenzen. Es erscheint gerechtfertigt,
insoweit auf den regelmäßigen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) abzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.