Urteil des SozG München vom 22.02.2007

SozG München: grobe fahrlässigkeit, versicherungspflicht, freie mitarbeit, sorgfalt, bekanntgabe, steuerberater, vergütung, eingliederung, arbeitsorganisation, ausführung

Sozialgericht München
Urteil vom 22.02.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 17 R 5582/04
I. Der Bescheid vom 29. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2004 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. III. Der Streitwert wird in Höhe von 20.142,86 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten anlässlich einer Betriebsprüfung darüber, ob der Kläger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe
von 20.142,86 EUR wegen der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) für ihn in der Zeit von 01.01.2000 bis 31.12.2001 zu
leisten hat.
Der Kläger betreibt eine Steuerkanzlei mit angestellten Steuerberatern und weiterem Personal.
Die Beigeladene zu 1) hat 1978 die Ausbildung zur Steuerbevollmächtigten und 1989 die Ausbildung als
Steuerberaterin erfolgreich abgeschlossen. Von 1971 bis 1980 war sie beim Kläger in Vollzeit beschäftigt. Nach der
Geburt ihrer Kinder 1980 und 1982 arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für die Steuerkanzlei des Klägers. Seit
Dezember 1987 war sie beim Kläger teilzeitbeschäftigt mit entsprechender Abführung von
Sozialversicherungsbeiträgen. Gleichzeitig arbeitete sie weiterhin als freie Mitarbeiterin für den Kläger.
Im März 1997 trafen die Beigeladene zu 1), der aus familiären Gründen eine Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung
nicht möglich war, und der Kläger, der sich die bewährte Mithilfe seiner Mitarbeiterin erhalten wollte, eine neue
"zeitliche Vereinbarung". Seither gestaltete sich die Zusammenarbeit wie folgt:
Im Rahmen des Teilzeitarbeitsverhältnisses hatte die Beigeladene zu 1) regelmäßige Arbeits- und
Anwesenheitszeiten in der Kanzlei einzuhalten (ungefähr zwei Stunden täglich) und arbeitete nach Weisungen des
Klägers. Inhalt dieser Tätigkeit waren Verwaltungsarbeiten und organisatorische Arbeiten einschließlich der Betreuung
der Mitarbeiter, zum Beispiel Überwachung der Abwicklung der Auftragseingänge, Verteilung der Fälle auf die
Mitarbeiter, Berichtskritik d.h. die Überprüfung der Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter auf inhaltliche und formale
Richtigkeit hin, Vorbereitung der Rechnungsstellung, Urlaubsvertretung für den Kläger und die angestellten
Steuerberater.
In freier Mitarbeit erstellte die Beigeladene zu 1) für Mandanten des Klägers Jahresabschlüsse und Steuererklärungen.
Diese Arbeiten erledigte sie ausschließlich zu Hause in einem Büro in ihrem Wohnhaus und benützte dabei ihr
eigenes, selbst finanziertes Arbeitsgerät (Schreibtisch, PC, Rechenmaschine, Steuergesetze, Fachliteratur). Sie
führte die Aufträge frei von Weisungen aus und war auch nicht an Arbeitszeiten gebunden. Ihr wurden vom Kläger nur
Einzelaufträge angeboten, die sie ohne Mitarbeiter erledigen konnte. Die Mandanten leisteten die
Steuerberatergebühren an den Kläger. Dieser vergütete die Dienste der Beigeladenen zu 1) nach Beendigung eines
Einzelauftrags auf der Grundlage der Steuerberatergebührenverordnung. Sie erhielt jeweils einen Anteil von 40 % der
Steuerberatergebühr zuzüglich der Mehrwertsteuer von 16 %, wobei sie dem Kläger entsprechende Rechnungen
stellte und diese Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit versteuerte.
Für die Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erhielt die Beigeladene zu 1) weder Urlaubsgeld noch Weihnachtsgeld.
Sie hatte keinen Urlaubsanspruch. Bei krankheits- oder urlaubsbedingter Verhinderung der Beigeladenen zu 1) wurden
die Mandanten von der Kanzlei betreut. Die Haftung für Vermögensschäden trug der Kläger als Auftragnehmer der
erteilten Mandate, wobei es zu einem Schadensfall nie gekommen ist.
Die Einzelaufträge erteilte der Kläger der Beigeladenen zu 1) unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Beziehung zu
den Mandanten und ihrer Sachverhaltskenntnisse im Einzelfall. Sie hatte die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. In
diesem Fall wurde der Auftrag von Mitarbeitern der Kanzlei erledigt.
Die Beigeladene zu 1) betreute nach ihren Angaben auch Angehörige und Freunde als eigene Mandanten. Eine
Berufshaftpflichtversicherung hat sie nicht.
In dem "Fragebogen zur sozialversicherungsrechtlichen Feststellung", den die Beigeladene zu 1) und der Kläger am
18.12.2002 unterschrieben haben, gab die Beigeladene zu 1) an, dass die BfA anlässlich der letzten Prüfung in der
Steuerkanzlei festgestellt habe, dass sie selbstständig tätig sei bzw. nicht in einem abhängigen
Beschäftigungsverhältnis zu ihrem Auftraggeber stehe.
Aufgrund der Betriebsprüfung vom 02.09.2002 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 29.07.2003, bestätigt durch
Widerspruchsbescheid vom 29.09.2004, eine Nachforderung in Höhe von 20.142,86 EUR fest, bestehend aus
Rentenversicherungsbeiträgen, Krankenversicherungsbeiträgen, Pflegeversicherungsbeiträgen und Beiträgen zur
Arbeitslosenversicherung für die Zeit von 01.01.2000 bis 31.12.2001 unter Berücksichtigung einer Entgeltdifferenz in
Höhe von 36.527 DM für das Jahr 2000 und in Höhe von 58.686 DM für das Jahr 2001. Die Tätigkeiten der
Beigeladenen zu 1) für den Kläger werden als einheitliches Beschäftigungsverhältnis gewertet. Für ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis sprächen die Abwicklung der Vergütung über die Steuerkanzlei und der Umstand, dass die
Beigeladene aufgrund ihrer Halbtagsbeschäftigung in die betriebliche Organisation eingegliedert sei. Auch lasse sich
"eine Ähnlichkeit der Arbeitsleistungen aus der abhängigen Beschäftigung bis 1978 und der freien Mitarbeit ab 1978"
feststellen, wobei die Beklagte weiter annimmt, dass sich wesentliche Änderungen in Art und Umfang der zu
verrichtenden Tätigkeiten nicht ergeben haben dürften. Anlass zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit bestehe
auch deshalb nicht, weil der Kläger weitere Steuerberater beschäftigt habe und der Unterschied in der Ausführung der
Tätigkeit lediglich darin bestehe, dass die anderen beschäftigten Steuerberater ganztags in der Kanzlei arbeiteten.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 07.10.2004 erhobenen Klage und beanstandet, dass seine Angaben und
die der Beigeladenen zu 1) entweder überhaupt nicht berücksichtigt oder lediglich zu seinen Lasten gewichtet worden
seien. Teilweise seien auch nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen gezogen worden.
Mit Bestätigung vom 25.04.2005 erklärte die Beigeladene zu 1) Folgendes:
"Ich ... stimme gemäß § 7b SGB IV zu, dass eine etwaige Versicherungspflicht resultierend aus meiner Tätigkeit als
freie Mitarbeiterin der Steuerkanzlei ... nicht eintritt. Ich war in der Zeit von 01.12.1997 bis 30.07.2003 gegen das
finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge im Rahmen der gesetzlichen Kranken- und
Rentenversicherung abgesichert."
Den im Erörterungstermin am 11.11.2005 auf der Grundlage des § 7b Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)
geschlossenen Vergleich mit dem Inhalt, dass die Beklagte den Bescheid vom 29.07.2003 insoweit aufheben werde,
als eine Beitragsnachforderung in Höhe von 20.142,86 EUR geltend gemacht werde, widerrief die Beklagte
fristgerecht. Die Anwendung der Vorschrift des § 7b SGB IV setze voraus, dass der Versicherte und der Arbeitgeber
weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen seien. Im konkreten Fall
hätte sich der Kläger bei der Einzugsstelle erkundigen müssen, ob Versicherungspflicht vorlag. Da dies offenbar nicht
geschehen sei, müsse zumindest von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden. Es sei für die Beklagte nicht
nachvollziehbar, was bei der vorliegenden Fallkonstellation gegen ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis sprechen
solle. Es werde jeweils die identische Tätigkeit ausgeübt, wobei die zweite Beschäftigung nur als "freie Mitarbeit"
deklariert worden sei, weil eine offizielle Aufstockung der Teilzeittätigkeit nicht möglich gewesen sei. Da das
Arbeitsverhältnis etwa im März 1997 geändert worden sei, hätte der Status zu diesem Zeitpunkt überprüft werden
müssen. Dies habe der Kläger versäumt.
Der Kläger macht geltend, dass bei der gegebenen Sachlage keinesfalls davon ausgegangen werden könne, dass er
oder die Beigeladene zu 1) die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße nicht beachtet hätten. Grobe
Fahrlässigkeit liege nach der Rechtsprechung nur vor, wenn die Beteiligten die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße nicht beachtet hätten. Über die vorausgehende Betriebsprüfung liege keine Bericht vor. Nach
Auskunft des Herrn D., der seit Jahren die Buchführungs- und Lohnabrechnungsarbeiten der Steuerkanzlei erledige,
seien im Rahmen dieser Prüfung keine Feststellungen getroffen worden. Damaliger Prüfer sei Herr B. gewesen. Die
Ergebnisse vorausgehender Betriebsprüfungen hätten nicht etwa wegen der Frage eines Vertrauensschutzes
bezüglich des Status der Beigeladenen zu 1) Bedeutung, sondern einzig und allein wegen der Frage, ob dem Kläger
der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gemacht werden könne.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 29.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbe scheids vom 29.09.2004
aufzuheben.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag des Klägers an.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 2), zu 3) und zu 4) stellen keinen Antrag.
Die Beiladungen erfolgten mit Beschluss vom 11.08.2006.
Die Arbeitsagentur für Arbeit teilte nach Beiladung mit, dass sie sich der Meinung anschließe, dass es sich bei der
Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handele.
Versicherungspflicht dürfte jedoch gemäß § 7b SGB IV erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Entscheidung
eingetreten sein. Es sei nicht anzunehmen, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmerin vorsätzlich oder grob fahrlässig von
einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind. Insoweit halte sie eine Beitragsnacherhebung für die Zeit vor dem
01.08.2003 für nicht gerechtfertigt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Beklagtenakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Beklagte ist befugt, als Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung durch Verwaltungsakt über
die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht
der Arbeitsförderung zu entscheiden (§ 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV). Die streitgegenständlichen Bescheide betreffen
die Betriebsprüfung vom 02.09.2002 über den Prüfzeitraum 01.12.1997 bis 31.07.2002.
Der Bescheid vom 29.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.09.2004 ist rechtswidrig und verletzt
den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der
Beigeladenen zu 1) in der Zeit von 01.01.2000 bis 31.12.2001 auch insoweit als Beschäftigungsverhältnis zu
qualifizieren ist, als sie in freier Mitarbeit Jahresabschlüsse und Steuererklärungen erstellte; im Interesse der Klarheit
für die Beteiligten wird dies unter I. näher ausgeführt. Die Nachforderung in Höhe von 20.142,86 EUR wurde aber zu
Unrecht erhoben, weil gemäß § 7b SGB IV Versicherungspflicht erst ab Bekanntgabe des Bescheids vom 29.07.2003
eingetreten ist, so dass Beitragspflichten nicht schon für die Jahre 2000 und 2001 bestehen (dazu II.).
I. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, waren während des streitgegenständlichen Zeitraums
versicherungspflichtig in der Rentenversicherung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI), in der
Krankenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V), in der sozialen Pflegeversicherung
(§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI) und in der Arbeitslosenversicherung (§ 25 Abs. 1
Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).
Nach § 7 Abs. 1 SGB IV in der seit 01.01.1999 geltenden Fassung ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit,
insbesondere in einem Arbeitsverhältnis; Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen
und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig
ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb
eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des
Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann vornehmlich bei Diensten höherer Art eingeschränkt und
zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige
Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit
gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale
überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den
tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (z.B. BSG vom 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R; vom
22.06.2005, B 12 KR 28/03 R).
Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) für den Kläger in der Zeit von 01.01.2000 bis 31.12.2001 ist unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auch insoweit als Beschäftigungsverhältnis zu qualifizieren ist, als
sie in häuslicher Arbeit für Mandanten des Klägers Jahresabschlüsse und Steuererklärungen erstellte. Persönliche
Abhängigkeit bestand nicht nur (unstreitig) für das angemeldete Teilzeitarbeitsverhältnis, sondern auch für die in
"freier Mitarbeit" erledigten Arbeiten als Steuerberaterin. Die Gesichtspunkte, die für ein Beschäftigungsverhältnis
sprechen, fallen letztlich stärker ins Gewicht fallen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte.
1. Maßgeblich sind ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse in den Jahren 2000 und 2001, die im wesentlichen
auf der im März 1997 getroffenen und seither praktizierten Vereinbarung beruhen. Zu Unrecht stellt die Beklagte auf
die (vermutete) Situation Ende der 70er Jahre ab, um daraus zu folgern, dass sich wesentliche Änderungen in Art und
Umfang der zu verrichtenden Tätigkeiten nicht ergeben haben dürften (vgl. Bescheid vom 29.07.2003).
2. Klar gegen die Annahme von Beschäftigung spricht der gewichtige Umstand, dass die Beigeladene zu 1) die durch
Einzelaufträge des Klägers übertragenen Arbeiten an Jahresabschlüssen und Steuererklärungen erledigte, ohne einem
Weisungsrecht des Klägers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung unterworfen zu sein. Sie arbeitete zu
Hause im eigenen Büro nach freier Zeiteinteilung, wobei auch der Umfang der aufgewendeten Zeit in ihrem Belieben
stand, da sie nicht eine am Zeitaufwand orientierte Vergütung erhielt, sondern einen fixen Anteil der
Steuerberatergebühren. Dem Berufsbild als Steuerberater(in) entsprechend arbeitete sie auch inhaltlich gänzlich
weisungsfrei.
Weiter spricht gegen die Annahme von Beschäftigung und damit für eine selbstständige Tätigkeit, dass die
Beigeladene zu 1) Aufträge ablehnen konnte. Angenommene Aufträge erledigte sie ausschließlich im eigenen Büro
und unter Einsatz ihres eigenen, selbst finanzierten Arbeitsgeräts (Schreibtisch, PC, Rechenmaschine,
Steuergesetze, Fachliteratur). Sie arbeitete also in der eigenen "Betriebsstätte".
3. Gleichwohl liegt Beschäftigung im Sinn von § 7 Abs. 1 SGB IV vor. Denn die Beigeladene zu 1) war
funktionsgerecht in die Arbeitsorganisation bzw. in die betriebliche Organisation der Steuerkanzlei eingegliedert (vgl.
BSG vom 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R). Dies gilt nicht nur für das in den Räumen der Steuerkanzlei praktizierte
Teilzeitarbeitsverhältnis, sondern auch hinsichtlich der zu Hause erledigten Arbeiten. Dabei wird durchaus
berücksichtigt, dass es sich bei den Arbeiten im Teilzeitarbeitsverhältnis und den Arbeiten zu Hause um gänzlich
unterschiedliche Aufgaben handelte. Im Teilzeitarbeitsverhältnis war die Beigeladene zu 1) mit Verwaltungsarbeiten
und organisatorischen Arbeiten einschließlich der Betreuung der Mitarbeiter und der Kontrolle der Arbeitsergebnisse
der Mitarbeiter betraut, mit der daraus resultierenden hierarchischen Einbindung. In "freier Mitarbeit" im eigenen Büro
leistete sie demgegenüber selbstständig und ohne Eingliederung in hierarchische und organisatorische Strukturen
reine Steuerberatertätigkeiten. Sie trug aber mit dieser Arbeitsleistung nennenswert zum arbeitstechnischen Zweck
der Steuerkanzlei bei, nämlich Betreuung der Mandanten des Klägers in steuerrechtlichen Angelegenheiten.
Wesentlich ist dabei, dass die Mandate auch bei Übernahme von Einzelaufträgen durch die Beigeladene zu 1)
Mandate des Klägers blieben, sowohl nach innen als auch nach außen. Dementsprechend erfolgte auch die
Abrechnung/ Vergütung im Dreieck und nicht etwa direkt zwischen der Beigeladenen zu 1) und den Mandanten. Bei
Verhinderung der Beigeladenen zu 1) oder bei Ablehnung eines Einzelauftrags wurden anstehende Arbeiten in der
Steuerkanzlei erledigt.
Das Gericht misst hier dem Aspekt der Eingliederung in die Arbeitsorganisation größere Bedeutung bei als dem
Umstand der Weisungsungebundenheit, weil die Steuerberatertätigkeit zu den sog. Diensten höherer Art zählt, bei
denen die Weisungsgebundenheit typischerweise stark eingeschränkt ist und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe
am Arbeitsprozess verfeinert ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgericht).
4. Ein erhebliches Unternehmerrisiko, das den Ausschlag für die Qualifizierung als selbstständige Tätigkeit geben
könnte, trug die Beigeladene zu 1) nicht. Die unternehmerischen Risiken waren eher gering. Zwar nutzte sie einen mit
eigenen Mitteln ausgestatteten Büroraum im eigenen Haus zur Bearbeitung der Aufträge. Wagniskapitel im
eigentlichen Sinn setzte sie aber nicht ein und beschäftigte auch keine Mitarbeiter. Einkommen aus dieser Tätigkeit
hatte sie zwar nur, wenn sie Aufträge übernehmen konnte und wollte. Ein Risiko, ohne Gewinn zu arbeiten oder gar
Verluste zu erwirtschaften, ist sie dagegen nicht eingegangen (vgl. BSG vom 18.12.2001, B 12 KR 8/01 R), auch
dann nicht, wenn der Kläger von seinen Mandanten die Steuerberatergebühren nicht erhielt.
Allerdings hatte die Beigeladene zu 1) keinen Anspruch auf Urlaub. Aber allein die Belastung eines Erwerbstätigen,
der nach der tatsächlichen Gestaltung des Vertragsverhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit
zusätzlichen Risiken, rechtfertigt nicht die Annahme von Selbstständigkeit (vgl. BSG vom 25.01.2001, B 12 KR 17/00
R; vom 04.06.1998, B 12 KR 5/97 R).
II. Trotz Vorliegens einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hinsichtlich der in "freier Mitarbeit" verrichteten
Tätigkeit ist die von der Beklagten geltend gemachte Beitragsnachforderung für die Zeit von 01.01.2000 bis
31.12.2001 in Höhe von 20.142,86 EUR nicht begründet. Gemäß § 7b SGB IV ist Versicherungspflicht erst mit
Bekanntgabe des Bescheids vom 29.07.2003 eingetreten, also ab August 2003.
Nach dieser Vorschrift tritt dann, wenn ein Versicherungsträger außerhalb eines Verfahrens nach § 7a feststellt, dass
eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe dieser
Entscheidung ein, wenn der Beschäftigte 1. zustimmt, 2. für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und
der Entscheidung eine Absicherung gegen das fi nanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge vorgenommen
hat, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung
entspricht, und 3. er oder sein Arbeitgeber weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit
ausge gangen ist.
Eine Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV ist ein Verfahren außerhalb des § 7a SGB IV, der die sog.
Statusfeststellungsverfahren regelt.
Im Rahmen der Betriebsprüfung vom September 2002 traf die Beklagte inzident die Feststellung, dass eine
versicherungspflichtige Beschäftigung auch insoweit vorliegt, als die Beigeladene zu 1) Tätigkeiten in "freier Mitarbeit"
verrichtete.
Die Zustimmung der Beigeladenen zu 1) gemäß § 7a Nr. 1 SGB IV liegt in Form der schriftlichen Bestätigung vom
25.04.2005 vor. Im übrigen unterstützt die Beigeladene zu 1) den Antrag des Klägers.
Die notwendige Absicherung im Sinn von § 7a Nr. 2 SGB IV besteht infolge des sozialversicherungspflichtigen
Teilzeitarbeitsverhältnisses, das die Beigeladene seit 1987 ausübt.
Der Kläger und die Beigeladene zu 1) sind weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbstständigen Tätigkeit
ausgegangen, es ist also auch die Voraussetzung gemäß § 7a Nr. 3 SGB IV erfüllt. Für Vorsatz liegen keinerlei
Anhaltspunkte vor, was von der Beklagten auch gar nicht behauptet wird. Dem Kläger und der Beigeladenen zu 1)
kann allerdings auch nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gemacht werden. Die gegenteilige Auffassung der
Beklagten ist nicht haltbar.
Nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) liegt grobe
Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat. Die
Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, dass sich der Kläger nach Abschluss der neuen "zeitlichen Vereinbarung" im
März 1997 bei der Einzugsstelle hätte erkundigen müssen, ob Versicherungspflicht vorliegt. Weil er dies nicht
gemacht habe, müsse von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden. Die Beklagte verkennt dabei die besonderen
Anforderungen, die an das Rechtsinstitut der groben Fahrlässigkeit im Unterschied zur Fahrlässigkeit gestellt werden.
Durchaus zweifelhaft ist schon, ob der Kläger bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt tatsächlich die Einzugsstelle
mit der Frage der Sozialversicherungspflichtigkeit der in häuslicher Arbeit erledigten Tätigkeiten hätte befassen
müssen. Keinesfalls gerechtfertigt ist die Annahme, dass der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem
Maße verletzt hätte. In den 90er Jahren und auch zuvor nahm kaum jemand Anstoß an den vielfach praktizierten
Freie-Mitarbeiter-Verträgen, auch nicht im Rahmen von Betriebsprüfungen oder bei den Einzugsstellen.
Wahrscheinlich verhielt es sich genau so auch bei der Betriebsprüfung in der Steuerkanzlei des Klägers, die der
Betriebsprüfung vom September 2002 vorausging. Unter Berücksichtigung des Vier-Jahres-Turnus gemäß § 28p Abs.
1 Satz 1 SGB IV müsste diese 1997/1998 stattgefunden haben. Der Feststellung von diesbezüglichen Einzelheiten
bedarf es allerdings nicht, um im konkreten Fall grobe Fahrlässigkeit ausschließen zu können.
Soweit die Beklagte weiter einwendet, es sei nicht nachvollziehbar, was bei der vorliegenden Fallkonstellation gegen
ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis sprechen solle, da jeweils die identische Tätigkeit ausgeübt worden sei, ist
festzuhalten, dass die Beklagte den tatsächlichen Sachverhalt nicht ausreichend zur Kenntnis nimmt. Die
Beigeladene zu 1) übte im Teilzeitarbeitsverhältnis und in "freier Mitarbeit" gerade nicht die identische Tätigkeit aus
(siehe oben), was sie schon im Verwaltungsverfahren dargelegt hat. Bei Würdigung der tatsächlichen
Sachverhaltsumstände ist die Beurteilung des Status im konkreten Fall erheblich schwieriger als von der Beklagten
angenommen.
Im übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Frage des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses jeweils nur
einzelfallbezogen und unter Abwägung verschiedener und von Fall zu Fall wechselnder, gegebenenfalls sogar
unterschiedlich zu gewichtender Gesichtpunkte beurteilt werden kann. Dies ist auch für Juristen ohne eingehende
Befassung nicht ohne weiteres zu leisten und setzt die Kenntnis der sozialgerichtlichen Rechtsprechung voraus, die
nicht immer der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entspricht. Interessierte Laien wissen regelmäßig nur, dass die
Frage der Weisungsgebundenheit entscheidende Bedeutung hat für die Frage der Abgrenzung von selbstständiger
Tätigkeit und Arbeitsverhältnis/Beschäftigungsverhältnis. Da im konkreten Fall bei den von der Beigeladenen zu 1) im
häuslichen Büro erledigten Arbeiten gerade keine Weisungsgebundenheit bestand (siehe oben), konnten der Kläger
und die Beigeladene zu 1) als juristische Laien von einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen, ohne sich den Vorwurf
der groben Fahrlässigkeit gefallen lassen zu müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).