Urteil des SozG München vom 08.05.2002

SozG München: härtefall, nacht, ernährung, physiotherapeut, versorgung, lagerung, körperpflege, pflegebedürftigkeit, sachleistung, ergänzung

Sozialgericht München
Urteil vom 08.05.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 18 P 58/00
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger wegen eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwandes nach § 36 Abs. 4 SGB
XI erhöhtes Pflegegeld zu zahlen hat.
Der 1981 geborene Kläger, der Mitglied der Beklagten ist, leidet an den Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas,
das er sich bei einem Unfall am 27.06.1998 zuzog. Am 26.01.1999 beantragte seine Mutter und gesetzliche
Vertreterin bei der Beklagten Pflegegeld. Mit Bescheid vom 24.03.1999 bewilligte die Beklagte das Pflegegeld nach
Stufe III ab 01.01.1999, nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 01.03.1999 nach einem Hausbesuch einer
Pflegefachkraft am 18.02.1999 den Hilfebedarf bei den Grundpflegeverrichtungen mit 400 Minuten bewertet hatte und
für die Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung 70 Minuten täglich veranschlagt hatte.
Gegen die Entscheidung der Beklagten legte die gesetzliche Vertreterin des Klägers Widerspruch ein, mit dem sie die
Einstufung als Härtefall beantragte.
Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK ein, der nach erneutem Hausbesuch am 19.10.1999 im
Gutachten vom 04.11.1999 zu dem Ergebnis kam, die Einstufung in die Pflegestufe III sei zutreffend. Die von der
Mutter des Klägers und deren Lebensgefährten, der Physiotherapeut gewesen sei, intensiv durchgeführte
Krankengymnastik habe guten Erfolg gezeigt. Die Voraussetzungen des § 36 SGB XI seien im übrigen bereits
deshalb nicht erfüllt, weil eine Geldleistung beansprucht werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2000 wies die Beklagte den Widerspruch daraufhin zurück.
Dagegen richtet sich die am 21.03.2000 zum Sozialgericht München erhobene Klage, mit der geltend gemacht wird,
die Einstufung als Härtefall sei gerechtfertigt. Der Kläger benötige nach wie vor rund um die Uhr Pflege. Er werde über
PEG ernährt und könne bisher weder sprechen noch sich selbst bewegen. Die gesamte Betreuung und Therapie
werde von der Mutter und deren Lebensgefährten geleistet, der als Physiotherapeut und Krankengymnast tätig
gewesen sei vor dem Eintritt von Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.
Zur medizinischen Sachverständigen wurde die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. N. ernannt, die nach einer
häuslichen Untersuchung am 02.01.2002 in ihrem Gutachten vom 11.01.2002 feststellte, der Zeitaufwand für die
notwendige Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität betrage zwar mehr als 7 Stunden am Tag,
davon seien jedoch nicht 2 Stunden wenigstens in der Nacht zu leisten. Einzelne Tätigkeiten der Grundpflege, konkret
die erste Lagerung nachts, könnten zwar auch nachts nur von mehreren Personen gemeinsam zeitgleich erbracht
werden; der Zeitaufwand für den nächtlichen Hilfebedarf betrage jedoch nur ca. 20 Minuten. Auch tagsüber seien
mehrmals zwei Personen für Transfers aus dem Bett bzw. in das Bett sowie bei Lagerungen innerhalb des Bettes
erforderlich. Den Hilfebedarf bei den der Grundpflege zuzurechnenden Verrichtungen bewertete die medizinische
Sachverständige mit 482 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt. Für die hauswirtschaftliche Versorgung ging sie
von mehr als 45 Minuten aus.
Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung, ein Härtefall nach § 36 Abs. 4 SGB XI liege nicht vor. Sie verwies auf eine
Stellungnahme des MDK vom 02.04.2002, der auf die Begutachtungsrichtlinien hinwies und deren Anforderungen nicht
als erfüllt ansah.
In der mündlichen Verhandlung beantragt die gesetzliche Vertreterin des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 24.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2000 zu verurteilen, dem Kläger
wegen eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwandes höheres Pflegegeld als das der Stufe III zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Klageakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 24.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2000 zu Recht die
Zahlung eines erhöhten Pflegegeldes abgelehnt, da es für diese Leistung keine gesetzliche Grundlage gibt.
Gemäß § 36 Abs. 4 SGB XI können die Pflegekassen in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von
Härten Pflegebedürftigen der Pflegestufe III weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 1.918,- EUR
monatlich gewähren, wenn ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III
weit übersteigt, beispielsweise wenn im Endstadium von Krebserkrankungen regelmäßig mehrfach auch in der Nacht
Hilfe geleistet werden muss. Nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Anwendung der
Härtefallregelungen (Härtefallrichtlinien (HRi) ist von einem außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand im Sinne des § 36
Abs. 4 SGB XI auszugehen, wenn - die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch des nachts nur von mehreren
Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden kann oder - Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der
Mobilität mindestens 7 Stunden täglich, davon wenigstens 2 Stunden in der Nacht erforderlich ist.
Die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem Elften
Buch des SGB führen dazu aus, das zeitgleiche Erbringen der Grundpflege des nachts durch mehrere Pflegekräfte sei
so zu verstehen, dass wenigstens bei einer Verrichtung tagsüber und des nachts neben einer professionellen
mindestens eine weitere Pflegekraft, die nicht bei einem Pflegedienst beschäftigt sein muss, tätig werden muss.
Nach den überzeugenden Ausführungen der medizinischen Sachverständigen Frau Dr. N. in ihrem Gutachten vom
11.01.2002 wird der Kläger nachts regelmäßig vier Mal innerhalb des Bettes umgelagert. Zumindest die erste
Lagerung gegen 24.00 Uhr muss von zwei Personen zeitgleich vorgenommen werden. Im Hinblick darauf hält das
Gericht die Anforderungen der Härtefall-Richtlinien dem Grunde nach für erfüllt.
Gemäß § 36 Abs. 4 SGB XI kann jedoch auch bei Vorliegen eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwandes lediglich
zusätzliche Pflege als Sachleistung in Anspruch genommen werden, nicht dagegen ein höheres Pflegegeld als das
von der Beklagten bereits gezahlte Pflegegeld nach Stufe III.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 183, 193 SGG.